Deutscher Buchpreis an Bodo Kirchhoff

Kirchhoff_Widerfahrnis_Cover__PTNachdem im Vorjahr Frank Witzel mit dem unglaublich langen Titel Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 siegreich war, geht der Deutsche Buchpreis 2016 an Bodo Kirchhoff. Seine Novelle Widerfahrnis sei laut Jurybegründung „ein vielschichtiger Text, der auf meisterhafte Weise existentielle Fragen des Privaten und des Politischen miteinander verwebt und den Leser ins Offene entlässt.“

Das Werk handelt von einem Verleger im Ruhestand, der in den Alpen durch ein Buch in der lokalen Bibliothek die Bekanntschaft mit einer gleichaltrigen Autorin aus der Gegend macht, die zuletzt Besitzerin eines Hutgeschäfts war. Beide folgen einer „vagen Sehnsucht“ und machen sich spontan im Cabrio auf dem Weg nach Sizilien. Die mögliche Chance auf eine unerwartete Liebe wird in den folgenden drei Tagen aber durch die Begegnung mit einem Flüchtlingsmädchen auf eine harte Probe gestellt. Beide entscheiden sich dafür, das Kind mitzunehmen …

Der 1948 in Hamburg geborene und überwiegend im Schwarzwald aufgewachsene Kirchhoff studierte in Frankfurt am Main Pädagogik, Psychologie und Soziologie. 1978 promovierte er mit einer Arbeit über Jacques Lacan zum Dr. phil. Zur selben Zeit begann er die Arbeit als freier Schriftsteller und veröffentlichte Theaterstücke, Essays und Erzählungen. Einem breiten Publikum wurde Kirchhoff 1990 mit dem Bestseller-Roman Infanta bekannt. Die Liebesgeschichte zwischen einem Deutschen und einer Philippinin, beobachtet aus der Sicht von fünf Missionaren, vereinte mit der exotischen Kulisse, dem Auftauchen von obsessiv-sexueller und emotionaler Liebe, gewaltsamen Tod, Mord oder Unfall drei Motivkomplexe, die sich in weiteren Werken wiederholen sollten (vgl. Porträt bei Munzinger Online). Kirchhoffs letzte Arbeiten spielen größtenteils in Italien, wo er auch die Sommermonate regelmäßig am Gardasee verbringt. 2002 sorgte sein Schundroman für Aufsehen, ein Schlüsselroman zum Literaturbetrieb, der zeitgleich mit Martin Walsers Tod eines Kritikers erschien. Als Hauptwerke in seinem Schaffen gelten die Romane Parlando (2001), der autobiographisch gefärbte Eros und Asche (2007) sowie Die Liebe in groben Zügen (2012), in dem sich auch ein älteres Ehepaar auf der Suche nach der titelgebenden großen Liebe aufmacht. Als Drehbuchautor zeichnete Kirchhoff u. a. für mehrere Tatort-Folgen sowie den preisgekrönten Spielfilm Mein letzter Film (2002) und die ARD-Krimiserie Die Kommissarin, jeweils mit Hannelore Elsner in der Hauptrolle, verantwortlich.

Bodo Kirchhoff setzte sich im Finale gegen Reinhard Kaiser-Mühlecker (Fremde Seele, dunkler Wald), André Kubiczek (Skizze eines Sommers), den früheren FU-Absolventen Thomas Melle (Die Welt im Rücken), Eva Schmidt (Ein langes Jahr) und Philipp Winkler (Hool) durch.
Alle sechs auf der Shortlist vertretenen Titel sind auch im Bestand der Philologischen Bibliothek zu finden (teilweise schon vorgemerkt). Auch beinahe alle auf der Longlist nominierten Romane sind dort ausleihbar bzw. vormerkbar.

Der Deutsche Buchpreis wird seit 2005 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels kurz vor der Frankfurter Buchmesse verliehen. Die Auszeichnung gilt als deutsche Antwort auf den französischen Prix Goncourt oder den britischen Booker Prize und ist mit 25.000 Euro für den Sieger dotiert. Über die Vergabe entscheidet eine jährlich wechselnde Jury. 2016 setzte sich diese u. a. aus den Literaturkritikern Thomas Andre (Hamburger Abendblatt), Lena Bopp (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Christoph Schröder, Sabine Vogel (Berliner Zeitung) und den Berliner Kritiker und Autor Najem Wali zusammen.

Zwar ist die kostenfreie App mit Artikelanfängen seit 2014 passé, aber über detektor.fm lassen sich kostenfrei Auszüge aus den nominierten Romane anhören (auch als App verfügbar).