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„Historischer Hintergrund“ – Warum eigentlich?

Als Leser von wissenschaftlichen Arbeiten wird man häufig mit einem Kapitel konfrontiert, das die Überschrift „Historischer Hintergrund“ oder so ähnlich trägt. Dieses Kapitel ist meist mehr oder weniger ausführlich. Man erfährt sehr viele Details über einen bestimmten Fall. Jedoch ist häufig vollkommen unklar, warum dieses Kapitel  für eine politikwissenschaftliche Arbeit geschrieben wurde. Man hegt dann den Verdacht, hier hat sich jemand Wissen angelesen, das nun ausgebreitet wird. Gut, aber was trägt dieses Wissen – das häufig chronologisch geordnet ist – zur Beantwortung einer politikwissenschaftlichen Frage bei? Ich behaupte, dass meist keinerlei politikwissenschaftlicher Ertrag in diesen Kapiteln steckt. Eine Chronologie mag für den Autor/die Autorin nützlich weil orientierend sein, aber in der Arbeit hat sie zunächst nichts verloren, es sei denn man kann zwingend begründen, warum sie von politikwissenschaftlichem Interesse ist und was genau sie zur Beantwortung einer Fragestellung beiträgt.

Sinnvoller ist es, das gesammelte historische Wissen in eine Arbeit dort einzufügen, wo es aufgrund der Theorie und deren Operationalisierung am besten geeignet ist, d.h. historisches Wissen ist nichts anderes als eine Serie von Beobachtungen, die von Politikwissenschaftlerinnen gemäß der theoretischen Anleitung von Forschungsprojekten systematisch genutzt werden. Dies bedeutet: a) Legen Sie fest, welche Art von historischen Beobachtungen für die Beantwortung Ihrer Frage tatsächlich wichtig sind, bevor Sie Ihre Evidenz ausbreiten. Denken Sie dabei daran, dass Ihre Theorie Ihnen häufig auch sagt, was Sie empirisch nicht beobachten sollten, wenn Ihre Hypothesen zutreffen sollten. Sie müssen nämlich auch nach solchen falsifizierenden Beobachtungen systematisch suchen und erst wenn sie keine finden, ist das eine Bestätigung Ihrer Hypothesen; b) ordnen Sie Ihre Beobachtungen sinnvoll. Häufig ist eine chronologische Ordnung nicht die beste Form, Evidenz zu präsentieren.

Beachten Sie, dass insbesondere beim sogenannten process tracing natürlich der historische Verlauf Kern des methodischen Verfahrens ist. Jedoch müssen Sie auch hier zuvor theoretisch-konzeptionell klären, wie die einzelnen Schritte kausal zusammen hängen. Die historischen Beobachtungen müssen dann den einzelnen kausalen Schritten zugeordnet werden. Diese Zuordnung und kausale Verbindung ist dann die eigentliche analytische Leistung.

Zum Schluß: Politikwissenschaft ist keine Geschichtsschreibung. Historiker sind häufig – anders als Politikwissenschaftler – an der genauen Rekonstruktion von Einzelereignissen interessiert und beschreiben diese Ereignisse deshalb möglichst umfassend un detailgetreu. Politikwissenschaft dagegen zielt auf die Ermittlung von Regel- oder Musterhaftem, d.h. welche Ursachen verbergen sich hinter bestimmten Verhaltsmustern oder Ereignissen?

Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 8. Juli 2009 um 17:07 Uhr von Christian Tuschhoff veröffentlicht und wurde unter Allgemein abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf Ihrer Seite einrichten.

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