Welche Auswirkungen haben Mikroaggressionen auf betroffene Schüler*innen und wie beeinflussen diese ihren Alltag?
Chiara Shuri (WiSe 2024/25)
1. Vorwort
Der folgende Essay wurde von mir, Chiara Schuri, Studentin des Studiengangs Bildungs- und Erziehungswissenschaften im 5. Fachsemester an der Freien Universität Berlin geschrieben, um auf Diskriminierungsformen wie Mikroaggressionen im Schulalltag aufmerksam zu machen. Meine Motivation in dieser Arbeit liegt insbesondere an der demografischen Entwicklung Deutschlands. Der Anteil von Schüler*innen mit verschiedenen Hintergründen und Bedürfnissen steigt kontinuierlich und demnach steigt die Notwendigkeit, sich mit den Erfahrungen und Herausforderungen der Schüler*innen genauer auseinanderzusetzen ebenfalls. Dies umfasst auch die Untersuchung von Mikroaggressionen – oft unbewusste, aber dennoch verletzende Äußerungen oder Verhaltensweisen – die das schulische Wohlbefinden und die Bildungschancen der betroffenen Schüler*innen beeinflussen. Obwohl ich als cis weibliche, weiße Person ohne körperliche oder psychische Einschränkungen und mit christlichem Glauben schon sehr privilegiert bin, habe auch ich in meinem Schulalltag bezüglich meiner schulischen Leistungen aufgrund meines Geschlechts schon Mikroaggressionen erfahren. Insbesondere wenn es um die Berufswahl oder meine Kompetenzen in wissenschaftlichen Fächern ging. Allerdings kann ich mich auch erinnern, dass ich aufgrund meiner sehr hellblonden Haarfarbe ebenfalls häufig mit „Scherzen“ wie: „blond ist doof“ konfrontiert war. Und da stelle ich mir vor wie es Personen gehen muss, die weniger privilegiert sind. Mit dieser Arbeit möchte ich nicht nur auf die Auswirkungen von Mikroaggressionen hinweisen, sondern auch dazu beitragen, ein besseres Verständnis für die Notwendigkeit einer inklusiven und diskriminierungsfreien Schulumgebung herzustellen. Durch die Verknüpfung wissenschaftlicher Erkenntnisse mit Erfahrungen möchte ich aufzeigen, welches Bewusstsein erforderlich ist, um Schulen zu einem sichereren und unterstützenderen Raum für alle Schüler*innen zu machen.
2. Einleitung – Mikroaggressionen im schulischen Kontext
Diskriminierung ist in unserer Gesellschaft tief verankert. Es gibt keine Räume, die vollständig frei von diskriminierenden Strukturen oder Handlungen sind. Ebenso wenig existieren Menschen oder Gruppen, die außerhalb dieser Dynamiken stehen. Mikroaggressionen als subtile Formen von Diskriminierung treten in vielfältigen Kontexten auf und manifestieren sich in Rassismus, Sexismus, Klassismus, Adultismus, Cissexismus und weiteren Diskriminierungsformen, wodurch sie die Lebensrealität vieler Menschen prägen (Hamaz, 2023). Insbesondere durch die gesellschaftliche Sozialisation erlernen und geben die Menschen verschiedene diskriminierende Rede- und Verhaltensweisen weiter (Hamaz, 2023). Schon in der frühkindlichen Entwicklung bis ins hohe Erwachsenenalter prägen uns die Handlungsmuster, die wir immer wieder beobachten, wahrnehmen und erleben (Hamaz, 2023). Beispielsweise üben Familienbilder einen wesentlichen Einfluss auf die Sozialisation eines Kindes aus, ebenso wie die Institutionen, in denen Kinder einen bedeutenden Teil ihrer frühen Lebensjahre verbringen. Demnach verinnerlichen wir schon früh gesellschaftliche Machtverhältnisse und den Umgang mit diesen, weshalb wir bewusst oder unbewusst oftmals zu diskriminierenden Verhaltens- und Denkmustern neigen, und dazu beitragen, dass sie weiter bestehen.
