SPRING

Responsabilidad Social a través de Intervenciones Prosociales para generar oportunidades equitativas

Neue Studie zeigt: Soziale Herkunft determiniert Bildungserfolg

Die Chancengerechtigkeit in deutschen Bildungswesen ist nach wie vor nicht gegeben, da der Bildungserfolg immer noch sehr stark von sozialen Faktoren (Herkunft, Bildung und Einkommen der Eltern) abhängt. Dies zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die am 24. Juni in Berlin veröffentlicht wurde (vgl. https://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-D991E088-3317DED8/bst/hs.xsl/nachrichten_116881.htm).

Die Differenzen seien schon in der Grundschule spürbar: So liege die Lesekompetenz von Kindern aus der Oberschicht deutlich über der von Kindern aus bildungsfernen Sozialschichten. „Insgesamt geht es mit der Chancengerechtigkeit eher im Schneckentempo voran“, fasst der Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, Jörg Dräger, die Resultate der Studie zusammen.

Es zeigt sich, dass eine Anwendung von SPRING im deutschen Bildungssystem (vgl. https://www.spring-alfa-pucv.cl/spring-un-tema-para-alemania/) durchaus sinnvoll wäre – von Anfang an, also bereits in der Grundschule.

Josef Bordat

SPRING in Deutschland (5)

Chancen für ein prosoziales Bildungswesen

5. SPRING in Deutschland

Was tun? Zunächst einmal gilt es, alle Beteiligten für das Problem zu sensibilisieren. Oftmals trifft man auf einen Mangel an Empathie für die Lebenssituation von sozial Benachteiligten – nicht nur, aber auch an den Universitäten. Prosozialität kann daher als soziale Verstetigung von Empathie verstanden werden, mit dem Ziel, dem Einzelnen gerecht zu werden. Neuere Ansätze in der Bildungsforschung, welche die individuelle Förderung des Schülers bzw. Studenten in den Mittelpunkt stellen, liegen bereits grundsätzlich auf dieser Linie.

Zugleich bedeutet Prosozialität im Bildungssystem nicht, die Utopie einer „Bildung für alle“-Ideologie aufrecht zu erhalten. Es kann in der Bildung nicht um Gleichheit gehen, sondern es muss vielmehr um Gerechtigkeit gehen. Der Egalitarismus als Forderung ist durch einen Individualismus der Förderung zu ersetzen. Gerechtigkeit heißt daher, die Vorbereitung auf kommende Ungleichheit zu gewährleisten, soweit sie aus unveränderbaren Faktoren resultiert, und sich die Überwindung der bestehenden Ungleichheit vorzunehmen, soweit sie aus veränderbaren Faktoren herrührt. Genetische Differenzen wird man nicht ausgleichen können (oder wollen), soziale Umgebungseinflüsse hingegen schon.

Das DSW hat dazu in den letzten Jahren eine gute Arbeit geleistet und auch die Politik hat den Sonntagsreden von der überragenden Bedeutung der Bildung für Deutschland Taten folgen lassen. Die Anhebung von Förderungssätzen kann aber nicht das letzte Wort sein, da es nur das wirtschaftliche Defizit ausgleicht. Soziale Selektion geht aber weiter und betrifft den Menschen in seiner gesamten Disposition. Hier kann eine Orientierung an der Prosozialität als aktive Empathie helfen, auch diese nicht-monetäre soziale Benachteiligung zu überwinden.

5.1 Mentorenprogramme

Auch hier gibt es in Deutschland bereits Ansätze: Mentorenprogramme, in denen sich erfolgreiche Akademiker Schülerinnen und Schülern aus problematischen familiären Verhältnissen annehmen, sie begleiten und fördern. Dies ist auf die Hochschulen zu erweitern. Eine Sensibilisierung von Führungskräften durch SPRING-Seminare könnte die Bereitschaft erhöhen, sich daran zu beteiligen.

5.2 Bildungs- und Karrieremessen

Weiterhin gibt es bereits Bildungs- und Karrieremessen in den Universitäten und Fachhochschulen, auf denen sich Studierende über berufliche Perspektiven in Wirtschaft und Verwaltung informieren können. Die Unternehmen haben zugleich die Möglichkeit, Studierende kennenzulernen. Dabei geschieht die Auswahl meist nach überprüfbaren Leistungsmerkmalen (Noten), so dass auch hier wieder der kompetitive Gedanke einer marktförmigen „Bildungsware“ vorrangig ist. Eine Schulung von Personalern und Recruitern im Rahmen von SPRING-Seminaren könnte den Blick auf den einzelnen Studierenden verändern.

