Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Populismus ist Populismus

Brexit means Brexit. Der Satz könnte in seiner Rätselhaftigkeit von Queen Elizabeth stammen, die von Berufs wegen nicht konkret werden darf. Tatsächlich aber äußert den Satz am liebsten Premierministerin May. Wobei man ihr nicht vorwerfen darf, sie sei nicht um schärfere Begriffsklärung bemüht, denn:

The reason I’ve been saying ‚Brexit means Brexit‘ is precisely because it means it does.

Wenn man den Satz in logische Einheiten auffaltet, bekommt man folgende Formel: Brexit heißt Brexit, und „Brexit heißt Brexit“ bedeutet „Brexit heißt Brexit“. Damit ist Theresa May vermutlich die Meisterin der Tautologien der Form X is X, die vor einiger Zeit Jan Renkema auf Neerlandistiek beschrieben hat.

Die eigentliche Bedeutung von Brexit means Brexit muss man nicht groß erklären. Sie lässt sich zusammenfassen mit Ich weiß doch auch nicht, was es heißt! Oder, mit anderen Worten: Die Aussage Brexit means Brexit ist logisch gesehen absolut und unwiderlegbar wahr. Man kann May also keinen Vorwurf machen, die Öffentlichkeit täuschen zu wollen. Zugleich trifft sie keinerlei Aussage darüber, ob Brexit irgendeinen anderen Bedeutungsgehalt hat als (a) das Wort hat die Form Brexit und (b) Großbritannien wird aus der EU austreten.

Unwiderlegbare Aussagen sind in der politischen Kommunikation oft sehr willkommen. Sie können verschleiern, dass wenig Inhalt da ist, wie im Fall May. Sie können politische Zumutungen bürokratisch übertünchen. Oder, besonders häufig: Sie bilden die Basis für populistische Parolen. Populismus lebt von unwiderlegbaren Äußerungen. Alle stimmen ihnen zu – aber sie funktionieren nur solange, bis man weitere Fragen nach ihrem Inhalt stellt.

Für gleich zwei solcher Äußerungen sorgt in den Niederlanden die PVV. Auf Twitter ist der Spruch genoeg is genoeg ziemlich fest verbunden mit rechtspopulistischen Forderungen und Äußerungen, vor allem von PVV-Mitgliedern und -Unterstützern. Man wüsste gerne, wovon diese Menschen genug haben. Die PVV und ihre Anhänger sind sich darin ganz implizit einig: von Einwanderung und „Islamisierung“, von Flüchtlingen, letztendlich generell von Veränderung und Andersartigkeit. Sagen muss das niemand, denn genoeg is genoeg bedeutet auch: Wir alle wissen, wovon wir sprechen, für uns ist die Tautologie transparent. Dahinter verbirgt sich eine wohlbekannte Strategie von Populisten und Extremisten, nämlich die Anspielung. Die Anhängerschaft versteht sofort, was gemeint ist. Wer aber die Aussagen kritisiert, bekommt als Antwort: Es ist doch sachlich völlig richtig, was wir gesagt haben und wir haben nicht mehr behauptet als X ist X. Wer könnte dem widersprechen? Anders ist das zweite Beispiel der PVV:

Laat Nederland weer Nederland worden.

Der Kern davon ist Nederland is niet meer Nederland, also im Prinzip X is niet X. Das ist eine erstaunliche Wendung, denn sie ist das Gegenteil einer Tautologie: Nederland ≠ Nederland. Auch hier wissen Eingeweihte sofort, warum die Niederlande nicht (mehr) die Niederlande sind: wegen Veränderung, „Islamisierung“ etc., siehe oben. Ob diese Aussage wahr sein kann, hängt wiederum davon ab, was die Bedeutung von Nederland ist. Mit Leichtigkeit könnte man sagen, dass die Aussage Unsinn ist. Ungefähr seit der Schaffung von Flevoland haben die Niederlande dieselben Grenzen, es gibt eine monarchische wie demokratische Kontinuität, und es gibt ein Volk, das sich aus niederländischen Staatsbürgern zusammensetzt. Zudem impliziert die Formulierung is niet meer automatisch, dass das Konzept Nederland veränderlich sein muss. Also genau das, was Rechtspopulisten nicht wollen, schließlich geht es ihnen um weitgehende Unveränderlichkeit. Solche Widersprüche aufzulösen umgeht die Formel Nederland moet weer Nederland worden völlig. Eine Ausweichstrategie, die seriöse Argumentation verhindert.

„Nederland is meer Nederland geworden.“ Königin Beatrix 1986 bei der Einrichtung der neuen Provinz Flevoland. (R. Croes / Nationaal Archief)

In Deutschland ist uns das aus der politischen Kommunikation der vergangenen Wochen ganz und gar nicht fremd. Fast wortgleich mit der PVV lehrt uns die CSU:

Deutschland muss Deutschland bleiben.

Zum Glück verspricht die Bundeskanzlerin:

Deutschland wird Deutschland bleiben.

Sie mag in letzter Zeit ein Händchen für politische Slogans bewiesen haben, aber hier greift sie daneben. Sie macht sich Argumentationsart und Prämissen der Populisten zu eigen, in diesem Fall jene der Regierungspopulisten aus dem Land mit dem inoffiziellen Motto Mir san mir. Mit ihrer Antwort greift Merkel ein Prinzip nicht nur der neuen Rechten auf, sondern auch des alten Nationalismus. Bei unseren anderen westlichen Nachbarn, dem kleinen Großherzogtum, kennt man als Wahlspruch der Nation:

Mir wëlle bleiwe wat mir sinn. („Wir wollen bleiben was wir sind.“)

Wer sind wir denn? Was wollen wir bleiben? Impliziter Konsens ohne konkreten Gehalt. Das liegt vor allem an den Kopulaverben, von denen solche Formeln leben. Sie sind semantisch sehr schwach und deuten nur eine Übereinstimmung zwischen zwei Elementen an (eine die ist, die wird bzw. werden muss, oder die bleibt.) Das ist vermutlich der Grund, warum Populismus und Nationalismus, aber auch bürokratischer Sprachgebrauch so von Kopulaverben und Aussagen der Form X ist X profitieren: Semantisch schwache Aussagen brauchen semantisch schwache Verben. Die nominalen Konstituenten rundherum füllen sich ganz zuverlässig von selbst, jedenfalls im Geiste der Gleichgesinnten.

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Der Beitrag wurde am Freitag, den 30. September 2016 um 12:09 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Idiom, Niederlande, Sprachvergleich abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

2 Reaktionen zu “Populismus ist Populismus”

  1. fotoralf.be

    Dazu passt der Hinweis, den ich vorgestern in einer Frituur in Lombardsijde unter der Anküngigung gesehen habe, ab dem nächsten Tag seien Betriebsferien:

    Restjesdag. Op = op!

    Ralf

  2. Philipp Krämer

    Tolle Beobachtung! Besonders weil das Gleichheiszeichen so schön die Funktion sichtbar macht, die sonst einfach das Verb übernimmt. Über op is op hat übrigens Jan Renkema letztes Jahr Teil 3 seiner Serie „taal is taal“ geschrieben.