Ein besonders zentraler Raum für die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen ist die Schule, da diese nicht nur Wissen, sondern ebenfalls soziale Normen und Werte vermittelt.
Sie soll idealerweise zu einem respektvollen Miteinander beitragen, Diversität aktiv fördern und ein diskriminierungsfreies Umfeld schaffen, in welchem die Unterschiede der Menschen wertgeschätzt und zum gegenseitigen Lernen und Unterstützen als sinnvolle Ressource genutzt werden. Die Schule steht als Institution in der Verantwortung, sich für die Beseitigung von Diskriminierungen einzusetzen und eine chancengleiche, diskriminierungsfreie Bildung für alle Schüler*innen zu ermöglichen (ADS, 2018). Unter anderem kann diese Verantwortung aus der Ebene der Menschenrechte, des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und des Landesschulrechts abgeleitet werden (ADS, 2018). Doch leider sieht die Realität für die meisten Schüler*innen in Deutschland anders aus. Gemäß dem Journalist Philip Banse ist rund ein Viertel aller Schüler*innen in Schulen mit Diskriminierungserfahrungen konfrontiert (2016). Eine besondere Herausforderung stellen in diesem Zusammenhang Mikroaggressionen dar, da diese durch ihren subtilen Charakter schwer zu erkennen sind.
Ich möchte mich in diesem Essay demnach ausschließlich auf die Mikroaggressionen beziehen, da ich der Meinung bin, dass diese als subtile Diskriminierungsform schneller übersehen und abgetan werden können, als offensichtliche Angriffe, aber einen ebenso starken Effekt auf betroffene Personen nehmen, welche allerdings seltener und deutlich später Hilfe erhalten. Ausschlaggebend für diesen Essay ist mein zukünftiges berufliches Interesse an der Schulsozialarbeit, um gegenüber Diskriminierungsformen im (Schul-)Alltag zu sensibilisieren und betroffenen Schüler*innen das Gefühl zu geben, dass ihre Sorgen und ihr Problem gesehen und gehört werden, sowie um Hilfsmöglichkeiten zu schaffen. Ich denke es ist wichtig, die Denkmuster der jungen Menschen schon möglichst früh auf bestehende Stereotype und Vorurteile in der Gesellschaft vorzubereiten und ihnen beizubringen, wie man ihnen entgegentritt und auch andere Menschen sensibilisieren und auf ihre diskriminierenden Verhaltensweisen hinweisen kann. Außerdem möchte ich den Schüler*innen beibringen, ihre Verschiedenheit untereinander wertzuschätzen und als Ressource zu nutzen. Dazu möchte ich jedoch erst einmal tiefgehende Einblicke in die Auswirkungen auf die betroffenen Schüler*innen und möglicherweise auch Täter*innen gewinnen, weshalb ich mich der Frage widme, welche Auswirkungen Mikroaggressionen auf betroffene Schüler*innen haben und wie diese ihren Alltag beeinflussen.
3. Begriffserklärung von Mikroaggressionen
Um über die Auswirkungen von Mikroaggressionen sprechen zu können, muss zunächst der Begriff an sich geklärt werden. Wie bereits im Seminar erwähnt, werden Mikroaggressionen bildlich mit Mückenstichen verglichen, welche zunächst unbedeutend scheinen. Wird eine Person allerdings sehr oft und regelmäßig gestochen, wirken die Stiche schon deutlich belastender, fast schon schmerzhaft (Fusion Comedy, 2017). Ebenso erzeugen häufige Mikroaggressionen im Vergleich dazu Stress und dauerhafte emotionale Belastungen, wenn Personen immer wieder auf dieselben Aspekte reduziert werden und ihre Identität verteidigen müssen (Lots*, 2024). Zudem werden Personen mit verschiedenen Eigenschaften womöglich besonders häufig gestochen und ihre Belastung steigt weiter an, während nicht betroffene Personen das Problem kaum wahrnehmen und wenn herunterspielen (Fusion Comedy, 2017). Langzeitig können sich die Mückenstiche zu schweren Entzündungen entwickeln, welche schwer heilbar sind. Ähnlich wirken die Mikroaggressionen, die sich auf das psychische Wohlbefinden, die Identität und die Lebensqualität der Menschen auswirken.
