Wieso Klassismus als Diskriminierungsform anerkannt werden sollte.

Ein Essay.

Anonym (SoSe 2022)

Nicht jedes Jahr in den Urlaub fahren, die Bücher von der Schule gestellt bekommen, Anträge stellen um mit auf Klassenfahrt zu können. So sah meine Lebensrealität aus und im Studium geht es weiter: keine großen Auslandsaufenthalte, kein unbezahltes Praktikum annehmen können, nach Berlin pendeln, da Wohnen hier so teuer ist, die Berliner- Mieten stemmen zu müssen, nur ein weiteres Problem, ein weiterer Stressfaktor wäre.

Während meine KommilitonInnen für all diese Dinge Ressourcen zur Verfügung haben, diese Sorgen in ihrem Leben keine Rolle spielen, plane ich beim Stundenplan-Erstellen meinen Nebenjob fest mit ein, kann dabei nicht so frei wählen, wie ich will und für ein unbezahltes Praktikum ist auch keine Zeit. Es sind kleine Unterschiede, denen ich mir zuvor nie richtig bewusst war. Dass auch ich von Klassismus betroffen bin, habe ich erst richtig im Seminar verstanden. Auch wenn ich diese Unterschiede gemerkt habe, waren sie kein großes Thema oder ich wollte sie nicht an mich heranlassen. Schließlich komme ich so ja auch klar. Ich tue nur einfach immer mehr, kämpfe immer mehr, um das, was ich will und erreichen mag, weil ich das alles allein stemmen muss.

Ich habe mich nie richtig ausgeschlossen gefühlt, aber auch nie richtig dazugehörig. Das ist genauso unangenehm. Vielleicht weil es subtiler ist, weil dich niemand wegstößt und direkt ablehnt. Vielleicht weil du immer denkst, das hat etwas mit dir zu tun, du bist nicht genug, du bist nicht richtig. Dabei kannst du gar nichts dafür. Aber Klassismus, also diese kleinen feinen Unterschiede, machen es so einfach dich selbst in Frage zu stellen, dich mit Personen zu vergleichen, die eine ganz andere Lebensrealität haben, an die du nicht so einfach herankommst, mit der du nicht aufgewachsen bist. Am Ende hat mich Klassismus gelehrt, stark zu sein, stark sein zu müssen. Mich zu positionieren, durchzukämpfen, meine Stärke ist harte, ehrliche Arbeit und damit kann ich meine Ziele erreichen.

Das Ganze erst so spät zu verstehen, ist schwierig. Es hat mich ein wenig aus der Bahn geworfen, mich ganz anders auf mein Leben zurückblicken lassen. Im Seminar habe ich schließlich nicht nur gelernt, dass Klassismus existiert und mich betrifft, sondern auch, dass das Thema lange ignoriert wurde. Zwar erklärt das, wieso ich zuvor nie wirklich etwas davon gehört habe, wirklich fair finde ich das aber nicht. Klassismus ist nicht einfach nur ein Thema für Uniseminare, sondern ein Diskriminierungsgrund, ein real existierendes Problem, das Ungleichheiten erzeugt. Ein Problem, über das AkademikerInnen schreiben und forschen, während ArbeiterInnen sich klein und wertlos fühlen. Ein Problem unserer modernen Gesellschaft, dem mehr Aufmerksamkeit zuteilen werden sollte.

Auch Andreas Kemper macht sich für diese Auffassung stark. Er führt an, dass – laut dem dritten Antidiskriminierungsbericht – die soziale Herkunft neben dem Geschlecht die wirkungsmächtigste Querschnittskategorie ist.[1] Als weiße cis Frau kann ich dem nur zustimmen. In der Caleidoscopia-Übung zu Beginn des Seminars haben die Kategorien Geschlecht und soziale Herkunft bei mir die ersten beiden Plätze eingenommen, da ich ansonsten viele Privilegien genieße.

Welche Diskriminierungserfahrungen ich als Frau mache, welche Benachteiligungen ich dadurch erfahre, möchte ich im Folgenden nicht weiter thematisieren, da es sich zum einen mit vielen überschneidet, was bereits bekannt ist und ich in diesem Essay einen Fokus auf Klassismus als gesellschaftliche Unterdrückungsform werfen möchte. Auch wenn Kategorien sich immer wieder überschneiden und Mehrfachdiskriminierungen erzeugen, eine gewisse Intersektionalität nicht zu vernachlässigen ist, entscheide ich mich hier ganz bewusst über Klasse, Klassenherkunft- und -unterschiede zu schreiben. Denn dieser wirkungsmächtigen Kategorie wird noch zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht. Ein Grund dafür könnte sein, dass es Ende der 1990er Jahre ohne weitere Diskussionen im Zuge der Amsterdamer Verträge als Diskriminierungsmerkmal entfernt wurde und seitdem nicht wieder aufgenommen wurde.[2] Weitere Gründe wie Diskriminierung aufgrund des Alters, der sexuellen Orientierung und körperlicher Behinderung sollte im Zuge der Amsterdamer Verträge ebenfalls entfernt werden, wurden jedoch wieder aufgenommen.[3]

Wieso die soziale Herkunft nicht? Wieso soll diese keine Rolle spielen, wenn dadurch eine Abwertung und eine Abgrenzung stattfindet? Wie Francis Seek betont, ist Klassismus nichts anderes als die Aufrechterhaltung und Legitimierung von sozialer Ungleichheit in unserer Gesellschaft.[4]

Der Begriff, um dieses Diskriminierungsmerkmal zu beschreiben, ist bereits vorhanden und das nicht erst seit Kurzem. Er existiert seit über hundert Jahren. Erstmals tauchte er 1974 bei der US-amerikanischen Gruppe „The Furies“ auf. Auch in Deutschland organisierten sich in den 1970er- und 1980er-Jahren Arbeiter_Innentöchter an Hochschulen. In den späten 80er-Jahren bildeten sich Prolesben-Gruppen, die Strategien gegen soziale Ungleichheit und ein Umverteilungsfond für Lesben in prekären Situationen einrichteten.[5] Klassismus ist demnach kein neuer Begriff, er wurde in der Breite nur nicht zur Kenntnis genommen.

Anknüpfend an diese ersten Gruppen für eine antiklassistische Praxis führt Andreas Kemper eine Bestandaufnahme für Deutschland an. Neben den feministischen Selbstorganisationen gibt es die sogenannten Social Justice Trainings, die als Empowerment für Menschen aus den benachteiligten Gruppen dienen sollen sowie für privilegierte Menschen, um eine Sensibilisierung zu schaffen. Hier wird Klassismus als ein Modul gelernt, neben weiteren Diskriminierungsformen wie Sexismus, Heterosexismus und Antisemitismus. Als weiteren Bereich nennt Kemper die antiklassistische Bildungspolitik. Dazu zählt er die WCPCA-Verteiler, die aus der US-amerikanischen Gruppe „Working Class/Poverty Class Academics“ entstand. Dabei handelt es sich um E-Mail-Verteiler, von AkademikerInnen mit einer Herkunft aus der ArbeiterInnenklasse. Nachdem der jährlich stattfindende Kongress zur Bildungsbenachteiligung/Klassismus 2011 vom Fikus-Referat an der Uni Münster ausgerichtet wurde, etablierten sich auch in Deutschland WCPCA-Verteiler. Seither existieren über 60 deutschsprachige.[6]

Hier endet die Bestandsaufnahme von Kemper, da er folglich nur noch von Perspektiven und Maßnahmen reden kann, die getroffen werden sollten. Fehlende Maßnahmen, offene Baustellen, die zeigen, wie wenig Beachtung Klassismus entgegengebracht wird. Es erscheint wie eine traurige Selbstironie, wenn ein Institut für Klassismusforschung nicht genügend finanzielle Ressourcen besitzt. Und es wird deutlich, was für ein blinder Fleck Klassismus in Institutionen und im Schulbereich ist, wenn Maßnahmen gegen Diskriminierung existieren und sogar Projekte wie „Schule gegen Rassismus“ entstehen, diese aber nicht auf Klassismus übertragen oder angepasst werden.

Eine antiklassistische Praxis in Deutschland existiert bereits und verweist darauf, dass Klassismus ein Problem ist, eine Diskriminierungsform, der wir – genauso wie anderen Formen der Unterdrückung und Benachteiligung von Menschen – nachgehen und bekämpfen müssen.

Welche Aktualität Klassismus besitzt, betont Seek, als sie auf die Coronapandemie verweist. Während die Wirtschaft eingebrochen ist, haben Milliardäre weltweit ihr Vermögen um 60% gesteigert und auch die zehn reichsten Deutschen haben im Coronajahr 2020 eine Steigerung ihres Vermögens um 35% gegenüber dem Vorjahr verbucht. Die Armutsquote liegt bei 15,9% und ist damit so hoch wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr.[7] Dabei sind die Langzeit-Auswirkungen von zwei Jahren Pandemie noch nicht Mal im vollen Maße spürbar.

Doch die Zahlen verdeutlichen bereits jetzt, dass auch vor dem Coronavirus nicht alle Menschen gleich sind. Über diese Unterschiede, über diese Zahlen, die Klassismus auf dem Silbertablett servieren, ist jedoch wenig bekannt, wird wenig berichtet. Denn Klassismus ist – gegenüber anderen Diskriminierungsformen wie Sexismus oder Rassismus – weitgehend unbekannt. Auch wenn Andreas Kemper und Heike Weinbach bereits über zehn Jahren eine Einführung in das Thema Klassismus veröffentlichten, passierte erst etwas, nachdem literarische und autobiografische Bücher erschienen sind. Von Einzelschicksalen zu erfahren, funktionierte nicht nur in den Massenmedien, sondern auch hier besser, brachte dem Thema mehr Aufmerksamkeit und ein besseres Verständnis entgegen. So konnten sich alle – privilegierte Menschen sowie benachteiligte – mehr darunter vorstellen, dem noch eher unbekannten Begriff etwas zuordnen beziehungsweise endlich einen Begriff haben, der alles beschreibt und ihn mit Wissen füllen oder eigenen Erfahrungen.

Es funktionierte auch bei mir. Der Einstieg ins Seminar mit autobiographischen Texten war augenöffnend, hat den ganzen diffusen Erfahrungen, die ich gemacht habe und nicht so recht einordnen konnte, die ich damals nicht so recht verstand, einen Spiegel vorgehalten. Es ist so wie Arslan meint: „Ich glaube als Arbeiter*innen-Kind, dass man aus der Person der Betroffenen schon sehr viel reflektiert. Du hast einfach den Blick von unten.“ [8]

Mir fiel es leicht mich in den Beschreibungen von den unterschiedlichen Autor*innen wiederzufinden. Zum Beispiel berichtet Stengele über ihre Klassenherkunft, erzählt wie sie bei ihrer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen ist, im Studium keine unbezahlten Praktika annehmen konnte und auf eine Notlösung zurückgreifen musste, beschreibt damit auch die Unterschiede zwischen ihr und den anderen Studierenden. Zudem beschreibt sie einen Entfremdungsprozess von ihrem bisherigen Umfeld und wie sich ihre Ansichten und ihre Sprache verändert haben.[9] Jedes Mal, wenn ich meine Familienmitglieder über meine Hausarbeiten lesen lasse, spüre ich diese Unterschiede, wie fremd ihnen diese akademische Sprache ist und was ich da eigentlich tue. Wenn ich mit anderen Studierenden rede, in der Mensa zusammensitze, spüre ich ebenfalls Unterschiede. Ich kann nicht so einfach länger studieren, mir noch Zeit lassen, da ich auf Bafög angewiesen und damit an die Regelstudienzeit gebunden bin. Zwar teilen wir auch viele Erfahrungen, können uns austauchen, werde ich in einigen Punkten besser verstanden, kann mich und meine akademische Sprache entfalten, aber uns trennen dennoch verschiedene Welten. So wie Stengele hat meine Klassenherkunft mein Leben geprägt und tut es immer noch. Ich bin mitten in diesem Entfremdungsprozess, stehe zwischen den Stühlen, gehöre in beide Welten, meiner Heimat und der der akademischen Lehre, nicht (mehr) recht hin. Durch die Texte, das Seminar und die gesamte Auseinandersetzung mit dem Thema Klassismus habe ich gelernt, dass das Ganze, dieser Prozess, nicht einfach nur etwas mit dem Erwachsenwerden zu tun hat, der Tatsache, dass ich nächsten Sommer meine Bachelorarbeit schreibe und dann wieder ins Ungewisse trete. Nein, es ist meine Klassenherkunft, die mir diese Erfahrungen einbringt, mich diese Unterschiede spüren lässt, mich unpassend für die Stühle macht.

Am meisten konnte ich mich mit den Schilderungen von Barbara Blaha identifizieren. So wie bei ihr ist irgendwie immer aufgefallen, dass wir mit fünf Kindern viele sind, dass diese Familiengröße nicht ganz üblich ist. Bei dem Besuch von SchulfreundInnen sind mir auch Kleinigkeiten aufgefallen, die ich als Kind einfach erstmal nur registriert habe. Ich habe die besseren Einrichtungen gesehen, die teuren technischen Geräte und das meine FreundInnnen sich ihre Zimmer nicht mit den Geschwistern teilen mussten. Meine Mutter ist alleinziehend und neben den Klamotten meiner Geschwister, die ich getragen habe, haben wir auch welche geschenkt bekommen. Das kannten die anderen nicht, das gab es bei denen nicht. Auch meiner Mutter war mein schulischer Erfolg nicht so wichtig, sie hat mir da nie Druck gemacht. Ihr war es immer nur wichtig, dass es mir gut geht, dass ich glücklich werde.[10] Mich mit Baha zu identifizieren, war so einfach, da auch für mich das „Lesen ein sehr großer Punkt ist“[11]. Ich habe immer gern und viel gelesen und gehe begeistert in meine Literaturseminare, fühle mich in der Germanistik gut aufgehoben. Ich bin die einzige meiner Geschwister, die studiert. Zwei von ihnen haben ebenfalls begonnen, aber wieder abgebrochen. Somit bin ich die Einzige, die einen Universitätsabschluss in Sichtweite hat. (Ein ganz komisches Gefühl, dass auf einmal so aufzuschreiben, weil ich mich dadurch nicht anders oder besser als sie fühle.)

Neben den Erfahrungen, die auch Blaha schildert, wie sich ständig darum zu kümmern, welche soziale Unterstützungsmöglichkeiten man beantragen kann, sind es auch die Empfindungen, die übereinstimmen und die sie so treffend beschreibt. Denn es ist ein permanenter Stress, ein Gefühl nicht ganz hierherzugehören, „ein Gefühl grundsätzlicher Überforderung“ [12]. Tatsächlich will ich mich aber gar nicht groß beklagen, habe nicht das Gefühl, dass es mir so schlecht ging. Denn wir hatten alles, was wir brauchten, für unsere Grundversorgung war gesorgt. Auch ich habe oft gehört, dass wir uns etwas nicht leisten können, dass etwas zu teuer ist, früh gelernt was Sparen ist und gelernt mich in Wünschen, die Konsumgüter betreffen, zurückzunehmen. Aber: „Es war mehr das Gefühl, dass wir zwar keine Kohle haben, aber es ist trotzdem okay“ [13]. Wir hatten immer zu Essen, ein Dach über den Kopf, unsere Schulbildung. Das hat alles geklappt, das hat uns allen auch zugestanden.

Ich will mich nicht groß beklagen, da meine Klassenherkunft mich schließlich vieles gelehrt hat, mir vor allem beibrachte, wie ich ganz allein stark sein muss, wie stark ich sein kann. Ich wusste es ja, habe es immer gespürt, dass ich andere Voraussetzungen hatte und habe und ich daher immer mehr strampeln muss, mich selbst organisieren und somit extrem selbständig werden musste. Doch das ist auch, wie Blaha betont, eine starke Antriebskraft, zu wissen, ich habe das ganz allein gemacht, ich habe das alles allein geschafft.

Ja, ich spüre das und ich schätze das sehr, doch ich merke auch, dass meine KommilitonInnen geübter darin sind, das Wort in sozialen Situationen zu ergreifen, dass sie mehr freie Zeit zur Verfügung haben, Zeit und Geld haben in den Ferien lange Urlaub im Ausland zu machen. Und inzwischen, da bin ich mir ziemlich sicher, merke nicht nur ich das, sondern auch die anderen. Auch meinen privilegierten Mitstudierenden fällt auf, dass es Unterschiede gibt. Ich erinnere mich gut an die Situation, als ich mit einem Freund zusammen in der Mensa saß, der mit mir Germanistik an der FU studiert und er meinte, er wüsste gar nicht wie er das alles manchmal machen soll, wenn er noch arbeiten gehen müsste, so wie ich. Während er seine Hausarbeiten immer wieder aufschiebt, als Altlasten mitschleppt, plant sich mehr Zeit fürs Studium zu lassen, so sieben vielleicht auch acht Semester, bin ich dazu angehalten, dass alles schnell zu erledigen, da ich Arbeit noch einplanen und mir meinen Stundenplan in jedem Semester vollhauen muss, da ich in sechs Semestern abschließen sollte, um finanzielle Unterstützung zu erhalten. Er zieht den Hut vor mir. Einen Hut, den ich mir niemals aufsetzten kann, da er mir nie passen wird.

In diesem Gespräch, durch all meine Erfahrungen im Leben und im Seminar habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, darüber zu reden. Ich will das tun, das ganze Thema nicht unsichtbar werden lassen. Ich will weiterhin lernen mit anderen ins Gespräch zu kommen, mich auszutauschen und meine Erfahrungen zu berichten.

Die soziale Herkunft und Lage prägen unser Leben, unsere Ansichten, unsere Sprache, Möglichkeiten und Voraussetzungen, die Art, wie wir mit Geld umgehen, wie wir von unserem zukünftigen Leben träumen. Klassismus bildet eine Diskriminierungsform, einen Grund sich ausgeschlossen zu fühlen, Benachteiligungen zu erfahren oder von seinen Privilegien zu profitieren. Demnach bin ich dafür, diesen Ismus als eine Art der Diskriminierung anzuerkennen und sich darüber zu bilden sowie Maßnahmen gegen Klassismus zu entwickeln und zu fördern.


[1] vgl. Andreas Kemper. 2018. Die vergessene Benachteiligung. Warum Klassismus ein eigenständiges Diskriminierungsmerkmal sein sollte, S.2.

[2] vgl. ebd. S.1.

[3] vgl. Friedrich Ebert Stiftung. Landesbüro Thüringen (Hrsg.). Andreas Kemper 2016. „Antiklassistische Praxis in Deutschland“. In: Klassismus. Eine Bestandsaufnahme, S.20.

[4] vgl. Francis Seek 2022. Klassismus. Die ignorierte Diskriminierungsform. In: Dies. Zugang verwehrt, S.13.

[5] vgl. ebd. S.17-18.

[6]  vgl. Andreas Kemper 2016. „Antiklassistische Praxis in Deutschland“. In: Klassismus. Eine Bestandsaufnahme, S. 16.

[7] vgl. Francis Seek 2022. Klassismus: Die ignorierte Diskriminierungsform. In: Dies. Zugang verwehrt, S.15.

[8] Zeyneb Arslan 2021. Ich will dahin, aber ich komme nicht rein.  In: Bettina Aumair/Brigitte Theißl (Hrsg.). Klassenreise. Wie die soziale Herkunft unser Leben prägt, S. 142.

[9] vgl. Julischka Stengele 2021. Ich habe einen hohen Preis bezahlt. In: Bettina Aumair/Brigitte Theißl (Hrsg.). Klassenreise. Wie die soziale Herkunft unser Leben prägt, S.167-170.

[10] vgl. auch Blaha, Barbara 2021. Arbeiter*innen sind nicht die besseren Menschen. In: Bettina Aumair/Brigitte Theißl (Hrsg.). Klassenreise. Wie die soziale Herkunft unser Leben prägt, S.53- 59.

[11] ebd. S. 60.

[12] ebd. S.63.

[13] ebd. S.64.


Quelle: Anonym, Wieso Klassismus als Diskriminierungsform anerkannt werden sollte. Ein Essay, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 22.11.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=316

Check your privilege – und dann?

Die Individualisierung des Klassismus-Begriffs und die neo-liberale Vereinnahmung von Diversity

Amelie Kloas (SoSe 2022)

Klassistische Diskriminierung oder kapitalistische Ausbeutung

Während der Begriff des Klassismus nicht nur im akademischen Gebrauch, sondern auch gesamtgesellschaftlich immer präsenter wird, scheint es, als würde der Begriff Klasse(nkampf) in linksradikalen Ecken versauern. Eine kulturalistische Analyse von Klasse und die Individualisierung klassistischer Diskriminierung charakterisieren einen bürgerlichen Diskurs, der die Unterdrückung und Ausbeutung der Arbeiter*innen nicht nur auf die Mikroebene herunterbricht und somit Handlungsmöglichkeiten unterbindet, sondern diese Mechanismen manifestiert. Auch wenn die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien elementar für die weiterführende Analyse mit gesamtgesellschaftlichen Strukturen ist, tut sich eine Falle auf, wenn das Problem white privilege und nicht white supremacy, klassistische Diskriminierung und nicht kapitalistische Ausbeutung, Sexismus und nicht Patriarchat, Homophobie und nicht Heteronormativität heißt. Intersektionale Perspektiven helfen uns, Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen besser zu verstehen, wenn wir analysieren, dass diese anhand verschiedener Kategorien verlaufen und miteinander verzahnt sind. Die Individualisierung dieser intersektionalen Mechanismen aber raubt politische Handlungsmöglichkeiten. Im Folgenden werden in Tradition marxistischer Theorie die Individualisierung des Klassismus-Begriffs und die neo-liberale Vereinnahmung von Diversity analysiert.

Dazu wird zunächst die Genese des Klassismus-Begriffs skizziert. In diesem Zuge soll ergänzend auch der Begriff Klasse besprochen werden und inwiefern sich diese Kategorie von anderen Identitätskonstruktionen unterscheidet. Daran anschließend soll die Individualisierung von Diskriminierungsformen, insbesondere des Klassismus diskutiert werden. Nach einer Skizzierung des Konzeptes der Intersektionalität und ihrer Relevanz für klassenpolitische Fragen wird umrissen, welche Bedeutung aus dem Umgang mit den eigenen Privilegien weiterhin aus dem Konzept der Diversity Trainings hervorgeht. Abschließend sollen Handlungswege und das emanzipatorische Potential ebendieser aufgezeigt werden. Dieses Essay will als schwesterliche Kritik einen Beitrag zu der Diskussion zum Verhältnis der eigenen politischen Praxis, des eigenen politischen Seins, der eigenen Situiertheit in unserer Gesellschaft und den strukturellen Problemen des Systems beitragen.

Genese des Klassismus-Begriffs

Der Klassismus-Begriff ist umstritten. Er bezeichnet je nach Definition die Diskriminierung einzelner Personen oder Personengruppen entweder aufgrund ihrer jeweiligen Klassenumstände oder ihrer sozialen Herkunft/Schicht/Position. Der Begriff reiht sich auch semantisch durch sein Suffix in andere Diskriminierungsformen ein, thematisiert innerhalb der meisten Definitionen eher die Auswirkungen, nicht eigentlichen Ursprünge von Klassismus (Dermitzaki, 2020).

Zurückführen lässt sich die Nutzung des Begriffs auf die Lesbengruppe Furies, welche sich in den USA in den 1970ern gegen das neoliberale Narrativ des sozialen Aufstiegs durch Anstrengung positioniert und aus einer gesellschaftlichen Positionierung als Arbeiter*innen_töchter die klassistische Diskriminierung skandalisiert. Durchsetzen konnte sich diese kapitalismuskritische Analyse aber nicht und einer der heute bekanntesten Klassismusforscher, Chuck Barone, verhandelt Klasse als sozial konstruierte Kategorie. Im deutschsprachigen Raum besteht die Schwäche des englischen Begriffs class, nämlich die mangelnde Unterscheidung zwischen Klasse und Schicht, zumindest semantisch nicht. Trotzdem setzt sich in Deutschland bis heute das Verständnis von Klassismus als „persönliche, intergruppale und kulturelle Unterdrückung“ aus den USA nicht nur in sozialwissenschaftlichen, sondern auch aktivistisch politischen Kontexten durch (Baron, 2014). Andreas Kemper definiert Klassismus als „Ausbeutung, Marginalisierung, Gewalt, Macht und Kulturimperialismus aufgrund der sozialen Herkunft oder Position“ (Kemper, 2016). Gegenstand von Diskussion sollte hier durchaus sein, warum in dieser Definition der Grund als soziale Herkunft oder Position, nicht die Klassenzugehörigkeit benannt wird. Anhand dessen stellt sich heraus, dass dieser Klassismusbegriff eben als alltagspolitischer Begriff Wirkung entfaltet- die ursächlichen Gründe, nämlich das kapitalistische Wirtschaftssystem, geraten hier mindestens in den Hintergrund und Klassismus wird zu einer Form von Diskriminierung, die durch „anti-klassistische Praxis“ wie das Besuchen von Workshops aufgehoben werden kann. Auffällig sind wohl auch Berührungsängste mit den Begriffen Klasse und Klassenkampf. Beispielhaft: Andreas Kemper stellt im Zuge der Konzeptualisierung einer Anti-Klassismus Matrix vier analytische Elemente von Klassismus auf. Eines davon der Klassenkampf. Kemper aber schreibt, dass dieser besser als „Klassenaufhebungspraxis“ bezeichnet werden könne (Kemper, 2016). Begriffe mit marxistischer Konnotation werden gemieden bzw. neue Begriffe für solche erfunden, die es seit Jahrhunderten gibt. Weiter noch, die ein und dasselbe meinen.

Differenzkategorien – warum Klasse anders ist

Einige Klassismus-Forscher*innen verhandeln die Kategorien class, race, gender, sexuality und body analytisch einheitlich. Somit entsteht teilweise die Annahme, auch Klasse wäre sozial konstruiert. Die analytische Kategorie Klasse aber beschreibt keine mehrheitsgesellschaftlich zugeschriebene Zugehörigkeit, sondern trifft Aussagen über die Widersprüche des kapitalistischen Systems und versucht die Ursachen struktureller Ungleichheit zu verorten (Baron, 2014). In anderen Worten: Differenzkategorien wie gender und race münden zwar in materieller Ungleichbehandlung, lassen sich aber nicht dadurch begründen. Sie sind sozial konstruiert, lassen sich historisch mit Kolonialismus, Patriarchat und Kapitalismus verknüpfen. Klasse hingegen ist eine Kategorie, die sich aus den systemimmanenten materiellen Ungleichheiten des Kapitalismus begründet. Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit und Ableismus stellen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse im Kapitalismus dar. Tupoka Ogette beschreibt, wie Rassismus schon im 15. Jahrhundert die „ideologische Untermauerung“ einer „weltweiten Plünderungsindustrie“ bildet. Auch wenn wir zu dieser Zeit noch nicht von Kapitalismus sprechen können, so wird deutlich, wie die Differenzkategorie race konstruiert wird, um Profitmaximierung durch Ausbeutung, hier durch die Maafa, zu generieren. Weiterhin, dass wir die Entstehung der Differenzkategorie race nicht von Kolonialismus und Imperialismus, später auch von Kapitalismus trennen können (Ogette, 2020).

Die Individualisierung von Klassismus

Die eben angeführte Argumentation verwirft nicht den Anspruch, klassistische Diskriminierung anzuerkennen und dagegen zu kämpfen. Die Reflektion der eigenen Sprache, die Auseinandersetzung mit Exklusionsmechanismen und Zugangsmöglichkeiten im eigenen Umfeld muss zwangsläufig erfolgen, darf aber nicht verkennen, dass nicht klassistische Diskriminierung ursächlich für Unterdrückung und Ausschluss ist, sondern die Ausbeutung im kapitalistischen System. Diese raubt Arbeiter*innen jegliche Ressourcen die nötig wären, um am gesellschaftspolitischen Leben teilzuhaben. Personen in Lohnarbeit erwirtschaften mit ihrer Arbeitskraft einen Mehrwert, welcher durch die Kapitalist*innenklasse angeeignet wird. Die Differenz von geschaffenem Mehrwert und vergüteter Arbeitskraft stellt den erwirtschafteten Profit (Lhotzky, 2016, 2021). Diese Logik bildet die ökonomische Grundlage des Kapitalismus und verzahnt sich mit patriarchaler und rassistischer Unterdrückung. Das Kapital – ökonomisches, kulturelles sowie soziales – sammelt sich monopolartig in den Händen weniger Menschen. Seeck und Theißl formulieren treffend: „Klassismus lediglich als Diskriminierungsform zu verstehen, ohne die (Um-)Vertei-lungsfrage zu stellen, greift zu kurz und steht einer emanzipatorischen antiklassistischen Politik entgegen“ (Seeck & Theißl, 2021).

Die Individualisierung von Klassismus, wie auch bei allen anderen sozialen Kategorien, entlässt das System aus der Verantwortung und verschleiert und/oder manifestiert damit die bestehenden Verhältnisse. Erfolgt eine Reduktion von Klassismus auf Einstellungen und Verhalten einzelner Personen(gruppen), so gerät außer Acht, dass Klassismus keine Nebenwirkung des kapitalistischen Systems, sondern eine Notwendigkeit ist. Anti-Klassistische Arbeit ist durchaus notwendig, bleibt aber nur ein leeres Versprechen, wenn nicht auch die ökonomischen Verhältnisse in Analyse und Handlungsstrategien mit einbezogen werden. Weiterhin sind Differenzkategorien wie Klasse, Sexualität, Geschlecht und race keine Identitätsmarker, die ahistorisch und isoliert auftreten, sondern soziale Beziehungen, die sich erst in Einbettung bestehender Machtverhältnisse ausformulieren lassen.

Individuelle Erfolgsgeschichten werden exemplarisch gerne dafür genutzt, das neoliberale Narrativ von sozialem Aufstieg zu untermauern. Dass Klassen- oder Schichtmigration nur den wenigsten möglich ist und dem Großteil der Arbeiter*innenklasse verwehrt bleibt, wird dabei ausgelassen. Laut Daten der Hans-Böckler Stiftung ist ein sozialer Aufstieg in den Jahren 2009-2013 36% aller armen Menschen in die „untere Mitte“ gelungen. Das sind 11% weniger als noch 1991-1995. Der Aufstieg in die „obere Mitte“ gelang 2009-2013 nur 7% aller armen Menschen. Als arm gilt in diesen Berechnungen, wer weniger als 60% des mittleren Einkommens in Deutschland erhält (Spannagel, 2016). Weiterführend ist nicht nur das Erfolgsversprechen unrealistisch, auch wird nicht danach gefragt, warum sozialer Aufstieg überhaupt notwendig oder wünschenswert ist. Neben dem kapitalistischen Leistungsgedanken ist es wohl das Bewusstsein darüber, dass die Lebensqualität armer Menschen mit erheblichen Mängeln verknüpft ist. Das Versprechen des sozialen Aufstiegs versucht diese Widersprüche abzudämpfen. Weiterhin relevant ist hier, dass die Gründe für das Nicht-Gelingen von Klassenmigration wieder individuell bei Einzel-Personen selbst angesiedelt werden.

Hanappi-Egger und Kutscher kritisieren, dass die „oftmals rein sozialkategorische, auf der sozialen Identitätsebene angesiedelte Konzeptionierung von Gruppen und Subgruppen [.] persönliche Individualität, nicht aber Gemeinschaftlichkeit und Solidarität in den Blick [nimmt]“. Weiterhin Gegenstand von Kritik ist hier die „Reproduktion [..] essentialistischer Identitätskonzepte[.]“ (Hanappi-Egger & Kutscher, 2015, S. 22). Eine festzustellende Individualisierungstendenz des neo-liberalen Zeitalters verschiebt Fragen der sozialen Gerechtigkeit in den privaten Raum und verortet die Verantwortung eben dafür bei Einzelpersonen oder Gruppen, nicht aber im Kollektiv. Damit einher geht ein Verlust emanzipatorischen Potentials- ist es doch die eigene individuelle Verantwortung, wenn sich das Versprechen des sozialen Aufstiegs nicht erfüllt. Weiterhin relevant ist eine „Generalisierungstendenz“, wonach sich immer mehr Menschen der Mittelschicht zugehörig fühlen und eine Art klassenlose Gesellschaft postuliert wird, sowie die Zugehörigkeit der sozialen Schicht/Klasse als fluide verstanden wird. Damit einher geht auch hier die Verantwortungszuschreibung für die eigene sozioökonomische Position zu einzelnen Individuen. Eine Identifikation mit der Arbeiter*innenklasse findet nicht statt, was das Erkennen struktureller Ungleichheit unterbindet (Hanappi-Egger & Kutscher, 2015).

Insgesamt also resultiert aus der Generalisierungstendenz unserer neo-liberalen Gesellschaft zunächst eine erschwerte Identifikation als Teil der Arbeiter*innenklasse, also als Gegenstand eines Kollektivs. Weiterhin, selbst wenn eine solche Identifikation erfolgt, wird durch die Individualisierungstendenz die Kausalität für die eigene Armut nicht etwa im strukturellen Kontext verortet, sondern der individuellen Verantwortung zugeschrieben.

Intersektionalität

Der Begriff der Intersektionalität erlaubt es, Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen zu analysieren, die anhand verschiedener Differenzkategorien verlaufen. Auch wenn sich zumindest Ambitionen feststellen lassen, Klassismus in Diversitäts-Diskurse zu integrieren, greifen diese die strukturelle Benachteiligung von Arbeiter*innen zumeist noch eher selten auf. Dabei ist die Klassenzugehörigkeit elementar für die Entstehung der Theoretisierung von Intersektionalität. Der Begriff wurde erstmalig von 1989 von der Juristin Kimberlé Crenshaw eingeführt und geht zurück auf eine arbeitsrechtliche Klage, die nach einer Entlassungswelle von Arbeiter*innen – dezidiert Schwarzer Frauen* – bei General Motors veranlasst wurde. Das Unternehmen konnte weder für Rassismus noch Sexismus belangt werden, denn weder weiße Frauen*, noch Schwarze Männer* wurden entlassen. Hier findet die Intersektionalität Anwendung: die Diskriminierung lässt sich bei diesem Beispiel nicht nur auf gender oder race beziehen, sondern auf die Intersektion dieser Kategorien. Auch heute noch können wir Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen nur treffsicher analysieren, wenn wir die Intersektionen von Differenzkategorien in den Blick nehmen.

Beispielhaft zeichnet sich hier die Korrelation der Intersektion Armut/Lebensverhältnisse und Rassismus durch eine Wechselwirkung aus. In Deutschland wird der Niedriglohn- bzw. der prekäre Sektor von Migrant*innen dominiert – insbesondere Frauen*. Diese Intersektion lässt sich in Deutschland historisieren, spätestens ab der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird diese mehr als deutlich: Im Zuge der Gastarbeiter*innenbewegung aus europäischen Südstaaten und der Türkei, ab den 70’ern Migrationsbewegungen in die DDR aus zum Beispiel Vietnam, 1988 dann Zuwanderungen aus Russland und später Fluchtbewegungen aus zum Beispiel Syrien oder Afghanistan. Gerade im Kontext organisierter Arbeitsmigration migrieren Personen aus eher ärmeren Ländern nach Deutschland, um dann Beschäftigungsverhältnisse einzugehen, die gesellschaftlich wenig bis nicht anerkannt sind. Das sogenannte deutsche Wirtschaftswunder steht auf den Schultern der Ausbeutung von Arbeitskraft besonders migrantischer Arbeiter*innen. Die Unterscheidung von weiß/nicht-weiß des deutschen Rassismusbegriffs reicht oft nicht aus, wie am Beispiel rumänischer Arbeiter*innen auf deutschen Spargelhöfen deutlich wird. Die Intersektion von Rassismus und Klassismus wird, wie bei vielen anderen Intersektionen, oft nicht erkannt. Im Weg steht das neoliberale Narrativ: jede*r ist seines Glückes Schmied. Der Zugang zu den benötigten Ressourcen aber ist stark abhängig von den finanziellen Mitteln des Elternhauses und Zugangsmöglichkeiten von struktureller Diskriminierung geprägt. Das beginnt bereits im Kindergarten und der Schule, äußert sich bei der Wohnungssuche oder am Arbeitsplatz (Dermitzaki, 2020). Was die Konzeptualisierung von Intersektionalität auch mit sich bringt, ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien. Besonders, die Bewusstmachung der eigenen Identitätsmarker und der gesamtgesellschaftliche Situiertheit.

Privilegiencheck und Diversity Trainings

Beliebte politische Praxis im Kontext der Diversity Sensibilisierung ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien. Auch in aktivistischen Kreisen ist immer wieder die Rede von „Check your privilege“. Ob Privilegiengalerie, kritische Männlichkeitsworkshops, critical whiteness oder allyship: all diese Ideen verbindet eine Gemeinsamkeit: der Glaube daran, es selbst besser und damit zumindest das eigene Umfeld zu einem diskriminierungsärmeren Raum zu machen. Aber: Welche fundamentalen Zugeständnisse macht das Patriarchat, wenn Cis-Männer einen Workshop zu kritischer Männlichkeit besuchen? Lackieren sich dann endlich alle die Nägel? Das ist nicht der Anspruch dieser Trainings – vielen ist das klar. Und trotzdem sind diese skizzierten Diskurse keine Seltenheit.

Privilegien sind Vorteile, Ansprüche und Dominanz, die bestimmten Gruppen innerhalb spezifischer Kontexte gesellschaftlich zugesprochen werden. Sie sind Sondervorteile – nicht universell, nicht für alle gültig. Privilegien werden zugestanden, nicht durch persönliche Anstrengung verdient und stehen in Korrelation zu einem präferierten Status. Die Ausübung von Privilegien erfolgt unter Profitierung derjenigen, die sie besitzen – auch wenn bei privilegierten Gruppen oft kein Bewusstsein über den Besitz dieser Privilegien besteht. Die Unterdrückung von Personen ohne spezifische Privilegien erhält den status quo aufrecht. Im Falle klassenspezifischer Privilegien wird das Bestehen der Klassengesellschaft abgesichert (Black & Stone, 2011).

Die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien kann ein erster Schritt sein, um greifbar zu machen, in welchem System wir leben. Allein die Bewusstmachung der eigenen Situiertheit in der Gesellschaft, kann Möglichkeiten zur Analyse struktureller Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen eröffnen.  Privilegienchecks sind wertvoll im Kontext des nahen sozialen Umfelds, die Identifikation der eigenen Perspektive notwendig, um ernsthaft und glaubwürdig politische Arbeit zu leisten und dem eigenen Anspruch der Schaffung diskriminierungsarmer Räume gerecht zu werden. Unterdrücker und Unterdrückte müssen sich ihrer relativen Rolle, also auch dem Besitz von Privilegien, bewusst sein, um gegen ein System der Ungerechtigkeit zu kämpfen (Black & Stone, 2011). Privilegien sind etwas Strukturelles, nicht individuell. Entscheidend ist die eigene Auseinandersetzung nicht damit, Privilegien zu besitzen, sondern, mit diesen umzugehen. Eine konstruktive Verhandlung der eigenen Privilegien erkennt an, dass diese aus einem System der Unterdrückung hervorgehen und nutzt die damit einhergehenden Ressourcen für einen Beitrag zur Befreiung der Unterdrückung Aller (Kashtan, 2019).

Konzepte und Umsetzungen von Diversity Trainings unterscheiden sich mitunter stark. Während es solche gibt, die die eben skizzierten Chancen eröffnen, lässt sich gleichzeitig feststellen, dass oft auch eine Aneignung von Diversity für Profitmaximierung festzustellen ist (Hanappi-Egger & Kutscher, 2015). Diversity Trainings können zwar zu einem Abbau von persönlicher Voreingenommenheit und Vorurteilen führen, evidenzbasiert zeigt sich aber, dass damit nicht automatisch ein Rückgang von (struktureller) Diskriminierung zu verzeichnen ist. Diese nämlich ist Produkt von Einstellungen und Gewohnheiten aber auch institutionalisierten Mechanismen und lässt sich nicht allein durch un(ter)bewusste Voreingenommenheit erklären. Diversity Trainings müssen als Teil weiterer Diversity Maßnahmen verstanden werden, um strukturelle Diskriminierung abzubauen (Dobbin & Kalev, 2018).

Handlungswege und emanzipatorisches Potential

„Individualisierung macht Diskriminierung unsichtbar“ – fasst Dimitra Dermitzaki zusammen (2020). Der Umgang mit den eigenen Privilegien, wie auch das Konzept von Diversity Workshops ist fruchtbar in direkter sozialer Umgebung, für ein systemisches Problem aber braucht es kollektive Antworten. Dafür elementar ist zuallererst natürlich ein Problembewusstsein, welches durchaus auch durch eine individualisierte Perspektive geschaffen werden kann. Dabei darf es aber nicht bleiben – die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien muss weiterführen und sich mit Fragen struktureller Diskriminierung, mit systemimmanenten Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnissen auseinandersetzen. Durch die Individualisierung, egal welcher Differenzkategorien, werden Handlungswege verschlossen und emanzipatorisches Potential untergraben. Die Identifikation als Kollektiv und die Verortung von Barrieren auf struktureller, systemischer Ebene erst erlaubt es, auf Veränderung zu hoffen. Der Klassismus-Begriff unterscheidet sich je nach Denkschule – deutlich ist aber, dass die dominante Auslegung auf die soziale Schicht verweist und sich zumeist mit den Auswirkungen klassistischer Diskriminierung befasst. Nicht die Dekonstruktion sprachlicher Vertikalismen, wie einige poststrukturalistische Ansätze innerhalb der Diskussion um die Konzeptualisierung des Klassismus-Begriffs versieren, sondern die Identifikation der lohnabhängigen Klasse als potentiell handlungsfähiges Kollektiv, sowie eine explizite Integration einer Analyse der ökonomischen Verhältnisse entfaltet emanzipatorisches Potential und eröffnet Handlungsmöglichkeiten hin zu einer gerechteren Gesellschaft (Baron, 2014). Diversity Trainings können, wenn eingebettet in breitere antikapitalistische, diskriminierungskritische Zusammenhänge, einen Teil dazu beitragen. Auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien, der eigenen Situiertheit in der Gesellschaft kann ein erster Schritt zu einer weiterführenden Kritik an den unterdrückerischen Strukturen des Systems sein, sowie ein essenzieller Bestandteil der eigenen politischen Befreiungskämpfe.

Literaturverzeichnis

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Geschlechtssensible Medizin

Hintergrund und Notwendigkeit am Beispiel der Aufmerksamkeit-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS)

Lara Alexandra Bellu (SoSe 2022)

1. Begriffsklärungen und Hintergründe

Unter sex wird das biologische Geschlecht einer Person verstanden (Muehlenhard & Peterson, 2011). Damit zusammenhängend sind Geschlechtschromosomen, Keimanlagen, primäre und sekundäre Geschlechtsorgane (Muehlenhard & Peterson, 2011). Menschen, die sich der Binarität von weiblich/männlich zuordnen, werden als endogeschlechtlich bezeichnet (Debus & Laumann, 2020). Kann keine binäre Geschlechterzuordnung erfolgen, spricht man von Intergeschlechtlichkeit (Debus & Laumann, 2020). Dabei handelt es sich eigentlich um eine natürliche Variation (Hechler & Baar, 2020). Allerdings erleben intergeschlechtliche Menschen dennoch Diskriminierung, weil gesellschaftlich – entgegen des natürlichen biologischen Vorkommens – eine binäre Unterteilung in biologische Männer und Frauen konstruiert wurde (Hechler & Baar, 2020).

Als gender wird das soziale Geschlecht und die Geschlechtsidentität bezeichnet (Debus & Laumann, 2020). Das Konzept gender beinhaltet typische Merkmale, Verhaltensweisen und Erwartungen, die der binären Geschlechterkonstruktion von Frauen und Männern zugeschrieben werden (Pryzgoda & Chrisler, 2000). Das Konzept gender geht also davon aus, dass diese Unterschiede sozial konstruiert sind (Pryzgoda & Chrisler, 2000). Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht (meist interpretiert aufgrund der Geschlechtsorgane) übereinstimmt, bezeichnen sich als trans*, transgeschlechtlich, transgender oder transident (Debus & Laumann, 2020). Menschen, bei denen die Geschlechtsidentität mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt, werden als cis-geschlechtlich bezeichnet (Debus & Laumann, 2020). Menschen, die sich nicht den binären Geschlechterrollen von Männern oder Frauen zuordnen, verstehen sich als non-binary, nicht-binär, genderqueer, agender oder auch trans* (Debus & Laumann, 2020).

Der Begriff Heteronormativität meint eine Kultur und Struktur, die Endogeschlechtlichkeit, eine binäre Geschlechtsidentität, cis-Geschlechtlichkeit und heterosexuelle Beziehungen als Norm begreift (Debus & Laumann, 2020). Menschen, die also nicht in dieses Schema passen, erleben in einer heteronormativen Gesellschaft Nachteile und Diskriminierung (Debus & Laumann, 2020).

Die geschlechtssensible Medizin (GSM) beschäftigt sich mit dem Einfluss von sex und gender auf das Gesundheitsbewusstsein, Krankheitssymptomatik und Therapie (Regitz-Zagrosek, 2018). Ziel ist es, die bestmögliche Diagnose und Therapie unter Berücksichtigung des Geschlechts zu finden (Latz & Welzel, 2021). Wichtig ist anzumerken, dass im Rahmen der GSM häufig der Begriff gender genutzt wird, obwohl eigentlich sex gemeint ist (Oertelt-Prigione & Hiltner, 2019). Zusätzlich beschäftigt sich die GSM aktuell lediglich mit den Unterschieden zwischen Frauen und Männern, Abweichungen der Heteronormativität werden also nicht berücksichtigt (Oertelt-Prigione & Hiltner, 2019).

Die GSM hat ihren Ursprung in der internationalen Frauenrechtsbewegung in den 1960er und 70er Jahren, die sich auf die körperliche und sexuelle Freiheit von Frauen konzentriert hat (Oertelt-Prigione & Hiltner, 2019). Anfang der 1980er Jahre wurde erstmals genauer beobachtet, dass Herzinfarkte sich bei Frauen und Männern mit unterschiedlichen Symptomen äußern – jedoch wurden standardmäßig nur die „männlichen“ Symptome gelehrt (Latz & Welzel, 2021). 2001 veröffentlichte das US-amerikanische Institute of Medicine einen Report, der erstmals Geschlechterunterschiede in der Medizin beleuchtete (Oertelt-Prigione & Hiltner, 2019). Erst dadurch kam die GSM tatsächlich ins Rollen (Oertelt-Prigione & Hiltner, 2019). Allerdings ist sogar heute – 20 Jahre später – die Lehre der GSM keine Verpflichtung an den Universitäten (Oertelt-Prigione & Hiltner, 2019). Zusätzlich fehlt die Implementierung in Forschung und Praxis, weil die Arbeit und Anerkennung in den entsprechenden Gremien (Fachgesellschaften, Ärztekammern, Forschungsgremien etc.) nur schleppend läuft (Oertelt-Prigione & Hiltner, 2019).

2. Zusammenhang zwischen gender, sex und Gesundheit

Die Relevanz der GSM wird deutlich, wenn biologische, psychosoziale und epigenetische Einflussfaktoren auf Gesundheit betrachtet werden.

Auf biologischer Ebene betrachtet tragen X-Chromosomen mehr als 1500 Gene mit regenerativen Funktionen, Y-Chromosomen hingegen nur ca. 100 Gene (Regitz-Zagrosek, 2018). Bei Menschen mit XX-Chromosomensatz ist das zweite X-Chromosom nur zum Teil inaktiv. Deshalb haben diese Menschen etwa Vorteile bei x-chromosomal vererbten Erkrankungen (Regitz-Zagrosek, 2018). Zusätzlich beeinflusst der Geschlechtschromosomensatz die Ausschüttung von Geschlechtshormonen (Testosteron, Östrogen und Gestagen; Regitz-Zagrosek (2018)). Geschlechtshormone haben wiederum einen Einfluss auf das Immunsystem, die Körperzusammensetzung, das Herz-Kreislauf-System und andere Stoffwechselprozesse (Regitz-Zagrosek, 2018). Zusätzlich ist inzwischen bekannt, dass sich die Organe von Männern und Frauen in ihrer Feinbauweise und Zellaktivität unterscheiden (Regitz-Zagrosek, 2018). Daraus wird klar, dass sich sowohl Krankheitssymptome als auch die Wirkung von Medikamenten geschlechtsspezifisch unterscheiden müssen. Therapien und Krankheitsverläufe des prototypischen 75kg schweren cis-Manns können also nicht für Menschen, die auf biologischer Ebene von dieser Norm abweichen, einfach übernommen werden (Weyrerer, 2021).  

Auch die sozial konstruierten Geschlechterrollen (gender) haben Einfluss auf Krankheit, Gesundheitsverhalten und Vorsorge. So ist zum Beispiel die Suizidrate bei Männern höher als bei Frauen (Brandt, 2019). Gleichzeitig nehmen Männer weniger Psychotherapie in Anspruch (Sonnenmoser, 2011). Insgesamt zeigen Männer häufiger schädliches Gesundheitsverhalten wie Rauchen, ungesunde Ernährung und weniger Bewegung (Regitz-Zagrosek, 2018). Bei ihnen ist die Lebenserwartung auch geringer als bei Frauen (Luy, 2011). Gleichzeitig sind Frauen dadurch bei Krankenhauseinweisungen im Durchschnitt älter als Männer und erhalten weniger häufig Rehabilitationsmaßnahmen (Regitz-Zagrosek, 2018). Deshalb haben sie eine höhere Gefahr chronisch in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt zu werden und eine Pflegebelastung für ihr Umfeld zu werden (Regitz-Zagrosek, 2018). Zusätzlich unterscheidet sich die Stressbelastung bei Männern und Frauen. So handelt es sich bei Männern vor allem um chronischen arbeitsbedingten Stress, der zum Feierabend abfällt (Kautzky-Willer, 2014). Bei Frauen hingegen steigt dieser aufgrund der häufigen Doppelbelastung von Beruf und familiären Verpflichtungen (z.B.: Pflege von Angehörigen) nach Feierabend noch weiter an (Kautzky-Willer, 2014). Chronischer Stress ist wiederum mit einer Reihe von Erkrankungen wie depressiven Störungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes Typ 2 assoziiert (Kautzky-Willer, 2014). Dieses Phänomen nennt sich Lebenserwartungs-Lebensqualitäts-Geschlechter-Paradoxon: Frauen leben zwar länger als Männer, haben aber weniger gesunde Jahre und empfinden ihre Lebensqualität als subjektiv geringer (Kautzky-Willer, 2014). Wird dabei um die psychosozialen Faktoren korrigiert, ist dieser Unterschied deutlich geringer (Kautzky-Willer, 2014).  Fernab dieser binären Betrachtung ist zu betonen, dass etwa inter* oder trans* Menschen aufgrund ihres depriviligierten Status und der damit einhergehenden Diskriminierung zusätzliche gesundheitliche Risiken haben, zum Beispiel ein deutlich erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen (Pöge et al., 2020).

Zuletzt ist die Ebene der Epigenetik zu betrachten. Epigenetik bezieht sich auf die Beeinflussung oder Beschädigung bei der Verpackung von Genen durch Umwelteinflüsse, wie beispielsweise Ernährung, Rauchen, Stress und Umwelttoxine (Regitz-Zagrosek, 2018). Auch hierbei spielen sex und gender eine unterschiedliche Rolle (Kautzky-Willer, 2014). So zeigen beispielsweise bereits die Plazenten von Embryonen aufgrund unterschiedlicher Geschlechtshormone unterschiedliche Bewältigungsstrategien und Wachstumsmechanismen auf Unter- oder Überernährung (Kautzky-Willer, 2014). Weiterführend werden diese Strategien mit Immunität, Transplant-Wirt-Reaktionen und Entzündungen assoziiert (Kautzky-Willer, 2014). Gender bzw. die Geschlechterrolle hingehen bedingt zum Beispiel die Exposition mit Umwelttoxinen und Stress. So könnte die höhere Inzidenz von depressiven Störungen bei Frauen auf den erhöhten mütterlichen Überschuss von Glukokortikoiden (z.B.: das Stresshormon Cortisol) zurückzuführen sein (Kautzky-Willer, 2014). Dieser beeinflusst nämlich insbesondere bei den weiblichen Nachkommen die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse und die dazugehörige Neurotransmitterausschüttung, welche sowohl mit Stimmung als auch mit Stressregulation assoziiert ist (Kautzky-Willer, 2014).

3. Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS)

3.1 Symptomatik

Die Kernsymptome der ADHS sind (1) Aufmerksamkeitsstörungen (insbesondere vorzeitiges Abbrechen von fremdbestimmten Aufgaben, hohe Ablenkbarkeit, Nichtbeenden von Tätigkeiten), (2) Impulsivität auf emotionaler, kognitiver und motivationaler Ebene (z.B.: übereilte Entscheidungen, geringe Frustrationstoleranz, Unterbrechen von anderen) und (3) Hyperaktivität (mangelhaft regulierte, überschießende motorische Aktivität und Ruhelosigkeit; Petermann and Ruhl (2011)). Allerdings unterscheiden sich das ICD-10 und DSM-IV in ihrer Kombination von Symptomen zu verschiedenen Subtypen. So wird nach ICD-10 eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F 90.0) diagnostiziert, wenn die Symptome der Aufmerksamkeitsstörungen, Impulsivität und Hyperaktivität vorliegen (Petermann & Ruhl, 2011). Eine Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F 90.1) wird diagnostiziert, wenn zusätzlich noch Störungen des Sozialverhaltens vorliegen (Petermann & Ruhl, 2011). Das DSM-IV hingegen differenziert zwischen drei verschiedenen Typen (Petermann & Ruhl, 2011). Bei der (a) Aufmerksamkeitsdefizit/-Hyperaktivitätsstörung vom Mischtyp liegen sowohl die Aufmerksamkeitsstörung als auch Impulsivität und Hyperaktivität vor. Bei dem (b) vorwiegend unaufmerksamen Typ liegt die Aufmerksamkeitsstörung im Vergleich zur Hyperaktivität und Impulsivität deutlich im Vordergrund. Die Symptomatik des (c) vorwiegend hyperaktiven Typs ist hingegen vorwiegend durch Hyperaktivität und Impulsivität gekennzeichnet, Aufmerksamkeitsstörungen sind eher im Hintergrund (Petermann & Ruhl, 2011).

Abbildung 1: Klassifikation der ADHS in ICD-10 und DSM-IV (Petermann & Ruhl, 2011, S. 679)

Zusätzlich müssen nach ICD-10 und DSM-IV folgende Kriterien erfüllt sein: „Die Symptome müssen mindestens 6 Monate lang vorliegen, in einem mit dem Entwicklungsstand nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß, vor dem Alter von 7 Jahren auftreten und zu Beeinträchtigungen in zwei oder mehr Lebensbereichen führen. Es bestehen deutliche Hinweise auf klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen. Andere psychische Störungen, geistige Behinderung oder psychosoziale Problemen, die die Verhaltenssymptome besser erklären können, sind ausgeschlossen“ (Petermann & Ruhl, 2011, S. 678).

3.2  Diagnostik

Die Diagnostik der ADHS läuft multimodal ab, was insbesondere aufgrund der unterschiedlichen Symptomausprägungen notwendig ist (Petermann & Ruhl, 2011). Die Diagnostik lässt sich in drei Stufen einteilen: Erstes Screening, orientierende und weiterführende Diagnostik (Petermann & Ruhl, 2011). Wichtig ist zu betonen, dass im Zuge des ersten Screenings nicht nur Testverfahren mit den potenziell Betroffenen selbst, sondern üblicherweise auch Beurteilungen von Eltern und Lehrkräften miteingeschlossen werden. Oftmals sind sogar Hinweise der Lehrkräfte der erste Schritt, um überhaupt das Screening einzuleiten (Petermann & Ruhl, 2011). Zeigen sich im Rahmen des ersten Screenings Hinweise auf eine ADHS, so wird weiterfolgend eine orientierende und weiterführende Diagnostik durchgeführt (Petermann & Ruhl, 2011). Dabei werden üblicherweise diagnostische Interviews und Tests (z.B.: Intelligenz- und Aufmerksamkeitstests) mit den Betroffenen selbst und den Eltern durchgeführt. Außerdem kommen auch hier Verhaltensbeobachtungen im Klassenraum, in der diagnostischen Situation und zu Hause zum Einsatz (Petermann & Ruhl, 2011).

4. Zusammenhang zwischen ADHS-Diagnostik, sex und gender

 Die Prävalenz der ADHS beläuft sich auf zwischen 2 und 7%, je nach verwendeten Diagnosekriterien und Altersgruppe (Bruchmüller et al., 2012; Nøvik et al., 2006). Auffällig dabei ist, dass das Geschlechterverhältnis teils stark unausgeglichen ist. So liegt es bei nicht klinischen Populationen bei 3:1 (Jungen vs. Mädchen), bei klinischen Populationen sogar bei zwischen 6 und 16:1 (Bruchmüller et al., 2012; Nøvik et al., 2006; Young et al., 2020). Daraus lässt sich also schließen, dass deutlich mehr Jungen als Mädchen überhaupt in den diagnostischen und therapeutischen Prozess der ADHS eingebunden werden (Bruchmüller et al., 2012). Hier stellt sich nun die Frage: Kommt die ADHS tatsächlich häufiger bei Jungen vor oder wird es bei Mädchen schlichtweg weniger erkannt? Und falls ja, woran liegt das?

 Möglicherweise kann der Geschlechterunterschied in der ADHS-Prävalenz neurophysiologisch und endokrinologisch erklärt werden (Davies, 2014; Gawrilow, 2020). So wurden teilweise in Untersuchungen geringere Aktivierungen bei Jungen vs. Mädchen mit ADHS in frontalen, parietalen und cerebralen Hirnregionen gefunden (Davies, 2014). Diese werden unter anderem mit Exekutivfunktionen (z.B.: Inhibitionskontrolle) assoziiert, welche wiederum bei einer ADHS eingeschränkt sind (Gawrilow et al., 2011). Darüber hinaus spielt auch möglicherweise eine geringere Dopamin-Rezeptoren-Dichte bei Jungen eine Rolle (Gawrilow, 2020). Weiterführend wird auch diskutiert, ob das höhere Testosteronlevel durch einen XY-Chromosomensatz zu neurobiologischen Entwicklungen führt, welche die Entstehung einer ADHS begünstigen (Davies, 2014). Allerdings konnte bisher zu keinem Ansatz ein ausreichender wissenschaftlicher Konsens erreicht werden (Davies, 2014; Gawrilow, 2020).

Mehr erforscht und viel wahrscheinlicher ist dagegen, dass Mädchen andere Symptome und Komorbiditäten zeigen und weniger häufig bzw. falsch diagnostiziert werden (Fraticelli et al., 2022). Beispielsweise fassen Young et al. (2020) und Fraticelli et al. (2022) zusammen, dass Mädchen mit ADHS zwar auch hyperaktiv-impulsive Symptome aufweisen, jedoch stehen die Symptome der Unaufmerksamkeit und Desorganisation im Vordergrund. Bei Mädchen scheint also der unaufmerksame Typ häufiger vorzukommen, welcher oftmals als depressive oder Angststörung interpretiert wird (Fraticelli et al., 2022). Zusätzlich ist eine komorbide Angst- oder depressive Störung tatsächlich häufig bei Mädchen (Fraticelli et al., 2022; Young et al., 2020). Das resultiert in eine noch stärker internalisierte Symptomatik, wodurch die ADHS leicht übersehen wird (Fraticelli et al., 2022). Mädchen zeigen also weniger offensichtliche oder sozial störende Verhaltensweisen. Dafür haben sie deutlichere Aufmerksamkeitsdefizite, sowie Probleme bei der Selbst- und Emotionsregulation (Fraticelli et al., 2022; Young et al., 2020).

Außerdem scheint es eine Verzerrung bei den Diagnostizierenden selbst zu geben, die Mädchen grundsätzlich weniger häufig als Jungen diagnostizieren (Quinn & Madhoo, 2014). Hinweise darauf liefern eine Vielzahl an Studien (z.B.: Bruchmüller et al., 2012; Groenewald et al., 2009; Ohan & Visser, 2009; Sciutto et al., 2004). In einer Untersuchung von Bruchmüller et al. (2012) wurden insgesamt 1000 Psychiater*innen, Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen dazu aufgefordert, eine diagnostische Einschätzung für hypothetische Fallbeispiele abzugeben. Dabei erhielt der identische Fall häufiger eine ADHS-Diagnose, wenn dieser mit einem typischen Jungen-, statt Mädchennamen benannt wurde. Ähnliche Ergebnisse fanden auch Sciutto et al. (2004) mit einer Stichprobe von 199 Grundschullehrkräften, die ebenfalls hypothetische Fälle von Kindern mit ADHS vorgelegt bekamen. Dabei wurde bei den Fällen mit Jungennamen häufiger zu einem ersten ADHS-Screening geraten als bei den mit Mädchennamen. Insgesamt wurden die Fälle mit Symptomen des hyperaktiv-impulsiven Typs häufiger als auffällig eingestuft. Jedoch zeigte sich auch hier ein geschlechtsspezifischer Effekt: Bei den Fällen des hyperaktiv-impulsiven Typs mit Jungennamen wurde 1.5-mal häufiger zu einem ersten Screening geraten als bei den Mädchen.

Insgesamt betrachtet sind Mädchen also gar nicht per se weniger häufig von der ADHS betroffen. Es scheint eher so, dass Mädchen insgesamt unauffälliger sind, weil sie sich besser anpassen und ihre Symptome weniger externalisiert sind (Fraticelli et al., 2022; Young et al., 2020). Zusätzlich scheint ein Bias bei Diagnostizierenden, sowie Lehrkräften und Eltern zu bestehen (Quinn & Madhoo, 2014). Das „typische AHDS-Kind“ ist demnach ein unruhiger, zappeliger Junge und weniger ein verträumtes, unaufmerksames Mädchen. In Anbetracht der Sozialisation und Geschlechterrollen von Jungen vs. Mädchen ist das allerdings nicht überraschend. So wird von Mädchen gesellschaftlich eher erwartet, sich freundlich, zuvorkommend und zurückhaltend zu verhalten (Godsil et al., 2016). Die daraus resultierende Anpassung, internalisierten Symptome und verhältnismäßige Unauffälligkeit von Mädchen mit ADHS erscheinen entsprechend wie logische Konsequenzen.

Problematisch dabei ist, dass Mädchen, die unter das diagnostische Radar fallen, keine oder nur unpassende Therapien erhalten (Young et al., 2020). Gleichzeitig ist die Ausprägung von ADHS Symptomen negativ mit der Lebensqualität in Adoleszenz und Erwachsenenalter assoziiert (Tischler et al., 2010). Zusätzlich haben Menschen mit ADHS ohnehin ein höheres Risiko, andere psychische oder somatische Erkrankungen zu entwickeln (Fraticelli et al., 2022; Tischler et al., 2010). Außerdem leiden sie häufiger unter einem negativen Selbstkonzept und Selbstwert (Young et al., 2020). Deshalb stellt eine ADHS-Diagnose für insbesondere erwachsene Betroffene eine Erleichterung dar, weil somit die lebenslangen Schwierigkeiten, Einschränkungen und Defizite erklärt werden können (von der Brelie, 2021). Nicht diagnostizierte Mädchen mit ADHS haben also ein höheres Risiko für vermeidbare gesundheitliche Einschränkungen und spätere Schwierigkeiten in essenziellen Lebensbereichen (z.B.: Ausbildung und Arbeit; Young et al. (2020)), welche durch eine adäquate Therapie zumindest gelindert werden könnten (Petermann & Ruhl, 2011). Insgesamt betrachtet braucht es also dringend mehr gendersensible Forschung im Bereich der ADHS, sowie die Implementierung der Erkenntnisse in die diagnostische Praxis.  Abschließend ist zu betonen, dass sich die Gendersensibilität in diesem Bereich ausschließlich auf die Binarität von Frauen vs. Männern (sowohl bei sex als auch gender) bezieht. Wünschenswert wäre also auch hier, dass die psychologische Forschung beginnt, außerhalb der Heteronormativität zu denken.

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Quelle: Lara Alexandra Bellu, Geschlechtssensible Medizin: Hintergrund und Notwendigkeit am Beispiel der Aufmerksamkeit-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS), in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 07.11.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=303

Bourdieus’ Habitus und seine Relevanz für die Klassismus-Forschung

Lynn Hruschka (SoSe 2022)

Für mich persönlich ist das Konzept des Habitus eines der wenigen akademischen Theorien, auf die ich im Laufe meines Studiums gestoßen bin und die mich nachträglich beeindruckt haben. Der Habitus hat mir plötzlich Dinge verständlich gemacht, für die ich vorher keine Worte hatte. Besonders interessant war auch für mich die Erkenntnis, dass es über Geld hinaus unterschiedliche Kapitalformen gibt und welche ich von meiner Herkunft „geerbt“ habe und welche nicht. Ich bin nun seit einem Jahr Mutter einer kleinen Tochter und frage mich jetzt, was ich meinem Kind für einen Habitus vererben möchte. Kann ich das überhaupt beeinflussen? Während des Seminars wurde mir die Rolle des Habitus für jegliche Klassenfrage wieder bewusst und wollte deswegen die wichtigsten Punkte kompakt hier zusammenfassen:

Im folgenden Essay soll die Frage nach der Relevanz von Bourdieus Habitus Konzept diskutiert werden. Inwiefern kann die Theorie des Habitus für die aktuelle Forschung zu Klassismus fruchtbar gemacht werden?

Die Konzepte von Pierre Bourdieu spielen für jegliche Forschung zu Klassismus eine Rolle. Vor dem Hintergrund seiner theoretischen Grundannahmen widmen wir uns hier insbesondere seinem Konzept des Habitus. 1979 in seinem Opus Magnum „La distinction“ eingeführt, ist es der zentrale Baustein seiner Sozioanalyse.

Habitus

Aber was ist der Habitus überhaupt?

Der Habitus stellt ein Bindeglied zwischen Individuum und Gesellschaft dar. Unter Habitus versteht Bourdieu die inkorporierte Position, die ein Mensch im sozialen Gefüge einnimmt (Ernaux 2016, 30). Er besteht aus der Gesamtheit von Haltungen, Dispositionen, Gewohnheiten und Einstellungen eines Individuums gegenüber der Welt. Diese werden wiederum von den ökonomischen und sozialen Existenzbedingungen diktiert. Somit nimmt der Habitus eine klassenspezifische Form an, ausgehend von der Annahme, dass sich die Gesellschaft in Klassen gliedert, welche sich durch ihre ökonomischen Bedingungen voneinander scheiden. Für Bourdieu erlangt die theoretische Annahme der Existenz sozialer Klassen erst Bedeutung, wenn die Klassenzugehörigkeit sich in unterschiedliche Formen der Lebensführung übersetzt (Fuchs-Heinritz und König 2014, 89f; Bourdieu 1987, 182). Mit Lebensführung sind hier die soziale Praxis und der Blick auf die Welt gemeint. Diese generieren sich aus dem Habitus und zeigen durch ihre sichtbaren Formen, wie beispielsweise Behausung, kulinarische Vorlieben oder Konsum von kulturellen Gütern, soziale Unterschiede an. (Krais und Gebauer 2014, 36) Der Erwerb des Habitus geschieht in der Sozialisation. Die kulturelle und materielle Ausstattung einer Familie prägt die Vorlieben des Kindes. (Fuchs-Heinritz und König 2014, 96) Dabei nimmt das Individuum das an, was zur Verfügung steht. Mit anderen Worten: Man mag, was man hat. (Krais und Gebauer 2014, 41). In der physischen Erscheinung eines Individuums sieht Bourdieu eine objektivierte, äußerlich sichtbare Form des Habitus. Die soziale Welt formt den Körper. An ihm werden gesellschaftliche Hierarchien und die Position des Individuums sichtbar. Gesellschaftliche Hierarchien werden durch manifeste Symbole äußerlich sichtbar.

Innerhalb des globalen Gefüges des sozialen Raumes bestehen kleinere Einheiten von sozialen Feldern, in denen ihre eigenen Regeln gelten. Soziale Felder sind Schauplätze des Konkurrenzkampfes. Neben der Akkumulation von ökonomischem und kulturellem Kapital kämpfen die Individuen um die Deutungshoheit, d.h. um die Vorherrschaft ihrer Weltsicht (Schmitt 2016, 16). Diese Vorherrschaft wird durch Symbole äußerlich kenntlich gemacht. Folglich ist der Kampf um die Deutungshoheit ein Kampf um das symbolische Kapital. Der Habitus eines Individuums beeinflusst, welches Feld es sich aussucht und wie es sich dort verhält. Als handlungsleitend gibt der Habitus nämlich ein Gespür für die in einem Feld vorherrschenden Spielregeln mit (Schmitt 2006, 17).

Befreiung vom Habitus

Ist es möglich, sich vom eigenen Habitus zu lösen und ihn zu überwinden? Lässt sich der „Teufelskreis“ aus reproduzierendem Kapital durchbrechen? Robert Schmidt argumentiert skeptisch (Schmidt 2014, 234): Bourdieu selbst hätte zwar durchaus auf die Möglichkeit des reflexiven Bewusstwerdens der symbolischen Gewalt hingewiesen, jedoch gleichzeitig erkannt, dass ein bloßes Beseitigen der méconnaissance nicht reiche, um sich von der symbolischen Herrschaft (sei sie männlich oder neoliberal) zu befreien. Lothar Peter lenkt den Blick auf die drei Möglichkeiten:

Erstens, wenn der Habitus und die Struktur so weit auseinanderklaffen, dass die Realität und die symbolische Erwartung unvermeidlicher Weise kollidieren, zum Beispiel der Schriftsteller der sich Édouard Louis nennt, aber als Eddy Bellegeulle als homosexueller Mann im französischen Arbeitermilieu aufgewachsen ist. Dies gilt letztlich für alle queere Menschen, die in unserer heteronormativen Gesellschaft aufwachsen. Ebenso anwenden könnte man den Gedanken auf Frauen in männergeprägten Berufen – sie müssen unwillkürlich sich einen anderen Habitus erarbeiten.

Zweitens gibt es die Möglichkeit den Habitus zu erkennen und ihn wissenschaftlich zu analysieren, wie es zum Beispiel in diesem Essay passiert. In dem Moment, in dem über den Habitus geschrieben wird, kann er ausgesetzt werden, in dem man sich von ihm distanziert.

Drittens gibt es in der „biographisch-sozialisatorischen“ (Peter 2011, 29) Entwicklung die Chance für symbolische Gewalt immun gemacht zu werden. Das kostet viel Kraft und ist ein Prozess, der immer wieder von gesellschaftlichen Kräften verlangsamt werden wird. Die bürgerliche Klasse hat kein wirkliches Interesse daran, dass sich Menschen emanzipatorisch frei machen und so leben, wie sie wollen. Diese Arbeit wird viel von der LGBTQ+ Community geleistet und trifft vielleicht gerade deswegen auf so viel Widerspruch, weil ihr Erfolg ein Umwerfen aller essentialistischen Wahrheiten der bürgerlichen Klasse bedeuten würde.

Gerade mit seinem Werk „La domination masculine“ von 1998 schaffte Bourdieu einen wichtigen Grundstein für poststrukturalistische und postkoloniale Forschung. Zur männlichen Herrschaft sagte er: „Die Macht der männlichen Ordnung zeigt sich an dem Umstand, dass sie der Rechtfertigung nicht bedarf: Die androzentrische Sicht zwingt sich als neutral auf und muss sich nicht in legitimatorischen Diskursen artikulieren. […] Das gesellschaftliche Deutungsprinzip konstruiert den anatomischen Unterschied. Und dieser gesellschaftlich konstruierte Unterschied wird dann zu der als etwas Natürliches erscheinenden Grundlage.“ (Bourdieu 2012, 21) Dieses Zitat ist auch noch in der Argumentationsweise feministischer Literatur wiederzufinden und scheint nichts an seiner Aktualität verloren zu haben.

Des Weiteren wird Bourdieus Ethnografie zur kabylischen Gesellschaft (auf der der Habitus basierte) auch heute noch rezipiert: 2007 Loic Wacquant analysierte in Bezugnahme auf Bourdieu die Entwicklungen in den französischen Banlieues (Schmidt 2014, 234).

Für die Klassismus-Forschung sind einige Aspekte des Habitus-Konzeptes relevant. Zunächst ist der Habitus ein mehrdimensionales Konzept: „Klassenhabitus, geschlechtspezifizierter Habitus, ethnisierter Habitus“ (Schmitt 2006, 14). Lars Schmitt beschreibt ihn in seiner Heuristik als Matrix, die die inneren und äußeren Grenzen des Denk- und Handelbaren (in Anlehnung an Foucaults Episteme) umfasst. Gleichzeitig kann Klassismus-Forschung mit dem Konzept generationenübergreifend Konflikte bearbeiten, da sich der Habitus in seiner Form zwar verändert, jedoch nicht an bestimmte Verhaltensformen geknüpft ist (Schmitt 2006, 16).

In der Analyse der Performativität des Habitus gelingt Bourdieu die Alltäglichkeit des menschlichen Lebens und Leidens einzufangen, unterschiedliche Subjekte selbstbestimmt zu Wort kommen zu lassen, und sie trotzdem in ihre Herrschaftsverhältnisse einzuordnen. Dabei bleiben diese Menschen in ihren Konfliktthemen rationale Entscheidungsfinder, aber immer im Hinblick ihres schon vorher sich manifestierten Habitus. Dadurch verändert sich der Blick auf Opfer-Täter-Analysen. Während diese oft eine dichotomische Weltsicht voraussetzen, sieht Bourdieu „oppression as a cooperative game“ (Schmitt 2006, 21). Denn auch die Herrschenden werden von ihrer Herrschaft beherrscht (Schmidt 2014, 233).

Beispiel Habitus-Struktur-Konflikt

Analytisches Potenzial bietet das Konzept des Habitus insbesondere in sog. Habitus-Struktur-Konflikten (HSK). In solchen Konflikten gerät das Individuum mit den Erwartungen und Regeln seines sozialen Umfelds in Widerspruch. Schmitt (2006, 18) führt das Beispiel einer weiblichen Chefärztin an, die in ihrem beruflichen Umfeld mit den männlichen Strukturen und Anforderung an „den“ Arzt konfrontiert wird. Dieses empirische Beispiel lässt sich nun mit Bourdieu durchdringen. In seiner Terminologie haben wir es mit einem sozialen Feld zu tun, in dem bestimmte Regeln und Anforderungen an den individuellen Habitus gelten. Individuen wählen dieses Feld in der Regel nur, wenn ihr Habitus mit dem geforderten Habitus übereinstimmt. D.h., die Wahrscheinlichkeit ein soziales Feld zu betreten ist ungleich zwischen Individuen verteilt, je nach der Nähe des Feldes zu dem Habitus des Individuums. Das Beispiel der weiblichen Chefärztin zeigt, dass der Zutritt nicht grundsätzlich im Vorfeld determiniert ist. In ihrem Feld begegnet sie nun den Trägern der „orthodoxen“ Position. Sie selbst hat nun die Möglichkeit, diese Position nachzubilden, oder eine „heterodoxe“ Position einzunehmen. Letztlich findet zwischen den Individuen in dem Feld ein Kampf über die Deutungshoheit über die Spielregeln statt (Schmitt 2006, 18).

Beispiel Sprache

Ein weiteres Beispiel für den Habitus ist die Sprache, die sehr interessant für die Klassismus-Forschung sein kann und die wir im Seminar auch in verschiedenen Texten besprochen hatten:

Im Französischen wie im Deutschen nutzen marginalisierte Gruppen Sprache, um sich von der weißen Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen. Im Französischen weitaus komplexer sorgt das sogenannte „Verlan“ (abgeleitet von „à l’envers“) zuweilen dafür, dass Außenstehende die hervorgebrachten, auf französischen Wörtern basierenden, Schöpfungen nicht verstehen (Prévos 1996). Im Deutschen wird die „Kanacksprack“ oft als einfacher Akzent, der darauf hindeutet, dass der- oder diejenige die Sprache nicht korrekt beherrscht, missverstanden (Rehbein, Schalowski, und Wiese 2014).

Die sogenannte Eloquenz einer akzentfreien Sprache der weißen Mittelschicht (die auch in dieser wissenschaftlichen Arbeit wiederzufinden ist) steht hier im krassen Kontrast. Schiller und Molière sind Ikonen ihrer Sprache und werden gerne als Vertreter einer höheren Sprache, einer „besseren“ Sprache dargestellt, einer Sprache, die, wenn sie richtig beherrscht wird, aus den Sprechenden „etwas“ macht. Aus „Isch“ muss „ich“ werden und wer „Friedrisch“ anstatt „Friedrich“ sagt, gehört nicht zur deutschen Gesellschaft (Kreuder 2018, 271).

Die Kooperation und Assimilation an die deutsche Sprache werden gleichgesetzt mit der Vorstellung, etwas erreichen zu können. Dies knüpft an post-koloniale Theorien wie zum Beispiel Achille Mbembe sie formuliert hat, an, die die Verwendung der Kolonialsprache als Aufgabe der eigenen Identität sehr kritisch betrachten (Mbembe 2014).

Kritik am Habitus Konzept

Gibt es auch Kritik am Habitus-Konzept?

Mit dem Habitus-Konzept kann außerdem die gesamte akademische Klassismus-Forschung kritisch hinterfragt werden: Bourdieu sah auch im akademischen Feld einen Raum, der symbolische Gewalt reproduziert. So war für ihn beispielsweise die Idee einer herrschaftsfreien Kommunikation nach Jürgen Habermas „habitusblind“ (Schmitt 2006, 20). Entscheidend ist also nicht nur, welche Symboliken die Realität bestimmen, sondern auch, wer die Definitionsmacht hat, sie zu verändern.

Gerade ein so viel zitiertes Konzept wie der Habitus zieht selbstredend auch Kritik auf sich. Externe akademische Kritik am Konzept kam dabei immer wieder aus unterschiedlichen Richtungen: Stephan Moebius verweist auf Alain Caillé, der bemängelt, dass in Bourdieus Theorie die Menschen immer nur nach dem Kosten-Nutzen-Kalkül handeln würden und außerdem das ökonomische Kapital ohne Beweis zum wichtigsten der vier Kapitale verklärt.

Andere Kritiker*innen beanstanden die fehlende terminologische Unterscheidung zwischen Gewalt, Macht und Herrschaft. Verschiedene Poststrukturalist*innen (darunter Judith Butler) verweisen auf die „Unberechenbarkeit der für die Strukturerhaltung notwendigen Wiederholung“ des Habitus über Generationen hinweg (Moebius 2011, 66). Schmitt sieht eher die Problematik eines zu hoch angelegten sozialen Determinismus, sowie die Möglichkeit, dass nicht alle situativen Konflikte mit dem Konzept realitätsnah erklärt werden könnten (Schmitt 2006, 27). Als Leser*in vom Bourdieus Texten springt jedoch als größter Kritikpunkt seine klassistische Schreibweise mit ihren Formulierungen und sehr langer Satzketten selbst ins Auge, die für Leser*innen außerhalb des akademischen Milieus kaum verständlich zu sein scheint.

Fazit

Nichtsdestotrotz bleibt Bourdieu ein wichtiger Faktor für jedes emanzipatorische Denken, dass sich aus den uns jeweilig betreffenden versteckten Herrschaftsverhältnissen symbolischer Gewalt befreien möchte und damit auch für die Klassismus-Forschung. Für mich hat das Konzept eine gewisse Zeitlosigkeit erreicht, vielleicht ebenso wie „Das Kapital“ von Karl Marx für jegliche Kapitalismuskritik. Selbst wenn einige Aspekte noch weiter ausformuliert und verändert werden könnten, so wird der Habitus doch in der Grundausstattung eines jeden Werkzeugkastens für Klassismus bleiben.

Und auch meiner Tochter werde ich versuchen mitzugeben, welche Habitus-Struktur-Konflikte ihr in ihrem Leben begegnen könnten und wie sie sich daraus befreien kann. Dies wird kein einfacher Weg sein, aber das Bewusstsein für den Habitus, den wir alle im Alltag und in jeder Konversation „performen“, ist ein erster Schritt.

Bibliographie

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Schmitt, Lars. „Pierre Bourdieu: Symbolische Gewalt“. Konfliktdynamik 2, Nr. 1 (2013): 74–76. https://doi.org/10.5771/2193-0147-2013-1-74

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Kreuder, Friedemann. 2018. „Theater zwischen Reproduktion und Transgression körperbasierter Humandifferenzierungen“. In Un/doing Differences, 234–58. Velbrück Wissenschaft. https://doi.org/10.5771/9783845292540-235

Mbembe, Achille. 2014. Kritik der schwarzen Vernunft. 1. Auflage. Berlin: Suhrkamp.

Prévos, André J. M. 1996. „The Evolution of French Rap Music and Hip Hop Culture in the 1980s and 1990s“. The French Review 69 (5): 713–25. https://www.jstor.org/stable/397134.

Rehbein, Ines, Sören Schalowski, und Heike Wiese. 2014. „The KiezDeutsch Korpus (KiDKo) Release 1.0“. In .


Quelle: Lynn Hruschka, Bourdieus’ Habitus und seine Relevanz für die Klassismus-Forschung, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 07.11.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=300

Be_hinderung ist ein Konstrukt

Tomke Thielebein (SoSe 2022)

1. Warum ich darüber schreibe, worüber ich schreibe

Mein selbstgewählter Beginn meiner politischen Sozialisation und damit einhergehenden Sensibilisierungsprozess mit gesellschaftlichen Verhältnissen begann in den Jahren 2014/15, da in dieser Zeit PEGIDA und die AfD, geflüchtete Menschen verwendeten, um den Gesellschaftsdiskurs unangenehm dominant für ihre Zwecke zu nutzen. In dieser Zeit begann ich zu den Gegendemonstrationen der sog. ‚besorgten Bürger‘ – jeden Montag auf dem Europaplatz beim Hauptbahnhof – zu gehen. Hier kam ich das erste Mal intensiv in Berührung mit Kritik an gesellschaftlichen Strukturen. Die ersten Hauptthemen, die mich in eine tiefere Auseinandersetzung brachten, waren kapitalismuskritische Stimmen und eine antifaschistische Haltung. Darüber vertiefte ich mich weiter in (deutsche) linke[1] Inhalte. Hierbei geht es im Groben um Macht- und Unterdrückungsverhältnisse, die es zu verstehen und im besten Fall zu dekonstruieren gilt. Viel besprochene Themen in diesem Zusammenhang sind: Kapitalismus, Sexismus und Rassismus; auch Klassismus findet immer mehr reflexiven Raum in linken Kreisen. Auch im gesellschaftlichen Mainstream findet sich mittlerweile Literatur, die sich bspw. mit Rassismus auseinandersetzt und die diskriminierenden Dimensionen der dominant-deutschen Bevölkerung verdeutlichen und zur Auseinandersetzung anregen (bspw.: Sow, 2018; Ogette, 2022). Was meiner Erfahrung nach jedoch wenig Beachtung findet – sowohl in der linken Szene als auch im gesellschaftlichen Mainstream-Diskurs -, ist Ableismus und damit verbundene Strukturen.

Als ich anfing zu Ableismus zu recherchieren, hatte ich im Kopf über Ableismus und Sprache zu schreiben und hier auf sprachliche (De-) Konstruktionen einzugehen. Dabei wollte ich Verbindungen zur sprachlichen Veränderung bei gendernden Bezeichnungen ziehen. Jedoch habe ich zu Ableismus und Sprache wenig gefunden. Dabei findet sich Ableismus als Normalität ständig in der Sprache: „Auf dem rechten Auge blind sein“, „das war wirklich irre“, „ich glaub du bist verrückt“ usw. Das sind alles sprachliche Ausdrücke, die gesamtgesellschaftlich viel benutzt werden und wo bisher wenig Sensibilisierung stattgefunden hat. Literatur zu Machtverhältnissen und Sprache in Bereichen wie Sexismus und Rassismus findet sich hingegen sowohl in der wissenschaftlichen Fachliteratur einiges (bspw.: Hentges & Nottbohm, 2014; Arndt et al., 2018; Nduka-Agwu & Hornscheidt, 2013; Günthner, 2019; Elsen, 2020), als auch im gesellschaftlichen Mainstream[2] (bspw.: Sow, 2018; Ogette, 2022; Gümüşay, 2021). Jedoch bin ich bei der Recherche auf Kritik von be_hinderten Aktivist*innen gestoßen, die darauf aufmerksam machen, dass Ableismus ein wenig beachteter Teil von (linken) Diskursen ist und unreflektiert als Normalität oft stattfindet (vgl.: Ash, 2021 und TRAUMALEBEN, 2022).

Deshalb habe ich mich dazu entschieden in die Auseinandersetzung mit Ableismus zu gehen, um mich dahingehend zu sensibilisieren. Hierzu habe ich mich in die Dis_ability Studies hineingelesen und mich mit der Konstruktion Be_hinderung beschäftigt.

1.1 Warum ich so schreibe, wie ich schreibe

Ich schreibe Be_hinderung weil der Unterstrich in aktivistischen Kreisen benutzt wird, um klar zu machen: „Behindert ist man nicht – behindert wird man“ (Payk, 2019).  Dies unterstreicht einen Perspektivwechsel, der Be_hinderung als soziales Konstrukt versteht, welches durch gesellschaftliche Strukturen, Diskurse und Handlungen erwachsen ist. Die Umwelt wird als Problem artikuliert, statt die Be_hinderung (vgl.: ebd.).

Den Unterstrich benutze ich auch in der englischsprachigen Schreibweise: Dis_ability.Zum einen möchte ich auch hier auf die behindernden Strukturen aufmerksam machen und zum anderen ist es in der englischen Schreibweise möglich aufzuzeigen, dass ‚disabled‘ Menschen gleichzeitig ‚abled‘ sind (vgl.: ebd.).

Bezogen auf gendergerechte Sprache nutze ich den sog. Gender-Stern (*), um zum einen die soziale Konstruiertheit von Mann und Frau zu verdeutlichen und zum anderen, die Binarität aufzubrechen und Platz zu machen für weitere Genderidentitäten[3].

2. Das soziale Modell in den Dis_ability Studies

In unserer (deutschen, westlichen) Gesellschaft herrscht ein defizitorientierter Blick auf Menschen mit Be_hinderung vor, der die Annahme schafft, Be_hinderungen seien eine individuelle Tragödie, die Familien und Gesellschaft belaste. Dieser Blick wurde von dem individuell-medizinischen Modell von Be_hinderung geprägt. Dieses „fokussiert auf den Mangel an sensorischen, mentalen und physischen Fähigkeiten“ (Grochar, 2022). Grundlegend dafür ist die normative Konstruktion eines ‚gesunden‘ Körpers, der als Differenzschablone dient. Die Abweichung dieser körperlichen Norm kann zu einer Diagnose führen, die einen Menschen zu einem Menschen mit Be_hinderung macht (vgl.: Grochar, 2022).

Das soziale Modell kann als Gegenmodell zum individuell-medizinischen betrachtet werden und ist ein grundlegendes Modell der Dis_ability Studies. Es geht davon aus, dass es einen Unterschied zwischen diagnostizierbaren Beeinträchtigungen oder Schädigungen gibt – diese werden impairment genannt – und daraus folgenden sozialen Benachteiligungen/Diskriminierungen – die dis_ability genannt werden (vgl.: Anhorn, Bettinger, Schmidt-Semisch & Stehr, 2007, S. 114–115). Somit sind Menschen mit Be_hinderung nicht von Natur aus be_hindert, sondern werden durch soziale und gesellschaftliche wie auch materielle Strukturen von der Gesellschaft behindert und damit von einer gleichberechtigten Teilhabe abgehalten. Ein körperlicher Schaden oder normabweichendes Verhalten, welches als impairment festgestellt werden kann, muss nicht zwangsläufig zu dis_ability werden, jedoch tragen gesellschaftliche Strukturen dazu bei.

Um diese theoretischen Worte in eine anschaulichere Praxis zu übertragen: Eine Person, die bspw. durch einen Unfall nicht mehr laufen kann und auf einen Rollstuhl angewiesen ist, kann sich eigentlich gut selbstständig in der Welt fortbewegen, jedoch sind unsere Straßen, Gebäude und Bahnhöfe nur auf die körperliche Norm der ‚gesunden‘ Körper, die Laufen können ausgerichtet. Somit kann ein Bürger*innensteig, eine kleine Treppe vor einem Geschäft oder ein kaputter Fahrstuhl dazu führen, dass Menschen von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen werden. Aus der normativen Perspektive wird hier als Problem meistens nicht die Stufe oder der fehlende gesenkte Bordstein benannt, sondern der Rollstuhl an sich als negativ und behindernd betitelt. Dies verdeutlicht z.B. Raul Kaufhausen, wenn er darauf aufmerksam macht, dass Floskeln fallen wie: „an den Rollstuhl gefesselt sein“. Dies ist eine Perspektive der Abhängigkeit und des Defizits, die meistens von Nichtbe_hinderten zu hören ist. Raul Kaufhausen betont, dass für ihn der Rollstuhl „Freiheit und nicht Einschränkung“ (Krauthausen, 2011) bedeutet und dass er sich freiwillig anschnallt und nicht daran fremdbestimmt „gefesselt“ wird (vgl.: ebd.).

Im weiteren Abschnitt möchte ich mich etwas genauer noch mit der normativen Konstruktion beschäftigen, die ich als grundlegend für das Soziale Modell beschreiben würde.

3.    Normativität

Die Dis_ability Studies und damit auch das Soziale Modell möchten die Konstruktion von Be_hinderung untersuchen. Es geht also um die Produktion, Konstruktion und Regulation von Be_hinderung durch die Dominanzgesellschaft; die Forschungsperspektive wird sozusagen umgekehrt und die Minderheit schaut auf die Mehrheit (vgl.: Raab, 2012, S. 70).  Vertreter*innen der Dis_ability Studies in den 1990er Jahren beschäftigten sich vorwiegend mit den institutionellen Herstellungen von Be_hinderung, wie oben bereits anhand der materiellen Barrieren wie Bordsteinen oder kaputten Fahrstühlen beschrieben wurden (vgl.: Waldschmidt, 2022, S. 361). An dieser Stelle möchte ich auch exkludierende Einrichtungen wie Werkstätte für Menschen mit Be_hinderung nennen, wo unterbezahlt Arbeit geleistet wird, Heime, wo stationäre Unterbringung außerhalb der Gesamtgesellschaft stattfindet oder Förder- bzw. Sonderschulen.   

Zu den 2000er Jahren hin, wird eine poststrukturalistische Perspektive auf Be_hinderung lauter, die mit Rückgriff auf Foucault die Trennung von impairment und dis_ability kritisiert, indem sie auf den konstruierenden Aspekt des gesellschaftlichen Diskurses aufmerksam machen und damit die Natürlichkeit von impairment[4] in Frage stellen (vgl.: ebd.).

3.1 Konstruktion von Normalität bzw. Normativität durch diskursive Praxis

Die Grundannahme ist, dass die Art und Weise, wie (von der Dominanzgesellschaft) über Menschen gesprochen wird, Normalität und Nichtnormalität hergestellt wird. In den Dis_ability Studies ist der Körper als Ausgangs- und Bezugspunkt relevant, da erst normative Zuschreibungen, die sich an Form und Zustand orientieren, diesen produzieren (vgl.: Raab, 2012, S. 69). Ein be_hinderter Körper resultiert als soziales Phänomen aus verdichteten diskursiven Strategien und Machtpraktiken (vgl.: Raab, 2012, S. 76–77). Wie ich noch etwas kleinteiliger beschreiben würde: Innerhalb dieses diskursiven Prozesses, der gesellschaftliche Normen, Werte usw. prägt, wird ‚gesund‘ als differenzgebende Kategorie für Be_hinderung geschaffen. Diese binäre Differenzierung wiederum ist grundlegend für weitere Ausdifferenzierungen, was nun in die Normkategorie und was in die abweichende Kategorie einzuteilen ist. Ein ‚klassisches‘ Beispiel, das in diesem Zusammenhang genannt werden kann, ist die Pathologisierung von Homosexualität. Durch den gesellschaftlichen Diskurs wurde die Pathologisierung geschaffen und im weiteren Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung dekonstruiert und 1992 aus dem ICD (International Classification of Diseases) gestrichen (vgl.: Zander, 2022, S. 12). 

In diesem gesellschaftlichen Diskurs wird nicht nur eine binäre Differenzierung aufgemacht, sondern es werden auch Wertigkeiten konstruiert. So sind bestehende Stereotype bezogen auf Menschen mit Be_hinderung oft negativ und äußern sich in Zuschreibungen wie: „schwach, unselbstständig, abhängig, nicht leistungsfähig, hilfebedürftig, unattraktiv“ (Köbsell, 2016, S. 92–93). Insgesamt also das negative Gegenbild der anzustrebenden Norm(alität). Diese Vorannahmen sind die Grundlage auf dem Mitleid entsteht und auch diskriminierendes Verhalten (vgl.: ebd.).

Eine anschauliche Erzählung bezogen auf den normativen Blick der Dominanzgesellschaft habe ich aus der Zeit des Arbeitsprozesses für diesen Text: Eine Lehrerin war in dieser Zeit bei mir zu Besuch und wollte wissen, worüber ich schreibe. Ich sagte ihr, dass ich überlege die Konstruktion von Normativität bzw. Normalität anhand von der Kategorie Be_hinderung zu diskutieren. Daraufhin meinte sie: „Ohh ja, es ist wirklich schlimm, dass ‚be_hindert‘ so oft als Schimpfwort benutzt wird. Meinen Schüler*innen sage ich immer, wenn sie sich gegenseitig so beleidigen: ‚seid froh, dass ihr nicht behindert seid!‘“. Damit hat sie ein perfektes Beispiel für die Konstruktion von der Normalität als ‚gesunde‘ Person gegeben und gleichzeitig die Annahme der negativen Konstruktion, die in der Zuschreibung ‚unerwünscht‘ mündet. Sie sagte das mit einer solchen Selbstverständlichkeit, die so wirkte, als meinte sie gerade ein antidiskriminierendes Statement abgegeben zu haben. Dies hat mir in intensiver Eindrücklichkeit die gesellschaftlich vorherrschende Sichtweise auf Normalitätsabweichung nochmals vor Augen geführt.

Raul Kaufhausen – den ich als nur eine Stimme von Aktivist*innen nennen möchte – zeigt genau auf dieses Phänomen, wenn er schreibt: „Auch ist die Annahme, dass ich an ‚Glasknochen leide‘, eine typische Sicht der Nichtbehinderten. Für viele Menschen mit Behinderung ist die Tatsache, behindert zu sein, einfach Fakt“ (Krauthausen, 2011).

Dieser Fakt sollte gesellschaftlich integriert werden.

4. Doing Dis_ablility und Doing Gender

Das soziale Modell von Be_hinderung mit der Trennung der individuellen und gesellschaftlichen Ebene erinnert an ähnliche Prozesse der Konstruktion im Bereich von Geschlecht, wo eine Trennung von Sex und Gender stattgefunden hat. So ist es nicht verwunderlich, dass es auch die Perspektive des Doing Dis_ability gibt.

Doing Gender ermöglicht die Konstruktionsprozesse von Gender, Genderrollen und Genderstereotypen zu analysieren (vgl.: Köbsell, 2016, S. 91). Gender ist nicht nur durch Sexismus und strukturelle Ungleichheiten konstruiert, sondern auch über Interaktionen im Alltag, die alltäglich Genderrollen und -stereotype (re-)produzieren und verfestigen (vgl.: ebd.). Dieser Prozess beginnt ab dem Moment, wo abgelesen wird, ob ein Kind „oh ein Junge!“ oder „oh ein Mädchen!“ wird. Doing Gender kann sowohl bewusst wie auch unbewusst stattfinden; der unbewusste Anteil geschieht viel über gesellschaftliche Erwartungen und Zuschreibungen, die unsere Sozialisation beeinflussen (vgl.: ebd.). Dieser Sozialisationsprozess bringt verschiedene Verhaltens- und Denkweisen mit sich, die durch eine sexistische, heteronormative Gesellschaft hierarchisch strukturiert sind und meist unbewusst und unreflektiert übernommen werden (vgl.: ebd.). Unsere Gesellschaft strukturiert nicht nur Geschlecht binär, sondern auch andere Kategorien, wie deutsch und fremd oder be_hindert und nichtbe_hindert und schafft auch in ihnen eine hierarchische Differenz, die durch reproduzierendes Handeln naturalisiert wird (vgl.: Köbsell, 2016, S. 91–92).

Wichtiger Teil der Konstruktion von Be_hinderung bzw. Doing Dis_ability ist ‚compulsory abledbodiedness‘ (vgl.: Köbsell, 2016, S. 94). Dies ist ein Konzept, das angelehnt an ‚compulsory heterosexuality‘ aufzeigt, dass alle gesellschaftlichen Bereiche sowohl an einer verpflichtenden Heterosexualität als auch an einer verpflichtenden ablebodiedness ausgerichtet sind und bspw. beides getrennt von Politik gesehen wird und als natürliche Art zu leben (vgl.: Köbsell, 2016, S. 94).

Doing Dis_ability findet auf der Ebene alltäglicher Interaktionen statt, welche bestimmte Handlungen und Fähigkeiten mit der Bedeutung be_hindert oder nichtbe_hindert versehen (vgl.: Köbsell, 2016, S. 92). Die Zuschreibungen, die beim Doing Dis_ability unreflektiert in Wahrnehmungen, Interaktionen und alltagspolitische Handlungen hineinfließen und Wirkung entfalten, sind meist negativ (wie oben auf Seite 7 bereits genannt). Diese negativen Zuschreibungen können sich zu herabwürdigendem und bevormundenden Verhalten entwickeln, wie z.B., dass Menschen mit Be_hinderung nicht als gleichwertige Gesprächspartner*innen gesehen werden oder automatisch zugeschrieben wird, Hilfe im Alltag zu brauchen (vgl.: ebd.). Diese Erwartungen und Zuschreibungen können internalisiert werden und als eigene Handlungsmaximen übernommen werden, so dass sich die Vorannahmen zu erfüllen scheinen (Stichwort: Selbsterfüllende Prophezeiung).

„So schreibt Fredi Saal ‚Ich bin nämlich ein gelernter Behinderter. Die Rede vom ‚gelernten’ Behinderten bitte ich wortwörtlich zu nehmen. Denn ich bin zwar mit einer spastischen Lähmung geboren worden, ich bin aber nicht mit dem Sozialstatus eines Behinderten auf die Welt gekommen. Mich als Behinderten anzusehen, habe ich gelernt – und zwar gründlich!‘ (1996, S. 87)“ (Köbsell, 2016, S. 93).

Fazit

Insgesamt hat mich die Auseinandersetzung mit den Dis_ability Studies dazu angeregt, mich aus erweiterten Perspektiven mit gesellschaftlichen Normalisierungsprozessen auseinanderzusetzten. Diese produzieren im gesellschaftlichen Zusammenleben verschiedenste Diskriminierungsformen. Eine Normalisierung von Nichtbe_hinderung bringt eine Naturalisierung von Be_hinderung als negativ konnotiert und eingeschränkt mit sich. Die Konstruktion von Gender und die Infragestellung von Heteronormativität ist im gesellschaftlichen Diskurs angekommen und es hat sich ein Sensibilisierungsprozess eingestellt. Obwohl das individuell-medizinische Modell bereits vom sozialen Modell abgelöst wurde, ist diese neue Perspektive scheinbar noch nicht in der Gesellschaft angekommen und Be_hinderung wird als ‚Naturphänomen‘ gesehen. Dies ist wegbereitend für Ableismus. Ein gesellschaftlicher Diskurs kann dazu beitragen, dass Be_hinderung gesamtgesellschaftlich als soziales Konstrukt gesehen wird und damit auch als gesamtgesellschaftliche Dekonstruktions-Aufgabe.

Abschließend möchte ich sagen, dass es aus meiner Sicht noch viel Bedarf gibt für Ableismus zu sensibilisieren, damit wir uns alle weiter von einer exkludierenden Gesellschaft wegbewegen, hin zu einer inkludierenden. Dies können nichtbe_hinderte Menschen tun, indem sie sich z.B. selbstständig informieren oder auch mit Geldspenden Einrichtungen, Organisationen usw. unterstützen, die sich gegen Ableismus einsetzen oder auch Beratungen und Fortbildungen anbieten – wie es bspw. der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. tut.

Literaturverzeichnis

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[1] Gerne möchte ich anmerken, dass es DIE deutsche Linke nicht gibt, sondern innerhalb linker Kreise viele verschiedene Strömungen existieren. Insgesamt gibt es viele Diskussions- und Streitpunkte in linken Kreisen, jedoch würde ich meinen, dass es ein verbindendes Glied gibt: Die Auseinandersetzung mit Macht- und Unterdrückungsverhältnissen und damit zusammenhängend Diskriminierungsstrukturen in der Gesellschaft. Ein gemeinsames Ziel, wäre die Abschaffung dieser Unterdrückungsverhältnisse hin zu einer Vielfalt-integrierenden Gesellschaft. Wie das jedoch geht, wo begonnen wird usw. sind wiederum Streitpunkte.

[2] Mit ‚Mainstream‘ meine ich in diesem Zusammenhang Bücher, die nicht nur in einem Fachdiskurs gelesen werden, sondern auch in einer breiteren Gruppe der Gesellschaft.

[3] Wobei ich bei diesem Punkt länger überlegt habe, ob ich den Doppelpunkt verwenden möchte, da ich in einem Vortrag gehört habe, dass sehbehinderte oder eingeschränkte Menschen, die ein Lesegerät nutzen, den Doppelpunkt besser dechiffrieren können. Nun habe ich aber auf der Website der FU gelesen, dass der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. das Sternchen favorisiert, da dieses von den Geräten besser zu lesen sei (vgl.: N.N. (2022). Was ich mich in diesem Zusammenhang noch gefragt habe, ob der Unterstrich, den ich bei Be_hinderung nutze, von den Lesegeräten gelesen werden kann oder ob dieser den Lesefluss stören würde. Dazu habe ich leider nichts gefunden.

[4] Über die Konstruiertheit von impairment gibt es innerhalb der Disability Studies Kritik und unterschiedliche Ansichten. Dies zeigt bspw. ein Artikel in der Zeitschrift für Disability Studies in der Ausgabe vom Februar 2022 (vgl.: Zander (2022).


Quelle: Tomke Thielebein, Be_hinderung ist ein Konstrukt, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 01.11.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=292

Diskriminierung im Gesundheitssektor

Die Auswirkungen von Medical Gaslighting und Diskriminierung auf Minderheitengruppen und Frauen

Jessica Rorison (SoSe 2022)

Medical Gaslighting ist ein Thema, das in den letzten Monaten zunehmend in die Öffentlichkeit gerückt ist. Von Medical Gaslighting spricht man, wenn die gesundheitlichen Beschwerden einer Person von den behandelnden Ärzt*innen nicht ernstgenommen werden, weil sie oftmals ohne vorhergehende Untersuchung auf bestimmte körperliche Merkmale der Patient*innen zurückgeführt werden. Zu den Merkmalen zählen z. B. Geschlecht, ethnische Herkunft, Gewicht oder sexuelle Orientierung der/des Patient*in. Die Folgen von Medical Gaslighting können schwerwiegend bis tödlich sein. Neben fehlerhaften oder gänzlich ausbleibenden Diagnosen kommt es oftmals zu einer unzureichenden Behandlung mit falschen Medikamenten oder Dosierungen. Auch die psychische Belastung ist enorm und kann u. a. zu Angststörungen sowie Depressionen führen.

Zwar wird die Autorität von Ärzt*innen selten infrage gestellt, jedoch zeigt sich eine zunehmende Gegenbewegung zum Medical Gaslighting. Die Patient*innen tauschen sich beispielsweise online aus oder wenden sich direkt an die Presse, um ihrem Unmut Luft zu machen. Patient*innen schweigen nicht mehr, wenn sie sich fehldiagnostiziert fühlen und/oder wenn sie eine unzureichende Behandlung aufgrund einer offensichtlich rassistischen, misogynen oder anderweitig diskriminierenden Motivation heraus wahrnehmen. Ein Beispiel hierfür ist das sogenannte „Südländersyndrom“ oder „Mittelmeersyndrom“, das in der medizinischen Umgangssprache eine pejorative Umschreibung für die als übertrieben empfundene Schmerzschilderung von Patient*innen, die aus dem Mittelmeerraum stammen, benutzt wird. Die Bezeichnung soll vor allem Schmerzempfinden ohne medizinischen Grund beschreiben oder auch einen „generalisierten Schmerz“ bei einem lokal begrenzten Ereignis.[1] Die Folge daraus kann z. B. eine unzureichende oder späte Behandlung ernsthafter Symptome sein. Auch People of Colour (PoC) erhielten laut Maas und Appelman in den USA [und vielen anderen westlich geprägten Ländern] meist eine schlechtere medizinische Behandlung als nicht-PoCs. Vorurteile und Voreingenommenheit seien in der Medizin also nachweisbar und können Medical Gaslighting begünstigen.[2]

Auch die verschiedenen Geschlechter werden unterschiedlich behandelt. Laut Untersuchungen in den USA werden bspw. Herzerkrankungen bei Frauen später diagnostiziert als bei Männern. Vermutlich liegt das daran, dass die Symptome bei Frauen erstmal unterschätzt werden.[3] Dies passiert offenbar besonders häufig bei Krankheiten, deren Symptome uneindeutig sind, so z. B. auch beim chronischen Erschöpfungssyndrom, der Myalgischen Enzephalomyelitis bzw. dem Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS), das zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führen kann.[4] In der aktuellen Covid-19-Pandemie zeigt sich, dass eine Subgruppe der von Long-Covid betroffenen Personen ME/CFS entwickelt.[5] Einige der Symptome umfassen z. B. Schlafstörungen, Muskel- und Gelenkschmerzen, Schwindel, Darm- und Blasenstörungen, Wortfindungs- und Konzentrationsstörungen und viele weitere Symptome, die in der Form auch bei zahlreichen anderen Krankheiten auftreten können.[6] Viele Patient*innen befürchten, dass ihre Symptome nicht ernstgenommen, bzw. dass sie für faul und arbeitsunwillig gehalten werden. Kommentare wie „[m]üde bin ich auch öfter mal“ oder „du bist doch viel zu jung, um sowas zu haben“[7], die nicht nur von Ärzten, sondern auch von Angehörigen und Freunden geäußert werden, sind kein Einzelfall.

Eine weitere Gruppe, die fast immer von Medical Gaslighting betroffen ist, betrifft Menschen mit Übergewicht. Die Vorurteile gegenüber übergewichtigen Personen halten sich besonders hartnäckig. So berichtet bspw. Josephin Oehmer gegenüber dem Tagesspiegel von ihren Erfahrungen, wie sie als schwangere Frau „[u]nterernährt und geschwächt“ im Bett einer Universitätsklinik liegt und dem behandelnden Arzt erklären muss, „dass er einfach mit einer Nadel in ihren Bauch stechen und das überschüssige Wasser aus ihrem Magenband ablassen kann.“[8] Sie berichtet, wie sie seit Wochen kaum noch essen und zum Schluss nicht einmal mehr trinken konnte. Offenbar hatte sie sich einer Magenverkleinerung unterzogen, die irgendwann zu Komplikationen führte. Besonders schwierig dabei war, dass ihr ungeborenes Baby nicht ausreichend versorgt wurde, da sie keine Nahrung zu sich nehmen konnte. Der Kommentar der behandelnden Gynäkologin zu dieser Situation lautete: Kein Problem, sie solle ja ohnehin abnehmen.[9] Vielen Personen ist nicht bewusst, dass auch übergewichtige Menschen unter Unterernährung leiden können. Aber wie kann es sein, dass das auch auf Ärzt*innen zutrifft, die es definitiv besser wissen sollten? Es ist richtig, dass Übergewicht zu einer Vielzahl von gesundheitlichen Problemen führen und dass es ein generelles Risiko für Betroffene darstellen kann. Zu den häufigsten Folgeerkrankungen von Adipositas gehören Typ-2-Diabetes, koronare Herzerkrankungen sowie Schlaganfälle.[10] Auch Probleme mit den Gelenken sind keine Seltenheit. Wie im Bericht von Josephin Oehmer festgehalten, tendieren Personen, die Medical Gaslighting erfahren, dazu, Arztbesuche zu vermeiden, wodurch schwere Erkrankungen noch später erkannt werden und es im schlimmsten Fall zur Lebensgefahr kommt. Ein Umstand, der durch eine menschenwürdige Behandlung leicht vermieden werden könnte.

Trans* Personen machen eine weitere Gruppe aus, die stark unter Medical Gaslighting zu leiden hat. Oft rührt dieser Zustand von einem Unverständnis, das man bei Ärzt*innen heutzutage eigentlich nicht erwartet. Die Unwissenheit bezüglich des Umgangs mit trans*Personen unter Ärzt*innen führt teilweise zu unangebrachten Fragen oder der gänzlichen Ablehnung einer Behandlung.[11] Der daraus resultierende identitätsbezogene Missbrauch

[…] can involve physical, emotional, […] and gender presentation. More specifically, this may involve denying that someone is transgender (or that it is possible to be transgender), […] commenting negatively about a person’s appearance or body, intentionally using the wrong pronoun and/or name, asking someone not to disclose they are transgender to others, threatening to tell other people that someone is transgender, withholding medicine, and/or withholding money for medicines or surgery.[12]

Riggs, D. W., Fraser, H. (et al.) (2016), S. 2374–2392

Diese Form von Missbrauch trifft vor allem (aber nicht nur) trans* Frauen und kann schwerwiegende Folgen nach sich ziehen: „Their study strongly suggests that identity-related abuse is linked to major depression and suicidality for transgender women during adolescence.“[13]

Auch mangelnde Deutschkenntnisse werden als Vorwand genommen, Patient*innen nicht, oder nur unzureichend, zu behandeln. So berichtet eine türkische Künstlerin, die anonym bleiben möchte, dass ihre Psychiaterin ihre Angststörung auf fehlende Deutschkenntnisse zurückführe: „Dafür, dass Sie so lange in Deutschland leben, sprechen Sie aber nicht besonders gut Deutsch. Vielleicht sollten Sie mehr Deutsch lernen, dann geht es Ihnen bestimmt besser.“[14] Das Diagnosegespräch hatte die Psychiaterin vorab nicht auf Englisch führen wollen, später stellte sich jedoch heraus, dass sie durchaus fließend Englisch sprechen kann. Warum also diese Farce? Warum die Situation für eine Frau, die unter einer Angststörung leidet, schlimmer machen als nötig? Die Erklärung zum Mehrwert dieser Behandlungsmethode bleibt die Psychiaterin der Patientin schuldig.

Zeitmangel sei ein weiterer entscheidender Faktor. Johannes Schenkel, medizinischer Leiter der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland, sagt gegenüber Deutschlandfunk Nova: „In einem sehr durchökonomisierten Gesundheitssystem spielt einfach der Faktor Zeit eine große Rolle. Das haben viele nicht. Das sind leider oft die Rahmenbedingungen.“[15] Um einer Fehlkommunikation entgegenzuwirken, empfiehlt Schenkel, das offene Gespräch mit den behandelnden Ärzt*innen zu suchen. Allerdings sei das strukturelle Problem so einfach nicht abzustreiten, sagt Fanny Bartsch, eine angehende Medizinerin, die Medical Gaslighting während ihres medizinischen Praktikums beobachtet habe. Sie erlebte, wie Vorurteile gegenüber Frauen und die Vorverurteilung bestimmter kultureller und ethnischer Gruppen einer zielgerichteten medizinischen Behandlung im Weg stehen können.[16] Des Weiteren berichtet sie, dieses Phänomen vor allem bei Ärzten, weniger bei Ärztinnen, beobachtet zu haben. Interessanterweise führt sie einen Teil des Problems auf eine unzureichende Fehlerkultur zurück, in der gerade Mediziner*innen nicht bereit sind, ihr Unwissen einzugestehen. Die Genfer Deklaration des Weltärztebunds, die der deutschen Berufsordnung für Ärzte voransteht, gibt vor:

Ich werde nicht zulassen, dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politischer Zugehörigkeit, Rasse, sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder jeglicher anderer Faktoren zwischen meine Pflichten und meine Patientin oder meinen Patienten treten.[17]

Ich behaupte, dass die meisten Ärzt*innen und das Pflegepersonal mit der Intention in den Beruf einsteigen, genau diesen Vorsatz zu erfüllen. Gerade deshalb stellt sich die Frage, an welchem Punkt und aus welchem Grund sie die Eigenschaft verlieren, nach der Deklaration zu handeln. Ist es ein Problem systematischer Diskriminierung, die die involvierten Personen ihr Leben lang miterlebt haben? Eine Reproduktion von Stereotypen, die sie nie anders kennengelernt haben? Oder vielleicht negative Erfahrungen mit entsprechenden Menschengruppen? Wäre es nicht dennoch die Pflicht einer Ärztin/eines Arztes und den verantwortlichen Pflegepersonen über solchen Einflüssen zu stehen, um ihren Beruf auf eine menschenwürdige Art und Weise ausüben zu können? Oder werden Rassismus, Sexismus, Fett- und Transfeindlichkeit durch ein System begünstigt, „das die Ressourcen so knapp hält [sic!], dass das medizinische Personal nur noch den Mangel verwaltet und dabei den Menschen aus dem Auge verliert?“[18]

Nantke Garrelts kritisiert aus diesem Grund den Begriff Gaslighting, da Gaslighting eine böse Absicht in der Behandlung der Patient*innen unterstelle. Jedoch denke ich nicht, dass der Verdacht so ohne Weiteres abgeschmettert werden kann. Natürlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Gesundheitssystem in Deutschland (und den meisten Ländern der Welt) stark mangelhaft ist. Dennoch kann dieses Argument nicht als alleinstehender Grund dafür genannt werden, dass Menschen ungleich behandelt werden. Gerade im Bereich der LSBTIQ*[19]-Personen gibt es einige Studien, die zeigen, dass die betroffenen Personen im Vergleich zum Rest der Bevölkerung eine schlechtere Gesundheit sowie Diskriminierungserfahrungen haben, die als Ursache für den gesundheitlichen Zustand miteinkalkuliert werden müssen.[20] Natürlich ist es nicht möglich, die gesamte LSBTIQ*-Bevölkerung im Ganzen zu betrachten. Auch Studien können immer nur einen kleinen Teil einer bestimmten Gruppe abbilden, so dass solche Studien immer mit Bedacht konsultiert werden sollten. Die jeweiligen Erfahrungen können stark voneinander abweichen, je nachdem in welchem Umfeld die betroffenen Personen leben, welcher Ethnie und sozialen Schicht sie angehören sowie zahlreiche andere Faktoren, die das Bild verzerren können, spielen eine Rolle.

Psychische und körperliche Erkrankungen wie Depression und Burnout treten laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) und der Universität Bielefeld bei LSBTIQ*-Personen bis zu dreimal häufiger auf.[21] Auch Einsamkeit sei ein großes Problem, dass doppelt so häufig auftrete, wie in der Mehrheitsgesellschaft. Bei trans* Personen liege diese Zahl sogar bei einem Drittel.[22] Die Folgen davon können sich wiederum in Schlafstörungen und Niedergeschlagenheit äußern. Da diese Erkrankungen stressbedingt seien, leiden LSBTIQ*-Personen doppelt so oft an Herzerkrankungen und auch chronischen Rückenschmerzen seien keine Seltenheit.[23] Die Forscher*innen der Studie stellen fest, dass einer der Hauptgründe für die schlechte Gesundheit von LSBTIQ*-Personen die anhaltende Diskriminierungserfahrung sei,[24] die sich vermutlich nicht nur auf den Alltag, sondern auch auf Arztbesuche zurückführen lässt. Darüber hinaus habe sich die Situation von LSBTIQ*-Personen während der Covid-19-Pandemie noch verschlimmert. Die Forscher*innen schlagen vor, vermehrt „Safe Spaces“ aufzubauen, also sichere Orte wie Vereine, Treffpunkte und kulturelle Angebote, in denen sich LSBTIQ*-Personen immerzu sicherfühlen können.

Auch der Lesben- und Schwulenverband Deutschland e. V. (LSVD e. V.) berichtet umfangreich über die gesundheitliche Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans* und inter* Menschen in der umfangreichen Studie: „Diskriminierung und Minderheitenstress machen krank und führen zu schlechterem gesundheitlichen Befinden.“

Minderheitenstress, bzw. minority stress, zeigt sich dadurch,

that stigma, prejudice, and discrimination create a hostile and stressful social environment that causes mental health problems. The model describes stress processes, including the experience of prejudice events, expectations of rejection, hiding and concealing, internalized homophobia, and ameliorative coping processes.[25]

Vgl. Meyer, Ilan H. (2003), S. 674–697

Ein junges Beispiel für Medical Gaslighting im Bereich der LSBTIQ*-Gesundheit ist sicherlich der Ausbruch des sogenannten „Affenpockenvirus“. Sowohl die Namensgebung als auch der Umgang in den Medien mit diesem Virus war und ist äußert bedenklich. Zum einen hat das Virus nichts mit Affen zu tun, es wurde lediglich das erste Mal in Affen entdeckt. Die Übertragung erfolgt jedoch über Nagetiere. Die Assoziation mit Affen führte in manchen Medien dazu, das Virus mit west- und zentralafrikanischen Ländern, wo das Virus endemisch ist, und den dort lebenden Menschen in Verbindung zu bringen, so dass unweigerlich rassistische Denkweisen gefördert wurden. Auffällig ist, dass das Virus bei Männern weit häufiger auftauche als bei Frauen.[26] Darüber hinaus wurde und wird die Verbreitung mit homosexuellen Männern, bzw. Männern, die Sex mit Männern (MSM) haben, in Verbindung gebracht, da die Infektionszahlen bei diesen Personen angeblich aufgrund häufig wechselnder Partner besonders schnell stiegen. Zwar wurde von vielen Seiten gefordert, eine Stigmatisierung zu unterbinden,[27] jedoch war es zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät, da entsprechende Berichte in Zeitungen und Nachrichten verbreitet worden waren.

Leider ist an diesen Beispielen zu erkennen, dass Diskriminierung nach wie vor ein großes Problem in unserer modernen Welt ist, ganz gleich, welchen Bildungsstand die Menschen haben und welchen Beruf sie ausüben. Daher ist es besonders wichtig, immer wieder für Aufklärung zu sorgen und den positiven Austausch zwischen Menschen aller Ethnien, sexuellen Ausrichtungen und Glaubensrichtungen zu fördern. Nur Aufklärung und ein positives Miteinander können Diskriminierung stoppen.

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[1] Vgl. Definition Mittelmeersyndrom: https://flexikon.doccheck.com/de/Mittelmeersyndrom (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[2] Vgl. Maas, A.H.E.M. und Appelman, Y.E.A.: Gender differences in coronary heart disease. In: Netherlands Heart Journal 18 (2010). S. 598–603.

[3] Ebd.

[4] Siehe hierzu Deutsche Gesellschaft für ME/CFS: https://www.mecfs.de/was-ist-me-cfs/ (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[5] Ebd.

[6] Ebd.

[7] Vgl. Sturm, Karin: Rea Strawhill & ME/CFS: Episode 1, Aches, Pains & Smiles Podcast, Transkription. Online: https://www.holy-shit-i-am-sick.de/rea-strawhill-me-cfs-episode-1-aches-pains-smiles-podcast/ (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[8] Garrelts, Nantke: Zu dick, zu schwarz, zu weiblich? Wenn der Arzt einfach nicht zuhören will. In: Tagesspiegel (05.09.2022). Online: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/zu-dick-zu-schwarz-zu-weiblich-wenn-der-arzt-einfach-nicht-zuhoren-will-8602855.html (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[9] Ebd.

[10] Vgl. Statistik der Stiftung Gesundheitswesen 2019: https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/wissen/adipositas/ folgeerkrankungen (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[11] Vgl. American Heart Association News: For LGBTQ Patients, Discrimination can Become a Barrier to Medical Care. Online: https://www.heart.org/en/news/2019/06/04/for-lgbtq-patients-discrimination-can-become-a-barrier-to-medical-care (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[12] Riggs, D. W., Fraser, H. (et al.): Domestic Violence Service Providers’ Capacity for Supporting Transgender Women: Findings from an Australian Workshop. In: British Journal of Social Work 46:8 (2016). S. 2374–2392.

[13] Nuttbrock, L. (et al.): Psychiatric Impact of Gender-Related Abuse Across the Life Course of Male-to-Female Transgender Persons. In: Journal of Sex Research 47:1 (2010). S. 12–23.

[14] Vgl. Garrelts, Nantke, Tagesspiegel (13.09.2022).

[15] Vgl. Schottner, Dominik: Medical Gaslighting – Wenn Mediziner*innen uns nicht ernstnehmen. Deutschlandfunk Online: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/medical-gaslighting-wenn-wir-nicht-ernst-genommen-werden (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[16] Ebd.

[17] Vgl. Weltärztebund: Deklaration von Genf – das ärztliche Gelöbnis. Offizielle deutsche Übersetzung der Deklaration von Genf autorisiert durch den Weltärztebund. Online: https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/_old-files/downloads/pdf-Ordner/International/bundersaaerztekammer_deklaration_von_genf_04.pdf (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[18] Vgl. Garrelts, Nantke, Tagesspiegel (13.09.2022).

[19] LSBTIQ* steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, inter*, Queer und/oder Questioning und jede weitere Form der sexuellen oder geschlechtlichen Identität. Im englischsprachigen Raum wird es als LGBT* abgekürzt und ist oft auch in deutschen Texten unter dieser Abkürzung zu finden.

[20] Vgl. Webseite des DISW: „Echte Vielfalt“: Neue Studie zur Gesundheit von LSBTIQ* in Deutschland veröffentlicht (26.02.2021). Online: https://echte-vielfalt.de/lebensbereiche/lsbtiq/neue-studie-zur-gesundheit-von-lsbtiq-in-deutschland-veroeffentlicht/ (letzter Zugriff: 18.09.2022).

[21] Ebd.

[22] Ebd.

[23] Ebd.

[24] Ebd.

[25] Vgl. Meyer, Ilan H.: Prejudice, Social Stress, and Mental Health in Lesbian, Gay, and Bisexual Populations: Conceptual Issues and Research Evidence. In: Psychol Bull 129:5 (2003). S. 674–697.

[26] Vgl. Studie des UK Governments: Investigation into Monkeypox Outbreak in England: Technical Briefing 4 (02.09.2022). Online: https://www.gov.uk/government/publications/monkeypox-outbreak-technical-briefings/investigation-into-monkeypox -outbreak-in-england-technical-briefing-4 (letzter Zugriff: 18.09.2022).

[27] Vgl. bspw. Queer.de: Affenpocken: WHO-Chef ruft promiske Schwule zu Sex-Verzicht auf. Online: https://www.queer.de /detail.php?article_id=42754 sowie Rzepka, Dominik: Schwulenverband warnt vor Stigmatisierung. Bericht auf ZDF.de (24.05.2022). Online: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/affenpocken-homosexuelle-rki-diskriminierend-100.html (letzter Zugriff: 18.09.2022).


Quelle: Jessica Rorison, Diskriminierung im Gesundheitssektor. Die Auswirkungen von Medical Gaslighting und Diskriminierung auf Minderheitengruppen und Frauen, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 01.11.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=289

Die Rolle der Sprache im Alltagsrassismus

Lena Hackauf (SoSe 2022)

1. Einleitung

Im November 2020 sowie im Januar 2021 strahle der WDR eine Folge der Talkshow Die letzte Instanz aus.[1] Diskursthema der Show war es unter anderem, sich darüber auszutauschen, ob die Z-Soße[2] einen anderen Namen erhalten sollte. Hintergrund dafür war die jahrelange Beschwerde der Sinti und Roma, dass eben jene Bezeichnung eine Diskriminierung darstelle. Schlussendlich drang dies zu einem Hersteller durch, der die Soße schließlich in Paprikasauce ungarische Art umbenannte. Der WDR-Moderator Steffan Hallaschka und das Team der Show luden vier prominente weiße – und damit vier nicht betroffene – Menschen ein, um über die Frage zu debattieren. Die vier Gäste waren sich einig, dass es nicht diskriminierend sei, das Z-Wort oder auch das N-Wort zu verwenden.

Insbesondere nach der erneuten Ausstrahlung der Sendung im Januar 2021 war die Kritik an dem Thema, der inhaltlichen Debatte sowie an den Gästen groß (vgl. Dell 2021, Sterz & Haruna-Oelker 2021). Die Debatte in der Show macht deutlich, wie tief verwurzelt Rassismus in der deutschen Gesellschaft ist. Dabei wird ein bestimmter Bereich des Rassismus bedient, der sogenannte Alltagsrassismus. Diese Hausarbeit möchte sich im Bereich des Alltagsrassismus mit diskriminierender Sprache in Deutschland beschäftigen. Dafür soll zunächst einmal geklärt werden, was unter Rassismus sowie Alltagsrassismus verstanden werden kann. Anschließend soll spezifisch auf den Aspekt der rassistischen Sprache in Deutschland eingegangen werden.

2. Rassismus   

 Unter einer rassistischen Tat versteht die Mehrheit der Menschen einen gewalttätigen, mutwilligen und offensiven Akt der Diskriminierung. Hinzu kommt, dass es sich hierbei um seltene Ausnahmen handeln würde, nur eine rechte Minderheit würde beziehungsweise könne rassistisch handeln (vgl. Schramkowski & Ihring 2018, S. 279). Diese Auffassung von Rassismus stimmt jedoch nicht. Ganz im Gegenteil: Die offensive Form von Rassismus spiegelt nicht die ganze Bandbreite der Diskriminierung von Menschen etwa aufgrund ihrer Ethnie, Religion oder Hautfarbe dar. Rassismus ist eine Ideologie, die davon ausgeht, dass die Menschheit in verschieden „Rassen“ unterteilt werden könne (Koller 2015). Dadurch sei es möglich, anhand von willkürlichen Eigenschaften, wie zum Beispiel körperlichen Merkmalen, Menschen nicht nur zu unterscheiden, sondern auch den Gruppen Privilegien zu- oder abzuschreiben. Es geht also darum, sich selbst von anderen, von Fremden, abzugrenzen und gleichzeitig Machtverhältnisse herzustellen (vgl. Hergesell 1992, S. 748).  
Rassismus ist ein System, dessen Wurzeln bis in die Antike zu verfolgen sind (vgl. Rommelspacher 2009, S. 28). Auch das Gesellschaftssystem der Kasten in Indien sind ein Erzeugnis rassistischer Motive (vgl. Rommelspacher 2009, S. 28). Besonders zentral für das heutige Verständnis von Rassismus ist jedoch die Rassentheorie des 18. Jahrhunderts in Europa (vgl. Koller 2015). Diese Theorie soll(te) dazu dienen, Menschen zu kategorisieren und hierarchisch zu sortieren. Auf diese Weise rechtfertigten die Könige europäischer Länder wie beispielsweise Großbritannien, der Niederlande oder Deutschlands die Kolonialisierung auf dem afrikanischen, amerikanischen oder auch süd-ost-asiatischen Kontinent (vgl. Koller 2015).

Auch im 21. Jahrhundert haben die rassistischen Strukturen der Gesellschaft Auswirkungen auf „soziale, politische und wirtschaftliche Handlungen“ (Rommelspacher 2009, S. 25). Zum modernen Rassismus können Formen wie der Antisemitismus, Antiislamismus sowie der Antiziganismus gezählt werden (vgl. Rommelspacher 2009).

2.1 Die Alltäglichkeit von Rassismus

Rassismus zeigt sich vielseitig. Neben der offensiven Form von Rassismus, die sich beispielsweise durch offenkundige Beleidigungen oder physische Angriffe äußert, gibt es eine weitere Form, den sogenannten Alltagsrassismus. Dieser beginnt bei abfälligen Blicken, geht über Fragen nach der ‚wirklichen‘ Heimat und endet schlussendlich in strukturellen Benachteiligungen von BIPoC[3], zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Suche nach einer Wohnung.

Ein wesentlicher Punkt rassistischen Gedankenguts ist es, Menschen mit der Hilfe von Stigmatisierung und Verallgemeinerungen zu gruppieren. Auch mit vermeintlich wohlwollenden Aussagen sollen Menschen eingeordnet werden (Nguyen 2014). Eine solche, aufgrund von Herkunft, Name, Sprache, Religion und vielem weiteren basierten, Verallgemeinerungen wäre zum Beispiel eine Aussage wie ‚Alle Asiaten sind gut in Mathe.‘ Dabei ist es nicht wichtig, ob die Auffassung positiv oder negativ gemeint war. Mit solchen Verallgemeinerungen spricht man den Menschen ihre Individualität, ihr Können und ihre Fähigkeiten ab. Denn es wird gleichzeitig impliziert, dass jeder Mensch, der wie in dem angeführten Beispiel als Asiate gelesen wird, ohnehin gut mit Zahlen umgehen könne und es somit nichts Besonderes sei.

In der Regel werden solche Bemerkungen und Behandlungen von Nicht-Betroffenen nicht als rassistisch eingeordnet (vgl. Schramkowski & Ihring 2018, S. 280). Das hängt zum Teil damit zusammen, dass das Thema Rassismus in unserer Gesellschaft tabuisiert ist und sich die Mehrheitsbevölkerung in Deutschland nur ungern damit beschäftigt – ein Privileg. Denn wie bereits erwähnt, wird davon ausgegangen, dass Rassismus kaum vorkäme. Ein Hauptbestandteil des Alltagsrassismus ist damit die Banalität (vgl. Schramkowski & Ihring 2018, S. 281).

Doch auch BIPoC, also von Rassismus betroffene Menschen, können alltagsrassistische Handlungen und Bemerkungen übersehen (vgl. Nguyen 2014). Das liegt daran, dass auch BIPoC mit den Vorurteilen der hiesigen Gesellschaft aufwachsen und sozialisiert werden. Unter racial bias kann man die Stereotype zusammenfassen, die unterbewusst einen Einfluss auf unsere Handlungsweisen haben (vgl. Valla et al. 2018, S. 195-196). In der Studie von Valla et al. (2015) wird deutlich, dass es sowohl weißen als auch schwarzen Menschen leichter fällt, positive Eigenschaften weiß aussehenden Menschen zuzuordnen. Hingegen fällt es ebenfalls beiden Testgruppen leichter, schwarz gelesenen Menschen negative Attribute zuzuschreiben (vgl. Valla et al. 2015). Die Ergebnisse legen nahe, dass Alltagsrassismus einen Effekt darauf hat, wie BIPoC ihre Umwelt wahrnehmen und sie ebenfalls die rassistischen Stereotype, das „rassistische Wissen”, der Gesellschaft verinnerlichen (Nguyen 2014).

2.2 Diskriminierende Worte

Worte spielen eine elementare Rolle im Alltagsrassismus. Dabei können zwei Arten von Rassismuserfahrungen unterschieden werden (vgl. Çiçek et al. 2014, S. 311): Neben der primären Rassismuserfahrung, durch zum Beispiel offensive Hetze gegen Menschengruppen aufgrund ihrer Ethnie, Religion oder ähnlichem, gibt es auch sekundäre Rassismuserfahrungen. Letztere sind dem Alltagsrassismus zuzuordnen. Dazu zählen neben Kommentaren, den vermeintlichen Komplimenten, Zuschreibungen und vielem mehr ein Pool rassistischer Beleidigungen, auf englisch racial slurs. Die racial slurs sind geschichtlich bis in die Kolonialzeiten zurückzuführen – teilweise auch noch weiter zurück. Sie entstanden und wurden genutzt, um die damit zu bezeichnenden Menschen herabzusetzen. Zu den racial slurs zählen zum Beispiel das N- und M-Wort für schwarze Menschen sowie das Z-Wort für Sinti und Roma.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma (2015) schreibt dazu: Das Z-Wort „ist eine von Klischees überlagerte Fremdbezeichnung der Mehrheitsgesellschaft, die von den meisten Angehörigen der Minderheit als diskriminierend abgelehnt wird.“ Denn egal ob man racial slurs mit oder ohne schlechte Intention verwendet, sie transportiert und reproduzieren die rassistische Vergangenheit, durch die sie geprägt sind (vgl. Çiçek et al. 2014, S. 313). Racial slurs wie das Z-Wort sind mit realen Gewaltakten direkt und unwiderruflich verbunden. Das Z-Wort ist beispielsweise bis in das 16. Jahrhundert in Deutschland zurückzuführen. In seiner etymologischen Entstehung steht es in einer engen Verbindung zu den Stereotypen über die Sinti und Roma (vgl. Zentralrat Deutscher Sinti und Roma 2014). Gewalttaten sowie die systematische Vernichtung der Sinti und Roma im Dritten Reich wurden mit eben jenen Stereotypen begründet und gerechtfertigt.

Die mit Schmerz und Leid verbundenen racial slurs sind noch immer im Alltag aufzufinden und transportieren und verkörpern eben jene Erfahrungen – seien es Straßennamen, Speisen und Süßigkeiten oder ältere Literatur, zu der auch Kinderbücher wie zum Beispiel Pippi Langstrumpf oder Die kleine Hexe zählen. Durch die alltäglich wiederholende Diskriminierung der racial slurs werden die rassistischen Prinzipien und Machtstrukturen gefestigt. Kourabas (2019, S. 20) fasst zusammen:

„Durch sprachliche Bezeichnungen, die an rassistische Bilder der Unterordnung und vermeintlicher Minderwertigkeit und Geschichtslosigkeit anknüpfen, werden Personen und Personengruppen herabgewürdigt, entmenschlicht, beschimpft, homogenisiert, exotisiert, infantilisiert und als Fremde und Andere in einem geschichtslosen Vakuum exkludiert.“

3. Sprache schafft Wirklichkeit

Sprache hat einen direkten Einfluss darauf, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen. Das belegt zum Beispiel die Studie des Linguisten Levinson (1997). In dieser Beschreibt Levinson, dass es der indigenen Sprache Guugu Yimithirr der Aborigines in Australien keine Begriffe für links, recht, vorne oder hinten gibt. Um zu beschreiben, dass hinter einer Person ein Unwetter aufzieht, nutzen die Menschen stattdessen die Himmelsrichtungen. Also zum Beispiel ‚Nördlich von dir zieht ein Unwetter heran.‘ Da die Menschen sich täglich orientieren müssen, um richtig kommunizieren zu können, haben sie einen ausgeprägten Orientierungssinn. Sogar in einem dunkeln Raum ohne Fenster können sie die Himmelsrichtigen korrekt bestimmen (vgl. Levinson 1997, S. 125).

Mit Sprache formen wir also unser Denken, unsere Realität und schließlich auch, wie wir handeln. Denn wer spricht, der handelt (vgl. Kourabas 2019, S. 19). Menschen können sich nur aktiv dazu entscheiden, zu sprechen. Der Sprechakt oder die Sprechhandlung ist also immer absichtlich. Hinzu kommt, dass Sprache eine performative Eigenschaft innehat (vgl. Kourabas 2019, S. 19). Das bedeutet, Menschen bezeichnen Dinge und Umstände. Neben der Beschreibung ihrer Umwelt reproduzieren sie die dazugehörigen Vorstellungen und geben diese an die Gesprächspartner*innen weiter (vgl. Kourabas 2019, S. 19). Menschen, die innerhalb einer Gesellschaft aufwachsen, lernen durch ihre Sozialisation die Bedeutungen, die hinter den Wörtern stehen. Dadurch ist es möglich, sich zu unterhalten. Gleichzeitig ist es nicht möglich, Wörter auszusprechen, ohne ihre durch die Gesellschaft bestimmten Bedeutungen zu transportieren.

Sprache ist also ein machtvolles Instrument. Mit der Hilfe der richtigen Wörter drücken Menschen nicht nur aus, was sie mit ihren Augen wahrnehmen oder mit ihrem Herzen fühlen, sondern vermitteln auch Machtstrukturen und Beziehungen (vgl. Kourabas 2019, S. 20). Deutlich wird das zum Beispiel auch beim Duzen und Siezen. Je nachdem, ob zwei Menschen untereinander ‚du‘ oder ‚sie‘ beziehungsweise nur einer von beiden duzt und die andere Person siezt, erkennt man, wie eng die Beziehung zwischen ihnen ist.

Auf der Grundlage dessen, dass Sprache ein performativer Akt ist und einen unwiderruflichen Einfluss darauf hat, wie Menschen ihre Umgebung wahrnehmen, sowie der Tatsache, dass die racial slurs noch immer im alltäglichen Sprachgebrauch ihren Platz haben, soll im Folgenden darauf eingegangen werden, welchen Einfluss rassistische Sprache auf Menschen haben kann.

4. Rassismus macht krank

Wenn Sprache handeln ist, dann können Worte zu Waffen werden. Rassistisch konnotierte Bezeichnungen und Bemerkungen sind somit ein Akt der Gewalt (vgl. Kourabas 2019, S. 21).

Anders als bei körperlicher Gewalt sind die Schäden weniger leicht zu greifen. Immerhin zeichnen sich keine blauen Flecken ab, wenn Personen durch Worte verletzt werden.

Neben der gesellschaftlichen Prägung des rassistischen Wissens hat ein alltägliches Differenzieren zwischen ‚wir ‘und ‚ihr‘, auch Othering genannt, durch Kommentare, Blicke und strukturelle Benachteiligungen einen Effekt auf Betroffene, der nicht zu unterschätzen ist (vgl. Nguyen 2014).

Rassismus hat Auswirkungen auf das körperliche Wohlbefinden der Betroffenen, sowie auf die Psyche (vgl. Schramkowski & Ihring 2018, S. 282). Insbesondere das Beobachten oder Erleben von Alltagsrassismus kann auf so eine Weise belastend sein, dass die Menschen Traumata entwickeln (vgl. Yeboah 2017, S. 147-148). Die Folgen davon können unter anderem Stress, Depressionen, Selbstverletzung oder Suizid sein (vgl. Yeboah 2017, S. 148, 150). In Deutschland geborene oder aufgewachsene BIPoC beschreiben zudem, dass sie, durch die alltäglichen Erfahrungen von Rassismus, nicht das Gefühl haben, zu der hiesigen Gesellschaft dazuzugehören (vgl. Schramkowski &Ihring 2018, S. 282). Gleichzeitig bekämen sie das Gefühl, ‚zu deutsch‘ für ihre zum Beispiel türkische oder vietnamesische Familienseite zu sein. Alltagsrassismus, inklusive der racial slurs, kann somit eine Unsicherheit bezüglich der eigenen Identität auslösen. Hinzu kommt, dass Menschen, die rassistisch diskriminierende Worte erleiden, die kommunizierten Werte verinnerlichen und sich schlussendlich „selbst als ‚Andere‘ [beginnen] wahrzunehmen“ (Kourabas 2019, S. 21).

5. Fazit

Zusammenfassend zeigt die Debatte aus der WDR-Show Die letzte Instanz eindrücklich und beispielhaft, wie tief verwurzelt die rassistische Ideologie noch immer in der heutigen Gesellschaft ist. Bereits die Diskussionsfrage, ob die genannte rassistische Beleidigung diskriminierend sei, belegt dies. Die jeweilig betroffenen BIPoC äußerten sich bereits (mehrfach) dazu. Wie im Beispiel der Sinti und Roma sind racial slurs eindeutig diskriminierend und sollten nicht verwendet werden (vgl. Zentralrat Sinti und Roma 2015). Es gliedert sich in die rassistische Ideologie der ‚weißen Vorherrschaft‘ ein, dass weiße Menschen als die letzte und damit endgültig Instanz es besser wissen würden, um die Diskussionsfrage zu beantworten – ungeachtet dessen, dass keiner der Gäste Rassismus erfahren haben kann.

Rassismus besteht nicht nur aus offensiven Gewalttaten, sondern versteckt sich auch in alltäglichen Handlungen. Versteckt, weil es nicht immer leicht ist, die rassistische Äußerung zu erkennen, sowohl für Betroffene als auch für BIPoC. Alltagsrassismus äußert sich in Bemerkungen, ‚Witzen‘, vermeintlichen Komplimenten, (Fremd)Bezeichnungen sowie auch auf struktureller Ebene. Das bedeutet, aufgrund des alltäglichen Rassismus haben BIPoC schlechtere Chancen auf beispielweise dem Arbeitsplatz, im Gegensatz zu weißen Menschen.

Die rassistische Ideologie basiert zum größten Teil auf einem Konzept aus dem 18. Jahrhundert. Um die Menschen nicht nur physisch zu erniedrigen, sondern auch auf mentaler Ebene, wurden damals verschiedene racial slurs wie das Z- oder N-Wort eingeführt. Somit verkörpern auch die racial slurs das rassistische Gedankengut. Dieses wird bei der Verwendung der Wörter reproduziert. Damit sind racial slurs als Gewalttat zu betrachten. Wie auch bei anderen Formen der (sprachlichen) Gewalt, hinterlassen die Wörter Spuren und können psychisch krank machen.

Sprache ändert sich stetig – und das schon immer. Wir sprechen nicht mehr so wie vor 10, 50 oder 100 Jahren. Ohne den Wandel und das stetige neue Verständnis der Wörter gäbe es die deutsche Sprache, wie wir sie heute kennen, nicht. Tatsächlich kann die deutsche Sprache sogar anhand eines Sprachwandels definiert werden, nämlich der zweiten deutschen Lautverschiebung (vgl. Mohamed 2019). Dadurch wird recht deutlich, dass ein Wandel der Sprache nicht nur nicht vermeidbar ist, sondern, wenn man einen Schritt weitergeht, sogar unabdingbar. Und dennoch weigern sich viele Menschen dagegen, verschiedene Wörter nicht mehr zu benutzen, wie zu sehen und zu hören in Die letzte Instanz. Es fallen Sätze wie ‚Das haben wir schon immer gesagt‘, ‚Das ist doch gar nicht böse gemeint‘ oder ‚Stell dich mal nicht so an‘.

Dabei scheint die Lösung doch so simpel: Von Rassismus betroffene Menschen reden lassen und zuhören. Wie möchte mein Gegenüber bezeichnet werden und wie nicht? Mehr Bildung und Aufklärung ist nötig und vor allem müssen sich auch weiße Menschen mit Rassismus beschäftigen. Nicht nur weil es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt, sondern auch, weil weiße Menschen rassistische Denk- und Handlungsmuster ablegen müssen, um eine Veränderung zu erreichen.

Literaturverzeichnis

Çiçek, A., Heinemann, A., & Mecheril, P. (2014). Warum Rede, die direkt oder indirekt rassistische Unterscheidungen aufruft, verletzen kann. Sprache–Macht–Rassismus, 309-326.

Dell, M. (2021, 1. Februar). Ungenial daneben. Die Zeit. Abgerufen am 25. Juli 2022 von https://www.zeit.de/kultur/film/2021-01/wdr-sendung-letzte-instanz-thomas-gottschalk-rassismus-janine-kunze

Hergesell, B. (1992). Sie sind „faul “,„schwul” und „dumm “. Zum Alltagsrassismus im Betrieb. Gewerkschaftliche Monatshefte, 12, 745-754.

Kourabas, V. (2019). Sprache-Macht-Rassismus: Eine Einführung. Denkanstöße für eine rassismuskritische Perspektive auf kommunale Integrationsarbeit in den Kommunalen Integrationszentren–Ein Querschnittsthema.

Koller, C. (2015, 8. Dezember). Was ist Rassismus? Bundeszentrale für politische Bildung. Abgerufen am 26. Juli 2022 von https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/213678/was-ist-eigentlich-rassismus/

Levinson, S. C. (1997). Language and cognition: The cognitive consequences of spatial description in Guugu Yimithirr. Journal of linguistic anthropology7(1), 98-131.

Migrationsrat (2020, 2. April). BIPoC. Abgerufen am 26. Juli 2022 von https://www.migrationsrat.de/glossar/bipoc/

Mohamed, A. S. (2019). Die Ursprünge der deutschen Sprache-Die erste und zweite Lautverschiebung. Beni-Suef University International Journal of Humanities and Social Sciences, 1(1), 123-145.

Nguyen, T. Q. (2014, 6. November). „Offensichtlich und zugedeckt“ – Alltagsrassismus in Deutschland. Bundeszentrale für politische Bildung. Abgerufen am 26. Juli 2022 von https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/194569/offensichtlich-und-zugedeckt-alltagsrassismus-in-deutschland/

Schramkowski, B., Ihring, I. (2018). Alltagsrassismus. In: Blank, B., Gögercin, S., Sauer, K., Schramkowski, B. (eds) Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19540-3_23

Sterz, C., & Haruna-Oelker, H. (2021, 1. Februar). „Ein Beispiel, das repräsentativ für andere steht“. Deutschlandfunk. Abgerufen am 25. Juli 2022 von https://www.deutschlandfunk.de/kritik-an-wdr-talkshow-letzte-instanz-ein-beispiel-das-100.html

Rommelspacher, B. (2009). Was ist eigentlich Rassismus. Rassismuskritik1, 25-38.

Valla, L. G., Bossi, F., Calì, R., Fox, V., Ali, S. I., & Rivolta, D. (2018). Not only whites: racial priming effect for black faces in black people. Basic and Applied Social Psychology, 40(4), 195-200.

Yeboah, A. (2017). Rassismus und psychische Gesundheit in Deutschland. In Rassismuskritik und Widerstandsformen (pp. 143-161). Springer VS, Wiesbaden.

Zentralrat Sinti und Roma (2015, 9. Oktober). Erläuterung zum Begriff „Zigeuner“. Stellungnahmen. Abgerufen am 25. Juli 2022 von https://zentralrat.sintiundroma.de/sinti-und-roma-zigeuner/

Ausschnitt Die letzten Instanz:

Ulirhein (2021, 1. Februar). „Das Ende der Zigeunersauce: Ist das ein notwendiger Schritt?“ aus „Die letzte Instanz – …“, WDR [Video] Abgerufen am 13. August 2022 von https://www.youtube.com/watch?v=v32zQTd7JwA&t=707s


[1] In der WDR-Mediathek ist die Folge nicht mehr zu finden. Auf YouTube ist der Beitrag noch anzuschauen, jedoch nicht auf dem offiziellen YouTube-Kanal der WDR oder der Letzten Instanz. 

[2] Der Buchstabe „Z“ steht an dieser Stelle stellvertretend für eine diskriminierende Bezeichnung für Sinti und Roma, die in dieser Hausarbeit nicht reproduziert werden soll.

[3] BIPoC = Black, Indigenous, and People of Color (vgl. Migrationsrat 2020)


Quelle: Lena Hackauf, Die Rolle der Sprache im Alltagsrassismus, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 01.11.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=285

Stereotype Threat

Beeinflussung der akademischen Identität durch Stereotype und ihre Auswirkungen

Alina Wusits (SoSe 2022)

Einleitung

Bevor ich auf das eigentliche Hausarbeitsthema zu sprechen komme, möchte ich ein paar Worte zu dem Gebrauch von meiner Schrift und Sprache verlieren. Ich habe mich bewusst dafür entschieden den englischen Ausdruck People of Color (Abkürzung: PoC) zu verwenden, da es sich hierbei um eine internationale Selbstbezeichnung von Menschen handelt, welche Rassismus erfahren. Der Begriff ist emanzipatorisch, solidarisch und verdeutlicht eine politisch gesellschaftliche Position. Außerdem stellt sich die Bezeichnung gegen diskriminierende Fremdbezeichnungen durch die weiße Mehrheitsgesellschaft (Antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit, (o. D.)). Darüber hinaus verwende ich genderneutrale Sprache, da es mir sehr wichtig ist, dass sich alle Menschen, die diesen Text lesen, angesprchen fühlen.

Ich habe mich für das Thema Stereotype Threat entschieden, weil ich die Einteilung von Menschen in Kategorien und die Konsequenzen davon im Allgemeinen sehr spannend finde. Mit der Gruppierung von Menschen und der Zuschreibung von Erwartungen und Eigenschaften entstehen Stereotype, Vorurteile und Diskriminierung. Der Stereotype Threat Effekt ist eine von vielen Folgen und kann weitreichende Konsequenzen für das Leben einer Person haben. Das Wissen darüber, dass es diesen Effekt gibt, regt zum Nachdenken an und ermöglicht es, diesem Phänomen, zusammen mit anderen Interventionsmaßnahmen, entgegenzuwirken.

In meiner Hausarbeit gehe ich vor allem auf eine Studie von Shelvin et al. (2014) ein, die sich mit Stereotype Threat von PoC Kindern beschäftigt. Die Auswirkungen dieses Phänomens haben beginnend im Kindesalter weitreichende Folgen auf das Leben einer Person of Color. Im Allgemeinen kann man den Effekt aber in ganz unterschiedlichen Gruppen und Situationen beobachten. Beispielsweise gibt es zahlreiche Studien, die sich mit den Auswirkungen des Effekts bei Schülerinnen[1], homosexuellen Menschen oder älteren Personen beschäftigen.

Definitionen

Definition Stereotyp

Menschen werden im Alltag ständig aufgrund bestimmter Merkmale und Eigenschaften zu sozialen Kategorien und Gruppen zusammengefasst, da Kategorisierungen dabei helfen die Realität zu ordnen, zu strukturieren und zu vereinfachen. Jede Person ist Teil mehrerer sozialer Kategorien, ganz unabhängig davon, ob dies gewollt oder ungewollt, beziehungsweise bewusst oder unbewusst geschieht. Abhängig von der jeweiligen Kategorie hat die Gesellschaft unterschiedliche Erwartungen an die Mitglieder einer Gruppe. Jedoch trifft meist nur ein kleiner Anteil der erwarteten Merkmale wie Verhaltensweisen, Vorlieben, Einstellungen etc. zu und die zusätzlichen Erwartungen werden der Gruppe fälschlicherweise zugeschrieben. Auf diesem Wege entstehen stereotype Muster, welche automatisch aktiviert werden, wenn wir mit Mitgliedern einer bestimmten Kategorie interagieren. Stereotype sind eine Kategorisierung, die den weiteren Wahrnehmungen und Informationen eine Richtung geben soll. Ein Stereotyp ist zusammenfassend gesagt eine verallgemeinernde Beurteilung, die mit bestimmten Erwartungen und Informationen einhergeht. Der Prozess der Stereotypaktivierung erfolgt meist automatisch und hilft dabei, die Beobachtungen der Realität einzuschätzen (Garms-Homolová, 2021).

Die meisten Menschen haben das Gefühl zu wissen, was Stereotype sind. Hinton (2019) bringt die Aussagen von verschiedenen Definitionen sowohl in Wörterbüchern als auch in akademischen Quellen auf den Punkt. Zusammenfassend werden Stereotype als eine fixierte, stark vereinfachte und übergeneralisierte Vorstellung über eine Person oder Personengruppe beschrieben, welche oft im Zusammenhang mit Vorurteilen und Diskriminierung stehen. Wichtig zu erwähnen ist außerdem, dass Stereotype in einer Kultur entstehen und weitergegeben werden und es sich nicht um die Vorstellungen nur eines Individuums handelt.

Die Bedeutung des Begriffs Stereotyp wird nochmal klarer, wenn man sich mit seinem sprachlichen Ursprung auseinandersetzt. Das griechische Wort stereos bedeutet starr, hart und fest; typos heißt soviel wie Entwurf, feste Norm und charakteristisches Gepräge (Petersen & Six, 2008).

Definition Stereotype Threat

Steele (1997) definiert Stereotype Threat als eine sozialpsychologische Bedrohung, die entsteht, wenn sich eine Person in einer Situation befindet oder etwas Bestimmtes tut und es ein negatives Stereotyp gegenüber der eigenen Gruppe gibt. Es handelt sich hierbei, um einen generellen situationsabhängigen Druck, der von jeder Gruppe erlebt werden kann, wenn das Wissen eines negativen Stereotyps der eigenen Gruppe in der Gesellschaft weit verbreitet ist. Zu betonen ist hier, dass die betroffene Person selbst das Stereotyp nicht glauben muss. Ausschlaggebend ist, dass der betroffenen Person bewusst ist, dass andere Menschen dieses bestimmte Stereotyp über eine Kategorie von Menschen haben.

Steele and Aronson (1995) nehmen an, dass Menschen Bedrohung verspüren, wenn sie in einer bestimmten Situation die Befürchtung haben, auf der Grundlage von negativen Stereotypen beurteilt zu werden. Folglich wird versucht, durch das eigene Handeln diese negativen Stereotype der Eigengruppe nicht willentlich zu bestätigen.

Schmader et al. (2008) gehen davon aus, dass die Bedingung der Stereotype Threat die Leistung über drei verschiedene und miteinander verbundene Mechanismen stört. Zum einen beeinträchtigt eine physiologische Stressreaktion die präfrontale Verarbeitung und zum anderen haben Menschen die Tendenz ihre Leistung aktiv zu überwachen. Als dritter Punkt kommen die Bemühungen, negative Gedanken und Emotionen als Selbstregulation zu unterdrücken, hinzu. Diese drei Mechanismen verbrauchen alle exekutive Ressourcen, welche jedoch für eine gute Leistung bei kognitiven, aber auch bei sozialen Aufgaben gebraucht werden. Darüber hinaus stört die aktive Überwachung der Leistung die Ausführung von sensomotorischen Aufgaben.

Ausgewählte Studie zu Stereotype Threat

Stereotype threat in African American children: The role of Black identity and stereotype awareness

Kristal Hines Shelvin, Rocío Rivadeneyra, Corinne Zimmerman (2014)

Shelvin et al. (2014) gehen davon aus, dass für das Auftreten der stereotypen Bedrohung entscheidend ist, dass die Teilnehmenden wissen, dass ihre Leistung bewertet wird. PoC Kinder sind sich sehr bewusst, dass ihre Fähigkeiten und Leistungen im Schulkontext kontinuierlich bewertet werden. Aus diesem Grund hat jeder Schultag das Potenzial, eine stereotype Bedrohungssituation mit sich zu bringen und es ist zu erwarten, dass PoC Kinder schlechter bei einer akademischen Aufgabe mit stereotyper Bedrohung abschneiden, verglichen mit einer Kontrollbedingung ohne stereotyper Bedrohung. Nach Schmader et al. (2008) wird die stereotype Bedrohung durch eine Diskrepanz zwischen dem Selbstkonzept einer Person, der Gruppe, zu der sich die Person zugehörig fühlt, und ihren Fähigkeiten ausgelöst.

Die Studie von Shelvin et al. (2014) untersucht die Auswirkungen von stereotypen Bedrohungen auf die schulischen Leistungen von 186 PoC Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren. Die Autor*innen gehen davon aus, dass die Kinder in diesem Alter schulischen Erfolg wertschätzen sollten und sich ausreichend in der Schule engagieren. Darüber hinaus wurde auch das Wissen spezifischer rassistischer Stereotype und die Identitätsprofile von den Teilnehmenden untersucht, welche das Potenzial haben, die Anfälligkeit für das Gefühl einer Bedrohung durch Stereotype zu mildern.

Die teilnehmenden Kinder haben den Multidimensional Inventory of Black Identity-Teen Test ausgefüllt, der Aspekte der Black racial identity misst. Die Fragen beziehen sich auf Gefühle zu PoC als eine Gruppe, Ansichten über die gesellschaftliche Meinung zu PoC, die Wichtigkeit der Hautfarbe für das Selbstkonzept und den Umgang mit Problemen, die PoC haben. Die Teilnehmenden haben verschiedene Aussagen, wie zum Beispiel „I am proud to be Black“ auf einer Likert Skala von 1 (really disagree) bist 5 (really agree) bewertet.

Im Stereotype Awareness Task sollten die teilnehmenden Kinder alle Stereotype, die sie über PoC wissen, auflisten. Die Teilnehmenden haben durchschnittlich 5,1 Stereotype aufgelistet, wobei sieben Kategorien besonders oft vorgekommen sind: “Blacks are less intelligent than Whites”, “Blacks are worthless”, “Blacks are poor”, “Blacks are unattractive”, “Blacks are criminals”, “Blacks are violent”, “Blacks are good athletes”. Das Stereotyp “Blacks are less intelligent than Whites” war mit 44% das am meist genannte Stereotyp und ist darüber hinaus das relevanteste in Bezug auf die Stereotype Threat Aktivierung bei der Absolvierung akademischer Aufgaben. Dies zeigt sehr gut, dass viele Kinder bereits im Alter von 10 Jahren, das in der Gesellschaft verbreitete Wissen von Stereotype über ihre ethnische Gruppe besitzen.

Für die akademische Aufgabe wurde der Subtest Lesen / Vokabular, welcher 30 Items umfasst, des Test of Adolescent Langugae TOAL verwendet. Der Auftrag bestand darin, aus einer Zielwortliste mit fünf Wörtern, jene zwei Wörter auszuwählen, die am ehesten zu dem durch die Zielwortliste repräsentierten Konzept passen. Beispielsweise enthält die Zielwortliste die Begriffe Blau, Grün, Orange und Braun und die Kinder mussten aus der folgenden Liste (z.B. Fuchs, Auto, Rot, Computer, Schwarz) die passenden Wörter auswählen. In diesem Bespiel wäre die richtige Antwort Rot und Schwarz, da in der Zielwortliste verschiedene Farben aufgezählt werden. Die Schwierigkeit der Items steigt mit der Testlänge. Eigentlich ist der Test für Kinder von 12 bis 18,5 Jahren konzipiert. Er wurde dennoch ausgewählt, weil das Ziel der Studie darin bestand, eine Aufgabe zu haben, welche gleichzeitig herausfordernd und akademisch ist.

Es durften nur jene Kinder an der Studie teilnehmen, welche eine schriftliche Zustimmung der Eltern erhalten und ihre eigene Zustimmung gegeben haben. Im ersten Abschnitt der Studie füllten die Kinder den Stereotype Awareness Task, den Multidimensional Inventory of Black Identity-Teen Test und ein demografisches Formular aus. Der zweite Abschnitt fand ein bis zwei Wochen später statt. Die Teilnehmenden wurden per Zufall einer stereotypen Bedrohungsbedingung oder einer Kontrollgruppe zugeordnet. Daraufhin absolvierten die Kinder in beiden Gruppen den Test of Adolescent Langugae TOAL. Der Stereotype Threat Gruppe wurde gesagt, dass der Test die Intelligenz misst und die Ergebnisse von PoC und weißen Kindern verglichen werden. Der Kontrollgruppe wurde gesagt, dass einzelne Fragen getestet werden, um zu entscheiden, ob sie auch in zukünftigen Tests verwendet werden sollten. Abschließend wurde allen Kindern mitgeteilt, dass sie ihr Bestes geben sollten.

Die Ergebnisse des Test of Adolescent Language TOAL wurden einer 2 (Stereotype Threat: threat vs. neutral) x 2 (Intelligence Stereotype Awareness: stereotype listed vs. stereotype not listed) ANCOVA unterzogen. Man hat einen Haupteffekt der Stereotype Threat gefunden. Kindern in der Threat Bedingung haben niedrigere Ergebnisse im TOAL, im Vergleich zur neutralen Bedingung, erzielt. Eine Analyse des Einzeleffekts hat gezeigt, dass der Stereotype Threat Effekt nur dann eine Wirkung hatte, wenn das Intelligenzstereotyp salient war.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Stereotype Threat ein Faktor im akademischen Alltag von PoC Kindern spielt. Jene Kinder, die in der klassischen Stereotype Threat Bedingung waren, erzielten schlechtere Ergebnisse in akademischen Aufgaben verglichen mit jenen Kindern, die einer neutralen Bedingung ausgesetzt waren. Außerdem wurde gefunden, dass individuelle Differenzen, wie das Bewusstsein von Stereotypen und das Identitätsgefühl mit der Gruppe von PoC den Effekt der Stereotype Threat moderieren. Wie Steele (1997) in seiner Definition schon gezeigt hat, muss den Individuen das Stereotyp bezüglich der Gruppe, der sie sich zugehörig fühlen, bewusst sein, damit es zu einem Stereotype Threat Effekt kommt. Dies wurde auch in der Studie gezeigt, denn nur jene Kinder, die spontan das Stereotyp “Blacks are less intelligent than Whites“ aufgelistet haben, haben die erwarteten Leistungsunterschiede in der akademischen Aufgabe gezeigt. Auch wenn es Unterschiede in der Leistung gab, ist die Studie von noch stärkeren Diskrepanzen, auf Basis von älteren Studien, ausgegangen.

Unter dem Stereotype Threat Effekt kommt es auch dazu, dass PoC es vermeiden, Vorlieben für stereotype Aktivitäten, wie zum Beispiel das Mögen von Jazz, Hip Hop und Basketball, zu äußern. Diese Vermeidung zeigt den Wunsch auf, nicht durch den Blickwinkel von rassistischen Stereotypen gesehen werden zu wollen (Steele & Aronson, 1995).

Folgen von Stereotype Threat

Vulnerable Faktoren

Situationsbedingte Hinweisreize können sowohl die Aktivierung von Stereotypen der eigenen sozialen Identität beeinflussen, als auch die Wahrscheinlichkeit von schlechteren Leistungen als Folge des Stereotype Threat Effekts (Fuligni, 2007). Sowohl akademische Stereotype als auch akademische Selbstkonzepte beeinflussen und formen die akademischen Identitäten von Kindern (Bowe et al., 2017). Wenn eine Person of Colour als Minderheit in einer Gruppe versucht, sich den Text einer verbalen Präsentation zu merken, gelingt dies nicht so gut. Im Vergleich dazu lässt sich dieser Effekt nicht beobachten, wenn die Mehrheit der Teilnehmenden auch PoC sind (Sekaquaptewa & Thompson, 2002).

Die alleinige Angabe des Geschlechts oder der ethnischen Herkunft vor der Durchführung eines Tests kann zu geringerer Leistung führen, da dadurch die soziale Identität der Gruppe salient gemacht wird. (Fuligni, 2007)

Protektive Faktoren

Das Auffinden von protektiven Faktoren ist der Schlüssel zum Durchbrechen von Stereotype Threat, der Nichtidentifikation mit akademischen Leistungen und somit der Weg, die Lücke von Leistungsunterschieden zu schließen (Shelvin et al., 2014).

Aronson et al. (2002) haben in einer Feldstudie gezeigt, dass PoC Studierende der Stanford Universität signifikant höhere Noten in dem Semester hatten, in dem ihnen gelehrt wurde, dass Intelligenz verformbar ist. Darüber hinaus ist der Aspekt interessant, dass die Personen nicht weniger Stereotype aus ihrer Umwelt berichten. Das bedeutet, dass die Interventionsmaßnahme nicht die Wahrnehmung der stereotypen Umwelt verändert hat, sondern die Vulnerabilität gegenüber Stereotype.

Eine andere mögliche Interventionsmaßnahme könnte darüber hinaus noch die Förderung der wahrgenommenen Ähnlichkeit zwischen den Gruppen sein. Rosenthal and Crisp (2006) haben in drei Experimenten die Hypothese untersucht, dass das Verwischen von Intergruppen-Grenzen den Stereotype Threat Effekt verringern wird. Die erste Studie hat ergeben, dass Frauen[2], die Charakteristiken, die von beiden Geschlechtern geteilt werden, aufgelistet haben, weniger Präferenzen für stereotyp weibliche Berufskarrieren haben, als Teilnehmende der Kontrollbedingung. Im zweiten Experiment wurde offenbart, dass Versuchspersonen, die über gemeinsame Charakteristiken nachgedacht haben, mehr richtige mathematische Fragen beantwortet haben. Im dritten Experiment wurde eine spezifische Bedrohungsmanipulation hinzugefügt. Teilnehmende, die die Aufgabe zu geteilten Charakteristiken vor der Stereotype Threat Bedingung durchgeführt haben, haben signifikant mehr mathematische Fragen richtig beantwortet als in der Kontrollbedingung und der ausschließlichen Threat Bedingung. All diese Ergebnisse unterstützen die Idee, dass Interventionsmaßnahmen zur Reduzierung von Intergruppenvoreingenommenheit erfolgreich zur Reduktion des Stereotype Threat Effekts eigesetzt werden können.

Konsequenzen von Stereotype Threat

Eine sehr weitreichende und langfristige Konsequenz von Stereotype Threat für die soziale Identität kann sein, dass sich Personen in einer akademischen Gemeinschaft unwohl oder sogar fehl am Platz fühlen. Stereotype können in Individuen ausreichend negative Gefühle erzeugen, dass diese ihre professionellen Identitäten ändern. Dies kann zur Folge haben, dass sich professionelle und berufliche Karrieren ändern und neue Karrierewege in einem anderen Feld gesucht werden. Wenn das Gebiet jedoch so fundamental, wie beispielsweise Mathematik ist, schließt diese Vermeidung viele Türen für potenziell lukrative Karrieren, beispielsweise im Bereich der Wissenschaft oder Technik. Eine kurzfristige psychologische Anpassungsfunktion an Stereotype Threat wäre die Strategie des Disengagements[3]. Bei dieser Strategie wird das Selbstwertgefühl psychologisch von den Bereichen gelöst, in denen Personen das Ziel von negativen Stereotypen, Vorurteilen und Benachteiligung sind. Diese defensive Distanzierung des Selbstwertgefühls von Erlebnissen in einem bestimmten Bereich führt dazu, dass das Selbstwertgefühl nicht von Erfolgen oder Misserfolgen in diesem bestimmten Bereich abhängt (Major et al., 1998). Hier wird die Abhängigkeit der eigenen Selbstansichten auf die eigene Leistung abgeschwächt (Fuligni, 2007). Die Strategie des Disengagements wird vor allem in Situationen angewendet, in denen eine relativ schlechte Leistung erwartet wird. Darüber hinaus kann die Abgrenzung des Selbstwertgefühls vom Feedback ebenfalls in Situationen auftreten, in denen das gegebene Feedback als voreingenommen gegen die stigmatisierte Gruppe wahrgenommen wird. In manchen Fällen kann dieser Mechanismus auch einen protektiven Faktor darstellen. Beispielsweise waren PoC nicht von negativem Feedback nach einem Intelligenztest betroffen, nachdem sie auf die Möglichkeit einer rassistischen Voreingenommenheit des Tests geprimed wurden. In unserer Gesellschaf sind PoC von Vorurteilen und Diskriminierung betroffen und die Folgen von sich wiederholenden Erfahrungen mit rassistischer Voreingenommenheit und Diskriminierung kann dazu führen, dass sich das Selbstwertgefühl chronisch von der Leistung in intellektuellen Bereichen löst (Major et al., 1998). Dennoch glauben Major et al. (1998), dass es möglich ist, das Selbstwertgefühl von der eigenen Leistung bei beispielsweise einem Intelligenztest zu lösen, gleichzeitig aber Intelligenz zu schätzen und das Gefühl zu haben, dass Intelligenz ein zentraler und wichtiger Teil des Selbstkonzeptes ist.

Literaturverzeichnis

Antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit. (o. D.). Amadeu Antonio Stiftung. https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/juan-faecher.pdf [Abruf am 6.8.2022]

Aronson, J., Fried, C. B., & Good, C. (2002). Reducing the Effects of Stereotype Threat on African American College Students by Shaping Theories of Intelligence. Journal of Experimental Social Psychology, 38(2), 113-125. https://doi.org/https://doi.org/10.1006/jesp.2001.1491

Bowe, A. G., Desjardins, C. D., Covington Clarkson, L. M., & Lawrenz, F. (2017). Urban Elementary Singel-Sex Math Classroom: Mitigating Stereotype Threat for African American Girls. Urban Education, 52(3), 370-398. https://doi.org/10.1177/0042085915574521

Fuligni, A. J. (2007). Contesting Stereotypes and Creating Identities: Social Categories, Social Identities, and Educational Participation. Russell Sage Foundation.

Garms-Homolová, V. (2021). Sozialpsychologie der Informationsverarbeitung über das Selbst und die Mitmenschen: Selbstkonzept, Attributionstheorien, Stereotype & Vorurteile. Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-62922-2_4

Hinton, P. R. (2019). Stereotypes and the Construction of the Social World (1 ed.). Routledge. https://doi.org/https://doi-org.uaccess.univie.ac.at/10.4324/9781315205533

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Shelvin, K. H., Rivadeneyra, R., & Zimmerman, C. (2014). Stereotype threat in African American children: The role of Black identity and stereotype awareness. Revue internationale de psychologie sociale, 27(3), 175-204.

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[1] Ich habe hier bewusst nicht die genderneutrale Ausdrucksform gewählt, da die Studien meist von einer binären Geschlechtseinteilung ausgehen.

[2] Ich verwende hier die binäre Einteilung in Männer und Frauen absichtlich, da die Autor*innen in ihren Studien ebenfalls von einem binären Geschlechtssystem ausgegangen sind.

[3] Ich habe mich hier absichtlich für den englischen Begriff entschieden, da ich der Meinung bin, dass die deutsche Übersetzung nicht vollkommen treffend ist.


Quelle: Alina Wusits, Stereotype Threat: Beeinflussung der akademischen Identität durch Stereotype und ihre Auswirkungen, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 27.10.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=281

Erinnerung an die deutsche Kolonialgeschichte im Bildungsplan Baden-Württembergs mit Fokus auf den Völkermord der Herero und Nama

Constanze Luise Selegrad (SoSe 2022)

1. Einleitung

Diese Hausarbeit schließt an eine Gruppenarbeit zum Thema „Rassismus“ im Seminar „Gender, Diversity und Gender Mainstreaming“ an.

Um die Vergangenheit zu vergegenwärtigen, gibt es viele unterschiedliche Möglichkeiten, eine der effektivsten und auch gesamtgesellschaftlichsten ist und bleibt jedoch die Schule. Deswegen soll im Folgenden betrachtet werden, wie im Bundesland Baden-Württemberg Kolonialismus am Gymnasium behandelt wird und, ob in dem Bildungsplan Raum für Verbesserung besteht.

Dazu soll zuerst der Begriff des Kolonialismus eingegrenzt werden, und dann der Weg zum Aufstand und Genozid der Herero und Nama in der ehemaligen Kolonie Südwestafrika des Deutschen Reiches nachgezeichnet werden. Dies soll als Beispiel für die Grausamkeit des Deutschen Reiches als Kolonialmacht dienen und verdeutlichen, warum es wichtig ist, sich heute mit diesem Teil der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen. Anschließend daran werden erst die relevanten Punkte des Bildungsplanes von Baden-Württemberg vorgestellt und auch Punkte zur besseren Einarbeitung der kolonialen Erinnerung in den Bildungsplan aufgeführt. Außerdem werde ich meine eigenen Erfahrungen im Schulsystem in Bezug auf die deutsche Kolonialgeschichte nachzeichnen. Zum Schluss werden die resultierenden Schlussfolgerungen aufgeführt.

2. Kolonialismus

2.1 Begriffseingrenzungen

Zu Beginn soll der Begriff des Kolonialismus eingegrenzt und definiert werden. Dieser Begriff wird von Trutz von Trotha wie folgt definiert

„Kolonialismus ist ein Prozeß überregionaler Herrschaftsbildung und Herrschaftsausübung. Auf der Grundlage von kriegerischer Gewalt oder der Drohung mit ihr wird ein Herrschaftsverhältnis von einem Staat oder einer ihm direkt verbundenen, organisierten Gruppe von Menschen über eine Gesellschaft errichtet, die in einem Land beheimatet ist, das typischerweise von dem Territorium des imperialen, besitznehmenden Staates durch einen Ozean getrennt ist, sich mindestens in seiner sozio-kulturellen Ordnung von der Gesellschaft des imperialen Staates in wesentlichen Merkmalen unterscheidet und eine eigene Geschichte besitzt. Das Herrschaftsverhältnis ist territorial bestimmt. Die unterworfene Gesellschaft verliert nach außen ihre politisch-diplomatische und, mehr oder minder vollständig, ihre völkerrechtliche Selbständigkeit und gerät in direkte formelle Abhängigkeit von der Kolonialmacht oder ihren Repräsentanten. Die Ziele der kolonialistischen Herrschaft sind in ausgeprägter Einseitigkeit an den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen und der Kultur der Kolonialmacht orientiert.“ (Trotha, 2004, p. 50).

2.2     Deutsche Kolonialgeschichte

Die von Bismarck geprägte Außenpolitik des Deutschen Reiches im 19. Jahrhundert führte dazu, dass Deutschland erst 1884 anfing zu kolonialisieren. In diesem Jahr änderte Bismarck seine Meinung zum Thema Kolonisation (Gründer, 2018, p. 55). Er verfolgte allerdings immer eine Politik, die eine offene Auseinandersetzung mit anderen europäischen Ländern, vor allem Großbritannien, vermied (Gründer, 2018, pp. 92–93). Denn die guten Beziehungen zu den europäischen Nachbarstaaten hatten für ihn eine höhere Priorität als die Kolonien (Gründer, 2018, p. 103).

Mit der Ablösung Bismarcks als Reichskanzler durch Graf Leo von Caprivi änderte sich auch die Außenpolitik des deutschen Kaiserreichs was die Kolonialpolitik betraf. Denn Caprivi wollte die in Südafrika unter „Schutzverträgen“ stehenden Gebiete in „Kolonialgebiete“ umwandeln (Gründer, 2018, p. 121).

Die in diesen Gebieten lebenden Nama-Stämme widersetzten sich von Beginn an gegen die neuen Verträge, da durch diese ihr bisheriges Nomadenleben nicht mehr möglich wäre (Gründer, 2018, p. 121). Im Gegensatz dazu widersetzten sich die Herero zu Beginn nicht gegen die „deutsche Schutzherrschaft“, da sie sich von dieser Schutz vor den Expansionsideen der Nama versprachen (Gründer, 2018, pp. 121–122). Eben diese bereits bestehenden Konfliktlinien zwischen den Herero und Nama wurden vom deutschen Kaiserreich ausgenutzt, um eine „deutsche Oberherrschaft“ schaffen zu können. Außerdem nutzten sie die Stellung der Stammeshäuptlinge, indem sie diesen eine Rente versprachen im Gegenzug für die Gebietsverluste der Stämme und Einflussverluste der Häuptlinge (Gründer, 2018, pp. 122–123). Während das Ziel der Regierung in Deutschland noch eine „Schutzherrschaft“ war, forderten die Siedler*innen [1] vor Ort längst eine „Siedlerkolonie“ (Böcker, 2020, p. 50). Die eskalierende Brutalität sowie die ausbeuterischen Geschäftspraktiken der weißen Siedler*innen gegenüber den Herero und Nama, als auch die Morddrohungen gegen den Oberhäuptling der Herero, Samuel Maharero, werden als die Auslöser für den Aufstand der Herero und Nama gewertet (Gründer, 2018, p. 129).

Der Aufstand begann am 12.01.1904 (Böcker, 2020, p. 51). Im Januar 1904 führten die Herero einen Überraschungsschlag gegen eine Stationsbesatzung, außerdem zerstörten sie Eisenbahnlinien und Telegraphenverbindungen. Die Herero waren bis Juni 1904 erfolgreich, bei Waterberg wurde ein Großteil der Herero-Gruppen eingekesselt, es folgte ein Vernichtungsschlag. Diejenigen, die überlebten, wurden in ein Dürregebiet zurückgedrängt, wo sie dem Wetter und Wassermangel zum Opfer fielen (Gründer, 2018, p. 130).

Nach der Niederlage der Herero widersetzten sich auch die Nama ab Oktober 1904 den deutschen Truppen. Allerdings hatten die Nama nach dem Tod von Hendrik Witbooi keinen gemeinsamen Anführer mehr. So konnten manche Stammesanführer dazu bewegt werden, die Waffen niederzulegen, andere widersetzten sich weiter, bis sie bis 1906 besiegt wurden (Gründer, 2018, p. 131). Am 31.03.1907 wurde der Kriegszustand in Südwestafrika offiziell als für beendet erklärt, manche Stämme hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht am Aufstand beteiligt (Gründer, 2018, p. 131).

Durch die vom Kaiserreich verfolgte Vernichtungsstrategie überlebten von den Herero etwa 25% den Aufstand, bei den Nama waren es in etwa 50%. (Gründer, 2018, p. 131). Die Stammesverbände waren nach dem Aufstand de facto kein Machtfaktor mehr (Gründer, 2018, p. 133). Das Stammesvermögen wurde aufgelöst, für den Besitz von Vieh und Land wurde nicht nur eine Obergrenze eingeführt, es wurde auch eine Genehmigung der Kolonialmacht benötigt. Dies, und der Arbeitsvertragszwang und die Passpflicht, schufen ein System der Abhängigkeit, Überwachung und Kontrolle (Gründer, 2018, pp. 133–134). Außerdem wurden Konzentrationslager für die Herero und Nama geschaffen, die 1908 nur wegen des Arbeitskräftemangels aufgelöst wurden (Böcker, 2020, p. 51). Es wurde versucht, die Herero und Nama davon abzuhalten, Lesen und Schreiben zu lernen und ihre eigenständigen Identitäten aufzulösen, um eine „einheitliche Arbeiter*innenklasse“ zu schaffen (Gründer, 2018, p. 137). 

Heute fällt der Massenmord an den Herero und Nama unter die von der UN gegebene Definition von Genozid (Böcker, 2020, p. 51). Seit 1999 versuchen Vertretungen der Herero vor verschiedenen Gerichtshöfen Klage auf Schadensersatz zu erheben, diese sind bis jetzt allerdings immer wieder gescheitert (Böcker, 2020, p. 52). Die deutsche Politik versucht beständig den Fokus nicht auf den Genozid zu legen, sondern auf die Geldmittel, die Namibia von Deutschland seit der Unabhängigkeitserklärung erhält. Diese Gelder gingen allerdings nicht and die Opfer des Völkermordes (Böcker, 2020, p. 52). Am 14.08.2004 entschuldigte sich die Bundesministerin Wieczorek-Zeul ausdrücklich bei der Gedenkfeier für die Schlacht von Waterberg (Lutz and Brumlik, 2005, p. 23). Bis heute folgte allerdings noch keine Entschuldigung des Regierungs- oder Staatsoberhauptes von Deutschland. In Afrika wird der Aufstand der Herero und Nama heute als Freiheitskrieg interpretiert (Gründer, 2018, p. 132).

3. Koloniale Erinnerung im deutschen Bildungswesen

Um herausarbeiten zu können, inwieweit und in welcher Form koloniale Erinnerung im deutschen Bildungswesen existiert, wird der Bildungsplan Baden-Württembergs von 2016 der Fächer Geschichte, Gemeinschaftskunde und Ethik an Gymnasien untersucht. Es soll herausgearbeitet werden, an welchen Stellen im Bildungsplan auf die koloniale Vergangenheit Deutschlands besser eingegangen werden kann. Anschließend werde ich darauf eingehen, wie das Thema kolonialer Erinnerung in meiner Schulzeit behandelt wurde.

3.1 Baden-Württemberg

Im Fach Geschichte wird in der 7. Bis 8. Klasse das Konzept des Imperialismus am Beispiel Afrikas eingeführt (Bildungspläne Baden-Württemberg). Allerdings ist hier weder vorgeschrieben, auf die Lebensrealität in den damaligen Kolonien einzugehen, noch das Deutsche Reich im Speziellen als Kolonialmacht.

In der 9. und 10. Klasse liegt der Fokus beim Thema Imperialismus auf dem Vergleich ehemaliger Imperial-Mächte mit einem Fokus auf Russland, China, dem osmanischen Reich und der Türkei (Bildungspläne Baden-Württemberg). Die Entwicklung der ehemaligen Kolonien, und wie diese bis heute vom Kolonialismus geprägt sind, wird hier nicht thematisiert. Um in Deutschland das Verständnis der Kolonialgeschichte des Landes zu stärken, könnte das Deutsche Reich unter diesem Punkt ebenfalls als Imperiale Macht betrachtet werden, mit einem Fokus auf bis heute andauernden Folgen des Kolonialismus in den ehemaligen deutschen Kolonien.

Im zweiten Halbjahr der 12. Klasse steht die Behandlung postkolonialer Räume auf dem Bildungsplan. Ein Unterpunkt sind antikoloniale Bewegungen, die sich nach 1918 ereigneten, unter anderem mit dem Aspekt des Selbstbestimmungsrechts der Völker nach dem ersten Weltkrieg (Bildungspläne Baden-Württemberg). Deutschland verpflichtete sich mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrages 1918 allerdings alle Kolonien aufzugeben, deswegen können antikoloniale Bewegungen oder Widerstand gegen das Deutsche Reich in den Kolonien mit diesem Zeitrahmen nicht betrachtet werden. Wird allerdings auch die Zeit vor 1918 betrachtet, ist dies ein guter Rahmen, um den Genozid an den Herero und Nama in Schulen zu thematisieren, der vom Deutschen Reich verübt wurde. Den Schüler*innen soll ebenfalls die Kompetenz vermittelt werden, Dekolonialisierungsprozesse beschreiben und aktuelle Probleme auf den Kolonialismus zurückführen zu können (Bildungspläne Baden-Württemberg). Dieser Punkt kann erweitert werden, indem die Rolle Europas in der Kolonisation und Dekolonisation in den Fokus gerückt wird, damit Europa stärker in die Verantwortung gezogen werden kann.

Im Fach Gemeinschaftskunde wird in der Mittelstufe im Bereich Internationale Beziehungen die Bewältigung heutiger Konflikte thematisiert, zum Beispiel unter dem Aspekt des Ziels der universalen Umsetzung der Menschenrechte (Bildungspläne Baden-Württemberg). Wird neben der Konfliktbewältigung auch die Konfliktursache bearbeitet, können auch an dieser Stelle die Folgen des Kolonialismus thematisiert werden, da viele heutige Konflikte auf die Kolonialzeit zurückzuführen sind. So zum Beispiel Grenzkonflikte, die erst durch Grenzziehungen von Europa auf anderen Kontinenten entstanden.

In der Oberstufe wird in Gemeinschaftskunde die Außenpolitik Deutschlands behandelt mit der UN und der NATO als Schwerpunkt (Bildungspläne Baden-Württemberg). Dieser Punkt kann um die heutigen Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia erweitert werden, indem zum Beispiel die Gelder thematisiert werden, die von Deutschland nach Namibia fließen, oder die in Deutschland geführte Debatte um eine offizielle Entschuldigung der Bundesrepublik an die Herero und Nama. Auch die bisher stattgefundenen Rückführungen von Gebeinen kann an dieser Stelle eingearbeitet werden.

In der Oberstufe wird auch gesellschaftlicher Wandel behandelt (Bildungspläne Baden-Württemberg). Derzeitig ändern sich viele Aspekte der Gesellschaft in Deutschland, einer dieser Aspekte ist die Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit dem Deutschen Reich als Kolonialmacht und welche Verantwortungen Deutschland heute aus dieser Geschichte übernehmen soll oder muss. So kann zum Beispiel die Kontroverse um die ethnologische Ausstellung des Humboldt Forum und die dort zu besichtigende Raubkunst diskutiert werden.

Im Fach Ethik wird das Konzept der Freiheit unter naturalistischen und anthropologischen Blickwinkeln in der Oberstufe behandelt (Bildungspläne Baden-Württemberg). Dieses Gebiet kann über die Fragen, wie Menschen Freiheit definieren und welchen Stellenwert Freiheit für einzelne Individuen hat, hinweg erweitert werden, dahin zu fragen, was es bedeutet, dass manchen Menschen während der Kolonialisierung nicht nur ihre Freiheit, sondern auch ihr Menschsein abgesprochen wurde und wie verhindert werden kann, dass dies wieder passiert.

3.2 Persönliche Erfahrungen

In der Schule belegte ich Geschichte in der Oberstufe als Leistungskurs und schrieb auch eine Abiturprüfung in diesem Fach. Allerdings konnte ich mich nicht daran erinnern, je das Thema Kolonialismus, geschweige denn den Genozid der Herero und Nama, im Geschichtsunterricht behandelt zu haben. Mein Wissen zu diesem Thema hatte ich mir außerhalb des Rahmens des Schulsystems angeeignet.

In dem Kursbuch für Geschichte, das wir zur Vorbereitung für das Abitur in der Schule nutzten, beschränkt sich die Erwähnung der deutschen Kolonialgeschichte auf einen Absatz mit neun Sätzen (vgl. Berg, 2010, p.209). Hier wird betont, dass das Deutsche Reich später als andere europäische Länder zu Kolonialmacht wurde. Auch werden Bismarcks wirtschaftliche Interessen an den Kolonien erwähnt (Berg, 2010, p. 209). Über die Grausamkeiten, die während der deutschen Kolonialbesetzung stattfand oder dem Genozid, wird kein Wort verloren.

Neben dem Absatz zur Kolonialpolitik bietet das Buch allerdings einen Verweis für LEMO („Lebendiges Museum Online“), der dort verlinkte Beitrag führt zu einem Text über die Kolonialpolitik des Deutschen Reiches. In diesem Text wird der Aufstand der Herero und Nama zumindest erwähnt, vor allem werden die Opferzahlen der Herero, Nama und auch die der Siedler*innen aufgezählt. Allerdings wird es nicht als Genozid beschrieben (Asmuss, 2011), obwohl es offiziell von der UN als Genozid eingestuft ist.

3.3  Schlussfolgerung

Der Bildungsplan von Baden-Württemberg bietet genug Ansatzstellen, um sich in der Schule mehr mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands und die daraus resultierenden Folgen für die Gegenwart auseinanderzusetzen. Allerdings muss dies explizit in den Bildungsplan festgeschrieben werden, damit es auch in den Schulen umgesetzt wird. Darüber hinaus müssen auch die für den Schulunterricht zugelassenen Schulbücher dahingehend überarbeitet werden, dass der Kolonialismus einen angemessenen Stellenwert erhält und nicht weiterhin in einem Absatz abgehandelt werden kann. 

4. Fazit

Die Schule ist ein Ort, in dem viele junge Menschen den ersten Kontakt zu dem Thema Kolonialismus erhalten. Deswegen ist es wichtig, dass in diesem Rahmen grundlegendes Wissen und ein Gefühl der Verantwortung vermittelt werden kann, um gesamtgesellschaftlich ein besseres Bewusstsein für diesen Teil der deutschen Geschichte zu schaffen. Der Bildungsplan Baden-Württembergs hat bereits die nötigen Voraussetzungen, um diese Grundlagen zu vermitteln, allerdings muss die Umsetzung noch verbessert werden.

Es gilt allerdings weiterhin in allen Lebensbereichen nach neuen Wegen der Aufarbeitung und Wiedergutmachung zu suchen.

Reference list

Asmuss, B. (2011) Kolonialpolitik. Available at: https://​www.dhm.de​/​lemo/​kapitel/​kaiserreich/​aussenpolitik/​kolonien.

Berg, R. (ed.) (2010) Kursbuch Geschichte. Berlin: Cornelsen.

Bildungspläne Baden-Württemberg (no date). Available at: https://​www.bildungsplaene-bw.de​ (Accessed: 8 August 2022).

Böcker, J. (2020) ‘Juristische, politische und ethische Dimensionen der Aufarbeitung des Völkermords an den Herero und Nama’, Sicherheit & Frieden, 38(1), pp. 50–54. doi: 10.5771/0175-274X-2020-1-50

Gründer, H. (2018) Geschichte der deutschen Kolonien // Geschichte der Deutschen Kolonien. 7th edn. (Uni-Taschenbücher, Nr. 1332 // 1332). Paderborn: Ferdinand Schöningh; Schöningh.

Lutz, H. and Brumlik, M. (eds.) (2005) Kolonialismus und Erinnerungskultur: Die Kolonialvergangenheit im kollektiven Gedächtnis der deutschen und niederländischen Einwanderungsgesellschaft. Münster: Waxmann (Niederlande-Studien, Bd. 40).

Trotha, T. von (2004) ‘Was war Kolonialismus? Einige zusammenfassenden Befunge zur Soziologie und Geschichte des Kolonialismus und der Kolonialherrschaft’, Saeculum, 55(1), pp. 49–96. doi: 10.7788/saeculum.2004.55.1.49


[1] In diesem Text wird mithilfe des Gendersternchen gegendert, um auch Geschlechtsformen, die nicht männlich oder weiblich sind, miteinzubeziehen.


Quelle: Constanze Luise Selegrad, Erinnerung an die deutsche Kolonialgeschichte im Bildungsplan Baden-Württembergs mit Fokus auf den Völkermord der Herero und Nama, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 27.10.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/2022/10/27/erinnerung-an-die-deutsche-kolonialgeschichte-im-bildungsplan-baden-wurttembergs-mit-fokus-auf-den-volkermord-der-herero-und-nama/

Fall 218: Die gestohlenen Frauenstimmen und andere patriarchale Detektivgeschichten

Auf den Spuren meiner Kindheitshelden anhand der Hörspielreihe „Die drei Fragezeichen“

Nikita Kara Helena Träder (SoSe 2022)

Einleitung

„Die drei Fragezeichen. Wir übernehmen jeden Fall.“ Genauso sicher, wie dieser Leitspruch und sein Vorkommen in jeder Folge der Kulthörspielreihe „Die drei Fragezeichen“ ist[1], so sicher ist auch die Welt der drei Detektive Justus, Peter und Bob. Eine Welt, in der jeder Kriminalfall gelöst werden kann und ein Happyend sicher ist. Es gibt keine Morde, keine sexuelle Gewalt und eine eindeutige Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Der Kosmos der drei Fragezeichen zeichnet sich durch Kontinuität aus. Dies wird unter anderem durch das Alter der drei Detektive deutlich, denn innerhalb des Produktionszeitraumes von 40 Jahren sind diese nur um wenige Jahre gealtert.[2] Dem entgegengesetzt ist das Alter der Hörenden, denn trotz dessen, dass die Alterszielgruppe des Hörspiels auf acht bis 14-Jährige ausgerichtet ist, machen die einstigen Kinder im jetzigen Erwachsenenalter einen großen Teil der Hörer*innenschaft aus.[3] Ich bin eines dieser einstigen Kinder. Eine Erwachsene, die immer noch die Krimiserie zum Einschlafen hört – ganz besonders, wenn ich einmal krank oder gestresst bin. Dieser Nostalgieeffekt, den Oliver Rohrbeck, der Sprecher von Justus Jonas, einen „Ausstieg ins Zeitlose“ nennt,[4] versetzt mich in einfache Zeiten, entspannt mich und gibt mir ein Gefühl der Geborgenheit. Durch das Hörspiel kann ich den kindlichen Zustand der Unbeschwertheit wieder abrufen. Ich nehme an, dass jene Beständigkeit der drei Fragezeichen die Faszination für mich und so viele andere ausmacht – besonders in dieser beschleunigten Welt, in der sich alles sehr plötzlich verändern kann und in Frage zu stellen ist. Diesen Heile-Welt-Faktor beschreibt auch Andreas Fröhlich, der Sprecher von Peter Shaw: „Wir erleben es ja ständig, dass eine Bedrohung da ist, dass wir Angst haben, sei es vor einem drohenden Krieg auf der Krim oder vor einem Flugzeugabsturz. Bei den »Drei ???« ist auch immer eine Bedrohung da – aber es geht alles gut aus.“[5] Dennoch stellt sich für mich die Frage, ob diese Welt, die den Hörer*innen geschildert wird, wirklich so eine heile Welt ist und ob diese als positiv zu bewerten ist. Im vorliegenden Essay möchte ich die Hörspielreihe nicht durch die nostalgische Brille, die das Beständige romantisiert, betrachten, sondern einen kritischen Standpunkt einnehmen. Insofern möchte ich aufdecken, welche Weltansichten, Perspektiven und Diskriminierungsmuster die Serie spiegelt. Ich möchte reflektieren, was mir und vielen anderen, hier für Motive, Wissenssysteme und vermeintliche Wahrheiten vermittelt wurden, die mich von Grundschulalter bis jetzt begleitet haben.

Besonders hinsichtlich dessen, dass die Geschichten der drei Detektive in den Medien immer wieder angepriesen werden,, sehe ich es als notwendig an, hier genauer hinzuschauen. „Die drei Fragezeichen“ werden oft im Gegensatz zu der Hörspielreihe „TKKG“ aufgezeigt – ebenfalls eine Detektivbande – und im Vergleich dazu als „(nahezu) politisch korrekt unterwegs“ [6]  aufgefasst, wie im Stern von dem weiß und männlich positionierten Finn Rütten berichtet wird. Ist eine Geschichte gleich politisch korrekt, nur weil das N-Wort nicht benutzt wird, wie bei „TKKG“?![7] Politische Korrektheit meint nicht nur schlichtweg das Streichen rassistischer Wörter, wie das N-Wort oder Z-Wort. Sie stellt Herrschaftssysteme infrage und ist als „Anti-Diskriminierungsarbeit auf sprachlicher Ebene“ zu verstehen, die in einem „nicht rassistischen, nicht (hetero-)sexistischen, nicht diskriminierenden (bspw. Aufgrund von Alter oder Befähigung), nicht beleidigenden, inklusiven, respektvollen, selbst-reflexiven und sensiblen Sprachgebrauch Anwendung [findet].“[8]  Deswegen müssen „Die drei Fragezeichen“ neben „TKKG“ und „Benjamin Blümchen“ in kritische Analysen miteinbezogen und nicht aussortiert werden, „weil sie so viel richtig machen“.[9]

Mir ist es bei der Suche nach wissenschaftlich fundierter Sekundärliteratur schwergefallen, seriöse Quellen zu finden, die „Die drei Fragezeichen“ in einem politischen Kontext behandeln.[10] Ich habe viel auf Onlineforen zurückgegriffen, die ihre drei Helden natürlich größtenteils vor Kritik bewahren. Ich nutze für meine Analyse die Hörspiele als Hauptquelle und ergänze diese durch Zeitungsartikel, Blogbeiträge und Interviews. Die Quellen werden durch Theorietexte, sowie eigene kritisch reflexive Gedanken, ergänzt und kontextualisiert.

Das vorliegende Essay beschäftigt sich besonders mit den Inhalten der Hörspiele, wird aber durch Informationen bezüglich Produktion und Besetzung ergänzt und bezieht sich daher auf die Hörspielreihe und nicht die Buchreihe. Ich fokussiere mich besonders auf die Repräsentation und Konstruktionen von Geschlecht und Sexualität. Zusätzlich wird die Analyse durch einen rassismuskritischen Ausblick ergänzt, der anschneidet in welche Bereiche noch weiter kritisch gedacht werden sollte.

Ich stelle keinen Anspruch an einen objektiven Analysevorgang, da dies ein weißes rassistisches Konstrukt ist.[11] Insofern möchte ich meine Position betonen: Ich bin eine weiß positionierte ableisierte Frau, die in einer heterosexuellen Kernfamilie aufgewachsen ist.

1. Begriffsdefinition „Geschlecht“

Geschlechtliche Realitäten außerhalb des binären Geschlechtersystems spielen in „Die drei Fragezeichen“ keine Rolle. Daher werde ich mich auf die Repräsentation von Männlichkeiten und Weiblichkeiten beziehen, sowie auf einzelne Figuren eingehen, die sich von cis heteronormativen Bildern abheben. Ich gehe davon aus, dass kein Mensch vollends weiblich oder männlich ist. Diese beiden Kategorien sind lediglich zwei Pole auf einer von vielen möglichen Geraden. Ich schließe mich Judith Buttler an, indem ich Geschlecht als soziales Konstrukt definiere, mit welchem je nach gesellschaftlichem Kontext verschiedene Stereotype und Verhaltensweisen verbunden werden.[12] Somit ist das der Frau zugeordnete „weiblich“ und dem Mann zugeordnete „männlich“ ebenfalls sozial konstruiert. Es ist ein Konstrukt der Performanz, in dem die Geschlechtsidentität als Tun verstanden wird, welches sich aus der Wiederholung kultureller Praktiken ergibt.[13] Ich spreche von Männlichkeiten und Weiblichkeiten im Plural, da es nicht das eine Männliche oder Weibliche gibt, denn je nach gesellschaftlichem Kontext variieren die Ansprüche, die eine Gemeinschaft an Männer und Frauen stellt.  Wenn ich hier von Männlichkeit und Weiblichkeit spreche, meine ich besonders europäisch und US-amerikanisch geprägte Geschlechterbilder, die in einen kapitalistischen und neoliberalen Kontext einzuordnen sind.

