Chancen für ein prosoziales Bildungswesen
1. Einführung
Im vorliegenden Aufsatz geht es mir darum, das deutsches Bildungssystem in seiner historischen Entwicklung und gegenwärtigen Gestalt vorzustellen und mögliche Betätigungsfelder für prosoziale Verantwortung zu identifizieren. Das Modell, das dabei zur Anwendung kommen soll, ist die Social responsibility through PRosociality based INterventions to Generate equal opportunities (SPRING), ein Modell, das bereits in Lateinamerika zur Anwendung kommt. Die Leitfrage lautet also: Welche Rolle kann SPRING in Deutschland spielen? Den Schwerpunkt bildet dabei die Hochschulbildung, also Universitäten und Fachhochschulen.
Die Zielsetzung von SPRING besteht darin, einen Prozess der organisationalen und kurrikularen Umgestaltung der Studiengänge dahingehend zu initiieren, dass die Ausbildung von Kompetenzen zu den Prinzipien prosozialer Verantwortlichkeit im Lehrplan berücksichtigt werden, um die Beziehungskultur zwischen Lehrenden und Studierenden positiv zu entwickeln und so zum Aufbau vertrauensvoller Zusammenarbeit zu befähigen. Gleichzeitig betrifft dies auch das soziale Umfeld der Universitäten, in Deutschland weitgehend in der Hand des Deutschen Studentenwerks (DSW), sowie die Anbindung der Universitäten und Fachhochschulen an potentielle Arbeitgeber. So werden im Rahmen von SPRING in Kollaboration mit Unternehmen der freien Wirtschaft innerhalb der Hochschulen Dialogräume geschaffen, in denen die künftigen Führungskräfte im Sinne der Kriterien prosozialer Verantwortlichkeit geschult werden, um durch die verinnerlichte Prosozialität als Basis der Beziehungskultur die professionellen Interaktionen zwischen den beteiligten Personen und Einrichtungen langfristig zu verbessern. Ist so etwas auch in Deutschland nötig? Die Hypothese lautet: Ja – und mehr denn je.
Schließlich geht es im Rahmen von SPRING also darum, Bildungsgerechtigkeit herzustellen, ein Kernziel der Bildungspolitik, das durch soziale Selektion seit jeher gefährdet ist. Alle Prozess im Rahmen von SPRING sehen daher von den sonst herrschenden kompetitiven Bedingungen ab und setzen auf den vertrauensvollen Austausch, um gezielt soziale Defizite zu überwinden, die einen Teil der Studierenden in Deutschland hemmt. Dabei geht es weniger um den Ausgleich sozio-ökonomischer als vielmehr um die Überwindung sozio-affektiver und sozio-dispositiver Benachteiligungen, die in der Herkunft (sowohl der kulturellen wie der sozialen, i.e. familiären) begründet liegen.
Um zu einer Veri- oder Falsifizierung der Hypothese zu gelangen, ist es zunächst nötig, sich den historisch gewachsenen Kontext der gegenwärtigen Lage an deutschen Hochschulen vor Augen zu stellen, d.h. die Geschichte der Bildung in Deutschland (Kapitel 2). Ohne die Geschichte lässt sich weder die Gegenwart der Universitäten und Fachhochschulen unter den Bedingungen von Bologna als problematisch begreifen (Kapitel 3) noch die soziale Situation ihrer Studierenden verständnisvoll einordnen und bewerten (Kapitel 4). Und nur wer dazu in der Lage ist, kann die Chancen für ein prosoziales Bildungswesen ausloten und den Raum für SPRING in Deutschland bemessen (Kapitel 5).
Wird fortgesetzt.
Josef Bordat
Tags: Alemania, Bildung, Deutschland, SPRING