Fachlich erklärt, können als eine Form der Diskriminierung unter Mikroaggressionen subtile, oft unbewusste oder beiläufige, aber auch bewusste Bemerkungen und Verhaltensweisen in der alltäglichen Kommunikation verstanden werden, die gegenüber einer Person oder Gruppe diskriminierend oder abwertend wirken und von dieser so wahrgenommen werden (Wolf, 2021; Hasters, 2020; Eissa, 2023). Hierzu lassen sich beispielsweise nicht nur verbale Äußerungen, sondern ebenfalls Blicke oder Gesten zählen (Hamaz, 2023). Im Gegensatz zu offensichtlichen und physischen Übergriffen sind Mikroaggressionen schwer wahrnehmbar, insbesondere für nicht betroffene Personen (Eissa, 2023). Die Motivation der Täter*innen lässt sich bei subtilen Formen deutlich schwieriger identifizieren und diese sind sich ihrer eigenen Denkmuster und Handlungen häufig selbst nicht bewusst (Eissa, 2023). Unter anderem führt eine Konfrontation mit dem Thema häufig zu einer Verleugnung und Ablehnung sowie Verharmlosung. So nennt die Bildungsreferentin Samira Eissa als Beispiel, dass viele bei einem Hinweis auf die Mikroaggression statt einer kritischen Selbstreflexion durch die Aussage „man dürfe heutzutage gar nichts mehr sagen“, ihr Verhalten relativieren, welche wahrscheinlich nicht nur ich schon häufiger gehört habe (2023). Auch bei den diskriminierten Personen kann es zu dem Gefühl von eigener Überempfindlichkeit und Verharmlosung der Angriffe kommen, obwohl diese erhebliche Belastungen verursachen.
Der Begriff und die Bedeutung von Mikroaggressionen wurden erstmals in den 1970er Jahren vom Psychologen Chester M. Pierce eingeführt, um alltägliche Beleidigungen an afroamerikanischen Menschen, wie ihm selbst, und wie er sowie diese Personengruppe die bewussten oder unbewussten Angriffe erleben, zu beschreiben (Wolf, 2021). Viele Jahre später im Jahr 2007 prägte Derald Wing Sue ein Professor für Beratungspsychologie an der Columbia University den Begriff und weitete diesen auf die Themenbereiche Rassifizierung, Geschlecht und Sexualität aus (Hamaz, 2023). Er differenzierte zudem in drei verschiedene Formen der Mikroaggressionen, der Mikro-Angriff, die Mikro-Beleidigung und Mikro-Entwertung (Hamaz, 2023; Eissa, 2023; In Diverse Company, 2023). Betroffene Personengruppen sind insbesondere ethnische und kulturelle sowie religiöse Minderheiten, BIPoC, LGBTQ+ Personen, Menschen mit Behinderungen, sozioökonomisch Benachteiligte und verstärkt Personen, die eine Intersektionalität aufweisen, also mehrerer dieser Gruppen angehören (Eissa, 2023; Küpper, 2022).
4. Kritik an der Bedeutung und dem Begriff Mikroaggression
Mikroaggressionen treten häufig in alltäglichen Kontexten wie beispielsweise in Bildungseinrichtungen, am Arbeitsplatz oder beim Einkaufen auf und bleiben für viele unbeachtet (Hamaz, 2023). Sowohl in der gesellschaftlichen Praxis als auch in wissenschaftlichen Diskursen finden sie bislang wenig Beachtung, obwohl sie erheblichen Einfluss nehmen. Grund dafür könnte sein, dass das Konzept wissenschaftlich umstritten ist (Wolf, 2021). Im Vordergrund steht der zentrale Kritikpunkt, dass die Einstufung eines Angriffs wesentlich vom Empfinden der diskriminierten Personen abhängt, was wissenschaftliche Analysen durch die starke Subjektivität erschwert (Wolf, 2021). Zudem wird bemängelt, dass ebenso harmlose oder mehrdeutige Aussagen einer Person falsch interpretiert werden können, da die Intention des/der Absender*in nicht immer eindeutig bzw. klar identifizierbar ist. Der Kontext, in dem eine problematische Aussage gemacht wird, sei gemäß Christian Wolfs Artikel entscheidend um einzuschätzen, ob diese abwertend oder diskriminierend gemeint ist (2021). Eine pauschale Klassifizierung alltäglicher Erfahrungen als Mikroaggressionen birgt nach den Kritiker*innen die Gefahr einer Überpathologisierung, weshalb diese fordern, rassistische oder negative Absichten klar nachzuweisen, um das Konzept wissenschaftlich fundiert anzuwenden (Wolf, 2021). Aus persönlicher Perspektive möchte ich hier hinzufügen, dass ich der Meinung bin, dass jede Aussage, die dazu führt, dass sich eine Person herabgestuft, diskriminiert oder angegriffen fühlt, auch als eine problematische Aussage behandelt werden sollte, da sie starken Einfluss auf das Wohlbefinden der betroffenen Personen nehmen kann. Es möchte schließlich der Verharmlosung gegenüber diesen entgegengewirkt werden, was nur funktionieren kann, wenn jede Aussage die als Angriff empfunden wird, auch ernst genommen wird. Die Sozialpsychologin Beate Küpper betont in diesem Zusammenhang, dass Rassismus nicht nur ein Thema individueller Entscheidung sei, sondern eine strukturelle Realität darstellt, die betroffene Personen unweigerlich erleben müssen (2022). Sie formuliert: „Während die einen die Macht haben, zu entscheiden, ob und wann sie sich dem Thema Rassismus zuwenden möchten, auch, inwieweit sie ihn ausspielen, sind die anderen ihm ausgesetzt, müssen sich notgedrungen damit beschäftigen, ob sie wollen oder nicht (Küpper, 2022, o.S.).“ Dieses Zitat verdeutlicht, dass Rassismus für nicht betroffene Personen oft eine Frage der Wahl ist, während betroffene Menschen gezwungen sind, sich mit den Auswirkungen von Diskriminierung auseinanderzusetzen. Daraus ergibt sich die politische, gesellschaftliche und persönliche Verantwortung, Rassismus ernst zu nehmen und ihm konsequent entgegenzutreten, insbesondere von Seiten derjenigen, die privilegiert sind und nicht direkt von Rassismus betroffen sind. Hinsichtlich dieser Perspektive kann schließlich ebenfalls die Kritik von Samira Eissa einbezogen werden. Gemäß ihr sollte ebenfalls die Bezeichnung „Mikro“ aus einer kritischen Perspektive betrachtet werden, da diese wörtlich übersetzt mit etwas Kleinem assoziiert werden kann (Eissa, 2023). Doch ein rassistischer Übergriff, ob verbal oder nonverbal, offen oder subtil, sollte nicht als „weniger schlimm“ oder „klein “ eingestuft werden. Dies könnte nach ihr auf ein hierarchisches System hindeuten, welches Diskriminierung in „Schweregrade“ einteilt, obwohl jede Form von Rassismus, Klassismus, Sexismus etc. schwerwiegende Auswirkungen auf den Alltag und das Selbst der betroffenen Personen nimmt (Eissa, 2023). Dennoch bietet diese Begrifflichkeit eine hilfreiche Grundlage, um subtile Formen von Rassismus sichtbar zu machen und um diesen gegenüber ein Bewusstsein zu schaffen.
5. Auswirkungen auf die Schüler*innen
Anhand hypothetischer und erfahrungsbasierter Beispiele subtiler Diskriminierungserfahrungen von Schüler*innen soll im Folgenden beleuchtet werden, wie Mikroaggressionen das Wohlbefinden und den Schulalltag betroffener Personen beeinflussen.
Mikroaggressionen können sowohl von Schüler*innen untereinander, als auch von Lehrkräften gegenüber Schüler*innen ausgehen und sind Teil der Alltagskommunikation. Sie haben schwerwiegende Auswirkungen auf die psychische und körperliche Gesundheit, auf das Wohlbefinden und die Identität bzw. Selbstwahrnehmung der diskriminierten Menschen. Darüber hinaus beeinflussen sie die Bildungsteilhabe, Motivation und Leistung der Schüler*innen, was sich wiederum auf deren zukünftige Chancen und Laufbahnen auswirkt.
Eine bedeutsame Wirkung im Schulkontext haben dabei die Leistungserwartungen der lehrenden Personen gegenüber den Schüler*innen, auch bekannt als Erwartungseffekt (Yegane et al., 2020). Je nachdem, ob positive oder negative Erwartungen seitens des sozialen Umfelds sowie der Lehrkräfte bestehen, können Schüler*innen in ihren eigenen Kompetenzen entweder gefördert oder gehemmt werden und Selbstvertrauen gewinnen oder verlieren (Yegane et al., 2020). Insbesondere bei stigmatisierten Gruppen zeigt sich, dass Lehrkräfte ihre Fähigkeiten entgegen ihrer eigentlichen schulischen Kompetenzen als geringer einschätzen, was häufig auf stereotype Vorstellungen zurückzuführen ist (Yegane et al., 2020).
Beispielsweise könnte die Mikroaggression herangezogen werden, dass Lehrer*innen die Noten der Kinder mit Migrationshintergrund aufgrund der Vor- oder Nachnamen in deutschsprachigen Unterrichtsfächern insgesamt schlechter erwarten, da sie die Vorannahme haben, dass die Muttersprache nicht deutsch ist und sie deswegen schlechtere sprachliche Kenntnisse haben müssen, obwohl die Fähigkeiten genau dieselben sind. Unter anderem wäre ein weiteres Beispiel zu Geschlechterrollen, welches ich selbst erlebt habe, dass Schülerinnen im Mathe Unterricht auffällig seltener drangenommen und häufiger bei Fragen ignoriert werden als Schüler, da die Lehrkraft Männern vermutlich eine höhere mathematische Kompetenz zuschreibt. Durch solche unterschiedlichen Leistungserwartungen, die auf stigmatisierenden Eigenschaften und Vorurteilen basieren, wird die Motivation, Konzentrationsfähigkeit und Leistung der Schüler*innen negativ beeinflusst (Terodde, 2023). Eine gleichberechtigte Bildungsteilhabe bleibt dadurch unerreichbar. Zudem wird das Selbstbild der betroffenen Gruppen oder Personen langfristig geschädigt, indem sie ihre eigenen Fähigkeiten infrage stellen und ihre Möglichkeiten zur Entfaltung ihres Potenzials begrenzt werden (Yegane et al., 2020). Dadurch sinkt nicht nur der Lernerfolg, sondern betroffene Menschen achten auch zukünftig bei ihrer Berufswahl darauf, dass sie in Berufsfelder gehen, bei denen sie mit weniger Vorurteilen konfrontiert sein werden (ADS, 2018). Spannend zu erwähnen ist meiner Meinung nach auch, dass nicht nur die unmittelbar betroffenen Personen der Mikroaggressionen die damit verbundenen diskriminierenden Verhaltensweisen und negativen Auswirkungen erleben (Braun, 2024). Laut der Politikwissenschaftlerin Anja Braun werden auch stellvertretende Personen, welche die Situation beobachten und sich mit dem/der diskriminierten Person identifizieren können, durch die Angriffe beeinflusst (2024). Grund dafür ist, dass die beobachtete Situation auch Rückschlüsse auf die eigene gesellschaftliche Position und mögliche Marginalisierung zulässt, wodurch sie oft als direkte persönliche Bedrohung oder Betroffenheit wahrgenommen wird (Braun, 2024). Außerdem können Mikroaggressionen den sogenannten Stereotype Threat aktivieren, welcher die Angst von Schüler*innen bezeichnet, bestehende negative Stereotype über die eigene soziale Gruppe zu bestätigen (Yegane et al., 2020). Beispiel für eine Mikroaggression könnte hier sein, dass eine Lehrkraft einem Schüler mit niedrigem sozioökonomischem Hintergrund einen Ratschlag wie: „Mach dir keine Sorgen, du wirst es auch ohne Studium sicher weit bringen“, gibt. Diese Aussage impliziert, dass Schüler*innen aus sozial benachteiligten Verhältnissen seltener akademischen Erfolg erreichen. Der/Die Schüler*in fühlt sich entmutigt, eingeschüchtert und hat Angst das ihr Verhalten und ihre Leistungen diese Vorannahme bestätigen werden (ADS, 2018; Hamaz, 2023). Diese Sorgen beeinflussen dann tatsächlich die schulischen Leistungen und führen dazu, dass die Schule als ein bedrohendes Umfeld wahrgenommen wird (Yeganeet al., 2020; ADS, 2018). Bei vermehrten solcher Erfahrungen kann es durch soziale Isolation und Schulwechsel zu dem Verlust des sozialen Umfelds kommen (ADS 2018). Zudem führt der Druck durch Stereotype bei Leistungsbewertungen zu einer geringeren Identifikation mit schulrelevanten Bereichen, um den eigenen Selbstwert zu schützen (Yegane et al., 2020). Mikroaggressionen nehmen allerdings auch starke Auswirkungen auf die Gesundheit. Nehmen wir als Beispiel eine freie Sitzauswahl in der Klasse, bei der sich Schüler*innen häufig von einer Mitschülerin wegsetzen, die ein Kopftuch trägt. Diese Verhaltensweise vermittelt unterschwellig die Botschaft, dass sie aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes oder ihrer kulturellen Zugehörigkeit ausgeschlossen wird. Im Gegensatz zu offensichtlichen Angriffen, können diese subtilen Diskriminierungsformen als Verschulden der eigenen sozialen Rolle der Person interpretiert werden und soziale Isolation, aber auch emotionale Belastungen auslösen (Yegane et al., 2020). Beginnen Schüler*innen die negativen Stereotype zu verinnerlichen, wird ebenfalls ihre Selbstwahrnehmung negativ beeinflusst (Peşmen, 2018). Es wird durch Mikroaggressionen die Identität eines Menschen infrage gestellt und sie drängen diesen dazu sich gegenüber Vorannahmen erklären und rechtfertigen zu müssen, um diese richtigzustellen (Peşmen, 2018). Dies kann nicht nur sehr kraftraubend sein, sondern gibt den betroffenen Personen auch ein Gefühl von Minderwertigkeit und führt zu einem geringen Selbstwert. Durch die mehrfache Herabsetzung und Diskriminierung entsteht ein Gefühl der Entfremdung, welches eine Grenze zwischen einen konstruierten „Wir“ und „den Anderen“ etabliert, auch bezeichnet als „Othering“ (ADS, 2018). Wenn Diskriminierung häufig bzw. chronisch erlebt wird, dann können die körpereigenen Stresssysteme durch den immer wiederkehrenden Stress aus der Balance kommen (Hamaz, 2023). Dieses Ungleichgewicht kann zum Entstehen von psychischen Störungen und körperlichen Krankheiten beitragen (Hamaz, 2023). Es können Angstzustände, Erschöpfungssymptome und Depressionen auftreten (Yegane et al., 2020; Hamaz, 2023; Peşmen, 2018). Zudem wird das Immunsystem auf Dauer geschwächt und es kann durch den permanenten Stress zu Bluthochdruck, Herzerkrankungen und stressbedingte physische Krankheiten kommen (Chancengerechtigkeit und Vielfalt Ulm, o.D.). Spannend ist zudem, dass die Täter*innen der Mikroaggressionen ebenfalls Auswirkungen durch ihr Verhalten erleben und diese ihnen schaden können. Gemäß Sofia Hamaz leidet bei mikroaggressivem Verhalten einer Person die Fähigkeit Empathie und Mitgefühl zu entwickeln und gegenüber anderen zu zeigen (2023). Beispielsweise könnte ein Schüler zu einem Mitschüler im Rollstuhl sagen, dass es sehr inspirierend ist, dass er überhaupt zur Schule kommt. Auch hier ist die Mikroaggression subtil und die Aussage wirkt zunächst anerkennend. Dennoch reduziert der Täter den Menschen auf seine Einschränkung und stellt die Teilnahme am normalen Alltag als eine Besonderheit dar. Der Kommentar zeigt, dass der Täter kein echtes Verständnis für die Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen hat und an seiner Empathiefähigkeit arbeiten muss.
6. Fazit
Abschließend lässt sich festhalten, dass Mikroaggressionen trotz ihrer unbewussten, beiläufigen Natur tiefgreifende Auswirkungen auf die Identität und das Wohlbefinden haben.
Sie verstärken Prozesse des Othering, indem sie betroffene Personen subtil ausgrenzen und sie als „anders“ oder „nicht dazugehörig“ markieren. Dieses Othering führt dazu, dass soziale Barrieren entstehen, die nicht nur das Gefühl der Zugehörigkeit, sondern auch die Möglichkeit eines gleichwertigen Miteinanders beeinträchtigen. Zudem werden die psychische und physische Gesundheit der Schüler*innen langzeitig belastet. Auch im schulischen Umfeld sind die Folgen weitreichend. Sowohl die Motivation und Konzentrationsfähigkeit der Schüler*innen wird negativ beeinflusst, als auch die damit einhergehende Leistungsfähigkeit. Dadurch, dass die individuelle Bildungs- und Leistungschancen eingeschränkt sein können, werden auch das Entwicklungspotenzial und die Zukunftsaussichten der jungen Personen nachhaltig gehemmt. Es ist wichtig noch einmal hervorzuheben, dass nicht nur die direkt betroffenen Personen, sondern auch beobachtende Dritte negative Effekte erleben können. Zudem wirken sich die Mikroaggressionen ebenfalls negativ auf die Lebensqualität der Täter*innen aus. Besonders problematisch ist, dass Mikroaggressionen oft übersehen oder verharmlost werden, was die Isolation der diskriminierten Personen verstärkt und den Zugang zu Unterstützung erschwert. Gleichzeitig zeigen sie, wie stark gesellschaftliche Machtverhältnisse und Diskriminierungsstrukturen auch im schulischen Alltag präsent sind. Das Wissen über die Auswirkungen stellt eine wesentliche Grundlage dar, um gezielt Veränderungen im schulischen Umfeld zu bewirken und eine inklusive sowie respektvolle Schulkultur zu fördern. Durch gezielte Aufklärungsarbeit und Schulungen für Lehrkräfte und pädagogisches Personal kann ich hoffentlich zukünftig dazu beitragen, ein Bewusstsein für diese Problematik zu schaffen und die Auswirkungen von Mikroaggressionen in der täglichen Interaktion zu reduzieren. Darüber hinaus möchte ich durch individuelle Beratungen und Gruppenangebote das Selbstbewusstsein der Schüler*innen stärken und ihnen helfen, ihre Identität in einem respektvollen und wertschätzenden Umfeld zu entwickeln. Indem ich auf eine offene Kommunikation und den Abbau von Barrieren hinwirke, will ich das Zugehörigkeitsgefühl der Schüler*innen fördern und so die soziale Integration sowie das gemeinsame Miteinander verbessern. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dass Schulen sich ihrer Verantwortung bewusstwerden, ein diskriminierungsfreies Umfeld für alle Schüler*innen zu schaffen.
