Stadtkultur Moskau

Die Exkursion

Tag 9: Abreise mit kurzem Resümee

Nachdem die Koffer am Morgen gepackt waren, nahmen wir uns Zeit für ein erstes Exkursionsresümee. Es waren neun ereignisreiche Tage und wir verabschieden uns vom Trubel der pulsierenden Stadt mit neuem Wissen über ihre architekturhistorische Entwicklung seit den 1920er Jahren. Ihren Wandel von den klaren und schlichten Linien der Architekten des Konstruktivismus – wie von Melnikov und den Vesnin-Brüdern, die sich am Vorbild Le Corbusier orientierten – zum klassizistischen Neohistorismus des Stalinismus mit Prachtbauten im Stil eines Zuckerbäckers. Zum Schluss die Entwicklung von Chrushchevs fünfstöckigen Plattenbauten und dem heutigen Ausmaß des industriellen Wohnungsbaus, der mit bis zu 42 Etagen bereits die Höhe von Wolkenkratzern erreicht. Nun aber sitzen wir bereits im Aeroexpress und nähren uns dem Flughafen. Doch das Interesse an Architektur scheint gestärkt zu sein und so wird es neben dem weiteren spannenden Seminar „StadtKultur Moskau“ auch einen Spaziergang über die Karl-Marx Allee Berlins geben.

STOA – Utopie einer Garage

Es ist 10.05 Uhr. Wir verlassen pünktlich wie nie zuvor unser Hotel und brechen diesmal nicht mit der Metro, sondern mit der Monorail-Bahn auf. In ungewohnt langsamem Tempo, und sehr leise genießen wir –vorbei am Telecentr – eine neue Perspektive auf diese riesige Stadt. Mit der Moskauer Metro geht es dann tief in den Süden der Metropole. An der Station Anino steigen wir nach 60 Minuten Fahrt aus der U-Bahn und erblicken unsere heutige Guide, Tatjana Ėfrussi. Die junge Architekturhistorikerin berichtet uns nicht nur von den theoretischen Hintergründen und der Entstehung der STOA (Stancija techničeskogo obsluživanija avtomobilej), sondern lädt uns zu einem kleinen Abenteuerrundgang auf das Gelände ein. Voller Enthusiasmus erklärt sie uns die wichtigen Merkmale des Gebäudes und erläutert die Entstehungsgeschichte.

 

STOA im Juni 2015.

STOA im Juni 2015.

Der Architekt der STOA, Leonid Pavlov, der sich in den 1960er Jahren der neo-modernistischen Architektur verschrieb, wurde von seinen Kritikern als Vertreter einer antihumanistischen Architektur bezeichnet. Neben der STOA entwarf Pavlov u.a. auch das Lenin Museum in Gorki.

Wir erfahren, dass das riesige, graue Gebäude, dem wir gegenüber stehen, als Service-Zentrum und Verkaufsfläche für Fahrzeuge der Automarke LADA dienen sollte. Anfang der 1970er Jahre begannen die Bauarbeiten an dem Gebäudekomplex. Es wurde jedoch nie vollkommen fertig gestellt, genauso wie die Vorstellung – ein LADA für jede/n SowjetbürgerIn – eine Utopie bleiben sollte. Heute gehört die STOA einem Oligarchen und das Gebäude bleibt weitestgehend seinem Schicksal überlassen – zu groß zum Rekonstruieren und zu teuer, um es abzureißen.

Die Rampe, die zur Ausstellungshalle führt.

Die Rampe, die zur Ausstellungshalle führt.

Auf der obersten Etage, die nur über eine weiteläufige Rampe zu erreichen ist, befand sich eine große Ausstellungshalle für Automobile. Jede/r BürgerIn sollte dort nicht nur die Möglichkeit erhalten, die verschiedenen Modelle zu begutachten, sondern auch die Farben und die Ausstattung für sein Fahrzeug zu wählen. Entwürfe des Architekten lassen die Innenausstattung mit Fliesen aus Marmor, Treppenaufgängen und Wandgestaltung nur noch erahnen. Neben einer Ausstellungshalle und Werkstätten verfügt die STOA über eine direkte Anbindung an die Autobahn.

Außenansicht:Treppe

Außenansicht:Treppe

Die von L. Pavlov entworfene STOA ist nicht nur eines der letzten Bauwerke, welches wir im Rahmen unserer Exkursion besuchen sollten, sondern wohl auch das Gebäude, welches die unterschiedlichsten Assoziationen und Gefühle bei uns hervorrufen sollte. Von „die Konstruktion der Rampe erinnert an Guggenheim“ bis zu „die (heutige) beklemmende Dunkelheit und der schlechte Zustand der Station erinnern mich an einen Horrorfilm“.-

Von Maria Dziobek und Nóra Szabó

 

Tag 7: Showcasing Socialism

Das heutige Exkursionsobjekt befindet sich vor unserer temporären Haustür – dem Hotel Cosmos. Seit der Ankunft in Moskau können bereits diejenigen, die ein Zimmer zur Frontsei-te des Hotels im neunten Stock ergattert haben, den weiten Blick über das VDNCh Gelände genießen.

Beim Verlassen des Hotels am frühen Vormittag begrüßte uns leider nicht mehr der strahlende Sonnenschein der letzten Tage, sondern kalter Wind und graue Wolken, die Regen prophezeiten. Nach circa 20 Minuten Fußweg standen wir vor den gewaltigen Eingangstoren des Geländes, hinter dem sich das heutige Park- und Ausstellungsgelände befindet. Es wurde 1939 unter dem Namen „Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirt-schaft“ [Выставка достижений народного хозяйства (ВДНХ)] eröffnet als ein Ort an dem die Stärke und Größe des sozialistischen Staates demonstriert wurde.

Das Eingangstor zur VDNCh

Das Eingangstor zur VDNCh

Nach dem Durchschreiten des Eingangsportals wurden unsere Blicke in die Tiefe des Geländes erstmal von einer im Aufbau befindlichen, unspektakulären Bühne aufgefangen. Diese versperrte die Sicht auf den ersten imposanten Pavillon, der die Gemeinschaft aller Republiken der Sowjetunion repräsentieren sollte.
Die Erwartung nach nach dem Portal war erst einmal getrübt. Die poppige Musik, die über Lautsprecher die gesamte Anlage beschallte, die seitlich angelegten Achterbahnen in einem Vergnügungspark und die vielen kleinen Baustellen nahmen einem den ehrwürdigen Moment, bei dem die Besucher zu damaligen Zeiten wahrscheinlich innehielten. Die grauen Wolken verstärkten diese Impression.

Der Weg zum zentralen Pavillon

Der Weg zum zentralen Pavillon

Doch je weiter wir auf dem Gelände voranschritten, desto mehr beeindruckender waren die umliegenden Pavillons. 1939 hatte jede Republik auf dem Gelände einen temporären Pavillon, in denen die Leistungen aus der Landwirtschaft demonstriert wurden. Neu errichtet wurden diese 1954 – nun massiv im klassizistischen Stil.
Dabei stach vor allem der usbekische Pavillon ins Auge. Die Konstruktion des Gebäudes strebte wie die anderen Pavillons in die Höhe, jedoch wirkte sie durch die dünnen Säulen der Rotunde weniger massiv. Auch waren die für die Sowjetunion typischen verwendeten Verzierungen und Muster dezenter und die orientalischen Ornamente traten in den Vordergrund. An diesem Beispiel waren die kleinen individuellen Momente zu erkennen in einem zur Einheit strebenden Gesamtbild der Architektur.

