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Der aktuelle Fall (2/2012) – Blockupy

Am 4. Mai 2012 verbot die Stadt Frankfurt am Main Demonstrationen im Rahmen von europaweiten Aktionstagen unter dem Motto „BLOCKUPY!“ vom 16. bis 19. Mai 2012 in Frankfurt am Main. Zur Begründung führte sie aus, die angekündigte „Massenblockade“, „Besetzung“, „Belagerung“ und „Lahmlegung“ der zentralen Plätze sowie der Zugänge und Zufahrten zur EZB sowie anderer Banken, Büros und Geschäfte in der Innenstadt über mehrere Tage solle nach den Plänen der Anmelder die Funktionsfähigkeit der Innenstadt mit ihrem Banken-und Geschäftsviertel beseitigen und würde dadurch die von der Verfassung geschützten Grundrechte Berufsfreiheit und Eigentum der dort lebenden und arbeitenden sowie gewerbetreibenden Menschen, insbesondere der Mitarbeiter der Banken und Geschäfte, der Kunden, Geschäftsinhaber und Geschäftspartner, verletzen. Außerdem beeinträchtige die geplante Dauerblockade die Gewährleistung der bestehenden europarechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Vertragspartnern und der EZB. Nach diesen Bestimmungen sei die Regierung der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, die Räumlichkeiten der EZB gegen unbefugtes Eindringen oder Beschädigungen aller Art sowie gegen sonstige Beeinträchtigungen ihrer Funktionsfähigkeit mit geeigneten Maßnahmen zu schützen. Daraus folge auch die Pflicht, einen ungehinderten Zugang zu den Räumlichkeiten der EZB so zu gewährleisten und sicher zu stellen, dass die Sicherheit von EZB-Mitarbeitern, externem Personal und Besuchern nicht gefährdet sei. Schließlich wurde noch auf Schutz von Leben und Gesundheit der Polizeibeamten abgestellt.

Dieses Verbot wurde – mit Ausnahme der Veranstaltung am 16. Mai und am 19. Mai – vom VG Frankfurt am 12. Mai aufrechterhalten und am 16. Mai 2012 vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof bestätigt.

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Der aktuelle Fall (1/2012)

Aus Anlass des 60. Geburtstages des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank AG, Josef Ackermann, veranstaltete die Bundeskanzlerin im April 2008 im Bundeskanzleramt ein Abendessen mit Gästen aus Politik, Wirtschaft und Unterhaltung. Das OVG Berlin-Brandenburg hat am 20. März 2012 das Urteil des VG Berlin vom 7. April 2011 aufrecht erhalten, nach dem der Zugang zu der im Bundeskanzleramt erarbeiteten Redevorlage, der Gästeliste und der Tisch- und Sitzordnung durch Überlassung von Kopien in ungeschwärzter Form zu gewähren sei. Die Klage wurde auf das Informationsfreiheitsgesetz gestützt. Hinsichtlich der begehrten Einsicht in den Terminkalender der Bundeskanzlerin und der Vorlage weiterer Unterlagen hat das VG Berlin die Klage abgewiesen. Die Berufung der Beklagten wurde voll zurückgewiesen, die Berufung der Kläger hatte in einem Punkt Erfolg: Die Beklagte ist nun überdies verpflichtet worden, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abendessen stehende Sammelrechnung der Kanzlerküche über die Beschaffung von Lebensmitteln in teilweise geschwärzter Form an die Kläger herauszugeben. Nach Auffassung des Senats sind lediglich bestimmte schutzwürdige personenbezogene Daten wie etwa die Steuernummer oder Bankverbindungen von dem Anspruch auf Informationszugang ausgenommen.

Was halten Sie davon?

Der aktuelle Fall (5/2011)

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 30. November 2011 entschieden, dass die Verrichtung von Gebeten in der Schule grundsätzlich möglich ist, allerdings ihre Schranke in der Wahrung des Schulfriedens findet. Hintergrund war die Klage eines Berliner Schülers.

Das Bundesverwaltungsgericht hat damit allerdings nicht festgestellt, dass die Verrichtung eines Gebets in der Schule generell unterbunden werden kann. Im Gegenteil ist ein Schüler aufgrund der im Grundgesetz garantierten Glaubensfreiheit grundsätzlich berechtigt, außerhalb der Unterrichtszeit in der Schule ein Gebet zu verrichten, wenn dies einer Glaubensregel seiner Religion entspricht. Die negative Glaubensfreiheit von Mitschülern und Lehrkräften verpflichtet und berechtigt die Schulverwaltung nicht, sie vor einer Begegnung mit fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen gänzlich zu verschonen. Das verfassungsrechtliche Gebot religiöser Neutralität des Staates verlangt ebenfalls keine Schule, die von jeglichen religiösen Bezügen frei gehalten wird. Die Schule ist vielmehr gehalten, die weltanschaulichen und religiösen Zusammenhänge unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Realitäten zu vermitteln, ohne sie in die eine oder andere Richtung einseitig zu bewerten. Duldet die Schulverwaltung die Verrichtung des islamischen Gebets durch den Kläger, liegt darin keine einseitige Bevorzugung des islamischen Glaubens oder eine Beeinflussung anderer im Sinne dieses Glaubens, die die staatliche Neutralität in Frage stellen könnten.
In dem vorliegenden Fall waren an der vom Kläger besuchten Schule zwischen muslimischen Schülerinnen und Schülern teilweise sehr heftig Konflikte wegen des Vorwurfs ausgetragen worden, nicht den Verhaltensregeln gefolgt zu sein, die sich aus einer bestimmten Auslegung des Korans ergäben. Deshalb sei hier der Schulfrieden konkret gefährdet gewesen.

