Im ersten Schritt ist für eine barrierearme Lehre wichtig, dass Sie den internationalen Standard für barrierefreie digitale Inhalte kennen und einhalten. Was darüber hinaus noch wichtig ist und wie Sie sich Aufwand sparen, zeigen diese und die folgenden Lerneinheiten.
Der Standard für Digitale Barrierefreiheit
Was ist barrierefrei und was nicht? Darauf gibt es zumindest rechtlich eine klare Antwort: Das Gesetz über die barrierefreie Informations- und Kommunikationstechnik Berlin (BIKTG Bln) ist der verbindliche Standard für barrierefreie Lehre an der Freien Universität. Für eine nähere inhaltliche Definition wird dort auf einen internationalen Standard verwiesen, der für einen detaillierten Einblick herangezogen werden muss: Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG).
Dieser umfangreiche Katalog von insgesamt 78 Erfolgskriterien für digitale Barrierefreiheit wird von der Web Accessibility Initiative (WAI) gepflegt und weiterentwickelt. Die WCAG ist in drei Stufen eingeteilt, von denen die zweite Stufe AA mit 50 Erfolgskriterien bereits ausreicht, um die gesetzliche Vorgabe zu erfüllen.
Weiterführende Links:
- Gesetz über die barrierefreie Informations- und Kommunikationstechnik Berlin (Weblink)
- Web Content Accessibility Guideline 2.2 (Weblink)
- Hauptseite: Web Accessibility Initiative (Weblink)
Inhalt der WCAG
Die WCAG-Erfolgskriterien sind ursprünglich für Webseiten zusammengestellt worden, aber lassen sich sehr gut auf andere digitale Inhalte übertragen. So dienen sie als einheitlicher Standard dafür, dass digitale Inhalte für alle wahrnehmbar (1), bedienbar (2) und verständlich (3) sind. Darüber hinaus müssen barrierefreie Inhalte laut WCAG robust (4) sein – also für eine Vielzahl von assistierender Technik verwendbar.
1. Wahrnehmbarkeit
Bei den Kriterien der Wahrnehmbarkeit geht es darum, dass Inhalte mit mehr als einem Sinneskanal wahrgenommen werden können. Demnach müssen alle Inhalte, die kein Text sind, auch in Textform verfügbar gemacht werden. Denn Textinhalte sind in der Regel transformierbar und können so je nach Bedarf zum Beispiel als Audio oder in Brailleschrift wiedergegeben werden.
Tipp: Blackboard Ally bietet eine automatisierte Umwandlung in verschiedene Dateitypen für Textdateien an (siehe Lerneinheit 5: Blackboard Ally).
Das bekannteste Beispiel hierfür ist der sogenannte Alternativ-Text für Bilder, der mittlerweile bei vielen Programmen (Word, PowerPoint, PDF, WordPress, Blackboard etc.) angelegt und eingebunden werden kann. (siehe Lerneinheit 4: Barrierearme multimediale Inhalte).
Ein weiteres gängiges Beispiel ist zugleich ein Sonderfall: Die Untertitel bei Videos. Denn Videos vermitteln Informationen zeitgleich im Bild und im Ton. Daher muss hier die Text-Version (Untertitel) der Audiospur synchron zu der Bildebene abgespielt werden. Das Gleiche gilt für eine Audioversion der Bildebene (Audiodeskription), wenn die Bildebene wichtige zusätzliche Informationen zur Tonebene enthält. (siehe Lerneinheit 4: Barrierearme Multimedia-Inhalte).
Des Weiteren wird in der Kategorie „Wahrnehmbarkeit“ definiert, welche Textformatierung und Kontrastwerte bei Textinhalten notwendig sind, damit sie auch ohne zusätzliche Hilfsmittel für möglichst viele Personen wahrnehmbar sind. (siehe Lerneinheit 3: Barrierearme Dokumente).
2. Bedienbarkeit
Digitale Inhalte werden nicht nur rezipiert, sondern auch bedient. Bezogen auf digitale Lehre ist mit Bedienbarkeit vor allem die Navigation innerhalb von Lerneinheiten und Textdokumenten gemeint. Diese muss auch ohne die rein visuelle und motorisch anspruchsvolle Maussteuerung möglich sein. Eine funktionierende Tastatursteuerung ist also Pflicht und in den meisten Fällen bereits der erste Härtetest für digitale Inhalte: Denn alle Inhalte müssen allein mit der Tastatur erreichbar sein.
