Studieren zwischen Fjord und Skiparadies

Henning Brücker, Kommunikationswissenschaftsstudent an der Freien Universität, hat für ein Auslandssemester in Oslo den grünsten Campus Berlins gegen die grünste Hauptstadt Europas eingetauscht. Ein Bericht.

Es ist ein frostiger, aber sonnenklarer Nachmittag Anfang Januar. Ich stehe in Kopenhagen an Deck einer Fähre, die mich über Nacht in meine neue Wahlheimat bringen wird. Dann, mit dem „Leinen los“-Manöver, beginnt für mich nicht nur die Überfahrt nach Oslo, sondern auch das aufregendste Kapitel in meinem Studentenleben: Mit dem Erasmus-Programm geht es an die größte und älteste Universität Norwegens – und in die Hauptstadt des nach einer Studie der Vereinten Nationen glücklichsten Landes der Welt.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, passieren wir bereits die verschneiten Schären des Oslofjords. Sofort habe ich das Gefühl, mich richtig entschieden zu haben, denn Oslo gilt als grünste Hauptstadt Europas. Kein Wunder bei 343 Seen, 40 Inseln und 1.200 Kilometer Wanderwegen im Stadtgebiet. Aber natürlich hatten auch sachlichere Gründe für Oslo gesprochen: die Englischsprachigkeit der Norweger, der Ruf der Universität, die Zimmergarantie für Austauschstudenten und der Reiz des skandinavischen Lebensstils. Trotzdem bleibt die Ungewissheit: Wird es nicht doch zu teuer, zu dunkel oder zu kalt?

Die Zweifel verfliegen schnell. Wie erwartet sind die Lebenshaltungskosten aus deutscher Sicht extrem hoch, doch gleichzeitig ihren Preis wert. Mit seinen 650.000 Einwohnern ist das beschauliche Oslo eine perfekte Abwechslung zum “echten“ Großstadtleben in Berlin. Ich wohne im ehemaligen olympischen Dorf von 1952, sowohl Campus und Skilanglauf-Strecken liegen nur etwa 15 Fußminuten entfernt. Das Schloss von König Harald V. und das berühmte Opernhaus am Fjord sind in wenigen U-Bahnminuten zu erreichen.

Den größten Unterschied zum Studieren in Deutschland offenbart schon die Kurswahl: Die Vorlesungen und Seminare beginnen mit flexiblen Wochenstunden zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Semester. So kann man sich besser auf ein Thema konzentrieren. Da es in der norwegischen Sprache außer für die Anrede des Königs keine „Sie“-Form gibt, duze ich Professor Knut und die anderen Dozenten. Das Verhältnis ist persönlich und kooperativ, auch weil Prüfungen anonymisiert von externen Gutachtern bewertet werden – innerhalb einer Frist von drei Wochen. Eine weitere Besonderheit: Meine Hausarbeiten hätte ich nicht nur auf Englisch oder Norwegisch einreichen können, sondern wegen der engen Verwandtschaft der skandinavischen Sprachen sogar auf Dänisch und Schwedisch.

Besonders ins Herz geschlossen habe ich die Bibliotheken, in denen auf Selbstverantwortung und damit Vertrauen in die Studierenden gesetzt wird. Das heißt: Jacken, Taschen, Getränke und Snacks sind erlaubt – den Rest regelt das soziale Gewissen. Jeden Freitag sorgt eine halbstündige Livemusik-Einlage für Entspannung in der Mittagspause. Danach geht es zum Hochschulsport, dessen Kurse man sich jede Woche neu aussuchen kann.

In den Wintermonaten habe ich auf Langlaufskiern die Wälder Oslos erkundet und mitunter unsicher gemacht, mich mit frischen Zimtschnecken gestärkt und die sonst eher ruhigen Norweger bei den traditionellen Wintersport-Wettbewerben am Berg Holmenkollen in absoluter Ausgelassenheit erlebt. Neben dem Langlauf gibt es einen weiteren Volkssport, für den ich mich besonders begeistern konnte: das Übernachten in den einfachen Holzhütten in der Natur, das Entspannen am Kaminfeuer.

Ein kulturelles Highlight war der 17. Mai, mein Geburtstag, den ich am norwegischen Nationalfeiertag zusammen mit Hunderttausenden Osloern vor dem Schloss von König Harald V. feiern konnte. Auch beim Reisen zum Semesterabschluss haben mich am meisten jene Fjordlandschaften, Panorama-Wanderungen und Strände der Lofoten-Inseln beeindruckt, die still und einsam abseits der Kreuzfahrtschiffe und Touristenströme liegen.

Nach sechs Monaten in Norwegen, stehe ich wieder an Deck einer Fähre. Sie ist um Welten kleiner als die erste und fährt nur fünf Minuten zu meiner Lieblingsinsel im Oslofjord. Es ist viel wärmer als im Januar, aber wegen des nahenden Abschieds nicht weniger aufregend. Vermissen werde ich die internationalen Abende mit Stockbrot am Lagerfeuer und die Abendspaziergänge an den Fjordstränden, aber auch die soziokulturellen Besonderheiten Norwegens. Wo sonst bedankt man sich zur Begrüßung für das letzte Treffen oder wird man zum Beginn der Klausurenwoche in einer Bibliothek begrüßt, die plötzlich mit kleinen Motivationszetteln übersät ist? Aber ein bisschen Oslo-Feeling bieten zum Glück auch die BVG-Fähren auf dem Wannsee und Müggelsee.

Von Henning Brücker


Seit 2015 studiert Henning Brücker am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (IfPuK) der Freien Universität den konsekutiven Masterstudiengang „Medien und Politische Kommunikation“. Über sein Auslandssemester in Oslo hat er auch als Korrespondent für „studieren weltweit – ERLEBE ES!“ gebloggt. Ziel der Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) ist es, Studierende von den Vorteilen eines studienbezogenen Auslandsaufenthalts zu überzeugen.


Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 14. Juli 2017 im Online-Magazin campus.leben der Freien Universität Berlin

Fotos: Privat

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