Was halten Sie von diesem Urteil?

Der aktuelle Fall (4/2011)

Am 9. November 2011 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die 5% Klausel bei der Europawahl verfassungswidrig ist. Sie verstößt gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) und der Chancengleichheit der politischen Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG). Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl verlangt, dass alle Stimmen den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis und die Zusammensetzung des Parlaments haben. Durch die Klausel entstehe eine Ungleichgewichtung der Wählerstimmen, da Stimmen für kleinere Parteien, die an der Hürde scheitern, ohne Erfolg bleiben. Eine Rechtfertigung wie auf Bundesebene aus Funktionalitäts- und Stabilitätsgesichtspunkten kommt aufgrund der speziellen Situation des Europäischen Parlaments mit seinen strukturellen Unterschieden, so wähle es etwa keine Regierung, nicht in Betracht. Die Richter di Fabio und Mellinghoff erklärten in einem Sondervotum, dass die Verhinderung von Funktionsbeeinträchtigungen auch auf europäischer Ebene ein Rechtfertigungsgrund für Ungleichbehandlungen sei.

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Der aktuelle Fall (3/2011)

Bundesverfassunsgericht und Bundespräsident sprechen sich jeweils für eine Stärkung der Rechte des Parlaments aus.

Bundespräsident Christian Wulff würdigte beim Festakt zum 60-jährigen Bestehen des Bundesverfassungsgericht dessen Rechtsprechung, u.a. da das Gericht immer wieder die Einbindung des Parlaments verlange. Dabei bezieht sich der Bundespräsident neben dem Lissabon-Urteil auch auf das Euro-Rettungsschirm-Urteil von Anfang September 2011. Hier hat der Zweite Senat entschieden, dass das zur Griechenland-Hilfe ermächtigende Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz und das den Euro-Rettungsschirm betreffende Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetz) verfassungskonform sind.
§ 1 Abs. 4 des Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetzes ist allerdings nur bei verfassungskonformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Vorschrift ist dahingehend auszulegen, dass die Bundesregierung vor Übernahme von Gewährleistungen im Sinne des Gesetzes verpflichtet ist, die vorherige Zustimmung des Haushaltsausschusses einzuholen.

Finden Sie auch, dass die Stärkung der Rechte des Parlaments notwendig ist?

Der aktuelle Fall (2/2011)

Am 4. Mai 2011 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass sowohl der nachträgliche Wegfall der zunächst geltenden 10-Jahres-Höchstfrist wie auch die nachträgliche Verhängung der Sicherungsverwahrung gegen das Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verstoßen.
Die Regelungen bleiben bis zum 31. Mai 2013 weiterhin gültig, es ist jedoch zu beachten, dass „die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beziehungsweise ihre Fortdauer nur noch angeordnet werden, wenn „eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Therapieunterbringungsgesetz leidet.“
Das Urteil folgt damit der Rechtsprechung des EGMR, der 2009 und 2011 über die deutschen Regeln zu entscheiden hatte. In Bezug auf dessen Urteile hat das BVerfG im Leitsatz 1 des Urteils überaus EMRK-freundlich entschieden: „Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die neue Aspekte für die Auslegung des Grundgesetzes enthalten, stehen rechtserheblichen Änderungen gleich, die zu einer Überwindung der Rechtskraft einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führen können.“

Was halten Sie davon?

Der aktuelle Fall (1/2011)

Das Bundesverfassungsgericht hat am 22. Februar 2011 entschieden (1 BvR 699/06), dass die Versammlungsfreiheit auch im Flughafen Frankfurt am Main gewährleistet ist. Der Flughafen wird von der Fraport AG betrieben, die mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen Hand steht. Mit diesem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht erstmals festgestellt, dass auch eine private Gesellschaft, die im Mehrheitseigentum des Staates steht, unmittelbar an die Grundrechte gebunden ist.

Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass die Fraport AG gegenüber der Beschwerdeführerin unmittelbar an die Grundrechte gebunden sei, da die Nutzung zivilrechtlicher Formen die staatliche Gewalt nicht von ihrer Bindung an die Grundrechte enthebe. Die unmittelbare Grundrechtsbindung treffe nicht nur öffentliche Unternehmen, die vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, sondern auch gemischtwirtschaftliche Unternehmen, wenn diese von der öffentlichen Hand beherrscht werden. Dies sei in der Regel der Fall, wenn mehr als die Hälfte der Anteile im Eigentum der öffentlichen Hand stehen.