Darüber hinaus spielt hier die Orientierung eine wichtige Rolle. Überschriften müssen also auch maschinenlesbare Strukturinformationen beinhalten (Auf welcher Überschriftenebene befinde ich mich?) und Weblinks das Ziel einer Bedienaktion angeben (Wo lande ich, wenn ich dem Link folge?).
Eine besondere Erwähnung bekommen animierte Elemente. Denn Sie sind nicht nur für einige Personen unbedienbar, wenn sie ohne Stoppmöglichkeit ablaufen. Sie können sogar körperliche Reaktionen bis hin zu einer Ohnmacht auslösen, wenn sie Blitzlichter beinhalten. Alle Animationen mit mehr als drei Blitzen pro Sekunde sind daher verboten.
3. Verständlichkeit
Ein digitaler Inhalt ist laut WCAG dann verständlich, wenn er folgende Kriterien erfüllt:
- Eine (maschinenlesbar) festgelegte Sprache, die bei Bedarf (mit assistiver Technologie) verändert werden kann.
- Eine klare und konsistente Struktur, die sich vorhersehbar verhält und Änderungen mitteilt.
- Erklärungen und Hilfestellung bei Eingaben, die im Optimalfall auch potenzielle Fehler antizipieren und korrigieren.
4. Robustheit
Diese letzte der vier Kategorien der WCAG ist in erster Linie eine technische Vorgabe, allerdings spielt sie auch im Lehrkontext bei der Wahl des Dateiformats eine Rolle: Robustheit bedeutet, dass digitale Inhalte möglichst von allen aktuellen und zukünftigen (assistiven) Technologien verarbeitet und verändert werden können.
Es empfiehlt sich daher die Verwendung von offenen Dateiformaten wie beispielsweise .txt für Text oder .csv für Datentabellen.
Digitale Barrierefreiheit und Universal Design for Learning
Die genannten Punkte der WCAG geben einen Überblick über die Anforderungen der Stufe AA, die aktuell die Grundlage der gesetzlichen Vorgabe sind. Um die höchste Stufe AAA zu erreichen, müssten noch weitere 28 Kriterien erfüllt werden. Jedoch sind diese zum einen ohne Programmierkenntnisse und Gestaltungsmöglichkeiten der Nutzendenoberfläche nicht zu leisten. Zum anderen weist die WCAG selbst darauf hin, dass die höchste Stufe der Barrierefreiheit nicht für alle Inhalte möglich ist.
Für die Lehre bedeutet das im Klartext, dass eine tatsächliche Barrierefreiheit nach dem höchsten Standard der WCAG ein Ideal bleiben muss. Wir sprechen daher auf diesem Blog von barrierearmer statt barrierefreier Lehre. Zwar ist Barrierefreiheit als klar definierter Begriff besser zu greifen, aber impliziert er eine Absolutheit, die wir nicht als Ziel ausschreiben möchten.
Universal Design for Learning Guidelines
Bei der rechtlichen Definition von Barrierefreiheit geht es darum, Inhalte für alle zugänglich machen. Und das ist, wie die oben genannten Anforderungen zeigen, bereits eine große Herausforderung. Doch ist es für ein inklusives Lehrkonzept lediglich der erste Schritt.
Angelehnt an die Idee einer universellen Architektur für Gebäude, die nicht nur Barrieren vermeidet, sondern insgesamt für die Nutzung aller optimiert ist, gibt es auch ein Universal Design for Learning (UDL). Nach diesem Konzept ist der Zugang zu Lerninhalten lediglich die erste Ebene und wird ergänzt durch die folgende Unterstützung im Lernprozess sowie die Anwendung des Gelernten.
Anders als die WCAG ist diese Aufstellung keine Checkliste oder Vorgabe. Sie ist als Orientierung und Denkanstoß für die Gestaltung von inklusiver Lehre gedacht. Auf der Webseite zu den Universal Design for Learning Guidelines finden Sie weiterführende Informationen und Erklärungen zu den einzelnen Kategorien.
TL;DR – Das Wichtigste im Video
Barrierearme Lehre wird durch den internationalen Standard WCAG klar definiert und durch das Konzept der UDL für die Lehre ergänzt. Bei Unsicherheit bieten diese Richtlinien ein sehr gutes Nachschlagewerk. Für die universitäre Lehre ist zudem wichtig, dass Sie Barrieren nicht nur kennen, sondern stets mitdenken und möglichst vermeiden oder umgehen.
Das folgende Video gibt zusammenfassend fünf wichtige Hinweise für den Arbeitsalltag mit barrierearmer Lehre.
Material zum Video:
- Video-Transkript (PDF-Datei)
- Powerpoint-Vorlage für Ihre Präsentation (PPTX-Datei)
- Im Video genannte Links: