Thema: Entscheiden in der Interaktion
Zeit: Freitag, 25. und Samstag, 26. November 2022
Ort: Freie Universität Berlin, Raum L 116 (Seminarzentrum), Otto-von-Simson-Str. 26, 14195 Berlin
Team: Prof. Dr. Antje Wilton, Cedric Burmeister, Petra Salomon
Gemeinsames Entscheiden ist eine kommunikative Handlung, mit der eine Entscheidung, also die Wahl zwischen zwei oder mehr alternativen Möglichkeiten, angestrebt bzw. realisiert wird. Gemeinsames Entscheiden findet sich sowohl in alltäglich-privaten Situationen, wie beispielsweise beim Einkaufen, als auch in institutionellen und beruflichen Kontexten, wie beispielsweise in einem Gerichtsverfahren. Gemeinsames Entscheiden kann dabei – je nach Setting – auf einem Kontinuum von vergleichsweise spontan und flexibel realisiertem Handeln bis hin zu fest etablierten und strukturierten Prozessabläufen beobachtet werden. Die Forschung hat sich bislang mit Entscheidung als interaktionalem Handeln vor allem in unterschiedlichen institutionellen Kontexten befasst. Besonders hervorzuheben sind hier die Arbeiten von Grießhaber (1987) zum Entscheidungshandeln in Bewerbungsgesprächen, Domke (2006) zu Besprechungen als Entscheidungshandeln sowie Jacob (2017) mit einem diskursanalytischen Ansatz zur Linguistik des Entscheidens. Dabei sind insbesondere Entscheidungsprozesse im Fokus, die durch die institutionelle Einbettung mehr oder weniger stark (vor)strukturiert sind, wie beispielsweise im Rechts- oder im Gesundheitskontext (Hoffmann 2014, Kliche & Pick i.Dr., Peters 2015, Koerfer & Albus 2015, Groß 2018), aber auch in anderen betrieblich oder organisational etablierten Interaktionsformen (Mehan 1983, Menz 1999, Stevanovic 2013). Es zeigt sich, dass Entscheiden eine komplexe Handlung ist, die eine Kombination von unterschiedlichen Teilhandlungen wie Bewerten und Begründen aufweist. Diese werden in Stadien des Entscheidens zu einem Ablauf zusammengefügt (Jacob 2017, Pick, erscheint 2022). Weiter zeigt sich, dass Entscheidungen ebenso wie mögliche Auswahloptionen nicht bereits gegeben sein müssen, sondern häufig erst in den kommunikativen Prozessen interaktional hergestellt werden. Dies geschieht teilweise vage und so, dass Entscheidungen auch manchmal erst rückblickend als solche erkennbar werden (Domke 2006, 2018).
Der AAG lädt dazu ein, Beobachtungen und Analysen zu Entscheidungen, Entscheidungsprozessen und Entscheidungs(teil)handlungen aus der aktuellen Forschung und Praxis zusammenzutragen, um den „Handlungskomplex Entscheiden“ (Pick, erscheint 2022) genauer in den Blick zu nehmen und besonders die im Praxisbezug relevanten Probleme, formalisierten Verfahren und Manifestationen von Entscheidungshandeln zu diskutieren.
Mögliche zu adressierende Fragen sind unter anderem:
- In welchen Handlungsfeldern spielt das Entscheiden jeweils eine Rolle? Wie wird es kommunikativ vollzogen? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich vergleichend zwischen verschiedenen Handlungsfeldern des Entscheidens erkennen?
- Welche Rolle spielen nichtsprachliche (verkörperte) Aspekte sowohl im Prozess der Entscheidungsfindung als auch als Folge von Entscheidungsprozessen (vgl. Mondada 2019)?
- Wenn sich das Entscheiden nicht immer innerhalb von einem Gespräch entfaltet, sondern sich über mehrere Gespräche erstrecken kann oder Entscheidungen nachträglich revidiert und nicht umgesetzt werden (Stichwort Compliance), welche Implikationen hat das für methodische Fragen der linguistischen Entscheidungsforschung?
- Was lässt sich aus der Forschung für gelingende interaktionale Entscheidungsprozesse in verschiedenen Feldern ableiten? Welche lassen sich vielleicht verallgemeinern?
- Welchen Beitrag leistet die linguistische Forschung zum Entscheiden als Interaktion im Vergleich zur Entscheidungsforschung aus anderen Disziplinen (Psychologie, Wirtschaft usw.) bzw. in Zusammenarbeit mit ihnen?
- Wie lassen sich Ergebnisse linguistischer Entscheidungsforschung in die jeweiligen Praxisfelder zurücktragen? Welche Herausforderungen ergeben sich dabei und welche Ansatzpunkte gibt es? Welche Erfahrungen gibt es dazu innerhalb der linguistischen Community bereits?
Präsentationsthemen aus empirischen Arbeiten, die über das Rahmenthema hinausgehen, sind ebenfalls herzlich willkommen, sofern sie sich (auch) mit Fragen der Angewandten Gesprächsforschung beschäftigen.