5.3 Beratungsangebote

Das Beratungsangebot ist ferner auszubauen, um dem gestiegenen Bedarf gerecht zu werden. Die Sozialberater könnten in SPRING-Seminaren zu einem größeren Bewusstsein des Konnex von finanzieller Voraussetzung, sozialer Lage und psychologischer Befindlichkeit gelangen und die daraus resultierenden Spannungen proaktiv abbauen helfen, bevor diese dazu führen, dass der Studienerfolg in Gefahr gerät.

5.4 Schulung zum Weltbürger

Schließlich: Das Humboldtsche Ideal der Bildung zur „Weltbürgerpersönlichkeit“ sollte wieder ins Zentrum rücken, und zwar in zwei Perspektiven:

Ad 1) Studierende mit Migrationshintergrund und Studierende aus dem Ausland, deren Zahl seit zwanzig Jahren beständig wächst, sollten die Chance bekommen, ihr Studienland Deutschland kennen- und verstehen zu lernen. Gerade für englischsprachige Masterstudiengänge bewerben sich oft Studierende, die kein Deutsch können und später sozial völlig isoliert sind. Hilfestellung kann hier sicherlich zunächst durch Sprach- und Integrationskurse gewährt werden, doch auch SPRING-Seminare, an denen Integrationsbeauftragte teilnehmen, können dazu beitragen, dass ein echter Austausch der Kulturen stattfinden kann.

Ad 2) Deutsche Studierende sollten verpflichtend ein bis zwei Semester im Ausland studieren. Hier zeigt sich besonders gravierend, dass die Diskrepanz zwischen Wunsch und (sozialer) Wirklichkeit groß ist, oft zu groß. Und das nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Das europäische Bildungsprogramm Erasmus steckt nach einer fünfundzwanzigjährigen Erfolgsgeschichte in der Krise. Die Begeisterung für den akademischen Auslandsaufenthalt hat zuletzt in vielen Ländern nachgelassen. Die Zahl deutscher Erasmus-Studierender stagniert (bei stark steigender Studierendenzahl insgesamt). In Finnland, Spanien oder Griechenland entscheiden sich immer weniger angehende Akademiker für den Besuch einer Partneruniversität im Ausland. Dafür gibt es viele Gründe, besonders oft fehlen den Studenten aber Zeit und Geld.

Zeit und Geld – die knappen Ressourcen des Bildungssystems nach Bologna. Die Zukunftstauglichkeit von Erasmus steht in Frage. Ein Vorschlag geht in die Richtung, dass mehr Lehrer im Ausland unterrichten und so die Schüler für das Auslandsstudium begeistern. Das Programm soll Humboldt heißen – benannt nach den beiden deutschen Universalgelehrten des 19. Jahrhunderts – der eine, Wilhelm, reformierte die Bildung in Preußen (s. oben), der andere, Alexander, reiste ins Ausland. Passen würde es. Und passen würde es auch, wenn dieser Prozess von SPRING begleitet würde, damit am Ende nicht nur die Reichen reisen.

5.5 Schlussbemerkungen. Freiräume für prosoziales Handeln schaffen

Die beschriebene Tendenz zur Verwertung aller Prozesse des Lernens und schließlich der Bildung und des Wissens selbst, führt dazu, dass nicht immer die Besten, sondern die Bestangepassten erfolgreich durch das Elite-Bildungssystem marschieren. Das sind aber genau die, die 1.) die nötige familiäre Unterstützung bekommen, 2.) ihre Zeit ganz oder größtenteils dem Studium widmen können und 3.) bereits aus ihrer Sozialisation in Kindheit und Jugend die Regeln des akademischen Spiels kennen. Also gerade jene Gruppe, die nach wie vor an deutschen Universitäten stark überrepräsentiert ist: Kinder aus gut situierten Akademiker- bzw. Beamtenhaushalten.

Die anderen muss man, wie in den Unterkapiteln 5.1 bis 5.4 beschrieben, beständig und intensiv fördern, vor dem Studium (Sozialberatung des Studentenwerks, Mentorenprogamme), im Studium (Sozialberatung des Studentenwerks, Mentorenprogamme, Austauschprogramme für Auslandsaufenthalte) und nach dem Studium (Kooperationen der Universitäten mit Unternehmen und anderen potentiellen Arbeitgebern). SPRING bietet dazu eine Möglichkeit, die entsprechenden Prozesse adäquat zu gestalten und diejenigen in den Blick zu nehmen, um die es besonders geht: sozial benachteiligte Studierende.