Wenn wir über Geschlecht sprechen, muss immer von Dominanz- und Herrschaftsverhältnissen gesprochen werden, die eine Norm etablieren, welche ebenfalls sozial konstruiert ist.[14] Jene Normen werden auf vielerlei Ebenen verhandelt: In sozialen Beziehungen, in der Wissenschaft, in Gesetzbüchern und besonders auch in Darstellungen der Medien, wie Werbung, Film und Literatur. So werden auch „[i]n Hörspielen […] bestimmte Gesellschaftsnormen, Rollenbilder, Handlungsentwürfe und unterschiedliche Vorstellungen des Politischen keineswegs wertfrei vermittelt, die Rezeption von Kinderhörspielen kann für junge Zuhörerinnen und Zuhörer vielmehr identifikatorisch verlaufen und die Hörspielheldinnen und -helden zu Vorbildern werden lassen.“ [15] Dennoch „steht durchaus nicht immer das einzelne Hörspiel in der Kritik, sondern die gesellschaftliche Haltung, die es simplifizierend – und damit scheinbar kindgerecht – oder unreflektiert reproduziert.“[16] Wie bereits Chimamanda Ngozi Adichie argumentierte, ist das problematische an Stereotypen und der damit verbundenen Simplifizierung nicht, dass sie unwahr sind, sondern, dass sie unvollständig sind – „They make one story become the only story.“[17] Somit ist das „Problem an medialen Stereotypen […], dass sie Vielfalt und Differenz reduzieren und auch naturalisieren.“[18]

2. Konstruktion von Geschlecht in „Die drei Fragezeichen“

2.1 Männlichkeiten in „Die drei Fragezeichen“

„Die drei Fragezeichen“ ist eine männlich dominierte Hörspielserie. Die meisten Figuren, besonders auch jene, die wiederholt auftreten und somit zur Kontinuität der Serie beitragen, sind männlich. Insbesondere die Bösewichte der Folgen sind männlich, wie z.B. Skinny Norris, der Erzfeind der drei Jungen, der aber gleichzeitig nie eine richtige Bedrohung darstellt, oder Victor Hugeney, der Kunstdieb, der einen würdigen Gegner für die Detektive bietet.[19] Das Bild von Männern als böse und von Frauen als unschuldig wird aufrechterhalten. Ebenso sind beinah alle Kommissare, d.h. zu Beginn Inspector Reynalds und später dann Inspector Cotter, sowie jede Vertretung, männlich. Nur in einer der neueren Folgen gibt es einen bisher einmaligen Auftritt einer weiblichen Kommissarin. Das berufliche Feld der Polizeiarbeit wird als ein männliches konstruiert. Die mögliche Konsequenz ist, dass sich weniger Mädchen den Beruf Polizistin zutrauen, wie Studien zum Thema Gender und Berufsbezeichnungen bewiesen haben. [20]

Alle bisherigen Sprecher für die Rolle der Erzählstimme sind männliche Stimmen.[21] Wenn ich an andere Hörspiele aus meiner Kindheit zurückdenke, wie „TKKG“, „Die fünf Freunde“ oder „Bibi Blocksberg“, so sind auch alle Sprechenden der Erzählstimmen männlich gelesene Namen.[22] Somit erhalten die Hörenden einen männlich positionierten Blick auf das Geschehen, der durch seine berichtende Funktion allerdings oft mit Neutralität verwechselt wird. Wer erzählt, erzählen darf und kann, hat Handlungsmacht, denn Sprache ist Definitionsmacht.[23] Insofern liegt hier die Erzählmacht auf männlicher Seite. Der Erzähler in „Die drei Fragezeichen“ ist einerseits vorrangig über die drei Detektive intern fokalisiert und andererseits ist die Erzählinstanz nicht frei von wertenden Kommentaren, die sich im Hörspiel, anders als im Roman, nicht nur in der Wortwahl, sondern auch in der Stimmlage manifestieren. Beispielsweise in „Der Geisterbunker“ als die Erzählstimme beschreibt: „vor ihm [Justus] lag eine XXL Pizza, die er bereits zur Hälfte verspeist hatte.“[24] Auschlaggebend dabei ist, dass die Erzählinstanz das „XXL“ besonders betont und es in die Länge zieht und Justus Essverhalten damit als unkontrolliert abwertet.

Ebenfalls zu erwähnen, gilt das Genre des Hörspiels, denn es ist „nicht zuletzt das Genre […], das die internen und externen Blickkonstellationen sowie die damit verbundene Geschlechterrepräsentation vorgibt.“[25] Der Krimi ist ein männlich domminiertes Feld. Die großen Detektive in Literatur und Fernsehen sind überwiegend männlich, wie z.B. Sherlock Holmes oder Hercule Poirot – beides Figuren, die im letzten Jahrzehnt im großen Kino zu sehen waren, wohingegen Miss Marple zwar eine der wenigen Frauen ist, aber mittlerweile auch der vergangenen Filmwelt angehört. An diese Form männlicher Dominanz knüpft jener Mythos von Männlichkeit an, welcher diese mit Rationalität und Logik – das Werkzeug eines Detektivs – verbindet.[26] Dem entgegen steht das Emotionale, was zumeist mit Weiblichkeit und Schwäche verbunden wird.[27] Es muss berücksichtig werden, dass es trotz der Verbindung zwischen Rationalität und Männlichkeit, auch Geschichten von Detektivinnen gibt. Als Gegenstück zu „Die drei Fragezeichen“ kann hier „Die drei Ausrufezeichen“ genannt werden. Allerdings ist die Hörspielreihe der drei Detektivinnen von sexistischen Klischees besetzt.[28] Die Taz schreibt: „Dementsprechend ermittelt das weibliche Detektivtrio dann auch auf dem Laufsteg, im Café, oder auf dem Reiterhof. Eine der Protagonistinnen besitzt einen großen Kleiderschrank, die andere ein Pferd und die dritte fühlt sich oft zu dick.“[29] Ebenfalls problematisch ist hierbei, dass mit dem Titel „Die drei Ausrufezeichen“ eine Parallele zu „Die drei Fragezeichen“ gezogen und versucht wird, ihnen nachzueifern. Doch sie können bei Weitem nicht mit „Die drei Fragezeichen“ mithalten, die schließlich schon lange einen Kultstatus genießen. Durch den vergleichenden Namen wird dem weiblichen Detektivtrio das Entwickeln einer eigenen Geschichte und Identität verwehrt, in welcher dem nachgegangen wird, wer diese drei Mädchen wirklich sind, ohne im Vergleich zu einer männlichen Serie definiert zu werden. So wird hier deutlich, wie bereits Simone de Beauvoirs Geschlechtertheorie aufzeigt, dass das Weibliche nicht als das eine, sondern als das andere hervortritt und somit anhand des Mannes definiert wird.[30]

2.1.1 Figurenbetrachtung

Die drei Detektive Justus, Peter und Bob lassen sich alle als cis männlich, heterosexuell, ableisiert und weiß positioniert lesen. In dieser Positionierung wird das sichtbar, was gesellschaftlich als dominierende Norm gilt. Dennoch sind die drei Jungen sehr unterschiedlich und anhand ihrer Figuren werden verschiedene Männlichkeitsbilder deutlich, die im Folgenden exemplarisch beleuchtet werden.

Justus, der erste Detektiv, gilt als überdurchschnittlich intelligent. Er besitzt ein fotographisches Gedächtnis[31] und ist oft den beiden anderen Detektiven gedanklich einen Schritt voraus oder lässt sie absichtlich im Dunkeln tappen.[32] Damit wird sich anhand seiner Figur einer Sherlock Holmes Trope[33] bedient, indem er anknüpfend an den Männlichkeitsmythos von Rationalität das Symbol analytisch-rationalen Denkens verkörpert.[34] Dabei ist er der Innbegriff von Mansplaining, indem er ungefragt die Welt erklärt.[35] Er ist mutig und furchtlos. Allerdings hat er wenig Empathie, z.B. für Peters Unwissenheit oder seine Ängste.[36] Besonders gegenüber Frauen, wie z.B. Kelly, Peters Freundin, oder Jelena, einer Freundin der drei Jungen, ist Justus unhöflich und wertet sie ab.[37] Die daraus resultierende Frauenfeindlichkeit, wird in der Hörspielreihe allerdings nicht als in der Gesellschaft strukturell begründet angesehen, sondern ist darauf zurückzuführen, dass die Freundinnen der Detektive deren Zeit beanspruchen.[38] Darüber hinaus muss auch Justus trotz seines Geniecharakters einiges aushalten, denn in beinah jeder von den bisher über 200 Folgen kommt Fettfeindlichkeit zum Ausdruck, indem Justus Fettshaming ausgesetzt ist, sowohl durch seine Feinde als auch seine Freunde. Dabei wird Justus besonders von Peter gemaßregelt, wie z.B. in „Poltergeist“ als Peter sagt: „Beherrschung Pummel, Beherrschung!“ als Justus meint, das Essen sehe lecker aus.[39] Das Fettshaming geht auch von Seiten der am Geschehen unbeteiligten Erzählstimme aus, wie bereits erwähnt wurde.[40] Durch die wiederholte Thematisierung von Justus Diäten, wird einerseits ein Bild dessen konstruiert, dass, wer nicht der Schlankheitsnorm entspricht, sich gerne an diese angleichen möchte und sollte und andererseits ein Selbst-Schuld-Motiv, wenn es darum geht nicht Gewicht verloren zu haben, indem immer wieder beschrieben wird, wie Justus es nicht schafft, seine Diäten durchzuhalten.[41] Einerseits kann hier festgehalten werden, dass Justus zwar trotz seiner Physis und die Diskriminierung, die er dadurch erfährt, weiterhin schlagfertig und selbstbewusst ist, was als Vorbild gelten kann, doch andererseits beruht seine ganze Anerkennung darauf, dass er überdurchschnittlich intelligent  ist. Damit er also ernst genommen wird, und nicht als undiszipliniert abgewertet wird, müssen seine kognitiven Fähigkeiten überragend sein.

Peter, der zweite Detektiv, gilt als außerordentlich sportlich und gutaussehend.[42] Allerdings ist er oft ängstlich und seinen Kollegen kognitiv unterlegen.[43] Zusätzlich glaubt er oftmals zu Beginn eines neuen Falls an die übernatürlichen Phänomene, wie Geister – im Gegensatz zu Justus, der für alles eine logische Erklärung zu haben scheint.[44] Dies bekommt er immer wieder durch Kommentare zu hören. Diese Kommentare schließen an jenes Männlichkeitsbild an, dass Emotionen unterdrücken soll, z.B. durch ein „Reiß dich zusammen, Peter!“[45], was dieser nicht selten zu hören bekommt. Damit wird besonders kleinen Jungen suggeriert, sie seien schwach, wenn sie ihren Gefühlen Ausdruck verleihen.[46]

Bob bildet in vielerlei Hinsicht die Brücke zwischen Justus und Peter, die oft so unterschiedlich sind. Er ist der Streitschlichter und ergreift mal für den einen und mal für den anderen die Initiative. Dadurch wird er als einfühlsam und empathisch charakterisiert. Er kann sich Informationen gut erschließen, ist damit nicht so intelligent, wie Justus, aber knüpft an das Männlichkeitsbild von Logik an.[47]

Somit vereinen die drei Detektive vermeintlich typisch männliche Eigenschaften in sich, wie „Intelligenz/ kognitive Fähigkeiten (Justus), Sportlichkeit, Charme (Peter) und die Fähigkeit sich Informationen zu erschließen (Bob).“[48] Abgewertet wird die Emotionalität bei Peter, sowie Justus Körper, der nicht der gängigen Schönheitsnorm entspricht.

Grundsätzlich positiv ist, dass anhand der drei eine Jungenfreundschaft geschildert wird, die zeigt, dass auch der beliebte Sportler (Peter) mit den Nerds (Justus und Bob) befreundet sein kann und sich die drei umeinander sorgen und somit deutlich wird, wie wichtig sie sich sind. Dennoch kommunizieren sie ihre Gefühle füreinander zumeist nicht offen, ihre Zuneigung zueinander wird nur in der Furcht um das Leben des anderen deutlich und Körperlichkeit zwischen den dreien, wie eine Umarmung nach dem erfolgreichen Lösen eines Falles, findet keine Erwähnung.

2.2 Weiblichkeiten in „Die drei Fragezeichen“

Frauen- und Mädchenrollen, die von Bedeutung sind, gibt es in den meisten Folgen nicht.[49] Weibliche Figuren fungieren als Nebencharaktere, die ersetzbar sind. Die marginale Position von weiblichen Rollen zeigt sich auch anhand einiger Zahlen: Bis zur Hörspielfolge 71 sind nur 14,91 % Sprecherinnen, d.h. pro Folge sind durchschnittlich 10,45 Sprecher und 1,83 Sprecherinnen zu hören.[50] Heute mag das vielleicht etwas anders sein, aber die männliche Dominanzposition ist immer noch sehr deutlich hörbar: Die letzten zehn erschienenen Folgen (Folge 208-217), die im Durchschnitt 13,5 Sprechrollen aufweisen, haben einen Frauensprechanteil von durchschnittlich 3,2 weiblichen Stimmen, was in etwa 23,5 Prozent an Frauensprecherinnen ausmacht.[51] Grundsätzlich kann angenommen werden, dass nahezu alle Folgen von „Die drei Fragezeichen“ nicht den Bechdel-Test[52] bestehen würden, da einerseits wenig Frauen in den Folgen vorkommen und diese in nahezu keiner Folge miteinander sprechen. Die jüngst erschienene Folge (Folge 217) sticht mit einem Frauensprechanteil von einem Drittel positiv heraus. Allerdings haben zwei der fünf weiblichen Sprechrollen keinen Namen. Sie werden als „Dame“ und „Lady“ aufgelistet,[53] was sie auf ihr Frausein reduziert.

2.2.1 Familienbild

Bei allen drei Jungen wird das Bild einer heterosexuellen weißen Kernfamilie der Mittelschicht[54] deutlich.[55] Familie, so wie auch Schule, spielen in „Die drei Fragezeichen“ eine marginale Rolle, aber dennoch hilft Bobs Vater, Mr. Andrews, den Detektiven bei einigen Fällen, indem er ihnen z.B. Informationen aus dem Archiv besorgt, da er bei der Zeitung arbeitet.[56] Mrs. Andrews, sowie auch Mrs. Shaw, Peters Mutter, haben keinerlei erkenntliche Funktion für die Handlungen und über sie ist nicht viel bekannt.[57] Sie sind lediglich diejenigen, welche besorgt am Telefon zu hören sind, wenn ihre Söhne verschwunden sind.[58] Damit erschienen sie alleinig, um den Hörenden deutlich zu machen, dass Peter und Bob in intakten heterosexuellen Kernfamilien aufwachsen. Ihre Rollen werden auf ihr Muttersein beschränkt. Weibliche Figuren werden reduziert und erscheinen, wie häufig in medialen Darstellungen, ausschließlich als „die Mutter von…“.[59] Sie treten somit nicht als eigenständige Individuen auf, die unabhängig von ihrem Beziehungsstatus zu einem der Detektive existieren.[60]

2.2.2 Unsichtbare Mädchen

Die Position des Ersetzbaren von Frauenrollen, wird auch im wörtlichen Sinne deutlich, denn sowohl Kelly, als auch Jelena wurden aus den Hörspielen explizit herausgeschrieben und z.B. in „Das Geisterschiff“ durch Peters männlichen Freund Jeffrey ersetzt. Die Begründung des Hörspielproduzenten und Autor André Minninger, bezieht sich einerseits darauf, dass die Figuren nicht handlungstragend seien (und genau darin liegt schließlich das Problem) und andererseits, dass die Reaktion der Fans gegenüber den Freundinnen der drei Detektive negativ waren.[61]  Es heißt, dass die Freundinnen „den Handlungs- und Erzählfluss [hemmten] und  […] zudem erwachsene Probleme, die nicht dem ursprünglichen Konzept der Serie entsprachen, [boten].“[62] Hinter dieser Auslöschung weiblicher Figuren steht ein patriarchales System, in welchem Figuren wie Jelena, Kelly und auch Elizabeth (die Freundin von Bob) nur als Partnerinnen der Jungen gedacht werden können und somit lediglich die Detektive heterosexuell und damit normkonform verortet werden können. Daher sind sie, ähnlich wie die Mutterrollen, nur „die Freundin von…“, statt ein eigenständiges Individuum, was an der Entwicklung einer Geschichte beteiligt sein könnte. Sie werden in passive Zustände gedrängt und ihnen wird ihre Agency abgesprochen.[63]

In den früheren Folgen, in denen die Mädchen noch auftreten, wird ihnen wenig Handlungsfähigkeit zugeschrieben. Dies wird unter anderem in „Fußball-Gangster“ deutlich als die Mädchen den Jungen erzählen, dass sie herausgefunden haben, wer für die Briefbomben verantwortlich war. Peter wird an dieser Stelle sehr aufbrausend und ruft: „Seid ihr verrückt geworden?!“[64], da sie versprochen hätten, sich aus den Fällen der Detektive herauszuhalten, da es „zu gefährlich“ sei.[65] Dies ist ein Motiv, dass beispielweise auch in „TKKG“ auftritt, wenn Gaby, die sogar Teil der Detektivbande ist,  von manchen Aktivitäten ausgeschlossen wird, weil sie als zu gefährlich für ein Mädchen eingestuft wird.[66] Besonders in der erwähnten Folge wird deutlich, wie die Detektive die Mädchen übergehen und sie nicht ernst nehmen  – obwohl Elizabeth viel mehr Ahnung von Fußball und seinen Regeln hat als die drei Detektive.[67] Die Wut der Mädchen über die Ignoranz ihrer Freunde wird von den Detektiven abgetan, indem Peter sagt: „Jetzt seid doch nicht albern!“[68] Damit wird hier die Emotion der Mädchen als übertrieben und zu dramatisch abgewertet. Der Stereotyp der Frau als zu emotionsgeladen wird hier somit weitergeführt. Es scheint nicht möglich zu sein, die Freundinnen der drei Jungen, ohne ein Klischee zu besetzen, denn Andreas Fröhlich äußert in einem Interview: „Das hemmt die Ermittlungen, wenn zwischendurch die Freundin kommt und sagt: Du musst jetzt aber mit mir noch shoppen gehen.“[69] Die Aussage, die Fröhlich hier trifft, ist sexistisch, da sie sich eines weiblichen Klischees bedient, welchem die Freundinnenfiguren nicht einmal entsprechen. Deutlich wird damit, dass auch auf Seiten der Sprecher*innen keinerlei Reflexion bezüglich sexistischer Bilder, die hier vermittelt werden, stattgefunden hat.

2.2.3 Figurenbetrachtung

Trotz der grundsätzlich mangelhaften Repräsentation weiblicher Figuren, ist es erforderlich genauer auf die Darstellungsweisen der wenigen weiblichen Figuren einzugehen. Ich werde mich dabei besonders auf Kelly und Jelena fokussieren. Es gilt allerdings zu erwähnen, dass auch Justus eine Freundin, Lys de Kerk, hatte, die jedoch noch weniger Raum in den Folgen einnimmt. Lys‘ Figur wird in den Hörspielen oberflächlich abgehandelt, was sich unter anderem anhand dessen zeigt, dass die verschiedenen Autor*innen sich darüber uneinig waren, ob sie die Freundin, d.h. eine Person mit der Justus in einer romantischen Beziehung ist, oder eine Freundin von Justus ist, d.h. eine Person mit der Justus eine Freund*innenschaft unterhält.[70]

Bob ist in einigen Hörspielfolgen, bis zur Trennung, die allerdings nur irgendwann Erwähnung findet und keinen Handlungsstrang ausmacht, mit Elisabeth Zapata (auch Liz oder Beth genannt) zusammen, die in „Fußball-Gangster“ von Justus lediglich als Bobs „Anhang“ vorgestellt wird.[71] Liz taucht allerdings auch nur in zwei von zehn vertonten Geschichten auf und wird ansonsten lediglich erwähnt.[72] Wie wenig Aufmerksamkeit den Freundinnen und besonders ihrer charakterlichen Tiefe zukommt, wird dadurch bemerkbar, dass sie nicht immer von der gleichen Sprecherin gesprochen werden – im Gegensatz zu den drei Detektiven, deren Stimmen und die dahinterstehenden Sprecher für die Persönlichkeiten der drei Jungens stehen. So wird Lys z.B. in „Fußball-Gangster“ von Kerstin Draeger gesprochen[73] und in „Angriff der Computerviren“ von Anika Pages[74]. In „Giftiger Gockel“ hingegen spricht Draeger Kelly[75], die in „Fußball-Gangster“ von Juliane Szalay gesprochen wird[76]. Diese Vereinheitlichung der Freundinnen der Detektive wird besonders in „Fußball-Gangster“ deutlich, denn hier treten Kelly, Lys und Elisabeth gemeinsam in Erscheinung. Sie werden immer wieder als „die Mädchen“ bezeichnet und oft nicht einzeln erwähnt, sodass den Hörenden nicht immer klar ist, welche der drei spricht.[77] Damit wird ihnen jegliche Individualität genommen.

Kelly Madigan gilt, ebenso wie Peter, als schön und sportlich. Sie entspricht damit – ähnlich wie Peter – einem normativen Schönheitsbild. Kellys Charakter wird als anstrengend dargestellt und sie neigt zu Hysterie,[78] wodurch sogar Peter neben ihr als der Vernünftigere inszeniert wird. Damit bedient Kelly das negativ aufgeladene Klischeebild einer Frau. Die Hysterie ist zudem ein zutiefst sexistisches Konstrukt, was fälschlicherweise in der Biologie von Menschen mit Uterus begründet wurde.[79] In „Gefahr im Verzug“ wird Kelly darüber charakterisiert, dass ihre Lieblingsreporterin eine – wie Justus sie nennt – Klatschreporterin ist, was Kelly damit ihren Intellekt abspricht und diese abwertet.[80]  Ähnlich wird sie auch kognitiv unterlegen dargestellt, als sie in „Fußball-Gangster“ fragt „Warum ist denn da [im Video] kein Ton?“ und Peter genervt antwortet: „Das ist Zeitlupe, Kelly.“[81] Der sonst manchmal auch etwas kognitiv unterlegene Peter wird hier im Vergleich zu Kelly damit aufgewertet. In anderen Folgen wie „Poltergeist“ vermittelt Kelly den drei Detektiven nur einen Fall und somit erfahren die Hörenden wieder nicht mehr über sie als lediglich den Fakt, dass sie Peters Freundin ist.[82] In „Späte Rache“, als Peter verschwunden ist, kombiniert sie allerdings auch und hilft bei der Lösung des Falls, dennoch ist sie keine Konkurrenz für den Intellekt der drei Detektive.[83]

Jelena Charkova hingegen kann als weibliches Gegenstück zu Justus gelesen werden. Sie ist intelligent, mutig und wissbegierig. In „Botschaft von Geisterhand“ eignet sie sich selbstständig die Chemie an und entwickelt eine Flüssigkeit, die eine unsichtbare Schrift sichtbar macht, deren Geheimnis nicht einmal die drei Fragezeichen lösen können.[84] Ebenso wie Justus ist auch sie arrogant und wortgewandt, sehr zum Ärgernis des ersten Detektivs, den, im Gegensatz zu Peter und Bob, mit Jelena eine feindliche Konkurrenzfreund*innenschaft verbindet.[85] Dennoch ist sie die einzige Frauenrolle, die sich gegen weibliche Klischees wendet und als stark und selbstbewusst hervortritt. Darunter leidet allerdings die Sympathie für sie, da sie vor Arroganz strotzt. Den drei Detektiven ganz überlegen ist sie allerdings nicht, da sie im Rollstuhl sitzt und somit nicht so mobil wie die drei Detektive ist. Daher ist sie Justus an physischer Schnelligkeit immer noch unterlegen.[86] Somit ist sie immer wieder auf die Hilfe von den Jungen angewiesen, die sie z.B. hilfsbereit die Treppen hochtragen.[87] Jelena tritt in sieben Büchern in Erscheinung, ist allerdings nur in vier der Hörspiele zu den Büchern als Figur vertreten. [88]

Mathilda Jonas, Justus Tante, ist die einzige weibliche Rolle, die bis heute in den Folgen in Erscheinung tritt. Sie hebt sich besonders durch ihre Backkünste hervor. Sie unterstützt ihren Mann, Titus Jonas, im Trödelgeschäft, aber wird insbesondere als Hausfrau charakterisiert. Sie ist sorgsam und gefühlvoll.[89] Dabei ist sie das Sinnbild unbezahlter Care Arbeit. Somit knüpft ihre Figur an ein weibliches Klischeebild einer Übermutter an. Allerdings wird Mathilda auch immer wieder als anstrengende und lästige Figur inszeniert, indem sie ständig die Hilfe der Jungen benötigt und zum Jammern neigt, was besonders in ihrer Stimme deutlich wird.[90]

Als ich vor einiger Zeit „Geisterbunker“, eine der neusten Folgen hörte, war ich freudig überrascht als plötzlich Kommissarin Merryweather eingeführt wurde, die für diese Folge die Vertretung von Inspector Cotter ist. Doch ich wurde schnell enttäuscht, denn die Kommissarin wird als eine unsympathische Person eingeführt, da sie eigennützig die drei Detektive erpresst, damit diese ihr die Arbeit abnehmen und langweilige Fälle für sie lösen.[91] Sie stellt sich allerdings im Verlauf der Folge als taffe Frau heraus, die jedoch dem Klischee einer Großstadtkommissarin ausgesetzt ist und deren Charakter sich an billigen Motiven bedient, wie ihr harter Ton, der Erlaubnis bei einer Verfolgung das Tempolimit zu überschreiten – „geben Sie Stoff!“[92] – und ihrer aufreizenden Kleidung. Auf den Charakter der Kommissarin lässt sich auch anhand einer Szene schließen, in welcher diese Titus Jonas „schamlos“[93] – so Mathilda – anflirtet. Mathilda greift daraufhin nicht ein, aber wertet später die Kommissarin ab, indem sie ihren Kleidungsstil herabsetzt.[94] Dies führt zu einer sehr negativen Darstellung der Kommissarin.  Zum anderen wird hier deutlich, wie bei diesem Konflikt der Eifersucht der männliche Part, Titus, keinerlei Position bezieht und beziehen muss und somit Matilda nicht sauer auf Titus ist, sondern auf die Kommissarin. All dies sind Komponenten, die in einem patriarchalen System vorherrschen. Somit reproduziert diese Szene patriarchale Rollenbilder und zieht männliche Akteure aus jeder Verantwortung.

Es wird deutlich, dass die Frauen- und Mädchenfiguren starken weiblichen Klischees ausgesetzt sind, die hier reproduziert werden. Die weiblichen Charaktere sind oftmals mit lästigen Eigeschalten besetzt und können daher auf wenig Sympathie der Hörenden hoffen. Somit kann hier von einer misogynen Darstellungsweise gesprochen werden. Statt die weiblichen Figuren „gut altern“ zu lassen und an jetzige gesellschaftliche Errungenschaften von Frauen in den Medien teilhaben zu lassen, wurden ihre Rollen herausgeschrieben. Die Betrachtung macht folgendes deutlich:

By linking women primarily to domestic activities, the family, and private matters, rather than to positions of power and authority, the media socialize a view of women as dependent, inferior, and subordinate. We can see this in the predominance of roles for women as housewives, mothers, and romantic partners.[95]

2.3 Queerness in „Die drei Fragezeichen“

Wie bereits deutlich wurde, zeichnet sich die Welt der drei Detektive durch ein binäres und heterosexuelles System aus. Es gibt wenige Bücher, und noch weniger Hörspielfolgen, in welchen queere Charaktere in Erscheinung treten.[96] Dennoch gibt es wenige Folgen, in welchen mit heteronormativen Vorstellungen von Geschlecht gebrochen wird. In der Folge „Höhenangst“ aus dem Jahr 2019, die von Andre Minninger verfasst wurde,[97] ist die Figur des Bösewichts durch eine Person besetzt, die scheinbar auch ein Mörder[98] aus einem Buch nach wahrer Begebenheit ist, das Bob in der Folge liest. In dem Buch wird der „Psychopath“, wie der Erzähler ihn nennt, dadurch als „geisteskrank“ charakterisiert, weil er seine weiblichen Entführungsopfer dazu zwingt, sich vor ihm zu schminken.[99] Bob erhält während des Lesens einen Drohanruf.[100] Wie sich später herausstellt, handelt es sich dabei nicht um die gleiche Person, wie aus dem Buch, auch, wenn die Detektive dies annehmen sollen. Die Detektive werden während des Falls von einer Person beobachtet, die Frauenkleider trägt, aber laut Peter keine Frau sein kann, wegen der Perücke und der „männlichen Figur“, weswegen die Person wie ein „absoluter Fremdkörper“ wirke.[101] Die Figur weicht mit ihrem Erscheinungsbild von heteronormativen Vorstellungen ab und lässt sich damit dem Begriff von Queercoding zuordnen, gleichermaßen wie die Verbindung von Männlichkeit und einer Affinität für Schminke. Queercoding meint, dass Stereotype und verschiedene Tropen, die mit der LGBTQ Community verknüpft sind, genutzt werden, um einer eindeutigen queeren Zuordnung, wie z.B. der Homosexualität eines Charakters, auszuweichen, sie aber dennoch anzudeuten. Dies beruht auf dem ursprünglichen Verbot, Queerness in Film und Fernsehen abzubilden. Somit wurde Queercoding einst verwendet, um dieses Verbot zu umgehen, doch auch heute noch, obwohl LGBTQ-Figuren längst vielfältig zu sehen sind, wird das Queer-Sein vieler Figuren im Versteckten verhandelt, sodass sich Stereotype weiter reproduzieren und Queerness als unnormal wahrgenommen wird.[102] Die hier verwendete Trope nennt sich „Creepy Crossdresser“. Diese Trope zeichnet Charaktere aus, die meistens sadistische Männer sind und deren Tragen von Frauenkleidern und auch Schminken insbesondere dazu dient, sie als gruselig und böse darzustellen.[103] Die Darstellung des Creepy Crossdressers ist queerfeindlich, da Queer-Sein mit böse und psychisch krank gleichgesetzt wird. Das Motiv des Creepy Crossdressers wird in „Höhenangst“, wie in vielen anderen Filmen,[104]aufgegriffen und reproduziert.

