Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Ein Kind des Feldlagers

Wer sich geistig gegen die politischen Wirren seiner Zeit wappnen will, dem sei die Lektüre der Essais (erstmals 1580) Michel de Montaignes wärmstens empfohlen. Neben dem Esprit, mit dem diese Texte verfasst wurden, überzeugen sie durch ihre tiefe Humanität. Sie gestehen dem Menschen vor allem eines zu: seine Widersprüchlichkeit. Montaigne ist Anhänger des antiken Skeptizismus, es kann seiner Meinung nach nicht nur eine, nein es muss viele Wahrheiten geben. Daher hält er sich an das Konzept der epoché, den bewussten Verzicht auf ein ausgesprochenes Urteil oder eine Festlegung der eigenen Meinung. Freiheit des Denkens ist das Ziel. Diese Tatsache überrascht, wenn man erwägt, dass der im Jahre 1533 geborene Montaigne ein Altersgenosse Wilhelms von Oranien war. Die Bürgerkriege in Frankreich und den Niederlanden während des 16. Jahrhunderts, oft mit dem Kampf für den Glauben begründet, sollten doch jedem eine Stellungnahme aufnötigen, möchte man meinen.

Ähnlich verhält es sich mit der computergestützten Textforschung. Die Digital Humanities scheinen dem Ja-/Nein-Schema des Computers verpflichtet. Wurde ein Text von einem bestimmten Autor verfasst oder nicht? Wir warten natürlich auf endgültige Antworten. Mike Kestemont von der Universität Antwerpen hat mit stilometrischen Mitteln herausgefunden, dass ein neuer Kandidat für die Verfasserschaft des anonym überlieferten Wilhelmus in Frage kommt. Nicht Marnix von St. Aldegonde, der von vielen als Autor dieses bekanntesten Streitliedes des niederländischen Aufstandes angesehen wurde, das seit 1932 die Nationalhymne der Niederlande ist, sondern der relativ unbekannte Petrus Datheen (geb. 1531/32) könnte der Verfasser sein. Kestemont kann nachweisen, dass Datheens Werke stilistisch viel mehr Übereinstimmungen mit dem Wilhelmus aufweisen als die aller anderen Autoren, die bisher als mögliche Schreiber genannt wurden. Nachdem er diese Tatsache im Mai 2016 auf der ersten Louis-Peter-Grijp-Lesung der KNAW verkündete, begann sofort eine breite Diskussion, ob Datheen der wahre Verfasser sein könne. Dabei hatte Kestemont sich eines endgültigen Urteils klug enthalten. Bis nicht weitere historische Argumente auftauchen, kann die Autorschaft nicht völlig bewiesen werden. Selbst der Computer verschafft uns also kein Entweder-oder.

Diese historischen Argumente gibt es allerdings. Petrus Datheen verließ mit neunzehn Jahren das Karmelitenkloster in Ypern und schloss sich der calvinistischen Bewegung an.

Petrus Datheen (1531/32-1588); (fiktives) Porträt aus dem 18. Jht (CC-PD-Mark)

Vor den Glaubensverfolgungen in den Niederlanden flüchtete er unter anderem nach Frankenthal in der Pfalz und gründete dort mit Erlaubnis des Kurfürsten Friedrich des Frommen eine calvinistische Flüchtlingsgemeinde. Mit Friedrichs jüngerem Sohn Johann Kasimir (geb. 1543; für manche ist er der Jäger aus Kurpfalz; über das Lied siehe hier) zog er als Feldprediger mit einem pfälzischen Heer zur Unterstützung der Hugenotten nach Frankreich. Dort, bei der Belagerung der Stadt Chartres im Frühjahr 1568, hörte er vermutlich einen katholischen Soldaten ein Spottlied auf den Prinzen Condé singen, einen der Hugenottenführer: „O la folle entreprise/ Du prince de Condé!“ („O welch närrische Unternehmung/Des Prinzen Condé!“) Denn die Katholiken waren sicher, Chartres verteidigen zu können. Die aufmunternde, optimistische Weise des Liedes hinterließ wohl im ganzen Heerlager Eindruck und wurde schnell bekannt. Datheen benutzte sie vermutlich, um ein Lied auf einen anderen seiner Gönner zu schreiben – Wilhelm von Oranien, Führer der niederländischen Aufständischen, die sich im Kampf gegen das katholische Spanien befanden und mit den französischen Hugenotten ebenso enge Verbindungen besaßen wie mit den deutschen Calvinisten.

Willem van Oranje (Circa 1579, PD-old-100)

Jedenfalls waren Johann Kasimir und Wilhelm von Oranien miteinander verwandt, und Datheen arbeitete damals für beide Fürsten. Das neue Lied zu Ehren Wilhelms von Oranien, „nach der Weise von Chartres“, später Wilhelmus genannt, wurde jedenfalls auch in Deutschland sehr viel gesungen, die älteste bekannte Fassung (1573) ist sogar auf Deutsch überliefert. In einer jüngeren deutschen Liedersammlung wurde das Werk als „Reuterliedlein“ („Reiterlied“) bezeichnet, was seine militärische Herkunft noch deutlich anzeigt. So hätte das Feldlager die heutige Nationalhymne der Niederlande kurz nach 1568 erzeugt.

Im Jahre 1568 erbte Michel Eyquem das Schloss Montaigne von seinem Vater, nach dem er sich fortan benannte. Nach dem dritten von acht(!) Hugenottenkriegen zog er sich 1571 ins Privatleben zurück und verließ seine berühmte Turmbibliothek nur noch unter Zwang. Petrus Datheen überwarf sich später mit Wilhelm von Oranien und starb im Exil, während sein berühmter Gönner 1584 von einem katholischen Eiferer ermordet wurde. Der niederländische Aufstand, bekannt auch als achtzigjähriger Krieg, dauerte noch bis 1648 fort.


Für diesen Beitrag wurde u.a. mündliches Material von Mike Kestemont und Els Stronks verwendet.

Bettina Noak


Naschrift van de redactie

 

Bettina Noak zal na afloop van dit zomersemester de FU verlaten. We zien deze zeer gewaardeerde en bovendien altijd goed geluimde collega node (sehr ungerne) gaan. We danken haar voor de immer goede en vruchtbare samenwerking, voor collegiale kritiek, goede raad en niet in de laatste plaats voor haar hartelijke lach.
We pinken een traantje weg.

 

Een dikke bos VERGEETONSNIETJES voor Bettina Noak!

 

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Der Beitrag wurde am Samstag, den 9. Juli 2016 um 09:01 Uhr von Bettina Noak veröffentlicht und wurde unter Niederlande abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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