Ende.

Josef Bordat

SPRING in Deutschland (4)

Chancen für ein prosoziales Bildungswesen

4. Die soziale Situation der Studierenden in Deutschland

„Das deutsche Bildungssystem ist sozial selektiv. Die deutsche Bildungsbiographie ist an die soziale Herkunft gekoppelt. Das ist bekannt und wird durch die 19. Sozialerhebung einmal mehr bestätigt.“ Rolf Dobischat, Präsident des Deutschen Studentenwerks (DSW), einer öffentlichen Einrichtung, die sich um die sozialen Belange der Hochschüler in Deutschland kümmert (z. B. Wohnheime und Mensen unterhält), fasste auf der Pressekonferenz zu jener 19. Sozialerhebung des DSW am 23. April 2010 in Berlin die Resultate der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Studie einprägsam zusammen (Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland 2009. 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, durchgeführt vom Hochschul-Informations-System (HIS), hg. vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn / Berlin 2010). Dobischat stellt fest, dass die „grundlegende soziale Selektion weiterhin erschreckend stabil“ sei und Hochschulbildung einem „kulturellen Kapital“ gleiche, „das von Akademiker-Generation zu Akademiker-Generation weitervererbt wird“. Sein Fazit: „Von sozial offenen Hochschulen sind wir weit entfernt.“ Bildung für alle? Die Realität sieht anders aus.

Seit den 1950er Jahren untersucht das DSW regelmäßig die soziale Realität von Deutschlands Akademikernachwuchs. Die aktuelle Studie war mit großer Spannung erwartet worden, zeigen sich in ihr doch erstmals die Effekte des neuen Bologna-Systems. 16.370 Studierende von 210 Hochschulen haben im Sommer 2009 an der Befragung teilgenommen. Die Studie enthält außerdem exklusive Daten zur Bildungsbeteiligung und zur sozialen Herkunft der 2,1 Millionen Studierenden. Gerade diese Daten sind für die in der Einführung formulierte Frage nach der Relevanz von SPRING in Deutschland interessant.

4.1 Soziale Selektion und Bildungseliten

Von 100 Akademiker-Kindern studieren 71, von 100 Kindern aus Familien ohne akademische Tradition schaffen nur 24 den Sprung an die Hochschule. Das ist ein Ergebnis der Untersuchung. Schon hier zeigt sich deutlich die soziale Selektion. Andere Daten bestätigen dies: 40 Prozent der Deutschen sind Arbeiter, aber nur 20 Prozent der Studierenden sind Arbeiterkinder. Dagegen findet man an den deutschen Universitäten 10 Prozent Töchter und Söhne von Beamten, obwohl diese nur 5 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Diese Unter- bzw. Überrepräsentation hat zum einen finanzielle Gründe. Die sozio-ökonomischen Situation (Planungssicherheit) bei Beamten in ungleich höher als bei Arbeitern. Zum anderen stimmen in bildungsnahen Akademikerhaushalten die Umgebungsbedingungen und die einfachen Vererbungsgesetze tun ihr übriges; Intelligenz ist zu einem Teil genetisch prädisponiert. Doch entscheidender sind die Einflüsse der Erziehung und der sozialen Situation: Haben die Eltern selbst studiert (oder zumindest ein Elternteil), so entscheidet sich das Kind (bei gleicher Formalqualifikation!) doppelt so oft für ein Studium wie das Kind aus dem bildungsfernen Haushalt, also das Kind von Eltern, die selbst auch nie studiert haben. Hier – und nur hier – haben wir Stellgrößen, die von außen beeinflussbar sind: Kinder aus Arbeiterfamilien müssen zum Studium ermutigt und ihre Eltern vom Sinn und Wert einer akademischen Ausbildung überzeugt werden.

Soziale Bedingungen und Statusfragen haben zweifelsohne immer die Möglichkeit der Bildungsbeteiligung determiniert, auch in den 1970er und 80er Jahren. Doch zeichnet sich in den letzten Jahren eine Verschärfung der Tendenz ab. Allgemeine makroökonomische Konditionen (erodierende Sozialsysteme, Arbeitslosigkeit, zusätzliche Unsicherheit aufgrund der Finanzkrise), aber auch besondere Bedingungen des Hochschulzugangs (Studiengebühren) haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Schere immer weiter auseinandergeht. Haben wir bei den Studierenden die o. g. Verhältnisse, so finden wir bei den Studienanfängern noch deutlichere Differenzen. Unter den Studienanfängern zum Wintersemester 2007/2008 (so die DSW-Erhebung aus dem Jahr 2009 – die aktuellste, die es derzeit gibt), finden sich plötzlich 15 Prozent Beamtenkinder, also die Kinder derer, die durch besondere Statusbedingungen am wenigsten von den Schwierigkeiten merken (keine Teilhabe am allgemeinen Sozialsystem, unbefristete Arbeitsverhältnisse).

