Kinder, Corona, Karriereknick?

Am 26. April 2021 um 10 h versammelten sich zahlreiche Frauen und wenige Männer der FU vor dem Bildschirm, eingeladen vom Team Zentrale Frauenbeauftragte und Vizepräsidentin Prof. Dr. Verena Blechinger-Talcott, zu einer Podiumsdiskussion zum Spagat zwischen Studium, Beruf, Home-Schooling und Kitas im Notbetrieb. FU-Präsident Prof. Dr. Günther Ziegler und Vertreterinnen aller Statusgruppen (Teilnehmende) diskutierten mit Prof. Dr. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung.
Eine Zusammenfassung.

Ziel der Veranstaltung war es, über die Auswirkungen der aktuellen Lebensbedingungen auf die Chancengleichheit in der Wissenschaft zu informieren und gleichzeitig ganz konkrete Maßnahmen zu diskutieren, die die FU ergreifen kann, um die Studien- und Arbeitsbedingungen für Hochschulangehörige mit Familienaufgaben in der Pandemie zu verbessern.

Den Aufschlag machte Prof. Dr. Jutta Allmendinger (Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung) mit einem konzisen Kurzreferat, in dem sie die heutige Situation von Wissenschaftlerinnen mit der Situation im Jahr 2019 verglich und dann eine ganze Liste an konkreten Vorschlägen lieferte, die anschließend von den übrigen Teilnehmenden noch ergänzt wurden.

Zur aktuellen Situation ist Folgendes zu konstatieren:

  1. Cooling out: War es auch 2019 noch zu beobachten, dass Frauen weit häufiger als Männer nicht nur nach der Promotion, sondern auch nach der Einstellung als Professorinnen „aufgaben“ (und die Wissenschaft verlassen haben), so ist aktuell angesichts der massiven Überbelastung und Erschöpfung vieler Wissenschaftlerinnen mit zu betreuenden Kindern eine Verstärkung dieser Tendenz zu befürchten. Dies wird verstärkt …
    (a) durch eine Re-Traditionalisierung (verstärkt überproportional hohe Übernahme an Familienaufgaben durch Frauen),
    (b) durch die vergleichsweise Mehrbelastung mit Gremienarbeit von Frauen in der Wissenschaft allgemein,
    (c) durch die Tendenz von Frauen, mehr Zeit in die Lehre zu stecken (dies gilt nun erst recht bei der Online-Lehre),
    (d) durch die verstärkte Übernahme von Transfertätigkeiten durch Frauen (Öffentlichkeitsarbeit) .
    Diese Feststellungen von wissenschaftlicher Seite wurden durch die autobiografischen Berichte der Diskussionsteilnehmerinnen plastisch bestätigt, die u.a. ihre konkrete Situation als Wissenschaftlerinnen bzw. Studierende mit Kindern schilderten. Sie machten deutlich, dass sie sich – nach Jahren des anstrengenden, aber erfolgreichen Jonglierens mit Familien- und Berufsaufgaben – zum ersten Mal fragen: „Warum das alles?“
  2. Während das Coronajahr für Wissenschaftler*innen ohne Kinder oder Care-Verpflichtungen z.T. mit einer enormen Produktivitätssteigerung einherging (gemessen in Einreichungen und erfolgreichen Publikationen), berichten Eltern in dieser Gruppe von massiven Einbrüchen, wie Prof. Dr. Allmendinger erläuterte.

Was hilft?

Allgemeine Maßnahmen:

  1. Dem Wissenschaftszeitgesetz zufolge können befristete Qualifizierungsstellen bis zu 12 Monate zusätzlich verlängert werden. Im 2. Berliner Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie für den Hochschulbereich wurden die Qualifizierungsstellen im wissenschaftlichen Mittelbau „vergessen“; die FU könnte das Wissenschaftszeitgesetz (da Gesetz auf Bundesebene) jedoch dennoch auch auf diese Stellen anwenden.
  2. Ein Konzept für Abschluss- und Übergangsstipendien könnte entwickelt werden, um diejenigen unterstützen zu können, die aktuell keinen Arbeitsvertrag haben, aber finanzielle Unterstützung brauchen, um ihre Abschlussarbeiten oder Promotionen zuendezubringen.
  3. Mehr- oder Entlastungsprozesse im Coronazeitfenster sollten im künftigen Berufungsgeschehen berücksichtigt werden. (Diese Maßnahme wurde kontrovers diskutiert; einerseits wurde für mehr Offenheit plädiert; andererseits wurde davor gewarnt, dass Elternzeiten nach wie vor letztlich nachteilig ausgelegt würden.)