7. Quellen- und Literaturverzeichnis
Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hrsg.). (2018). Diskriminierung an Schulen
erkennen und vermeiden (3. Auflage). Praxisleitfaden zum Abbau von Diskriminierung in der Schule. Berlin: Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Banse, P. (2016). Gegen Diskriminierung an Schulen. Verfügbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/berlin-gegen-diskriminierung-an-schulen-100.html#:~:text=Rund%20ein%20Viertel%20aller%20Schülerinnen,auch%20viele%20Lehrer%20sind%20betroffen.
Braun, A. (2024). So beeinträchtigt Diskriminierung die psychische Gesundheit. Verfügbar unter: https://www.swr.de/wissen/diskriminierung-verschlechtert-psychische-gesundheit-100.html
Chancengerechtigkeit und Vielfalt Ulm (o.D.). Folgen von Diskriminierung. Verfügbar unter: https://chancengerechtigkeitundvielfalt.ulm.de/antidiskriminierung/informationen-rund-um-das-thema-diskriminierung/folgen-von-diskriminierung
Eissa, S. (2023). Mikro-Aggressionen. In B. Aygün, P. Bühler, R. Darabos, S. Eissa, I. Hagen-Jeske, I. H. Hans, M. A. Kanbur, F. M. Moukara, S. Ogiemwonyi (Hrsg.), RassisMuss MachtKritisch (S.105-120). Norderstedt: Books on Demand GmbH.
Fusion Comedy. (2017). How microaggressions are like mosquito bites – Same Difference [Video]. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=hDd3bzA7450
Hamaz, S. (2023). Mikroaggressionen in der Schule. Erkennen-bennen-abbauen. Berlin: BQN Berlin e.V..
Hasters, A. (2020). Mückenstiche mit System. Zum Umgang mit Alltagsrassismus. Verfügbar unter: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/antirassismus-2020/316756/mueckenstiche-mit-system/
In Diverse Company. (2023). The What, How and Why of Microaggressions [Video]. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=n5U1pN56njE
Küpper, B. (2022). Was ist Alltagsrassismus? Von Mikroaggressionen bis hin zu Gewalt. Politik & Kultur, 07-08, o.S..
Lots*.(2024). Was sind Mikroaggressionen? [Video]. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=n5U1pN56njE
Peşmen, A. (2018). Wie tausend kleine Mückenstiche. Verfügbar unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/rassismus-macht-den-koerper-krank-wie-tausende-kleine-100.html
Terodde, R. (2023). NO GO! Handliche Informationen zum Thema Diskiriminierung aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung [Broschüre]. Greifswald: Universität Greifswald.
Wolf, C. (2021). Mikroaggressionen. Wie tausend kleine Mückenstiche. Spektrum Kompakt, 35, o.S..
Yegane, A., Uslucan, H., Karakayali, J., Jacobs, M., Volkholz, S. & Brendebach, M. (2020). ADAS /LIFE e.V. (Hrsg.). Schutz vor Diskriminierung an Schulen. Ein Leitfaden für Schulen im Land Berlin. Berlin: LIFE e.V..
Quelle: Chiara Schuri, Diskriminierung an Schulen: Welche Auswirkungen haben Mikroaggressionen auf betroffene Schüler*innen und wie beeinflussen diese ihren Alltag? in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 26.05.2025, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=491