Die soziale Selektion beginnt gleichwohl bereits in der Schule: Während dreiviertel der Kinder, deren Vater Akademiker ist, eine Fachhoch-/Hochschulzugangsberechtigung erwerben, so ist es bei den Kindern von Nicht-Akademikern nur ein Viertel. Die Chance, Abitur zu machen, ist also für die Kinder, deren Vater auf der Universität war, dreimal so hoch wie für ihre Altersgenossen aus Nicht-Akademiker-Haushalten.

4.2 Kontinuität und Perpetuierung der sozialen Schere

Studieren, so könnte man polemisch sagen, ist „wieder etwas für Reiche“. Das ist sicher übertrieben, doch über die soziale Selektion bilden sich Bildungseliten und es verfestigen sich infolgedessen gesellschaftliche Hierarchien. Das insbesondere deshalb, da die Studienfinanzierung heute nach wie vor hauptsächlich über zwei Kanäle läuft: über die Eltern und über die eigene Erwerbstätigkeit neben dem Studium. Während nur etwa ein Drittel der Studierenden auf BAföG (29 Prozent), Stipendien (3 Prozent) oder einen Bildungskredit (2 Prozent) bauen kann, tragen bei 86 Prozent die Eltern und bei 65 Prozent der Nebenjob zur Studienfinanzierung bei. Es ist nun klar, dass der, der von seinen Eltern weniger zu erwarten hat, bei etwa gleichen Kosten mehr Zeit für die Arbeit und damit weniger Zeit für das Studium zur Verfügung hat. Das kann zur Verschlechterung der Leistungen und zur Verlängerung der Studiendauer führen, bis hin zum Abbruch bzw. zum Scheitern. Bei den Studenten aus dem obersten sozialen Viertel kommen zwei Drittel der monatlichen Einnahmen von den Eltern, bei den Studierenden aus dem untersten Viertel ist es nur rund ein Viertel. Bei der Notwendigkeit zur Arbeitsaufnahme sieht es entsprechend umgekehrt aus. Da Studiendauer und -leistungen wesentliche Kriterien für die Möglichkeit einer raschen Aufnahme der Berufstätigkeit im Anschluss an das Studium sind, wird deutlich, dass sozial schwächer gestellte Studierende auch dann in einen erheblichen Nachteil geraten. Das kann sich durch die gesamte Erwerbsbiographie ziehen – mit dem Ergebnis einer Perpetuierung der Problematik in den kommenden Generationen.

4.3 Problemdruck nimmt zu

Hinzu kommen die Probleme der einzelnen Studieren, die unter dem Druck ihrer Lebenssituation leiden. Fast zwei Drittel der Studierenden in Deutschland haben Beratungsbedarf in finanziellen, universitär-kurrikularen und/oder persönlichen Schwierigkeiten. Die 19. Sozialerhebung des DSW ergab, dass 22 Prozent der Hochschüler Fragen zur Finanzierung ihres Studiums haben. 13 Prozent suchen Hilfe wegen depressiver Verstimmungen, weitere 13 Prozent wegen Prüfungsangst. „Diskontinuierliche Studienverläufe und eine hohe Erwerbsbelastung“ vergrößerten den Beratungsbedarf, so der Bericht. Auch wirke sich die soziale Herkunft bei „nahezu allen Themen“ auf den Beratungsbedarf aus: Dieser erhöhe sich mit einer Verschlechterung des Status, freilich „am stärksten zu Fragen der Studienfinanzierung“. Auch hier sind also Studierende aus dem untersten Viertel erheblich im Nachteil.

Wird fortgesetzt.

Josef Bordat

SPRING in Deutschland (3)

Chancen für ein prosoziales Bildungswesen

3. Deutschlands Hochschulen unter den Bedingungen von Bologna

Es sind italienische Städte, die den deutschen Diskurs um Schule und Universität in den letzten Jahren angetrieben haben: Pisa und Bologna. Während PISA (Programme for International Student Assessment, zu deutsch: „Programm zur internationalen Schülerbewertung“) ein Evaluationsinstrument für allgemeinbildende Schulen ist, bedeutet Bologna für die Forschung und Lehre an den Hochschulen die Umwandlung der Universität zum Unternehmen, in dem nicht mehr wissenschaftliche Weite, sondern enge Wirtschaftlichkeitsprinzipien die Agenda bestimmen.