Konkrete Sofortmaßnahmen für Betroffene

  1. Befristete Arbeitsverträge sollten verlängert werden.
    Hier wurde zudem darauf hingewiesen, dass gerade in den Situationen (Drittmittel), in denen aktuell keine solche Finanzierung gewährt wird, dringender Handlungsbedarf („jetzt!“) besteht.
  2. Deputatsreduktionen (ggf. kompensiert durch Lehraufträge), um die Belastung zu reduzieren und Zeit für Qualifikationstätigkeiten zu schaffen
  3. Voucher/Zuschüsse für „ungestörte Räume“ (etwa in Hotels)
  4. Zuschüsse für haushaltsnahe Leistungen
    (Putzen, Kochen, Nachhilfe, Kinderbetreuung)
  5. zusätzliches Personal, d.h. studierende Hilfskräfte (Unterstützung bei der Lehre und bei Forschungsaufgaben) sowie weitere Stellen für Öffentlichkeitsarbeit (Wissenschaftstransfer)
  6. ggf. präferierter Laborzugang
  7. Anpassung von Beratungsangeboten (Offline-Formate, Live-Beratungszeiten auch spät abends)
  8. flexible Lehrangebote (Kombination von synchronen und asynchronen Konzepten)

Was die FU aus diesen Vorschlägen macht, wird sich zeigen; neben den Gleichstellungsmitteln bilden sicherlich auch die aktuellen Verhandlungen zu den Zielvereinbarungen einen guten Ausgangspunkt, diese Vorschläge zu realisieren.

Umdenken – auch nach der Pandemie

Es wurde zudem deutlich, dass ein umfassendes Umdenken nach der Pandemie erforderlich ist und dass das vergangene Jahr ganz sicher nicht einfach ad acta gelegt werden kann, sondern dass einerseits mit vielfältigen Nachwirkungen zu rechnen ist. So zeigt etwa der Umstand, dass Mitarbeitende aktuell zunehmend von einer grundlegenden Erschöpfung und Überlastung berichten, auch diejenigen, die sich bisher als psychisch stabil und sehr belastbar erwiesen haben. Andererseits sollten die Lessons learned unbedingt in diese Zeit „danach“ mitgenommen werden. Wir brauchen ein Umdenken und Nachdenken darüber, wie wir diese Benachteiligungen (auch unabhängig von Corona) berücksichtigen können und ob Schnelligkeit ernsthaft ein belastbares Gütekriterium ist. Wissenschaftler*innen und Studierende mit Kindern wollen beides: Zeit für Kinder und Zeit für ihre berufliche Entwicklung – sie können aber eben nicht hexen und sind doch ein Plus für die FU.

Gender-Forschungspreis

Im April 2021 beschloss der Fachbereichsrat, seinen Forschungspreis umzubenennen: Aus dem Marie-Schlei-Preis wurde der Gender-Forschungspreis. Warum?

Frauenförderung an der Universität heißt immer auch Forschung von Frauen und über Frauen sichtbar zu machen. Im Mai 2000 fasste der Fachbereichsrat daher den Beschluss, den Marie-Schlei-Preis auszuloben und damit hervorragende Masterabschlussarbeiten und Dissertationen von Frauen oder zur Genderthematik auszuzeichnen. Dabei wurde auf die Vorbildfunktion von Marie Schlei gesetzt – doch wer war Marie Schlei?

Marie Schlei (*1919) floh nach dem 2. Weltkrieg nach Berlin. Sie setzte gerichtlich durch, auch ohne Abitur eine Ausbildung zur Lehrerin auf dem 2. Bildungsweg machen zu dürfen, und schuf damit einen Präzedenzfall. In der Folge wurde sie dann u.a. Schulleitung im Wedding sowie Schulrätin in Reinickendorf, wo sie sich offenbar nachhaltig für die Schulausbildung von Kindern aus sozial benachteiligten Familien und dort v.a. auch die Ausbildung von Mädchen eingesetzt hat.

Weiterhin war sie 1976-1978 die erste Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und in dieser Funktion hat sie offenbar Frauenpolitik betrieben und u.a. einen Maßnahmenkatalog für die Förderung der Frauen in den damals sog. Entwicklungsländern durch spezielle Programme in einem Grundsatzpapier in den Blick genommen, in der die zentrale Rolle von Frauen in diesen Entwicklungsprozessen betont wurde. – So weit einerseits die – nachvollziehbare – Begründung der Namensgebung.

Das Andererseits lautet, dass ihr auch eindeutig rassistische Äußerungen zugeschrieben werden (https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40916933.html). Diese Äußerungen werden in einem vorwärts-Artikel als „tatsächlich peinliche verbale Ausrutscher“ bezeichnet (https://www.vorwaerts.de/artikel/marie-schlei-100-geburtstag-unterschaetzte-entwicklungshilfeministerin); von der aktuellen Preisvergabe-Kommission wurden sie jedoch unabhängig von den Verdiensten von Marie Schlei einhellig als völlig inakzeptabel beurteilt – daher der Vorschlag, den Preis umzubenennen.

Die Kommission nutzte die Gelegenheit, auch einen Vorschlag zur Anpassung der Förderkriterien hinzuzufügen. Der Gender-Forschungspreis wird weiterhin in zwei Kategorien vergeben, nämlich
(a) in der Kategorie genderbezogene Gleichstellung, um wissenschaftliche Arbeiten von FINTA* am FB zu fördern, sichtbar zu machen und auszuzeichnen, und
(b) in der Kategorie genderbezogene Forschung, um genderbezogene Forschung am FB zu fördern, sichtbar zu machen und auszuzeichnen.