In Fankreisen wurden immer wieder Theorien über die mögliche Homosexualität der drei Jungen, insbesondere Peter, diskutiert. Die Sprecher der Detektive haben mehrmals betont, dass die Sexualität der Jungen nicht wichtig sei, dennoch haben sie in Interviews Andeutungen bezüglich der Homosexualität der Figuren von sich gegeben.[105] Dies kann in den Kontext von Queerbaiting eingeordnet werden. Bei Queerbating wird offengelassen, ob eine Figur queer, z.B. homosexuell, ist, um einerseits ein queeres Publikum anzulocken und andererseits mögliche homofeindliche Fans nicht zu verärgern.[106]

Eine offen queere Person ist die Figur Monique Carrera, die in zwei Folgen ihren Auftritt hat. In „Das Hexenhandy“ wird deutlich, dass Monique eine trans Frau ist. Schon ihre Einführung in die Geschichte ist problematisch zu sehen, denn sie wird zunächst als unfreundliche „aufgedonnerte Blondine“ inszeniert.[107] Schon in dieser Beschreibung kommen misogyne Tendenzen zum Ausdruck, da die Weiblichkeit von Mrs. Carrera abgewertet wird. Bei der ersten Begegnung der Detektive mit Mrs. Carrera lesen diese Monique als cis Frau, doch schnell wird von einer Kollegin von Mrs. Carrera ihr trans-Sein thematisiert, indem sie sehr transfeindliche Aussagen trifft, wie „In einem Cabaret wäre die Diva besser aufgehoben als bei einem seriösen Unternehmen.“[108] Durch die Bezugnahme zu dem Cabaret als Ort für oftmals parodistische Verkleidungen wird Mrs. Carrera ihr Frau-Sein abgesprochen und ihr Geschlecht wird invalidiert. Daran anschließend wird dies auch in der Nennung ihres Deadnames, d.h. der Geburtsname, den die Person abgelegt hat, deutlich, der „ihr wirklicher Name“ sei.[109] Auch von Seiten der Detektive wird Mrs. Carrera zuerst nicht als Frau anerkannt, denn Justus spricht von „Mrs. oder Mr. Carrera“.[110] Dennoch sprechen die Detektive im weiteren Verlauf der Handlung immer von Mrs. Carerra und benutzen ausschließlich die Pronomen „sie/ihr“. Auch die Erzählstimme spricht von ihr als Frau. Als Mrs. Carerra von ihrem Chef gefeuert wird, weil sie eine „Schande“ für das Unternehmen sei, äußert sich auch Justus zu diesem transfeindlichen Vorfall: Er spricht von „menschenverachtenden“ Verhalten und meint, dass dies „in keinster Weise zu entschuldigen“ sei.[111] Dennoch auch problematisch zu sehen, ist, dass Mrs. Carerra relativ schnell als die Verdächtige ausgemacht wird, die als gruselige hässliche Hexe Kinder entführt und sie in einen Käfig sperrt. Zwar stellt sich der Verdacht später als falsch heraus, aber dennoch wird erneut das Bild einer queeren Rolle als böse reproduziert. Das Motiv der Hexe und deren Darstellung in der Folge sind ebenfalls kritisch zu betrachten, da es auf misogyne Weiblichkeitskonstrukte der Hexenverfolgung zurückzuführen ist. Trotz dessen, dass Mrs. Carrera sich am Ende als positive Figur herausstellt, wird im Verlauf der Geschichte immer wieder auf ihr bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht verwiesen, obwohl es nicht tragend für die Handlung ist. Damit wird ihre Figur besonders auf ihr trans-Sein reduziert und sie ist Othering ausgesetzt. Othering meint den Prozess des Exkludierens jener Menschen, die nicht als Teil der Dominanzgesellschaft wahrgenommen werden. Besonders durch Tropen findet Othering Ausdruck. [112]

3. Rassismuskritischer Ausblick

Es wurde sich intensiv mit der Genderfrage und Analyse der Reproduktion geschlechtlicher Stereotype befasst. Ein gleichermaßen wichtiger Punkt, den es aufzuarbeiten gilt, und der hier nur exemplarisch angerissen wird, ist die Reproduktion rassistischer und kolonialer Motive und Konzepte in „Die drei Fragezeichen“. Wer sich einmal lediglich die Titel der Hörspiele ansieht, merkt schnell, dass darin viele nicht-weiß-westliche Motive auftauchen, wie „Der Schatz der Mönche“, „Die flüsternde Mumie“, „Im Bann des Voodoo“, „Die Rache der Samurai“ oder „Das Volk der Winde“. Das Unbekannte, was es zumeist zu entdecken und erforschen gibt, ist somit mit nicht-westlich-weißen Motiven zu verknüpfen. Damit tragen die Folgen zu der Konstruktion eines „exotischen“ Anderen bei. Es herrscht zu Spannungszwecken das Konzept des Otherings vor. Dies schließt an das kolonialistische Narrativ des Entdeckens an. Beispielsweise in Folgen wie „Das Grab der Maya“, erschienen im Jahr 2020, werden Bilder einer Entdeckerkultur reproduziert, die an koloniale Zusammenhänge anschließen. Wie auch bereits das Zitat Andreas Fröhlichs bezüglich der Freundinnenthematik gezeigt hat, wird auch durch eine Aussage Oliver Rohrbecks deutlich, dass keine rassismuskritische Reflexion bei den Sprecher*innen vorliegt. In einem Interview antworte Rohrbeck auf die Frage, in welche Zeit er gerne reisen würde: „Ich würde erst einmal in die Zeit der Kolonialisierung reisen und wäre gerne mit den ersten Leuten in Indien gewesen.“[113] Mit den „ersten Leuten“ meint er wohl nicht die indische Bevölkerung, die schließlich vor den Europäer*innen da war, sondern die sogenannten portugiesischen „Entdecker“. Hier negiert Rohrbeck, dass er als „Entdecker“ Indiens wenig mit einem überromantisierten Abenteurer zu tun hat, sondern ein gewalttätiger Ausbeuter ist, der auf Grund von kapitalistischen Interessen die Bewohner*innen eines Landes gewaltsam unterwirft. Der Begriff des „Entdeckens“ unterliegt einer weißen Positionierung und meint eine koloniale Entität, die nicht-weiße Räume als leer imaginiert und das gewaltsame Eindringen in jene als „gute Tat“ konstruiert.[114] Dies zeigt sich auch auf inhaltlicher Ebene in den Hörspielen, wie z.B. in „Das kalte Auge“, erschienen im Jahr 2017, als Bob sagt: „Im Jahr 1590 in der Zeit als Nordamerika zum ersten Mal besiedelt wurde“.[115] Damit negiert auch er, dass vor dem Ankommen der Spanier, Nordamerika bereits von Menschen besiedelt war – nur eben keine weißen europäischen Menschen. Das Interview mit Rohrbeck ist auf der offiziellen Webseite der drei Fragezeichen nachzulesen. Dies macht deutlich, dass auch auf Seiten der Produktion kein kritisches Hinterfragen der Motive stattgefunden hat und keine Differenzierung von Rohrbecks Aussage vorliegt. Die koloniale Definitionsmacht findet sich zusätzlich in immer wieder auftauchenden Wörtern und Motiven wie „Indianer“ wieder, wie z.B. in „Das kalte Auge“. Dabei ziert sogar das Bild einer großen finsteren Figur mit Federschmuck, langem Haar etc. die offizielle Website der drei Fragezeichen. Das Bild soll einem native American nachempfunden sein, aber knüpft an stereotype Bilder der indigenen Bevölkerung Amerikas an, die von Weißen konstruiert wurden. „Indianer“ ist ein kolonialer Begriff, der von europäischen Gesellschaften dazu diente, sich von der Gruppe abzugrenzen, die sie überfallen (haben). [116] Mit dem Begriff wird ein homogenes und willkürliches Bild „verschiedenster geografisch und kulturell diverser Gesellschaften“ Amerikas erzeugt und damit wird ein rassistisches Konstrukt weiter aufrechterhalten.[117]

Besonders deutlich werden in „Die drei Fragezeichen“ auch Narrative, die sich anti-schwarzem Rassismus bedienen. In „Dopingmixer“ beschreibt die Erzählstimme: „Am Nachmittag trafen sich Justus, Bob und Glenn, ein dunkelhäutiger, sportlicher und sehr erfolgreicher Schüler.“[118] Das weiß-Sein der anderen Figuren findet keinerlei Erwähnung. Somit sind sie als Weiße zu lesen, die allerdings in ihrem weiß-Sein unsichtbar sind und daher als Norm deklariert werden. Schwarz wird als das rassifizierte „Andere“ konstruiert.[119] Zusätzlich ist „dunkelhäutig“ eine Fremdbezeichnung von Weißen für Schwarze Menschen, die sich damit der Eigenbezeichnung „Schwarz“ widersetzen.[120] Justus spricht in der Folge „Der Doppelgänger“ aus dem Jahr 1981 sogar von „verschiedenen Rassen“[121] bei Menschen. Damit bedient er sich einem rassistischen Vokabular. „Rasse“ ist ein erfundenes von Weißen erschaffenes Konstrukt, das keineswegs biologisch fundiert ist und dazu dient, die weiße Herrschaft zu legitimieren.[122]

Zusätzlich bedient sich „Die drei Fragezeichen“ auch Motiven, die im anti-asiatischen Rassismus zu verorten sind. In „Das Hexenhandy“, kann die Bedienung eines chinesischen Restaurants kein „R“ sprechen und spricht anstatt dessen ein „L“.[123] Hier wird sich eines rassistischen Stereotyps bedient, der eine Rolle lediglich durch ihre mögliche Nationalität kennzeichnen möchte. Dies kann, ähnlich wie Black- oder Yellow-Facing, als Yellow-Voicing verstanden werden. Besonders hinsichtlich dessen, dass es vermutlich ein weißer Sprecher war, der die Rolle der Bedienung spricht, ähnlich, in „Dopingmixer“, wo der Sprecher von Glenn ebenfalls weiß, ist.[124] Damit wird marginalisierten Gruppen auch im wörtlichen Sinne ihre Stimme abgesprochen. In erwähntem Beispiel geht die Produktion sogar noch einen Schritt weiter, indem sie die Sprechart der Figur nach einem rassistischen Stereotyp auslegen.

Auch Jens Wawrczeck, der Sprecher von Peter, scheint wenig Anspruch an politische Korrektheit zu stellen, denn er merkt in einem Interview an: „Das ist ein Kinderhörspiel, ursprünglich. Es ist kein Produkt, das sich jetzt wirklich gesellschaftskritisch äußert, oder historische Dinge aufrollt.“[125] Anhand dieser durchaus problematischen Perspektive, die den Bildungsauftrag, der Medien für Kinder innewohnt, nicht zu sehen scheint, wird sichtbar, wie wichtig es ist, in der Medienanalyse koloniale und rassistische Kontexte aufzurollen – besonders, weil es auch ein Kinderhörspiel ist und bereits im Kindesalter antirassistische Arbeit anfangen muss, ebenso wie antisexistische Aufklärung.

Schluss

Die Welt der drei Fragezeichen ist voll von problematischen Darstellungsformen, wie sich gezeigt hat. Es wird eine patriarchale und weiß dominierte Welt konstruiert, aber gleichzeitig auch gespiegelt. Weiße, heterosexuelle cis Männer haben jede Definitions- und somit Handlungsmacht, was durch die Dominanz männlicher Sprechrollen deutlich wird. Frauenrollen sind marginal und zeigen wenig charakterliche Tiefe auf. Sie wurden ihrer Stimme beraubt und werden misogyn abgewertet. Queere Rollen sind einem Othering ausgesetzt und werden durch Stereotype diskriminiert. Nicht weiß-westliche Figuren werden als das „Andere“ und zu erforschende Objekt konstruiert.

Das, was in „Die drei Fragezeichen“ deutlich wird, hält uns einen Spiegel unseres Herrschaftssystems vor. Das problematische Männlichkeitsbild z.B. ist schließlich keines, welches sich die Autor*innen ausgedacht haben, sondern es werden Mythen und Stereotype von Männlichkeit aufgegriffen, die bereits gesellschaftlich aktiv sind, wie das „Reiß dich zusammen!“, dem Peter als Mann ausgesetzt ist. Die Hörspielreihe kann als Spiegel unserer patriarchalen Gesellschaft betrachtet werden. Ein Spiegel, der zeigt, dass sich die hier vermittelten Bilder schon über mehrere Jahrzehnte halten und weiter aufrechterhalten werden.

Ich möchte festhalten, dass – zumindest für ein weißes cis Publikum – die sexistischen und rassistischen Aspekte der Serie nicht offenkundig zu erkennen sind, wenn nicht bereits ein grundsätzlich feministisches und antirassistisch reflexives Bewusstsein dafür vorhanden ist. Dies macht vielleicht einen Unterschied zu „TKKG“ aus, da dort Begriffe wie das N-Wort benutzt werden[126] – ein Begriff, dessen Problematik mittlerweile viel mehr Leuten bekannt ist, ohne, dass diese ein rassismuskritisches Denken im weiteren Ausmaß vermittelt bekommen haben. Da dies in „Die drei Fragezeichen“ nicht der Fall ist und die Sexismen und Rassismen hier aus weißer cis Perspektive unterschwellig angelegt sind, wird die Gefahr diskriminierender Motive nicht als solche erkannt. Jedoch heißt das nicht, dass jene Motive deswegen nicht weniger problematisch sind. Da die Hörspiele schließlich besonders während Aktivitäten, wie Aufräumen oder Einschlafen konsumiert werden, läuft die Geschichte der drei Detektiven oftmals als Hintergrundgeräusch ab und so werden rassistische und sexistische Narrative möglicherweise noch weniger als solche wahrgenommen, aber flechten sich dennoch in das Unterbewusstsein mit hinein.  An dieser Stelle wäre es nötig weiterzuforschen, inwiefern der Wissensdiskurs um „Die drei Fragezeichen“ eine weiß und cis positionierte Wissensproduktion ist, in welcher marginalen Stimmen kein Platz zukommt.

Ich denke, dass es definitiv möglich wäre, dass die Folgen der drei Detektive auch ohne Rassismen und Sexismen auskommen, denn sie sind nie handlungtragend, machen nicht den Charakter der Serie aus und haben ihr bestimmt auch nicht zum Kultstatus verholfen. Ich höre die Folgen schließlich nicht, weil Kelly anstrengend ist oder Tante Mathilda bäckt, Justus adipös und Peter sportlich und weniger intelligent ist. Ich höre die Fälle gerne, weil sie für mich Kindheit sind. Eine Kindheit in der mein kleines Ich mitfiebern, sich angenehm fürchten wollte und die Gewissheit hatte, dass alles gut enden und niemand wirklich verletzt werden würde. Das funktioniert auch ohne Diskriminierung.

Ich sehe es als sehr wichtig an, dass, wenn mensch „Die drei Fragezeichen“ trotz seiner Problematik weiterhin hört, über eben jene problematischen Motive spricht und sich somit gegenseitig aufklärt. Wenn also eine neue Folge rauskommt und mensch sich mit anderen darüber austauscht, sollte auch die Thematisierung von kritisch zu betrachtenden Inhalten Teil des Gesprächs sein. Dennoch würde ich das Hörspiel keiner Person weiterempfehlen, die es noch nicht kennt und beispielsweise auf der Suche nach einem spannenden Krimi für Kinder ist. Ich hoffe sehr, dass sich zwischen, oder am besten außerhalb von „Die drei Fragezeichen“ und „Die drei Ausrufezeichen“ noch andere Krimiwelten finden lassen werden. Des Weiteren sehe ich eine Notwendigkeit dafür, dass die Produktion von „Die drei Fragezeichen“ ihren Stil ändert und so ein deutliches Zeichen gesetzt wird, Kinder anders sozialisieren zu wollen. Denn gerade jener Faktor des Beständigen, d.h. dessen, dass sich in der Welt der drei Detektive nichts verändert, ist besonders problematisch, da „Die drei Fragezeichen“ nicht auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse reagiert und somit weiterhin Diskriminierung reproduziert.  Jede Geschichte, die erzählt wird, so auch das Hörspiel, spiegelt und konstruiert Gesellschaft. Deswegen sind Hörspiele auch gesellschaftspolitisch und sollten sich somit ihrer politischen Verantwortung bewusst sein.


[1] „Die drei Fragezeichen“ stammt ursprünglich aus den USA, kam 1968 mit dem ersten Buch nach Deutschland und ist seit 1979 als Hörspiel auf dem Markt. In den USA wurden „Die drei Fragezeichen“ bereits 1990 abgesetzt, doch in Deutschland wird die Hörspielreihe immer noch weiter produziert, die mittlerweile über 200 Folgen umfasst. Auf Grund eines Rechtsstreits wurde die Hörspielreihe von 2006-2007 unter dem Namen „Die Dr3i“ mit kleinen Änderungen veröffentlicht. (Vgl. Europa. Die drei ???: „Bobs Archiv / Geschichte. Geschichte und Live-Hörspiel-Historie.) In den Hörspielen geht es um die drei Detektive Justus Jonas, der Chef des Unternehmens, Peter Shaw, den sportlichen zweiten Detektiv und Bob Andrews, der für Recherchen und Archiv zuständig ist. Die drei Freunde haben ihr Versteck auf dem Gelände des Gebrauchtwahrencenters von Justus‘ Onkel Titus Jonas bei welchem der erste Detektiv wohnt, da seine Eltern nicht mehr leben. Die drei lösen in jeder Folge einen neuen Fall. Dabei treten einerseits Figuren in Aktion, die nur einmalig vorkommen, aber es gibt auch konstante Helfer*innen, wie Inspector Cotter, der Verbündete der drei Jungen bei der Polizei. Auch, wenn manchmal Bezüge zu alten Fällen der Detektive hergestellt werden, steht jede Folge für sich und die einzelnen Folgen müssen nicht in der Reinfolge gehört werden.

[2] Vgl. Benjamin, Knödler: “Die drei Fragezeichen“.

[3] Vgl. Emde, Oliver, Andreas Wicke, and Lukas Staden: „Vorwort“ In Von “Bibi Blocksberg” bis “TKKG”: Kinderhörspiele aus gesellschafts- und kulturwissenschaftlicher Perspektive. S. 7.

[4] Behrmann, Kai: „Die Rückkehr der Kult-Detektive“.

[5] Buhre, Jakob u. Huppertz, Paula Emilia: „Mit Freundinnen funktioniert es nicht“.

[6] Rütten, Finn: „Was »Die drei Fragezeichen« schon immer besser gemacht haben als »TKKG«“.

[7] Vgl. Schwarz, Carolina: „Tim und das N-Wort“.

[8] Brilling, Julia: „Political Correctness“. S. 496 f.

[9] Fron, Carina: „Von Blocksbergs bis Blümchen. Bibi, Pipi, Benjamin: Welche Werte uns Kinderhörspiele vermittelt haben“.

[10] Allerdings bin ich auf meiner Suche nach Literatur auf eine Masterarbeit gestoßen, die sich mit einem rassismuskritischen Blick mit „Die drei Fragezeichen“ auseinandersetzt. Die Arbeit von Hannah Pfeiffer ist unter dem Titel „»Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?« kritische Dekonstruktion Schwarzer Repräsentation in Die drei ???“ online zu finden. Aus ihren Quellen entnehme ich, dass auch sie kaum wissenschaftliche Sekundärliteratur zu „Die drei Fragezeichen“ gefunden hat.

[11] Vgl. Popal, Mariam: „Objektivität“. S. 464.

[12] Vgl. Buttler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. S. 22 ff.

[13] Vgl. Schößler Franziska: Einführung in die Gender Studies. S. 97 f.

[14] Vgl. ebd. S. 95.

[15] Emde, Oliver, Andreas Wicke, and Lukas Staden: „Vorwort“ In Von “Bibi Blocksberg” bis “TKKG”: Kinderhörspiele aus gesellschafts- und kulturwissenschaftlicher Perspektive. S. 8.

[16] Vgl. Emde, Oliver, Andreas Wicke, and Lukas Staden: „Vorwort“ In Von “Bibi Blocksberg” bis “TKKG”: Kinderhörspiele aus gesellschafts- und kulturwissenschaftlicher Perspektive. S. 9.

[17] Adichie, Chimamanda: „Die Gefahr der einen einzigen Geschichte“. 13:13-13:16.

[18] Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier: Gender Media Studies. S. 102.

[19] Vgl. Wikipedia: “Figuren aus Die drei ???“.

[20] Freie Universität Berlin: „Automechanikerinnen und Automechaniker – wie Sprache die kindliche Wahrnehmung von Berufen prägt.“

[21] Vgl. Wikipedia: „Die drei ??? (Hörspiel). Figuren und Sprecher“.

[22] Vgl. Wikipedia: „TKKG. Chronik der Hörspielsprecher“, Wikipedia: „Fünf Freunde. Sprecher der Europa-Produktion.“, Wikipedia: „Bibi Blocksberg. Sprecher.“

[23] Vgl. Sow, Noah: Deutschland Schwarz Weiß. S. 35.

[24] Folge 2014: „Die drei ??? und der Geisterbunker“. Teil 3.

[25] Schößler Franziska: Einführung in die Gender Studies. S. 152.

[26] Vgl. Bola, JJ: Sei kein Mann. Warum Männlichkeit ein Albtraum für Jungen ist. S. 29.

[27] Vgl. Connell, Raewyn: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. S. 225.

[28] Vgl. Tippe: Sebastian: „Die drei !!!: Selbstbewusste Mädchen oder Manga-Barbie im Ermittlungswahn?“.

[29] Wolny, Teresa: „Hauptsache gut aussehen“.

[30] Vgl. Beauvoir, Simone de: Das andere Geschlecht, S. 14.

[31] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Justus Jonas“.

[32] Vgl. Folge 217: „Die drei ??? und der Kristallschädel“. Teil 6;Teil 22.

[33] Der Begriff kommt aus der Rhetorik und hat besonders in der Popkultur Anklang gefunden, wobei hier der enge rhetorische Begriff der Trope von der popkulturellen Definition abweicht. Unter dem geläufigen englischen Begriff „Trope“ ist die Wiederholung von Motiven, Erzählmustern oder bestimmten Konventionen zu verstehen.

[34] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Sherlock Holmes“.

[35] Vgl. Tippe, Sebastian: „Die drei ???-Kids: Sexismus und Frauenverachtung im Männerclub“.

[36] Beispielsweise in „Die drei ??? und der Geisterbunker“ sagt Justus auf Peters drängen hin den Bunker nicht zu betreten „Ach, du solltest mich inzwischen besser kennen, Zweiter. Wenn man Justus Jonas vertreiben will, erreicht man nur das Gegenteil.“ Somit legt er bestimmend fest: „Wir werden da jetzt reingehen.“ (Folge 214: „Die drei ??? und der Geisterbunker“. Teil 5.)

[37] Dies wird beispielsweise in „Gefahr im Verzug“ deutlich, als Kelly meint, dass die Reporterin ihrer Lieblingsshow „Showtime Heute“ vor Ort sei und Justus daraufhin erwidert: „Klatschreportage. Hohlköpfe, die über andere Hohlköpfe labern.“ (Folge 54: „Die drei ??? Gefahr im Verzug“. Teil 6.)

[38] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Freundinnen der drei Fragezeichen“.

[39] Folge 73: „Die drei ??? Poltergeist“. Teil 24.

[40] Siehe Abschnitt 2.1 der vorliegenden Arbeit.

[41] Vgl. Folge 47: „Die drei ??? und der giftige Gockel“. Teil 4, 10.

[42] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Peter Shaw“.

[43] Vgl. Folge 217: „Die drei ??? und der Kristallschädel“. Teil 5.

[44] Vgl. ebd. Teil 7.

[45] Folge 122: „Die drei ??? und der Geisterzug“. Teil 16.

[46] Vgl. Bola, JJ: Sei kein Mann. Warum Männlichkeit ein Albtraum für Jungen ist. S. 26.

[47] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Bob Andrews“.

[48] Tippe, Sebastian: „Die drei ???-Kids: Sexismus und Frauenverachtung im Männerclub“.

[49] Eines weniger Gegenbeispiele, ist die Rolle der Brittany aus „Das Erbe des Meisterdiebes“ und „Fuermond“. Sie hintergeht allerdings die drei Detektive und spielt Justus vor, dass sie in ihn verliebt sei. Somit ist ihre Rolle sehr negativ behaftet. (Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Brittany“.)

[50] Vgl. Tippe, Sebastian: „Die drei ???-Kids: Sexismus und Frauenverachtung im Männerclub“.

[51] Diese Zahlen sind auf eigene Zählungen und Berechnungen zurückzuführen, die anhand der Sprecher*innenlisten auf der offiziellen Webseite der drei Fragezeichen, durchgeführt wurden. (Vgl. Europa. Die drei ???: „Produktwelt / Hörspiele“.)  Folge 208: drei von 18 Stimmen sind weiblich, 209: drei von 13 Stimmen sind weiblich, 210: zwei von elf Stimmen sind weiblich, 211: eine von acht Stimmen ist weiblich, 212: drei von 13 Stimmen sind weiblich, 213: vier von 17 Stimmen sind weiblich. 214: Fünf von 15 Stimmen sind weiblich, 215: drei von 14 Stimmen sind weiblich, 216: drei von 12 Stimmen sind weiblich, 217: Fünf von 15 Stimmen sind weiblich. Damit sind 32 von 136 Stimmen weiblich gelesene Namen. Somit sind von diesen zehn Folgen im Durchschnitt 3,2 Stimmen weiblich, was einen Prozentanteil von 23, 5 Stimmen ergibt.

[52] Der Bechdel-Test richtet sich nach drei Kriterien, die in einem Film eingehalten werden müssen, sodass der Test als bestanden gilt: 1) In dem Film müssen mindestens zwei Frauen vorkommen. 2) Die zwei Frauen müssen miteinander sprechen. 3) In dem Gespräch geht es um etwas anderes als Männer. Über die Jahre sin hier noch weitere Kriterien dazugekommen, wie, dass die weiblichen Figuren nicht über Kinder reden sollten und Namen bekommen. (Vgl. Harvey, Alison: Feminist Media Studies. S. 58.)

[53] Vgl. Europa. Die drei ???: „Die drei ???, Folge 217: Der Kristallschädel“.

[54] Anhand der Berufe der Eltern und Sorgerechtsbeauftragten liegt die Vermutung nahe, dass die drei Detektive der Mittelschicht angehören.

[55] Dabei ist Justus Familiengeschichte abweichend, im Gegensatz zu der seiner beiden Kollegen. Justus Eltern sind beide verstorben und er wohnt bei dem Bruder seines Vaters, Titus Jonas, und Mathilda Jonas. Dennoch ist er somit durch seine Eltern und auch seinen Onkel und seine Tante in einer heterosexuellen Kernfamilie sozialisiert.

[56] Vgl. Wikipedia: “Figuren aus die drei ???“.

[57] Vgl. ebd.

[58] Vgl. Folge 84: „Die drei ??? Musik des Teufels“. Teil 3.

[59] Vgl. Harvey, Alison: Feminist Media Studies. S. 62.

[60] Zusätzlich gilt zu erwähnen, dass allerdings auch Peters Vater keine große Rolle zukommt.

[61] Vgl. rocky-beach.com: „Fragebox mit André Minninger“.

[62] Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Freundinnen der drei Fragezeichen“.

[63] Agency ist die Fähigkeit eines*einer Akteur*in zu handeln. Dabei geht es nicht um das Verständnis des Menschen als eine Kreatur (mit) der Dinge geschehen (Passivität), sondern als Kreatur, die Dinge geschehen lässt (Aktivität). (Vgl. Blackburn, Simon: „action“, „agent“.)

[64] Folge 63: „Die drei ??? Fußball-Gangster“. Teil 38.

[65] Vgl. ebd.

[66] Vgl. Mayer Katharina: „Rassismus im Kinderzimmer“.

[67] Folge 63: „Die drei ??? Fußball-Gangster“. Teil 18.

[68] Ebd.

[69] Buhre, Jakob u. Huppertz, Paula Emilia: „Mit Freundinnen funktioniert es nicht“.

[70] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Lys de Kerk“.

[71] Folge 63: „Die drei ??? Fußball-Gangster“. Teil 3.

[72] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Elisabeth Zapata“.

[73] Vgl. Europa. Die drei ???: „Die drei ???, Folge 63. Fußball-Gangster“.

[74] Vgl. Europa. Die drei ???: „Die drei ???, Folge 56. Angriff der Computer-Viren“.

[75] Vgl. Europa. Die drei ???: „Die drei ???, Folge 47. Und der giftige Gockel“.

[76] Vgl. Europa. Die drei ???: „Die drei ???, Folge 63. Fußball-Gangster“.

[77] Vgl. Folge 63: „Die drei ??? Fußball-Gangster“. Teil 18.

[78] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Kelly Madigan“.

[79] Rotermund, Emma: „Hysterie“.

[80] Vgl. Folge 54: „Die drei ??? Gefahr im Verzug“. Teil 6.

[81] Folge 63: „Die drei ??? Fußball-Gangster“. Teil 24.

[82] Vgl. Folge 73: „Die drei ??? Poltergeist“. Teil 7.

[83] Vgl. Folge 69: „Die drei ??? Späte Rache“. Teil 8 ff.

[84] Vgl. Folge 95: „Die drei ??? Botschaft von Geisterhand. Teil 3 f.

[85] Vgl. ebd.

[86] Vgl. ebd. Teil 7.

[87] Vgl. Folge 84: „Die drei ??? Musik des Teufels“. Teil 25 f.

[88] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Jelena Charkova“.

[89] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Mathilda Jonas“.

[90] Vgl. Fogle 28: „Die drei ??? Botschaft von Geisterhand.“ Teil 16.

[91] Vgl. Folge 214: „Die drei ??? und der Geisterbunker“. Teil 2.

[92] Vgl. ebd. Teil 13.

[93] Ebd. Teil 20.

[94] Vgl. ebd.

[95] Harvey, Alison: Feminist Media Studies. S. 65.

[96] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Homosexualität und Transsexualität“.

[97] Vgl. Europa. Die drei ???: „Die drei ???, Folge 201. Höhenangst“.

[98] Da in dem Buch immer vom Mörder im generischen Maskulin gesprochen wird, verwende ich diese Bezeichnung hier auch.

[99] Vgl. Folge 201: „Die drei ??? Höhenangst“. Teil 3.

[100] Vgl. ebd. Teil 1 f.

[101] Ebd. Teil 16.

[102] Vgl. The Take: „Queer Coding, Explained. Hidden in Plain Sight“.

[103] Vgl. TV Tropes: „Creepy Crossdresser“.

[104] Der „creepy Crossdresser“ ist eine beliebte Trope in Krimi und Thriller. Beispielhafte Charaktere dafür sind Norman Bates aus „Psycho“ oder Jame Gumb aka. „Buffalo Bill“ aus „Das Schweigen der Lämmer“, dem im Film sein trans-Sein abgesprochen wird und eine „Geschlechtsidentitätsstörung“ zugeschrieben wird, weswegen er seinen weiblichen Opfern die Haut abzieht. Aber auch neue Filme, wie der Tatort „Die Amme“ aus dem Jahr 2021 greifen diese Trope auf.[104] Auch hier sind die Figuren nicht offensichtlich queer aber queercoded. (Vgl. Brandt, Ela: „Mörderische Transfeindlichkeit“. https://eleabrandt.de/2021/04/08/transfeindliche-motive-krimis/.)

[105] Vgl. Die Hörspieler: „Drei Männer vor dem Mikro“.

[106] Vgl. The Take: „Queer Coding, Explained. Hidden in Plain Sight”.

[107] Folge 101: „Die drei ??? und das Hexenhandy.“ Teil 21.

[108] Vgl. ebd. Teil 22.

[109] Ebd.

[110] Ebd.

[111] Ebd. Teil 32.

[112] Vgl. Harvey, Alison: Feminist Media Studies. S. 64.

[113] Europa. Die drei ???: „Das etwas andere Interview: Oliver Rohrbeck.“

[114] Sow, Noah: „Entdecken“. S.

[115] Special Folge: „Die drei ??? Und das kalte Auge“. Teil 10.

[116] Vgl. Sow, Noah: „Indianer“, S. 690.

[117] Ebd.

[118] Folge 60: „Die drei ??? Dopingmixer“. Teil 6.

[119] Vgl. Sow, Noah: „weiß“. S. 191.

[120] Vgl. Sow Noah: „Dunkelhäutig“. S. 628.

[121] Fogle 28: „Die drei ???und der Doppelgänger.“ Teil 20.

[122] Vgl. Arndt, Susan: „Rasse“. S. 660 f.

[123] Vgl. Folge 101: „Die drei ??? und das Hexenhandy.“ Teil 24.

[124] Vgl. Europa. Die drei ???: „Die drei ???, Folge 60. Dopingmixer“.

[125] Buhre, Jakob u. Huppertz, Paula Emilia: „Mit Freundinnen funktioniert es nicht“.

[126] Vgl. Schwarz, Carolina: „Tim und das N-Wort“.


Medienverzeichnis

Folge 28: „Die drei ???und der Doppelgänger.“ EUROPA 1881. Spotify: https://open.spotify.com/album/7Dbd2rya9glmBLVxclcU4d?si=dITqUvKFQ5mdYygllsoOdg [01.08.2022].

Folge 47: „Die drei ??? und der giftige Gockel“. EUROPA 1989. Spotify: https://open.spotify.com/album/3iWNsrEs9D0FFlKFfscdvL?si=A33xPX4gT1Si7ZvEQSj2ew [21.07.2022].

Folge 54 „Die drei ??? Gefahr im Verzug“. EUROPA 1992. Spotify: https://open.spotify.com/album/1Fg15cBLFliy6Kr60QqRan?si=n-qJ-AbVR1yRJTiUuBlkHw [21.07.2022].

Folge 60: „Die drei ??? Dopingmixer“. EUROPA. 1994. Spotify: https://open.spotify.com/album/7cBoiWgh1bTMZmCwJE0eMu?si=3EqMfC2DRrqNcX0SIFwXSw [03.08.2022].

Folge 63: „Die drei ??? Fußball-Gangster“. EUROPA 1995. Spotify: https://open.spotify.com/album/5GPTZKrD7eaCp9p6VOBuIN?si=r3plaeiTTeadutiYglRbPg [21.07.2022].

Folge 69: „Die drei ??? Späte Rache“. EUROPA 1996. Spotify: https://open.spotify.com/album/2erJcBofKBO6GFMqDPppsU?si=wsyCdkWWS2GHkH1cvLtYKw [06.08.2022].

Folge 73: „Die drei ??? Poltergeist“. EUROPA 1997. Spotify: https://open.spotify.com/album/1K8kXLhNnHSdPvtUwf74DE?si=Zc_gQaIkR5GFFKmYeDSwEA [21.07.2022].

Folge 84: „Die drei ??? Musik des Teufels“. EUROPA 1999. Spotify: https://open.spotify.com/album/3bhsXwKIDwVK5LTkDCICp0?si=M5jOyP0hR1uT7TYffI4xAw [06.08.2022].

Folge 95: „Die drei ??? Botschaft von Geisterhand.“ EUROPA 2001. Spotify: https://open.spotify.com/album/4KEZWleMTT8lDaQDLgozFc?si=vd3ift07Tr61Fopz8Tc1wQ [01.08.2022].

Folge 101: „Die drei ??? und das Hexenhandy.“ 2001 EUROPA. Spotify: https://open.spotify.com/album/1DZAe0qMw8Pq9EPoX6gETA?si=LbFROEfAQrGOenAEmQTRkg [01.08.2022].

Folge 122: „Die drei ??? und der Geisterzug“. EUROPA 2008. Spotify: https://open.spotify.com/album/68NWcgqeCQMZ3QcPJXBhzH?si=alJHeX1MQy-QsXwhxkvgdg [21.07.2022].

Folge 201: „Die drei ??? Höhenangst“. EUROPA 2019. Spotify: https://open.spotify.com/album/4FxNfDSXqAg8N1D8NBtvZ5?si=DiSR2k3eRo-UFeVyF8Nv_Q [21.07.2022].

Folge 214: „Die drei ??? und der Geisterbunker“. EUPOPA 2022. Spotify: https://open.spotify.com/album/1cJ3fNx6K47p4eDFqhnvsA?si=p0g4J43ATJWGgf1t3IutOA [21.07.2022].

Folge 217: „Die drei ??? und der Kristallschädel“. EUROPA 2022. Spotify: https://open.spotify.com/album/1WlRnNunbHpnRTTVkxMRnd?si=OkivU9gUSsy_sB1IgAbzyQ [07.08.2022].

Special Folge: „Die drei ??? Und das kalte Auge“. EUROPA 2017. Spotify: https://open.spotify.com/album/3egVVb6Zt0LdS6agBMGsiJ?si=MENNHpIpSr-knPlp8uzuNA [03.08.2022].


Literaturverzeichnis

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Brandt, Elea: „Mörderische Transfeindlichkeit“. Elea Brandt. Autorin für Fantasy, Mistery und Horror 2021. https://eleabrandt.de/2021/04/08/transfeindliche-motive-krimis/ [15.07.2022].

Buhre, Jakob u. Huppertz, Paula Emilia: „Mit Freundinnen funktioniert es nicht“. Planet Interview 2014. https://www.planet-interview.de/interviews/die-drei-fragezeichen/45686/ [15.07.2022].

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Tippe, Sebastian: „Die drei !!!: Selbstbewusste Mädchen oder Manga-Barbie im Ermittlungswahn?“. Feministischer Blog von Sebastian Tippe 2019. https://feministinprogress.de/diedreiausrufezeichen/ [15.07.2022].

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  • Videoquellen:

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The Take: „Queer Coding, Explained. Hidden in Plain Sight“. https://www.youtube.com/watch?v=K5-6UXGmeGA&t=495s [15.07.2022].


Quelle: Nikita Kara Helena Träder, Fall 218: Die gestohlenen Frauenstimmen und andere patriarchale Detektivgeschichten, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 31.08.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=231