Der führende deutsche Bildungs- und Wissenschaftssoziologe Richard Münch analysiert seit Jahren diesen Wandel von der Zweckfreiheit zum Sachzwang und zeigt, wie die kurzfristigen Nutzenerwartungen des „akademischen Kapitalismus“ das Innovationspotential der Forschung unterwandern. Zuletzt erschien von ihm Akademischer Kapitalismus. Über die politische Ökonomie der Hochschuldreform (Berlin 2011). Hinter dem „Transformationsprozess von Forschung und Lehre zu strategischen Ressourcen“, im Zuge dessen „Wissen als Rendite abwerfendes Privatgut“ unter die Macht des Marktes gestellt wird, hinter dem Wandel der Universitäten zu „strategisch operierenden Unternehmen“ und der „Ablösung der akademischen Qualitätssicherung durch manageriales Controlling“ steht nach Münch ein globaler Megatrend, der nach Politik und Wirtschaft nun die Wissenschaft erreicht hat: der Neoliberalismus. Der Bologna-Prozess ist eingebettet in ein quasireligiöses neoliberales Effizienzgarantiekonzept namens New Public Management (NPM), ein „Modell der rationalen, zielgerichteten Steuerung öffentlicher Einrichtungen“ durch die „unsichtbare Hand“ des Marktes, gegen das man heutzutage nicht mehr anregieren kann, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, unwissenschaftlich zu sein. Um wie viel mehr gilt NPM dann für die Wissenschaft selbst. Die zunehmende Inter- und Transnationalisierung der Wissensproduktion verstärkt den Impuls zur Unterwerfung unter das einzig verbliebene global anerkannte Sinnstiftungsmoment: den Markt.

Die Universität ist unter den Bedingungen der Globalisierung nicht mehr das, was sie war. Soviel steht fest. Sie soll – folgt man Münchs Thesen – auch nicht werden, was sie nicht mehr sein kann. Humboldts Ideal ist längst der Realität gewichen. Es gibt kein „Zurück“ mehr. Auch Münch befeuert dementsprechend keine Retro-Romantik von Bummelstudium und kostenloser „Bildung für alle“. Er ist akribisch und kritisch im Umgang mit den Gegebenheiten und Gefahren des „Glaubenssystems Bologna“, konstruiert aber keine wissenschaftspolitischen Luftschlösser. Dennoch: Die Problematik einer marktförmig angepassten Universität beschreibt er sehr genau. Sie bildet den Hintergrund für unsere weiteren Überlegungen zu einem möglichen Gegensteuern in Rahmen von SPRING , weg von Konkurrenz und Effizienz, von Verwertung und Vermarktung.

Dass diese Problematik nicht nur für das Bildungssystem gilt, sondern für die ganze (Wissens-)Gesellschaft, hat der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann überzeugend herausgearbeitet (in Theorie der Unbildung, Wien 2006). Die „Kapitalisierung des Geistes“, die auch Münch ausmacht, führt bei Liessmann zu Wissen, das „unverbindlich und zusammenhanglos“ ist und von dem niemand genau weiß, was sein Bestand für einen Zweck hat, „was eigentlich wozu gelernt werden soll“. Das Wissensverwertungssystem, in dem wir uns seit Beginn des Bologna-Prozesses an Schulen und Universitäten befinden, hat den komplexen Bildungsbegriff, der „ein Moment von Freiheit gegenüber den Diktaten des Zeitgeistes gewährt“, längst gegen den effizient gestalteten Erwerb von möglichst stromlinienförmigen skills eingetauscht.

Der deutsche Soziologe Münch und der österreichische Philosoph Liessmann diagnostizieren übereinstimmend eine „Ökonomisierung“ des Wissenschaftsbetriebs. Das bedeutet, dass die kompetitiven Elemente der Wirtschaft die Bildung bestimmen. Das ist die Ausgangslage des akademischen Betriebs. Kommen wir zu den sozialen Bedingungen des Studierens in Deutschland.

Wird fortgesetzt.

Josef Bordat

SPRING in Deutschland (2)

Chancen für ein prosoziales Bildungswesen

2. Historische Entwicklung der Bildung in Deutschland

Am 28. September 1717 wurde ein Meilenstein deutscher Bildungspolitik gesetzt: die Allgemeine Schulpflicht in Preußen, eingeführt von Friedrich Wilhelm I. mit dem „Edikt zur Förderung des Volksschulwesens“. Alle fünf- bis zwölfjährigen Kinder sollten fortan in den Wintermonaten jeden Tag und im Sommer mindestens einen oder zwei Tage in der Woche in die Schule gehen. Maßgebend für diesen Durchbruch war der universale Bildungsbegriff der Frühaufklärung: Bildung sollte für alle sein, nicht nur für eine bestimmte gesellschaftliche Schicht, für den Adel oder für den (künftigen) Klerus, denen sie in Gestalt des Erwerbs von Lese- und Schreibkompetenz über Jahrhunderte vorbehalten war.

Bildung wurde im 18. Jahrhundert allerdings sehr utilitaristisch verstanden: Sie sollte dazu dienen, den Menschen moralisch zu bessern und die Gesellschaft voranzubringen. Bildung übernahm damit gleichsam die Funktion einer „Religion des Fortschritts“. Im 19. Jahrhundert wurde dieser Zugang zu Bildung in Frage gestellt. Wilhelm von Humboldts Bildungsreform (1809: dreigliedriges Schulsystem; 1810: Gründung der Berliner Universität, der heutigen Humboldt-Universität, 1812: Vereinheitlichung der Hochschulreife [Abitur], 1816: Lehrplan für Gymnasien) sorgte für eine Abkehr vom aufklärerischen Gedanken der Nützlichkeit von Wissen, hin zum humanistischen Konzept der allgemeinen Menschenbildung („Humboldtsches Bildungsideal“), die das autonomen Individuum zum Weltbürger machen sollte. Dieser Gedanke ist gerade heute, im globalisierten Zeitalter, ein ganz entscheidender. Weiter unten werde ich auf die Themen Migration und Auslandserfahrung eingehen.

Die Universität ist in diesem Konzept ein Ort, an dem Persönlichkeiten heranreifen, die für sich und die Gemeinschaft wirken können, gerade weil ihre Bildung nicht direkt auf diese Funktionalität ausgerichtet ist. Heute geht es im Rahmen des Bologna-Prozesses wieder einen Schritt zurück in Richtung direkter Verwertbarkeit konkreter Bildungsinhalte. Auch darauf komme ich weiter unten noch zurück.

Das Humboldtsche Bildungsideal hat Preußens (und später Deutschlands) Bildungssystem geprägt. Bis zur letzten Epochenwende (1989/91) war es kaum umstritten. Lange Jahre war Bildung in Deutschland allerdings auch ein Nischenthema. Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-45) ging es zunächst um den Wiederaufbau und die Eingliederung der beiden deutschen Staaten (1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland und die DDR gegründet) in die gespaltene Weltgemeinschaft. Die Bundesrepublik trat 1955 der NATO bei, die DDR im gleichen Jahr dem Warschauer Pakt. Bildung hatte in diesem Umfeld der 1950 und 60er Jahre wenig Chancen, auf die Agenda zu gelangen, zumal im föderalen System der Bundesrepublik die Bereiche Bildung und Kultur ohnehin zu den Kompetenzen der Länder zählen. Einheitliche Regelungen gibt es nur hinsichtlich grundlegender Fragen wie der Allgemeinen Schulpflicht. Das ist bis heute so. Selbst wichtige Dinge wie die Dauer der Primarstufe ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich (mal 4, mal 6 Jahre), ebenso die Dauer der Sekundarstufe bis zum Abitur (12 oder 13 Jahre). Die Kultusministerkonferenz (ein Gremium, dem die für Bildung und Kultur zuständigen Landesminister angehören) versucht seit eh und je, ein allzu deutliches Auseinanderdriften der Bildungspolitiken (und damit letztlich „Bildungsmigration“) zu verhindern. Zur Hochschulpolitik muss gesagt werden, dass die staatlichen Universitäten zwar mit Steuermitteln und anderen öffentlichen Geldern finanziert werden, administrativ aber autonom sind. Hier findet die Koordination und Steuerung über das Hochschulrahmengesetz statt.