Weiter stellt es fest, dass der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit eröffnet sei. Die Versammlungsfreiheit gewährleiste den Grundrechtsträgern unter anderem das Recht, über den Ort der Veranstaltung frei zu bestimmen. Sie verschafft ihnen damit allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Allerdings sei die Versammlungsfreiheit auch nicht auf den öffentlichen Straßenraum begrenzt. Vielmehr verbürge sie die Durchführung von Versammlungen auch an anderen Orten, wo ein öffentliches Unternehmen einen allgemeinen öffentlichen Verkehr eröffnet hat. Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren oder sonstige Begegnungsstätten ergänzt werde, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können. Dies gelte unabhängig davon, ob die Flächen sich in eigenen Anlagen befinden oder in Verbindung mit Infrastruktureinrichtungen stehen, überdacht oder im Freien angesiedelt sind.

Richter Schluckebier widerspricht diesem ihm zu weitgehenden Urteil und argumentiert, dass die Ausweitung des Schutzbereich nicht nötig sei. Es bestehe kein Anlass zu befürchten, dass die Kommunikationsfunktion der herkömmlich im Allgemeingebrauch befindlichen öffentlichen Straßenräume durch die Schaffung „öffentlicher Foren“ im Sinne der Urteilsgründe ausgehöhlt oder gar systematisch zurückgeführt werde. Die Urteilsgründe befördere zudem ein Verständnis, das die Einbeziehung auch ausschließlich privat getragener Foren in den von der Senatsmehrheit ausgedehnten Schutzbereich der Versammlungsfreiheit nahe lege. Damit würde die Kollisionslage zwischen Eigentums- und Versammlungsgrundrecht von vornherein auf der Schutzbereichsebene zugunsten des Art. 8 GG vorentschieden.

Was halten Sie von diesem Urteil?

Himmelsstrahler***

Fragen und Kommentare zu dem Fall „Himmelsstrahler

Der aktuelle Fall (8/2010)

Am 4. November 2010 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Beförderung eines Richters oder Beamten in ein höheres Amt von einem unterlegenen Mitbewerber vor den Verwaltungsgerichten mit Erfolg angefochten werden kann, wenn der Dienstherr den ausgewählten Bewerber unter Verletzung des Grundrechts des Mitbewerbers auf wirkungsvollen Rechtsschutz ernannt hat. Der Grundsatz der Ämterstabilität steht dem nicht entgegen.
Dies widerspricht jedenfalls insofern ständiger bisheriger Rechtsprechung, als dass bislang davon ausgegangen wurde, dass aufgrund des Grundsatzes der Ämterstabilität eine Konkurrentenklage gegen eine Mitbewerber keinen Erfolg mehr haben kann, wenn dieser ernannt und das Amt damit vergeben wurde. Dies galt selbst dann, wenn der Rechtsschutz des Konkurrenten absichtlich durch schnelle Ernennung vereitelt wurde.

Was halten Sie von diesem Urteil?

Der aktuelle Fall (7/2010)

Nach dem Lissabon-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht am 26. August 2010 erneut Stellung zum Europarecht bezogen.
Ein Arbeitnehmer klagte auf unbefristete Einstellung, da § 14 Abs. 3 S. 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz nach dem Mangold-Urteils des EuGH europarechtswidrig sei. Die Arbeitsgerichte gaben der Klage statt.
Das Unternehmen machte nun vor dem Bundesverfassungsgericht geltend, dass der EuGH seine Kompetenzen überschritten hatte (s. dazu auch den Artikel von Roman Herzog „Stoppt den EuGH“).
Das Bundesverfassungsgericht sieht keinen Grundgesetzverstoß. Es verweist auf sein Lissabon-Urteil, nach dem die Ultra-vires-Kontrolle von Handlungen der europäischen Organe und Einrichtungen durch das Bundesverfassungsgericht nur europarechtsfreundlich ausgeübt werde. Sie komme deshalb nur in Betracht, wenn ein Kompetenzverstoß der europäischen Organe und Einrichtungen hinreichend qualifiziert sei. Dies setze voraus, dass das Handeln der Unionsgewalt offensichtlich kompetenzwidrig ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und Europäischer Union zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung zulasten der Mitgliedstaaten führe. Mit der Herleitung eines allgemeinen Grundsatzes des Verbots der Altersdiskriminierung sei aber weder eine neue Kompetenz für die Europäische Union begründet noch eine bestehende Kompetenz ausgedehnt worden.
In einem Sondervotum des Richters Landau wird hingegen ausgeführt, dass die Senatsmehrheit die Anforderungen an die Feststellung eines Ultra-vires-Handelns der Gemeinschafts- und Unionsorgane durch das Bundesverfassungsgericht überspanne. Sie verlasse den dem Lissabon-Urteil zugrunde liegenden Konsens, indem sie nicht nur einen „ersichtlichen“, sondern einen „hinreichend qualifizierten“ Kompetenzverstoß fordere. Dieser müsse nicht nur offensichtlich sein, sondern zudem zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und supranationaler Organisation führen. Damit verkenne die Senatsmehrheit, dass jede Ausübung von Hoheitsgewalt nach dem Lissabon-Urteil demokratisch legitimiert sein müsse.

Was haltet Ihr davon?