Brunnen "die steinerne Blume"

Brunnen „die steinerne Blume“

Zwei Brunnen mit in Stein gemeißelter sowjetischer Symbolik zeigten schon fast aufdringlich die imperiale Repräsentationsästhetik. Die nun nostalgische Musik aus den Lautsprechern und der aufklarende Himmel ließen die erste Enttäuschung vergessen und ermöglichten vielleicht einen Tagtraum zu den Zeiten der Höhepunkte im sozialistischen Staat. Einen letzten Höhepunkt bildete der Platz, an dem sich der Pavillon für die sowjetische Raumfahrt vorstellte. Die maßstabsgetreuen Nachbildungen der WOSTOK-Rakete und des Jak 42 Fliegers waren nicht zu übersehen.
Nach unserer Führung hatten wir die Gelegenheit das Gelände weiter auf eigene Faust zu erkunden. Es ist interessant, wie die sich Qualität des Innenlebens der einzelnen Pavillons unterscheidet. Während in manchen lediglich kleine und lieblos aneinandergereihte Verkaufsstände aufgestellt wurden, waren andere liebevoll eingerichtet. Bei den meisten Pavillons wie dem der Sowjetrepublik Ukraine standen wir vor verschlossenen Toren.

Tag 6: Wohnen im Zeichen des Sozialismus

Am sechsten Tag der Exkursion standen drei herausragende Beispiele der sozialistischen Wohnungsbauarchitektur im Mittelpunkt unserer Exkursion: das Haus an der Uferstraße (Dom na Nabereznoj), das 1928-1931 von Boris Iofan konzipiert wurde, das Studentenwohnheim an der ul. Ordžonikidze, das von 1929-1939 von Ivan Nikolaev entworfen wurde, und schlussendlich die erste industrielle Wohnungsanlage der Sowjetunion im Stadtteil Novye Ceremuski, in der ab 1959 verschiedene Prototypen späterer Plattenbauten gebaut wurden. Trotz der offensichtlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Anlagen hinsichtlich Ästhetik, politischer Funktion und architekturgeschichtlicher Bedeutung konnten gemeinsame Grundideen des sowjetischen Wohnungsbaus beobachtet werden.

Industrieller Plattenbau: Haus Nr. 14 in Novye Čeremuški

Auffallend ist vor allem die uniforme Gestaltung der einzelnen Wohneinheiten in den jeweiligen Gebäuden. Die individuelle Gestaltung der eigenen vier Wände war in der sowjetischen Gesellschaft nicht erwünscht und oft nicht möglich. Im Studentenwohnheim mussten sich die jungen Studenten eine knapp 5 qm große Zelle teilen. Die Sanitäranlagen und Freizeitmöglichkeiten waren in gemeinschaftlichen Gebäudeteilen untergebracht. Auch wenn diese Anlage sicher ein Extrembeispiel darstellt, so ist sie doch der Gestaltung in den anderen heute besichtigten Gebäuden nicht ganz unähnlich. So gab es auch im Haus an der Uferstraße beispielsweise nur sehr kleine Küchen, in denen praktisch nichts gekocht werden konnte. Die Bewohner durften keine eigenen Möbel in das Haus mitnehmen und mussten mit den Betten und Schränken der Vormieter vorlieb nehmen.  Die Anlagen in Novye Ceremuski wurden später in der ganzen Sojwetunion nach den gleichen Prototypen gebaut und bestanden aus den immer gleichen industriell gefertigten Bestandteilen.

Saniertes Studentenwohnheim auf der ul. Ordžonikidze

Saniertes konstruktivistisches Studentenwohnheim auf der ul. Ordžonikidze

Eine weitere Gemeinsamkeit liegt in der Konzeption der Wohnanlagen als Mikrokosmen. In allen heute besichtigten Anlagen sollten alltägliche Aufgaben und Routinen, vom Einkaufen im Supermarkt über sportliche Betätigungen bis zur persönlichen Weiterbildung innerhalb des Wohnkomplexes bzw, der Wohnanlage bewältigt werden. Diese Konzeption unterstreicht die Idee des gemeinschaftlichen Wohnens wie auch die Idee, die reproduktiven Aufgaben des Alltags zu kollektivieren und zu rationalisieren. Diese Idee ist im Studentenwohnheim selbst heute noch präsent und wurde im Rahmen der Führung durch das renovierte Wohnheim von der Vizedirektorin eigens betont (wenngleich auch heute mit mehr privaten Gestaltungsmöglichkeiten). Im Plattenbau gab es dann zwar mehr Freiheiten und mehr private Räume als noch in den 1930er Jahren, die gesamte Wohnanlage war aber dennoch als gemeinschaftliches Ensemble gedacht.

Dieser Aspekt ist eng verknüpft mit der architektonischen Idee, den Alltag des sozialistischen Menschen durch die Architektur umzuformen. So war im Studentenwohnheim klar geregelt, wo und wann welche Tätigkeit ausgeführt werden sollte, vom Schlafen über das Essen bis zum Sex. Feste Tagesabläufe wurden auch im Haus an der Uferstraße implementiert. Dort sorgten die Hunde des Hauses dafür, dass nach 11h kein Bewohner unbemerkt ins Haus gelangen konnte.

Gedenken an die Opfer der Repressionen im Museum des Hauses an der Uferstraße

Eine solche Konzeption führte schließlich zu einem extrem hohen Maß an sozialer und politischer Kontrolle. Nirgends wird dies so deutlich wie im Haus an der Uferstraße, in dem die hochrangigen Mitarbeiter des Staates Tag und Nacht überwacht wurden. Viele der Bewohner wurden in den Jahren des Großen Terrors Opfer der stalinistischen Paranoia. Eine Wohnung sah so in den Jahren 1937-38 bis zu fünf verschiedene Mietparteien. Wenngleich es im Studentenwohnheim und im Plattenbau unblutiger zuging, so herrschte auch dort ein hohes Maß an gegenseitiger Kontrolle. Allerdings deuten sich im Plattenbau mit seinen gesteigerten individuellen Möglichkeiten schon die neuen Leitbilder des Tauwetters an.

Interessant ist hierbei vor allem, dass diese Gestaltungsideen quer durch die sozialen Schichten gingen. Auch in einem elitären Wohnhaus wie dem an der Uferstraße herrschten, obgleich luxuriöser in Ausstattung und Anlage, ähnliche Grundideen wie im Studentenwohnheim und später auch im Plattenbau. Hierbei gibt es aber wahrscheinlich einen Bruch in den späteren stalinistischen Jahren, in denen vor allem große elitäre Wohnblöcke gebaut wurden und die Gemeinschaftsidee in den Hintergrund rückte. Davon zeugt vor allem der Bau Zoltovskis an der Mochowaja, der speziell für den damaligen Geheimdienstchef Jagoda entworfen wurde und zum Archetyp des späteren stalinistischen Wohnungsbaus wurde.

Allgemein wurde während unserer Exkursion bisher beobachtet, dass das Bewusstsein für die Geschichte und Ästhetik vieler frühsowjetischer Gebäude nicht besonders hoch ist. Diese Beobachtung wurde heute teilweise revidiert. Im Haus an der Uferstraße wurde in den Jahren der Perestroika von der Witwe des bekannten Schriftstellers Jurij Trifonov, der selbst im Haus lebte und dem Komplex in seinem Roman „Das Haus an der Uferstraße“ ein literarisches Denkmal setzte, ein kleines Museum über die Geschichte des Hauses und seiner Bewohner eingerichtet. Viele Gedenktafeln zeugen an den Wänden des Gebäudes bis heute von seiner blutigen Geschichte. Das Studentenwohnheim an der ul. Ordžonikidze wurde in den letzten Jahren umfassend restauriert bzw. teilweise rekonstruiert. Auch wenn es hier zu einigen restauratorischen Fehlgriffen kam, die nicht im Einklang mit Nikolaevs Architektur stehen, kann die Umgestaltung und Modernisierung des Gebäudes (Einbau von Aufzügen. Vergrößerung der Zimmer) insgesamt als gelungen bezeichnet werden, da im Großen und Ganzen die Ästhetik des konstruktivistischen Gebäudes bewahrt wurde. Eine ähnliche Entwicklung würde man sich auch für das Narkomfin-Gebäude wünschen. Ob der sozialistische Plattenbau diese Wertschätzung jemals erlangen wird, ist höchst zweifelhaft, wovon die vielen ratlosen und staunenden Blicke der Passanten und Bewohner auf unsere deutsche Forschungsgruppe Zeugnis ablegen.