Dann gab es die 1968er-Bewegung, die nach anfänglicher Kritik der stark hierarchischen, quasi-absolutistischen Universitätsstrukturen allerdings schnell die Bildungspolitik aus dem Auge verlor und vielmehr einen gesamtgesellschaftlichen Forderungskatalog ausbreitete, der schließlich in der Formel „Mehr Demokratie wagen!“ (W. Brandt, Bundeskanzler von 1969 bis 1972) mündete und die Bundesrepublik veränderte. Heute selbstverständliche Dinge wie die berufliche Gleichstellung von Frau und Mann sind Ergebnisse dieses Prozesses, der im Erziehungssystem aber auch fragwürdige Entwicklungen anstieß (etwa den der „anti-autoritären Erziehung“, ein Ansatz, der heute als gescheitert gilt). Zu diesen Reformen der 1970er Jahre gehörte auch die finanzielle Unterstützung sozial schwächerer Gesellschaftskreise, um ihnen den Zugang zur Hochschulbildung zu ermöglichen. Das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAFöG) von 1975 hatte zum Ziel, das Humboldtsche Bildungsideal der „Allgemeinbildung“ dahingehend zu erweitern, dass man zu einer möglichst umfänglichen „Bildung für die Allgemeinheit“ gelänge, kurz: „Bildung für alle“.

Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 und die Einheit am 3. Oktober 1990, also nicht einmal elf Monate später, hat die Situation für Deutschland grundlegend verändert. Zwar wurde im wesentlichen die DDR-Bevölkerung in das bundesrepublikanische System eingegliedert (formal ist die Einheit ein Betritt der DDR zur Bundesrepublik gewesen, nach Art. 23 GG [alte Fassung]), so dass es keine gravierenden strukturellen Veränderungen im politischen System gab, doch die weltpolitische Rolle sowie die sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen mussten sich freilich ändern, denn Deutschland war größer und mächtiger, zugleich aber auch sozial fragmentierter geworden.

In Bereich der Bildung geriet schnell die personelle Situation an den Fachhochschulen und Universitäten in den Fokus. Sollte jemand, der in der DDR „Marximus-Leninismus“ gelehrt hat, nun Professor für Philosophie werden können? Was tun mit einem Schwarm an Lehrkräften für (sozialistische) „Staatsbürgerkunde“? Doch ganz andere, langfristig viel wichtigere Fragen kamen von außen: Wie können sich Deutschlands Akademiker in einer globalisierten Welt behaupten? Wie Deutschlands Universitäten? Und: Wie lässt sich im Zuge des Einigungsprozesses innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, die immer mehr zusammenrückte und 1992 zur „Union“ wurde, das Thema „Bildung“ handhaben? – Wir kommen zur gegenwärtigen Lage in deutschen Bildungssystem.

Wird fortgesetzt.

Josef Bordat

SPRING in Deutschland

Chancen für ein prosoziales Bildungswesen

 

1. Einführung

Im vorliegenden Aufsatz geht es mir darum, das deutsches Bildungssystem in seiner historischen Entwicklung und gegenwärtigen Gestalt vorzustellen und mögliche Betätigungsfelder für prosoziale Verantwortung zu identifizieren. Das Modell, das dabei zur Anwendung kommen soll, ist die Social responsibility through PRosociality based INterventions to Generate equal opportunities (SPRING), ein Modell, das bereits in Lateinamerika zur Anwendung kommt. Die Leitfrage lautet also: Welche Rolle kann SPRING in Deutschland spielen? Den Schwerpunkt bildet dabei die Hochschulbildung, also Universitäten und Fachhochschulen.

Die Zielsetzung von SPRING besteht darin, einen Prozess der organisationalen und kurrikularen Umgestaltung der Studiengänge dahingehend zu initiieren, dass die Ausbildung von Kompetenzen zu den Prinzipien prosozialer Verantwortlichkeit im Lehrplan berücksichtigt werden, um die Beziehungskultur zwischen Lehrenden und Studierenden positiv zu entwickeln und so zum Aufbau vertrauensvoller Zusammenarbeit zu befähigen. Gleichzeitig betrifft dies auch das soziale Umfeld der Universitäten, in Deutschland weitgehend in der Hand des Deutschen Studentenwerks (DSW), sowie die Anbindung der Universitäten und Fachhochschulen an potentielle Arbeitgeber. So werden im Rahmen von SPRING in Kollaboration mit Unternehmen der freien Wirtschaft innerhalb der Hochschulen Dialogräume geschaffen, in denen die künftigen Führungskräfte im Sinne der Kriterien prosozialer Verantwortlichkeit geschult werden, um durch die verinnerlichte Prosozialität als Basis der Beziehungskultur die professionellen Interaktionen zwischen den beteiligten Personen und Einrichtungen langfristig zu verbessern. Ist so etwas auch in Deutschland nötig? Die Hypothese lautet: Ja – und mehr denn je.

Schließlich geht es im Rahmen von SPRING also darum, Bildungsgerechtigkeit herzustellen, ein Kernziel der Bildungspolitik, das durch soziale Selektion seit jeher gefährdet ist. Alle Prozess im Rahmen von SPRING sehen daher von den sonst herrschenden kompetitiven Bedingungen ab und setzen auf den vertrauensvollen Austausch, um gezielt soziale Defizite zu überwinden, die einen Teil der Studierenden in Deutschland hemmt. Dabei geht es weniger um den Ausgleich sozio-ökonomischer als vielmehr um die Überwindung sozio-affektiver und sozio-dispositiver Benachteiligungen, die in der Herkunft (sowohl der kulturellen wie der sozialen, i.e. familiären) begründet liegen.

Um zu einer Veri- oder Falsifizierung der Hypothese zu gelangen, ist es zunächst nötig, sich den historisch gewachsenen Kontext der gegenwärtigen Lage an deutschen Hochschulen vor Augen zu stellen, d.h. die Geschichte der Bildung in Deutschland (Kapitel 2). Ohne die Geschichte lässt sich weder die Gegenwart der Universitäten und Fachhochschulen unter den Bedingungen von Bologna als problematisch begreifen (Kapitel 3) noch die soziale Situation ihrer Studierenden verständnisvoll einordnen und bewerten (Kapitel 4). Und nur wer dazu in der Lage ist, kann die Chancen für ein prosoziales Bildungswesen ausloten und den Raum für SPRING in Deutschland bemessen (Kapitel 5).

Wird fortgesetzt.

 

Josef Bordat

SPRING. Un tema para Alemania?

La situación social en el campo de la formación academica en Alemania bajo el nuevo régimen Europeo („Bologna“) y las consecuencias para el futuro

Bajo de la tendencia general del „neoliberalismo“ el proceso Bologna establece  un sistema educativa competativa y comercial con sigiente metas: 1. la igualisación de las carreras y títulos academicos dentro de Europa, 2. más autonomía y competencia en el campo educativo para lograr excelencia en la ensenanza y investigación, 3. apoyo para la privatisación y ayuda para establecer un sector privado de élite.

Para el sistema tradicional de educación y formación en Alemania esto significa un cambio del paradigma de un concepto de conocimiento como valor en sí (el ideal de von Humboldt) al conocimiento como valor en el mercado (el ideal del neoliberalismo).

Las consecuencias concretas para Alemania en el tema de educación y formación academica por eso son sigientes: 1. cambios en los curriculos academicos hasta los títulos, 2. la obligación para estudiantes pagar un precio para su carrera (antes fue gratuito la universidad), 3. un cambio paradigmatico contra la idea egalitarista de los años 70 („Bildung für alle“, educación para todos), 4. establecimiento de un sistema academico de dos clases (universidades públicos y privados), 5. desigualdad para obtener un trabajo despues de la carrera academica.

En la practica hay muchos nuevos ofertas de estudiar en universidades y academías privadas con excellente calidad y buenas posibilidades, pero tambien por un precio alto. Como una forma de apoyo para sus estudiantes, los universidades públicos oferecen programas de formación adicional (soft skills) y organisan ferias de presentación a las empresas grandes para los estudiantes.

En el futuro este apoyo de parte de los universidades públicos para sus estudiantes dede ser absolutamente necesario para disminuir la diferencia a los estudiantes de universidades privadas en el tema de las posibilidades profesionales. Por eso, con vista a este futuro, el enfoque de SPRING puede llegar a ser un tema relevante también en Alemania.

Josef Bordat

SPRING

SPRING es financiado por EuropeAid en la sección de Alfa III de la Comisión Europea.

ALFA es un programa de cooperación entre instituciones de educación superior de la Unión Europea y América Latina. ALFA III, la última fase del programa, conserva el objetivo original de las fases anteriores, es decir, promover la Educación Superior en América Latina como medio para contribuir al desarrollo económico y social de la región.

Spring promueve un acceso equitativo al mercado laboral a través de metodologías de intervención prosocial que permitan un conocimiento recíproco real, horizontal y una estima por la diversidad social entre estudiantes, docentes y empleadores.

Spring busca empoderar el liderazgo social de las universidades latinoamericanas (socias), a través del desarrollo de un modelo educativo de renovación curricular para la Responsabilidad Prosocial y a través de una promoción activa de espacios de diálogo y cooperación con los futuros empleadores.

Los beneficiarios del Proyecto Spring son:

– Jóvenes universitarios inscritos en las universidades de los países involucrados en el proyecto.

– Personal académico y administrativo del mundo universitario.

– Otros stakeholders de las universidades (empleadores, ONG, autoridades locales, asociaciones profesionales, colectivos en situación de pobreza del contexto regional).

(Información de la página web)