Mögliche Beitragsformen
- Vorträge (20-30 Minuten)
- Vorträge mit Datenpräsentationen (30 Minuten)
- Datensitzung (i.d.R. 60-90 Minuten)
- Übungen (Vorstellen/Durchführen von Trainingsmethoden, 15-45 Minuten)
- Berichte aus der Praxis (15-45 Minuten)
Die Organisator:innen freuen sich über Beitragseinreichungen bis zum 15.09.2022 per Email an antje.wilton-franklin@fu-berlin.de.
Die Beitragenden erhalten zeitnah eine Antwort. Das Programm wird voraussichtlich ab dem 07.10.2022 bekannt gegeben.
Teilnahme an der Tagung
Da für den Herbst mit einem erneuten Anstieg der Coronainfektionen sowie einer eventuellen Wiedereinsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen zu rechnen ist, haben wir uns (vorläufig) für folgendes hybrides Tagungsformat entschieden:
- Die Tagung findet in Präsenz an der Freien Universität Berlin in einem Raum statt, der auch mit Abstandsregelungen und verringertem Platzangebot die übliche Teilnehmerzahl eines AAG beherbergen kann. Vorträge sowie das Rahmenprogramm finden ausschließlich in Präsenz statt.
- Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Vorträge online mitzuverfolgen und Fragen zur anschließenden Diskussion beizutragen. Datensitzungen werden nicht übertragen.
Wir behalten uns vor, das Format der Tagung den ggf. im November geltenden rechtlichen Bestimmungen anzupassen.
Anmeldung
Die Anmeldung für eine Teilnahme ohne eigenen Beitrag entweder vor Ort oder virtuell erfolgt formlos per Email an: antje.wilton-franklin@fu-berlin.de.
Bitte geben Sie bei der Anmeldung an:
- Name, Vorname
- Einrichtung/Universität
- Emailadresse
- Teilnahmewunsch in Präsenz/virtuell
- Teilnahme am Warming-Up am Donnerstag, 24.11., ja/nein
- Teilnahme Abendessen am Freitag, 25.11., ja/nein
Tagungsbeitrag
Eine Tagungsgebühr fällt nicht an. Wir bitten um einen Beitrag von 10 € für die Pausenverpflegung bei Teilnahme in Präsenz.
Literatur
Domke, Ch. (2006): Besprechungen als organisationale Entscheidungskommunikation. Berlin: de Gruyter.
Domke, Ch. (2018): Arbeitsbesprechungen in Organisationen. In Stephan Habscheid, Andreas Müller, Britta Thörle & Antje Wilton (Hg.), Handbuch Sprache in Organisationen, 3–26. Berlin: de Gruyter.
Grießhaber, W. (1987): Einstellungsgespräche. Tübingen: Narr.
Hoffmann, L. (2014): Der Fall des Rechts und wie er zur Sprache kommt. In: Jörg R. Bergmann, Ulrich Dausendschön-Gay & Frank Oberzaucher (Hg.): Der Fall – Studien zur epistemischen Praxis professionellen Handelns. Bielefeld: transcript, 287-345.
Jacob, K. (2017): Linguistik des Entscheidens Eine kommunikative Praxis in funktionalpragmatischer und diskurslinguistischer Perspektive. Berlin: de Gruyter.
Groß, A. (2018): Arzt/Patient-Gespräche in der HIV-Ambulanz: Facetten einer chronischen Gesprächsbeziehung. Göttingen: Verlag für Gesprächsforschung.
Kliche, O. & Pick, I. (im Druck): Selbstbestimmung und Unterstützte Entscheidungsfindung in der rechtlichen Betreuung – Ansatzpunkte für good practice im Gespräch. In Sylvia Bendel Larcher & Ina Pick (Hg.): Good practice in der institutionellen Kommunikation: Von der Deskription zur Bewertung in der Angewandten Gesprächsforschung. Berlin: de Gruyter.
Koerfer, A. & Albus, Ch. (2015): Dialogische Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient. In Albert Busch & Thomas Spranz-Fogasy (Hg.): Handbuch Sprache in der Medizin (HSW), 116–134. Berlin: de Gruyter.
Mehan, H. (1983): The role of language and the language of role in institutional decision making. Language in Society 12/2, 187-211.
Menz, F. (1999): Erfolg“ oder „Fehlgriff“? Zum Entscheidungsmuster bei Bewerbungen in Wirtschaftsunternehmen. In Theo Bungarten (Hrsg.): Wirtschaftshandeln. Kommunikation in Management, Marketing und Ausbildung, 87–112. Tostedt: Tostedt.
Mondada, L. (2019). Participants‘ orientations to material and sensorial features of objects: looking, touching, smelling and tasting while requesting products in shops. Gesprächsforschung, 20, 461-494. (http://www.gespraechsforschung-online.de/fileadmin/dateien/heft2019/si-mondada.pdf)
Pick, I. (erscheint 2022): Der Handlungskomplex Entscheiden am Beispiel der „Unterstützten Entscheidungsfindung“ in der rechtlichen Betreuung. Zeitschrift für Angewandte Linguistik.
Stevanovic, M. (2013): Constructing A Proposal As A Thought: A Way To Manage Problems In The Initiation Of Joint Decision-Making In Finnish Workplace Interaction. Pragmatics 23(3), 519–544.