5. Tag – Kulturzentren Moskaus

Geschichte und Gegenwart der Kulturzentren Moskaus – beide Extreme bot uns der fünfte Exkursionstag. Wir begannen mit einem der Kulturpaläste der Avantgarde, dem ZIL-Kulturpalast, in der Nähe der Metro-Station „Avtozavodskaja“. Auf dem Weg passierten wir das ehemalige „Dynamo“-Werk, in dem unter anderem Metrozüge, Trolleybusse und Bauelemente hergestellt wurden. Das Werk wurde 2009 geschlossen, der Betrieb kam allerdings bereits Jahre zuvor zum Stillstand. Die Räumlichkeiten wurden entweder abgerissen, oder an Autowerkstätten weitervermietet. Heute ist das frühere „Dynamo“-Werk gleichermaßen restauriert wie kommerzialisiert. Neben einem Möbelhaus befinden sich zahlreiche kleine Lokale auf dem Gelände.

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Das ehemalige Werk „Dynamo“

Nach kurzer Ernüchterung über die russische Herangehensweise an die Restauration kulturgeschichtlich bedeutsamer Bauwerke, gingen wir weiter der Vostočnaja ulica entlang. Ab und zu glitt unser Blick von der viel befahrenen Straße auf unterschiedliche Gebäudemalereien mit Sowjetischer Symbolik, die fast wie Wegweiser unseren Weg flankierten. Unmittelbar vor dem Kulturpalast stehen die Überreste des Simonov-Klosters. Einst eines der größten und reichsten Klöster im moskauer Umland, wurde es am 21. Januar 1930 für den Bau des ZIL-Kulturpalastes gesprengt. Einige Bauteile sind als Kulturerbe erhalten geblieben.

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ZIL Kulturpalast (Architekten: Vesnin-Brüder): Eingang in die Theaterhalle

Der ZIL-Kulturpalast wurde 1931-37 von den Vesnin-Brüder erbaut und gilt als eines der wichtigsten Baudenkmäler des Kontruktivismus in Moskau. Er ist einer von zahlreichen ab 1920 erbauten Kulturpalästen oder Arbeiterclubs dieser Art und diente mit seinem kulturellen Angebot den Mitarbeitern des ZIL-Werks.
Sofort überrascht der erstaunlich gute Zustand des ZIL-Kulturpalastes. Sowohl die Fassade, als auch die Fenstergestaltung lassen keinerlei Mangel erkennen. Der Platz vor dem Haupteingang wirkt auf Grund seiner Beschallungsmöglichkeiten wie ein Veranstaltungsort für Hochzeitsfeiern und sommerliche Tanzabende. Durch einen Seiteneingang sorgt das Kaffee Maestro für die entsprechende Verpflegung. Die Möglichkeit für die in eigenen Führungen angebotene Dachbesteigung muss man dagegen erst suchen. Das Gebäude weist hierzu im rechten Flügel eine eigens gestaltete Doppelbedachung auf. Die Sicht wird allerdings von einer hohen Tanne verdeckt, die Fragen an der sinnvollen Verknüpfung von Bauwerken und Grünbepflanzung aufkommen lässt.

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ZIL-Kulturhaus, Eingangsbereich

Die Eingangshalle des Gebäudes ist, wie der Eingang selbst, eine Kombination aus Säulen und Glasfassade. Der große Raum ist, wie jedes Stockwerk des Kulturpalastes, von Tageslicht durchflutet. Über hundert Garderobenhaken vermitteln eine Vorstellung von der Größe der hier abgehaltenen Veranstaltungen. In einer Ecke der Halle, fast schon verloren im Raum, spielen ein Vater und sein Sohn Tischtennis. Das Echo des geschlagenen Balles verteilt sich in der Halle und untermalt die entspannte sommerliche Atmosphäre.

Im ersten Stockwerk befindet sich ein von zwei Säulenreihen gekreuzter Tanzsaal mit Spiegelwand. Direkt darüber ist die hauseigene Bibliothek mit Brettspielen, Klavier, Computerarbeitsplätzen und eigener Terrasse.

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ZIL-Kulturhaus, Bibliothek

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Ballettkurs bei der Probe

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schon auf der Treppe zum dritten Stockwerk erklingt Klaviermusik gepaart mit einer harten Frauenstimme. Bei offener Tür probt eine Gruppe junger Mädchen mit ihrer Ballettlehrerin, die mit lauten Anweisungen ihre Schülerinnen zurechtweist. Als die Mädchen mit neugierigen Blicken immer weniger der Stimme ihrer Lehrerin lauschen, wird uns die Tür zum Ballettraum zugeschlagen. Wenige Meter weiter im Gang probt ein Klavierschüler mit seiner Lehrerin. Auch hier sind harsche Worte bei kleinsten Fehlern zu hören. Der ebenfalls im Haus befindliche Theatersaal blieb uns leider verschlossen.

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Kulturhaus im. Rusakova (Architekt: Konstantin Mel’nikov)

Vor verschlossenen Türen standen wir auch am Kulturhaus im. Rusakova in der Nähe der Metro-Station „Sokol’nki“. Das Gebäude wurde 1927-28 erbaut und war als Zentrum für die Kommunalverwaltung gedacht. Es gilt als herausragendes Denkmal der russischen Avantgarde und befindet sich momentan in der Renovierung. So wurde uns der Zutritt zur Baustelle des künftigen Theaterraums verwehrt, einige Besonderheiten des Baus ließen sich aber auch von außen erkennen.
Der Architekt Konstantin Melnikov wollte die Form des Gebäudes ihrer Funktion anpassen und entlehnte diese dem Abbild eines einzigen angespannten Muskels. Das Besondere an dem Gebäude ist die Möglichkeit, mehrere Publikumsräume für eine Bühne zu schaffen. Die drei Auswüchse direkt unter dem Dach des Gebäudes sind drei zusätzliche Zuschauertribünen, die sich sowohl als eigene Säle, als auch als Tribünen für die große Bühne im unteren Teil des Gebäudes einrichten lassen.

Nach einer hitzeschwangeren Mittagspause im von Schostakowitschklängen beschallten Gorki-Park empfing uns die Leiterin des Research Departments des Kulturzentrums Garaž, Sasha Obukhova.

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Garaž, wertvolle Privatsammlung

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Garaž, Lesesaal

Die Garaž wurde 2008 von Dasha Zukova auf einem kleinen Areal im Gor’kij Park gegründet und ist seitdem eine Mischung aus Archiv, Bibliothek, Ausstellungsraum und Creative Space. Die Garaž organisiert und vermittelt Ausstellungen, übersetzt wichtige kulturelle Texte ins Russische und vernetzt junge Künstler, Studierende und Kulturinteressierte.

Sasha Obukhova führte uns durch die Bibliothek des Zentrums und eröffnete uns einen Einblick in ihren Arbeitsalltag. Neben gezielten Einkäufen bezieht die Garaž ihren Bücherbestand hauptsächlich durch Spenden und Übernahmen von Privatsammlungen. So befinden sich neben zahlreichen Büchern zur bildenden Kunst und Architektur auch einige Schätze hinter den verschlossenen Türen des Bibliothekssafes. Unter staunendem Raunen wurden die aus den 1920er-30er Jahren stammenden Bücher in der Exkursionsgruppe herumgereicht. Höhepunkt der gespendeten Privatsammlung bildete ein Exemplar zum Generalplan Stalins, dessen Fund den Exkursionstag nicht treffender mit dem übergeordneten Seminarkontext hätte verknüpfen könnte.

 

Von Felix Lehmann und Elizaveta Zilberberg

 

 

Zwischen Kultur und Kommerz

 

Das Kunst- und Kulturzentrum Artplay

Heute gelang uns ein Zeitsprung in die Gegenwart: Die jungen Kunst- und Kulturzentren Artplay (https://www.artplay.ru/) und Vin Zavod (https://www.winzavod.ru/,  https://www.facebook.com/Center.WINZAVOD) erkundeten wir zusammen mit Prof. Dr. Vitalij Kurennoj (https://www.hse.ru/en/org/persons/506669), Leiter der Abteilung Kultur an der Higher School of Economics (https://www.hse.ru/en/), und Prof. Dr. Ruslan Chestanov, Direktor des Instituts für soziokulturelle Programme der Stadt Moskau und zwei  ihrer Mitarbeiter.

Wir trafen die Stadtsoziologen am Kurskij Vokzal und schlenderten von dort aus gemeinsam zu den Kunstzentren. Von alternativer Kunstszene kann jedoch keine Rede sein. Östlich des Gartenrings ist in den letzten Jahren in einem alten Industriegebiet ein neues Projekt entstanden, das mittlerweile völlig kommerzialisiert ist. Die parkenden Autos auf dem Gelände ließen schon erahnen: Hier trifft sich die Elite. Zu Lounge Musik, in einem frisch renovierten Café mit Duftlampen auf den Toiletten sprachen wir mit den vier Akademikern über die aktuelle Entwicklung der Moskauer Kulturszene. Und da stießen wir schon auf das erste Problem. Sie sind Wissenschaftler, keine Künstler. Sie kommen aus einer Institution und sehen Kunst als eine Institution. Was sie schildern, ist uns nicht unbekannt, denn in Moskau ist es wie in allen anderen Großstädten: Junge Kreative entdecken ein verlassenes Fabrikgelände und nutzen es als Treffpunkt, es entstehen Ateliers und Ausstellungsräume. Und schon wittert ein Investor Geld und spielt den Mäzen. In Berlin nennen wir das Gentrifizierung, in Moskau wird es als Transformation bezeichnet. Scheinbar muss man sich zwischen zwei Optionen entscheiden: Entweder man folgt dem Diktat der Resowjetisierung oder man befolgt die Wünsche der Oligarchen, die in die Gelände investieren. Beides ist mit Konservatismus und Bürokratie verbunden. Die Kunst tritt in den Hintergrund, die Läden sind austauschbar, genau wie die Kunden. Man kann auf den ersten Blick nicht sagen, ob man sich gerade in Moskau, Berlin, London oder Stockholm befindet.

Nichtsdestotrotz ist das Kunstzentrum Vin Zavod das erste seiner Art in Russland. Zuvor konnte man nur in kleinen Galerien die zeitgenössische Kunst Russlands verfolgen. Durch die Erweiterung der Zentren gibt man einem breiteren Publikum die Möglichkeit einen Eindruck über die aktuelle Kunst- und Kulturszene zu bekommen. Und wenn man nach dem Rundgang auf dem Gelände Lust bekommen hat selbst den Pinsel in die Hand zu nehmen, kann man sich in dem dort befindlichen, riesigen Künstlerbedarfladen mit den nötigen Utensilien ausstatten oder gleich einen der angebotenen Workshops besuchen.

Gruppe

Auf dem Gelände des Kunst- und Kulturzentrums Win Zavod

Einer der Mitarbeiter Kurennojs stellt uns im Anschluss Vika Shumskaya und Vlad Yurashko vor, ein sympathisches Künstlerpaar aus der Ukraine, das zur Zeit in der Galerie pop off art (https://www.popoffart.com/) zeigt, wie sich der Krieg in der Ostukraine auf ihr Leben und somit auch auf ihr künstlerisches Schaffen auswirkt. Gemeinsam mit dem Galeristen Sergey Popov konzipieren die beiden Künstler den Ausstellungsraum als Bunker, in dem sie düstere Gemälde und video art präsentieren. Bevor sich unsere Wege trennen, erhaschen wir noch einen Blick in die Atelierräume. In Berlin sind ihre Arbeiten regelmäßig in der Galerie Kuckei + Kuckei (https://www.kuckei-kuckei.de/index.html) zu sehen.

Pärchen

Das Künstlerpaar Vika Shumskaya und Vlad Yurashko in ihrem Atelier auf dem Kulturzentrum Winzavod.

3. Tag: Funktionsbauten

Eine Einführung von Dr. Thomas Flierl. Fotografie Timur H Kiselev (wie auch alle weiteren Fotografien, wo keine Quelleangabe steht)

Eine Einführung von Dr. Thomas Flierl. Fotografie Timur H Kiselev (wie auch alle weiteren Fotografien, wo keine Quelleangabe steht)

Unser nächstes Ziel an jenem Tag (nach der Besichtigung des alten und neuen Arbat) waren u.a. die Ministerien am Gartenring im Nordosten Moskaus, und als erstes – das Gebäude der Russische Eisenbahnen (RZD; Russisch (auch weiterhin): Российские железные дороги) an der Nowaja Basmannaja Straße 2 (Новая Басманная улица), im Volksmund „Haus- Dampflokomotive“ genannt.

Ursprünglich das Gebäude des Instituts für adlige Mädchen (Институт для благородных девиц имени императора Александра III в память императрицы Екатерины II), wurde es 1930 als Volkskomissariat für Eisenbahnverkehr vom Architekten Ivan Fomin (Иван Александрович Фомин) neugestaltet, dann 1946 zum Eisenbahnministerium des UdSSR (Министерство путей сообщения СССР) umstrukturiert. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde das Gebäude 1992 zum Eisenbahnministerium der Russischen Föderation. Seit 2003 steht das Gebäude in der Nutzung von RZD.

Institut für adlige Mädchen namens des Imperatoren Alexander III. zum Andenken an Ekaterina II. 1906—1910, Moskau. Fotografie Richtung Osten. Quelle: Magazin Iskry (Журнал Искры); https://all-photo.ru/empire/index.ru.html?id=20454&kk=e1428290dd (letzter Zugriff: 02.07.2015)

Institut für adlige Mädchen namens des Imperatoren Alexander III. zum Andenken an Ekaterina II. 1906—1910, Moskau. Fotografie Richtung Osten. Quelle: Magazin Iskry (Журнал Искры); https://all-photo.ru/empire/index.ru.html?id=20454&kk=e1428290dd (letzter Zugriff: 02.07.2015)

Architektonisch ist der neue Bau dem Spätkonstruktivismus zuzuordnen. Die Rekonstruktion des Instituts für adlige Mädchen 1930 erfolgte im Zusammenschluss mit dem nebenstehenden Gebäude und der Einrichtung eines Uhrturms, der lange Zeit das höchste Gebäude in der Umgebung war; die Uhr waren damals gut zu sehen, sowohl vom Gartenring als auch vom Kalantschewskaja Platz (Каланчёвская площадь).

Blick auf das Gebäude der Russischen Eisenbahnen

Einige Hundert Meter weiter Richtung Kazanskij Vokzal (Russisch:Казанский вокзал), an der Nowaja Basmannaja Straße 5/1, befindet sich die Poliklinik des Volkskomissariats für Eisenbahnverkehr (Поликлиника Наркомата путей сообщения (МПС)), 1928 vom selben Architekten Fomin gebaut; nun ist hier die Amtspoliklinik der RZD. Dieses Gebäude haben wir leider nicht geschafft zu besichtigen.

Poliklinik des Volkskomissariats für Eisenbahnverkehr, Nowaja Basmannaja Straße 5/1.  Quelle: Sergey Norin https://www.flickr.com

Poliklinik des Volkskomissariats für Eisenbahnverkehr, Nowaja Basmannaja Straße 5/1.
Quelle: Sergey Norin
https://www.flickr.com

Gegenüber dem Gebäude der Russische Eisenbahnen befindet sich am Gartenring (Sadowaja-Spasskaja Straße 21) das Haus am Roten Tor, eines der sog. Sieben Schwestern, erbaut 1953 von Alexei Duschkin (Алексей Николаевич Душкин) und Boris Mezentsew (Борис Сергеевич Мезенцев). Der 24-stöckige Bau (im zentralen Teil) ist zwar nur ca. 110 Meter hoch und damit der niedrigste der Sieben Schwestern, scheint jedoch optisch auf vergleichbarer Höhe mit dem Lomonossow-Universitätsgebäude zu stehen aufgrund seiner Platzierung am höchsten Teil des Gartenrings. Das Gebäude besteht aus dem zentralen Block, wo u.a. das Transportmaschinenbauministerium, das Moskauer Stadtbauunternehmen Transstroi, die MICEX – Moscow Interbank Currency Exchange unterbracht sind, und zwei Wohnnebenblöcken. Insgesamt befinden sich im Gebäude ca. 270 Wohnungen. Im Erdgeschoss des Baus ist das nördliche Eingangsvestibül der Metrostation „Krasnyje Worota“ (Красные ворота) integriert, die zur gleichen Zeit wie der Bau des Hochhauses entstand.

Das Haus am Roten Tor, Sadowaja-Spasskaja Straße 21

Interessant ist auch die innovative Bauweise, die während des Bauens des Hauses und der Metrostation verwendet wurde, – das trug zur besonderen Schwierigkeit der Bauarbeiten beim Haus am Roten Tor im Vergleich zu allen anderen Schwestern bei. Das Hauptproblem bestand darin, dass der linke Flügel des Gebäudes über der Metrostation gebaut werden musste. Daher musste eine Technologie des Tiefbaus ohne Befestigungen verwendet werden, ersmals in der internationalen Baupraxis; der Boden wurde eingefroren, was komplizierte Berechnungen nötig machte, um eine spätere Schiefstellung des Baus zu vermeiden (ausführlichere Information siehe unter https://archi.ru/russia/4587/neboskreb-na-krasnyh-vorotah (leider nur auf Russisch)).

Auf der gegenüberliegenden Seite des Gartenrings finden wir das sündliche Eingangsvestibül der Metrostation „Krasnyje Worota“, eröffnet gleichzeitig mit der Metrostation. Errichtet wurde es 1935 vom Architekten Nikolaj Ladowskij (Николай Алессандрович Ладовский), dem spiritus rector des Rationalismus, einer Gattung in der Architektur der sowjetischen Avangarde mit Schwerpunkt rezeptionspsychologischen Charakteristika von Bauten und Räumen (mehr siehe in Selim O. Khan−Magomedov (Hg.): Rationalismus (Ratio-Architektur) – “Formalismus”, Moskau 2007).

Ladowskijs Eingangsvestibül hat die Form eines komplexen Portals, bestehend aus vier konzentrischer Halbkreisen, was einerseits dem Metrotunnel in Perspektive, andererseits der Muschel oder gar dem kreisförmigen Stadtplan Moskaus ähnelt. Das gewölbte Eingangsportal geht in das rechteckige verglaste Volum über (mehr dazu siehe in Alexander Anisimow: Moskau. Architekturguide, Moskau 1997).

Sündliches Eingangsvestibül der Metrostation Krasnyje Worota. Fotografie Richtung vom Gartenring

Wenn mensch dem Gartenring im Gegenuhrzeigersinn weiter folgt, dann ist auf der rechten Seite ein weiteres konstruktivistisches Gebäude in roter Farbe zu sehen – das Volksministerium für Landwirtschaft der UdSSR (NARKOZEM; НАРКОЗЕМ) an der Sadowaja-Spasskaja Straße 11/1 (nun das Ministerium der Landwirtschaft der Russischen Föderation).

Ministerium der Landwirtschaft der Russischen Föderation

Erbaut 1927-1933 vom prominenten Architekten des Spätkonstruktivismus Alexei Schtschussew (Алексей Викторович Щусев) nimmt das Gebäude den ganzen Wohnblock zwischen Sadowaja-Spasskaja Straße und Orlikow Weg (Орликов переулок) ein: vier massive Blöcke sind rund um den trapezförmigen Innerhof gruppiert und erzeugen an den Schnittstellen eine dynamische Komposition, die durch rhythmische horizontale Fensterbänder auf eintönig geputzte flache Wänden und schwungvolle Übergänge zwischen zylindrischen und kubischen Volumen zur Wirkung kommt. Unter den Besonderheiten des Interieurs ist das bis heute funktionierende Paternoster-System zu erwähnen (https://de.wikipedia.org/wiki/Paternosteraufzug; Videoaufnahme in NARKOZEM: https://www.youtube.com/watch?v=DFpDJwSD71o) Mehr zum Gebäude siehe unter https://um.mos.ru/houses/zdanie_narkomata_zemledeliya/.

Ca. 100 Meter südwestlich vom Gartenring entfernt, in der Mjasnitskaja Straße 47 (Мясницкая улица) ist ein weiteres konstruktivistisches Gebäude zu entdecken – nämlich die Föderale Agentur für Turismus (ROSTURISM; РОСТУРИЗМ), früher Staatliche Export-Import-Kanzlei der RSFSR (GOSTORG, Госторг). Errichtet 1927 vom Architekten Boris Welikowskij (Борис Михайлович Великовский) in Zusammenarbeit mit M. Barsch (М.О. Барщ), M. Gaken (М.В. Гакен), A. Langman (А.Я. Лангман) und G. Wegman (Г.Г. Вегман), weist das Gebäude eine klare rationalistische Stilistik auf, die in sechs symmetrisch nenebeinander platzierten 7-stöckigen Blöcken, die in einem Baukomplex vereinigt sind, zum Ausdruck kommt.

Infotafel auf dem Gebäude des GOSTORG. Quelle: https://progulkipomoskve.ru/foto1/dom/3/myasnitskaya47.jpg (letzter Zugriff: 02.07.2015)

Nach dem ursprünglichen Plan sollte das Gebäude mit einem 14-stöckigen über dem zentralen Teil herausragenden Turm versehen werden, aufgrund von Höhebeschränkung laut Schtschussews Bauplan „Neues Moskau“ (План «Новая Москва») wurde diese Idee jedoch nicht verwirklicht. Unter den architektonischen Neuerungen des Baus sind u.a. zu erwähnen: explizites visuelles Auftreten vom Stahlbetongerüst des Gebäudes, Öffnung der Räume und Volumina nach draußen, Klarheit der lakonischen Formen, breite Flächenverglasung und Simplizität des Rhythmus der Fassadengliederung (https://wikimapia.org/219765/ru/Федеральное-агентство-по-туризму-Ростуризм-бывш-здание-Госторга-РСФСР).

Föderale Agentur für Turismus (ROSTURISM), Frontalansicht. Quelle: https://www.mmsk.ru/objectdata/CatalogUnitImpl/29243/Velikovskij_13_Md.jpg (letzter Zugriff: 01.07.2015)

Heutzutage sind im Gebäude diverse Einrichtungen unterbracht, u.a. der Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten, das ukrainische Restaurant „Korchma Taras Bulba“, das japanische Restaurant „To Da Syo“, die usbekische Teestube „Uryuk“ und das Möbelgeschäft MEBELPROEXPO.

Das Endziel unserer „giornata“ war das weltberühmte Bürogebäude des ZENTROSOJUS (NARKOMLEGPROM) (Центросоюз) in der Mjasnitskaja Straße 39, ein exemplarisches Beispiel der europäischen Avangarde der 1920-30er Jahre und eines der ersten Bürobauten mit durchgehender Verglasung europaweit, gebaut 1936 nach dem Projekt von Le Corbusier in Kooperation mit Pierre André Jeanneret und Nikolaj Dschemsowitsch Kolli nach einem Auswahlverfahren im offenen internationalen Wettbewerb, an dem u.a. die Wesnin-Brüder, Boris Welikowskij, Sergej Tschernyschew und Andrej Krjatschkow teilnahmen. Infolge der Funktionswechsel wurde der Bau im Laufe der Zeit von diversen Ämtern genutzt: zunächst vom ZENTROSOJUS, dann vom NARKOMLEGPROM UdSSR (Наркомлегпром СССР), danach vom Ministerium für Textilwirtschaft UdSSR (Министерство текстильной промышленности СССР), dann von der Zentralverwaltung für Statistik UdSSR (ЦСУ СССР). Heutzutage befindet sich im Gebäude die Niederlassung des Bundesamtes für Staatsstatistik ROSSTAT (Федеральная служба государственной статистики Росстат).

ZENTROSOJUS, Fotografie Richtung von Akademika Sacharowa Allee. Quelle: https://corbusier.totalarch.com/centrosoyus (letzter Zugriff: 01.07.2015)

Das ZENTROSOJUS-Gebäude ist architektonisch gekennzeichnet durch die riesigen Glasflächen, freistehende Stützstreben, horizontale Dächer und freie Räumlichkeiten im Erdgeschoss – die wesentlichen Eigenschaften von Corbusiers Architektur der 30er Jahre. Im Erdgeschoss ist ein geräumiges Eingangsvestibül mit Freitreppen und Rampen für die Verbindung zwischen den Etagen zu sehen.

ZENTROSOJUS, Fotografie Richtung von Mjastitskaja Straße. Quelle: https://static.panoramio.com/photos/large/62403989.jpg (letzter Zugriff: 01.07.2015)

Das ZENTROSOJUS-Gebäude ist architektonisch gekennzeichnet durch die riesigen Glasoberflächen, offenstehenden Stützstreben, horizontale Dächer und die freien Räumlichkeiten im Erdgeschoss – die eigentlichen Eigenschaften der Le Corbusierschen Architektur der 30er Jahre. Besonders ist hier auch der dynamische Kontrast zwischen den kubischen Blöcken und gebogenen Formen des Clubpavillions und der Treppenhäusern. Im Erdgeschoss ist ein geräumiges Eingangsvestibül mit Freitreppen und Rollstuhlrampen (die dienten jedoch nur der Verbindung zwischen dem Erdgeschoss und dem 1. Obergeschoss) für die Verbindung der Etagen zu sehen.

ZENTROSOJUS, Eingangshalle

Le Corbusiers Idee war also „to constitute in Moscow a true demonstration of contemporary architecture based upon the archievements of modern science“ (Udovicki-Selb, Danilo: Le Corbusier, les jeunes 1937 et le front populaire, in: M.-L. Jousset (Hg.): Charlotte Perriand. Paris 2006. S. 41-61). Der Bau wurde für ca. 2000 Arbeiter*innen geeignet und unterbrachte neben den Büroräumen auch die öffentliche (Unterhaltungs-) Räume, u.a.: ein Klub, Geschäfte, eine Turnhalle, eine Kantine, eine Bibliothek, ein Ambulatorium.

Was die bautechnische Seite des Baus anbetrifft, so wurden hier neue technologische Modelle in der Praxis umgesetzt, wie das Etagengestell aus Stahlbeton, die freie Raumeinteilung ermöglicht, – was zu jener Zeiten zum ersten Mal in Sowjetunion eingesetzt war. Eine weitere Neuerung von Le Corbusier waren abgedichtete Aufhängeprallwände mit Vakuum anstatt Luft zwischen den Glasschichten zwecks Wärmeisolierung von Innerräumen. Außerdem war im Gebäude ein hausinternes spezielles Belüftungssystem zu integrieren, das jedoch nicht realisiert wurde (siehe mehr zum Thema unter https://archspeech.com/article/zdanie-centrosoyuza-edinstvennaya-moskovskaya-postroyka-le-korbyuz-e, https://corbusier.totalarch.com/centrosoyus).

Stilistisch sollte die Architektur des Gebäudes “[…] be in the pronounced style of an official central administrative building. Most attention should be paid to the silhouette and relief. The beauty and grandeur of the edifice will depend on the simplicity of its forms. Decorative detail should be avoided wherever possible…The Centrosoyuz building is to be located on a raised square overlooking three broad thoroughfares, and can thus constitute a notable architectural unity.” (Cohen, Jean-Louis: Le Corbusier and the mystique of the USSR, Princeton University Press 1992). Das Projekt wurde mehrdeutig von den führenden Architekten angesehen; So Jakob Kornfeld war der Meinung, dass das Aussehen des Baus ist allzu funktionalistisch sei, wo eher Maschinen als Menschen unterbracht werden (Khan-Magomedov, Selim O.: Pioneers of Soviet Architecture: The Search for New Solutions in the 1920s and 1930s. Moskau 1987; https://www.alyoshin.ru/Files/publika/khan_archi/khan_archi_2_087.html#1). Ivan Fomin schrieb 1934 in seinem Artikel „Über die Schlichtheit und den Reichtum“ („О простоте и богатстве“), dass Le Corbusier zwar schön und günstig in praktisch bedingten Formen bauen will, jedoch fehlen in seinem Architekturvokabular die Munterkeit, Mut und Lebensfreude, wodurch sich die Bauten der Sowjetarchitekten auszeichnen (Ebd.). Aleksander Wesnin druckte sich im Gegenteil wie folgt aus: „Der Bau […] ist zweifellos der beste Bau, der in Moskau im letzten Jahrhundert gebaut wurde […] Die ausgezeichnete Klarheit der architektonischen Idee, die Prägnanz im Formen von Massen und Volumen, die Reinheit der Proportionen, die Klarheit der Verhältnisse zwischen den Elementen, abgestimmt nach Kontrast und Nuancen, die Masstabverhältnisse des ganzen Baus und seiner einzelner Teile, die Leichtigkeit und gleichzeitig die Monumentalität der Baukonstruktion, die architektonische Einheit, die Schlichtheit sind charakterisch für dieses Gebäude“ (Ebd.). Unter dem folgenden Link ist eine zeitgenössiche 3D-Visualisierung des Baus zu finden: https://www.behance.net/gallery/20957571/3D-vizualizacija-proekta-zdanija-centrosojuza-le-korbjuze

Johanna Blees trägt über ZENTROSOJUS vor =)

 

Rekonstruktion eines Stadtviertels und seiner literarischen Spuren: Alter und Neuer Arbat

Heute begann der Tag mit einem ausgedehnten Spaziergang entlang des Alten und des Neuen Arbat. Wir starteten am Außenministerium am Smolenskaja Platz. Das 1951 vollendete Gebäude gehört nicht nur zu den „Sieben Schwestern“, sondern bestimmte auch deren Architektursprache, da es als erstes unter ihnen fertig gestellt wurde. Den Alten Arbat empfanden alle als äußerst angenehm, da er bereits in den 1980er Jahren zur ersten Fußgängerzone Russlands umgewandelt wurde. Allerdings wurde der Gesamteindruck etwas dadurch getrübt, dass sich dort hauptsächlich Souvenirläden und Schnell-Restaurant-Ketten befinden.

Klassizistisches Wohnhaus

Klassizistisches Wohnhaus

Melnikov-Haus

Melnikov-Haus

Bekanntermaßen war der Arbat das Zentrum der literarischen und auch im allgemeinen kulturellen Szene Moskaus. So konnten wir  Ueinige Wohnhäuser berühmter Persönlichkeiten wiederfinden, etwas das Haus, in dem Puschkin kurze Zeit gelebt hatte oder auch die Wohnung Rybakows. Ebenso das Restaurant Praga, wo sich viele Persönlichkeiten die Klinke in die Hand gedrückt haben. In letzter Zeit kamen auch mehre Denkmäler hinzu, so für Okudschawa, der in seinen Liedern den Arbat besang oder auch für die Oper Turandot, mit deren Inszenierung das Theater Wachtangow berühmt wurde.

Besonders interessant war es, die architektonische Entwicklung dieser zentralen Straße zu verfolgen. Eines der ältesten erhaltenen Gebäude ist das Puschkin-Haus aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, das nur zweigeschossig ist. Überwiegend fanden wir dort aber höhere Wohnhäuser im klassizistischen Stil vom Anfang des 20. Jahrhunderts, wo es offenbar eine großzügige Umgestaltung der Straße gegeben haben muss. Eine Ausnahme bildete da das in einer Seitenstraße gelegene konstruktivistische Melnikov-Haus, das freistehend ist und aus zwei Zylindern besteht. Der Neue Arbat dagegen wird natürlich von den V-förmigen Hochhäusern dominiert, die eine sehr schöne Blickachse auf die Moskau City bilden.

 

Zwischen altem und neuem Arbat.

Zwischen altem und neuem Arbat.

Puschkin-Haus

Puschkin-Haus

Der Gang entlang des Neuen Arbat gestaltete sich völlig anders als der Spaziergang durch den Alten Arbat. Während wir auf dem Alten Arbat noch schlendern könnten und ohne Probleme dem Referat folgen konnten, war der Neue Arbat durch seine Funktion als wichtige Verkehrsader sehr laut und für das zügige Abschreiten gedacht. Umso entspannender war der Aufenthalt in dem kleinen Park vor dem Wohnhaus am Kudrinskaja-Platz, das ebenfalls zu den Sieben Schwestern gehört. Wie in einer Oase inmitten des Stadttrubels könnten wir dort unsere Mittagspause genießen. Aus dieser Erfahrung kann man ablesen, wie sehr Moskau auf das Automobil ausgelegt war und wie wenig fußgängerfreundlich es heute ist.

Stadt – und Geschichtspanorama

Den zweiten Tag unserer Exkursion begannen wir an einem der größten Wahrzeichen der stalinistischen Architektur in Moskau: der Lomonossow Universität. Der sogenannte Sektor A des Unigebäudes, der große Hauptturm in der Mitte, fungiert als Mittelachse eines absolut symmetrisch angelegten Gebäudes, das einen eigenen Mikrokosmos darstellt. In dem Gebäude befinden sich nicht nur die Administration sowie diverse Lehrräume der Universität, sondern vor allem ist sie Wohngebäude für bis zu 6000 Studierenden und Dozenten, weshalb sich zusätzlich auch Einrichtungen wie ein Friseur, Supermarkt, Wäscherei und ähnliches hier befinden. Wie abgeschlossen dieser Kosmos tatsächlich ist, fiel auf, als uns auch nur ein kurzer Blick in den Eingangsbereich verwehrt wurde. Nur für das Betreten der Universität ist bereits ein berechtigender Auweis nötig und so blieben wir bereits kurz hinter der Tür am Drehkreuz hängen. Was hier außerdem ins Auge stach, war die große Diskrepanz zwischen den bombastischen, repräsentativen Fassaden und Türen im Eingangsbereich, und der Enge des tatsächlichen Foyers in dem sich kaum ein öffnender Blick ergibt.

Blick auf die neue Moscow City von den Sperlingsbergen

Blick auf die neue Moscow City von den Sperlingsbergen

Einen weitaus offeneren Blick erhofften wir uns dann von der Aussichtsplattform vor der Universität, die für ihren weiträumigen Blick auf das Stadtpanorama Moskaus bekannt ist. Auch hier erlebten wir jedoch eine Enttäuschung, da ein großer Teil der Plattform eingezäunt war für die Errichtung des umstrittenen Wladimir Denkmals. So soll auf den Sperlingsbergen, ehemals Leninberge, ein neoklassizistisch anmutendes, ca. 30 m hohes Denkmal errichtet werden, dass mit Wladimir auch die Christianisierung Russlands und die Stärkung der Kiewer Russ betont, was durchaus strategisch verstanden werden kann. Nicht überraschend regt sich daher reger Protest, auch wenn die Figur wohl schon gegossen wurde. So erhielten wir ein etwas eingeschränktes Panorama der Stadt.

Goldfischteich in der Eingangshalle des Pionierpalastes.

Goldfischteich in der Eingangshalle des Pionierpalastes.

Östlich der Universität befindet sich der Pionier Palast (Dvorec pionerov), ein erst nach Stlins Tod errichter Bau für die Moskauer Kinder der vor allem, ungeachtet des Namens, durch seine Zugänglichkeit und Pavillon Architektur wirkte. Insbesondere nach dem überwältigenden Universitäts Gebäude, wirkte die flache Struktur, die großen Fenster der Fassade und ein offener Eingangsbereich positiv. Zwar stießen wir auch hier mit dem Wunsch nach Besichtigung auf Hürden, doch wurden wir letztendlich eingelassen und begutachteten vorher den Sommergarten im Foyer inklusive Fischteich.

 

Treppenanlage im Pionierpalast (1959-1962).

Treppenanlage im Pionierpalast (1959-1962).

Detail des großformatigen Mosaiks der Eingangsfront zum Pionierpalast.

Detail des großformatigen Mosaiks der Eingangsfront zum Pionierpalast.

Am Nachmittag versammelten wir uns auf dem Gelände der Christi-Erlöser-Kathedrale, einem der symbolträchtigsten Orte Moskaus und geplanter Ort des Palast der Sowjets. Die einstige Kathedrale musste bekanntlich den Plänen für einen Palast der Sowjets weichen, der dann jedoch nie über sein Fundament hinaus wuchs und so über Jahrzehnte als Moskauer Schwimmbad fungierte. Zwischen 1995 – 2000 wurde die alte Kathedrale dann rekonstruiert, als ein Paradebeispiel der regelrechten Rekonstruktionswut die im postsowjetischen Moskau beobachtet werden kann. So ist die neue Kathedrale zwar ganz modern mit Stahlbeton erbaut, imitiert aber ansonsten weitestgehend ihren Vorgänger. Insbesondere die Ausstattung des Innenraums irritiert mit leuchtend bunten und goldenen Fresken, die wenig Besinnung oder Andacht zulassen und in ihrer Frische recht kitschig anmuten.

Von der Kathedrale aus bewegten wir uns auf dem Boulevard-Ring in nord-östlicher Richtung weiter und stießen dabei auf einige weniger bekannte, aber nichtsdestotrotz bemerkenswerte Gebäude. Auf diese Weise erhielten wir einen recht guten Überblick von den verschiedenen Bauepochen, die das Zentrum architektonisch prägen. So führte uns Dr. Flierl über einen Hinterhof zu dem von außen wenig spektakulären Kommunehaus für Mitarbeiter der Bahn, einiges der wenigen die noch in gutem Zustand sind. Außerdem bemerkenswert war ein gut saniertes Wohnhaus der Stalinära, dass offensichtich mit Elementen der klassischen italienischen Architektur arbeitete und dabei ein windschiefes Wohnhaus aus dem 19. Jahrhundert überragte. Am Arbat-Platz (Arbatskaja Ploschtschad) fiel die Unzugänglichekeit des Platzes durch breite Autostraßen auf, sowie ein grell angemalter Bau aus den 70er Jahren der Sitz des Verteidigungsministeriums ist. Als wir schließlich am Puschkin-Platz ankamen, hatten wir so einen umfassenderen Blick auf die Bauepochen Moskaus erhalten.

Tag 1. Die Architekturausstellung „Archmoskva“ und Historisches Zentrum von Moskau

Blick auf das ZHdK von der Krymskij-Brücke

 

An unserem ersten Tag in Moskau haben wir uns zunächst auf die laufende internationale Messe für zeitgenössische Architekturentwicklung „Archmoskva“ begeben (https://www.archmoscow.ru). Die Ausstellung fand im im Central’nyj dom chudožnika (das Zentrale Haus des Künstlers) auf der Krymskaja naberežnaja zum 20. Mal statt. Die für diesen Tag eingeplante Verabredung mit Herrn Sergej O. Kuznecov, dem leitenden Architekten Moskaus, war leider kurzfristig abgesagt worden. Stattdessen durften wir mit seiner Stellvertreterin über die großen städtebaulichen Pläne Moskaus sprechen, die auf der Ausstellung präsentiert waren.

Das wohl ambitionierteste Projekt gehörte dem Büro „Projekt Meganom“, das im internationalen Wettbewerb über die Entwicklung des Territoriums um den Moskwa-Fluss bis zum Jahr 2035 gegen 5 andere Architekturbüros gewonnen hat. Auf der Ausstellung selbst konnte man bereits skizzenhafte Darstellungen von den zukünftigen Transformationen der verschiedenen Uferterritorien sehen, aber noch keinen richtigen Entwicklungsplan. So wurde an sämtlichen Abschnitten Rekonstruktion von veralteten Wohngebäuden in Form von Hochhäusern vorgesehen, oder auch umweltfreundliche Umgestaltung von industriellen und administrativen Territorien, über dessen Verwirklichung wir etwas mehr erfahren wollten. Wir haben uns unter anderem gefragt, ob die massiven mehrstöckigen Wohnblöcke, die im Plan als „soziales Wohnen“ gekennzeichnet worden waren, doch nicht viel mit den notorischen Plattenbauten gemeinsam hätten, und ob die Erweiterung der Wohngebiete nach dem Hochhaus-Prinzip das Verkehrsproblem von Moskau nicht unnötig verschlimmern würde.

Vor dem Stand des "Projekt Meganom"

Vor dem Stand des „Projekt Meganom“

Leider hat unsere Gesprächspartnerin diese Fragen aufgrund von „mangelnder Kompetenz“ abgewiesen oder nur mit unzureichend abstrakten Abhandlungen beantworten können. Generell haben wir den Eindruck bekommen, dass die auf der Ausstellung präsentierten Architekturprojekte unabhängig vom historischen Hintergrund konzipiert worden waren bzw. keinen Bezug auf die Fehler der Vergangenheit zu nehmen beabsichtigten.

Am Nachmittag ging es los mit dem straffen Sightseeingprogramm. Erster Anlaufpunkt ist da in Moskau natürlich der Rote Platz, mit Blick auf Kreml und Basiliuskathedrale – der leider von mehreren Hochzeitsgesellschaften und einer riesigen Bühne versperrt wurde. Wir stellten uns trotzdem dazu, lächelten nett und lauschten den informativen Referaten der anderen Studierenden. In das Lenin-Mausoleum traute sich niemand, auch wenn sichere Quellen verlauten ließen, in dem Glassarkophag läge längt eine Plastikpuppe.

Stattdessen gestalteten sich die nächsten zwei Stunden für einen Ausflug in die ehemalige Hauptstadt des Kommunismus ausgesprochen konsumistisch, da wir gleich zwei Kaufhäuser besuchten. Im ehemaligen Zentralkaufhaus GUM gab es eine kleine Erfrischung für alle, die uns stärkte für die Explosion an Farben und Geräuschen im zweiten: Dem Kinderkaufhaus Detskij Mir. Das hatte zumindest eine tolle Aussicht vom Dach aus, auch wenn man sich dazu „Gangnam Style“ in Dauerschleife und an Belästigung grenzende Begegnungen mit überlebensgroßen Plüschtieren gefallen lassen musste.

Für die Mühen des Aufstiegs belohnt eine großártige Aussicht - unter anderem auf eine sechsspurige Stadtautobahn.

Für die Mühen des Aufstiegs belohnt eine großártige Aussicht – unter anderem auf eine sechsspurige Stadtautobahn.

Mittlerweile war es schon nach sechs Uhr abends und die Gruppe zeigte langsam erste Anzeichen von Erschöpfung, doch zwei wichtige Punkte standen noch auf dem Programm: das ehemalige Hotel Moskau und die Lenin – Bibliothek. Wer das postsowjetische Russland verstehen möchte, der muss sich die Baugeschichte des Hotel Moskva anschauen. Ursprünglich als stalinistischer Prunkbau im neoklassizistischen Stil der 1930er Jahren errichtet, wurde das Hotel 2004 – unter mehr als dubiosen Umständen – gesprengt. Als ob das nicht genug gewesen wäre, wurde das Hotel ein Jahr später unter spezifisch luschkowschen Rekonstruktionsbedingungen wieder aufgerichtet. Dass dieser Bau fast ein Jahrzehnt dauerte und die internationalen Partner, die unter den hohen schattenwirtschaftlichen Maßstäben der Moskauer Stadtgestaltung unter Luschkow mitspielen konnten, d.h. der Deutschen Bank und den zwielichtigsten der an Oligarchen nicht gerade armen postsowjetischen Sphäre, sich am Bau mitbereichterten, mutet auf den ersten Blick befremdlich an, ist aber in Russland, wo nichts wahr und alles möglich ist (Pomerantsev), leider kein bedauerlicher Einzelfall. Über diese Korruptionslehrfabel hinaus sollte man aber einen Aspekt nicht vernachlässigen. Die Geschichte des Hotel Moskva ist nämlich auch eine ästhetische Verlustgeschichte in drei Kapiteln: einer schlecht gemachten Fassadenkonstruktion mit irritierender Farbgebung folgt die Vergewaltigung einer stalinistischen Empfangshalle, die abgerundet wird durch einen ästhetischen Spannungsbogen, in welchem die stillen Örtchen die attraktivsten und ästhetisch anspruchsvollsten Orte des Hotels repräsentieren. Traurig, aber wahr!

Vor dem Haupteingang der Lenin-Bibliothek, erbaut 1928-41 (Architekten: V. Shchuko und V. Gelfreich)

Vor dem Haupteingang der Lenin-Bibliothek, erbaut 1928-41 (Architekten: V. Shchuko und V. Gelfreich)

Danach waren wir noch bei der Bibliothek. Die ist übrigens auch kaputt – so kaputt, dass ein Stahlkorsett die Marmorfliesen an den Säulen am Abplatzen hindert.

Moskau ist spannend, morgen geht’s weiter!