FINTA* steht für „Frauen, Inter Menschen, Nichtbinäre Menschen, Trans Menschen und Agender Menschen“; diese Bezeichnung wurde gewählt, um auch Personen einzubeziehen, denen der binäre Geschlechtsbegriff nicht gerecht wird.

Bis zum 31. Mai 2021 können sich alle Master-Absolvent*innen und Promovend*innen des FB für den diesjährigen Preis bewerben, deren Fachgutachten bis zum 31.12.2020 eingegangen ist! Näheres finden Sie hier.

Code of Conduct (CoC) für die digitale Lehre – nettes Add-on oder doch unverzichtbar?

Der Umstand, dass Studierende aktuell fast ausschließlich online am Unigeschehen teilnehmen, lässt den Blick nicht nur auf gelingende Lehre richten, sondern auch auf Begleitumstände und Folgen. So berichten 86% der befragten Studierenden einer umfassenden Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), dass in Zeiten der digitalen Semester der Aufbau und die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte zu Mitstudierenden schwieriger geworden sind (Marzuk et al., 2021). Ähnlich wurden fehlende Kontakte im Stimmungsbild 6/2020 unseres Fachbereichs nach dem ersten digitalen Semester in allen Statusgruppen beklagt. Vieles spricht dennoch dafür, dass die Möglichkeiten zum digitalen Austausch nicht nur zum Lernen und Diskutieren genutzt werden, sondern – infolge mangelnder Alternativen – auch zum Kennenlernen unter den Studierenden, v.a. bei den „Erstis“. Und das ist auch gut so. Aber müssen wir nochmal aufschreiben, wie wir uns „benehmen“?

Wie das Einmaleins des respektvollen Umgangs miteinander (auch) zum Werkzeug gegen Diskriminierung und Belästigung wird

Seit Juli 2020 haben wir es schriftlich: Der Code of Conduct der FU benennt nicht nur, dass alle Beteiligten in der digitalen Lehre respektvoll miteinander umgehen. Er konkretisiert das auch mit scheinbaren Banalitäten wie „Wir hören einander aufmerksam zu“ oder „Wir stellen das Mikrofon auf stumm, wenn wir einer Veranstaltung beitreten“ oder mit dem Hinweis, dass keinerlei Äußerungen/Verhaltensweisen geduldet werden, die unangemessene Inhalte verbreiten oder andere diskriminieren. Ja, klar, aber warum Selbstverständliches aufschreiben?

Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb!

Im aktuellen Welt-Mädchenbericht 2020 von Plan International (#FreeToBeOnline) wird v.a. eins deutlich: So doll lieb dann wohl doch nicht. 14.000 Mädchen und junge Frauen wurden in 22 Ländern weltweit zu ihren Erfahrungen in den sozialen Medien befragt; ihre Antworten sind ernüchternd. Jede zweite wurde bereits online belästigt, beschimpft oder bedroht; die Angaben zum Erstalter fangen bei acht Jahren an (Pehlke, 2020).

Auch wenn diese Ergebnisse selbstverständlich nicht 1:1 auf den universitären Alltag übertragen werden können oder sollen, müssen wir damit rechnen, dass auch an der Universität diskriminiert, beleidigt und belästigt wird. Grobes Fehlverhalten ist dabei relativ einfach einzuordnen. Schwieriger ist es, wenn die Grenze zwischen angemessenem und unangemessenem Verhalten nicht so deutlich ist. Sicherlich würde man zu Unrecht von (Cyber-)Stalking sprechen, wenn jemand nach einem unbeantworteten Kontaktversuch nochmal nachfragt (z.B. per Mail oder mittels eines Instant-Messaging-Dienstes). Wenn hingegen eine Beziehung wiederholt eingefordert wird, obwohl die Zielperson deutlich gemacht hat, dass sie den Kontakt nicht wünscht, könnte die Grenze erreicht sein. Zentral ist, dass die Lebensführung der Zielperson schwerwiegend beeinträchtigt wird, wenn sie sich also bedroht und belästigt fühlt. Und um genau so etwas nicht hinzunehmen, um Belästigte verteidigen und schützen zu können, brauchen wir den Code of Conduct!

CoC ist kein Knigge 3.0 – Verstöße können rechtliche Folgen haben!

Der Code of Conduct ist nämlich kein Knigge 3.0, dessen Benimmregeln man nach Lust und Laune befolgen kann (oder auch nicht …). Er ist verbindlich an der FU und wird von der FU-Richtlinie zum Umgang mit sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt ergänzt. Geklärt ist dabei, was passiert, wenn Personen sich nicht an diese Festlegungen halten. Bei gemeldeten Regelverstößen erfolgt zunächst eine Anhörung aller Betroffenen und es wird versucht, die Situation zu klären. Im nächsten Schritt können dann (in Abhängigkeit von Art und Ausmaß des Vorfalls/der Vorfälle) Konsequenzen gezogen werden, von schriftlicher Aufklärung/Absichtserklärung über Ausschluss von Lehrveranstaltungen und/oder Abmahnung bis hin zur Kündigung/Exmatrikulation und/oder Strafverfolgung.

Was ist zu tun?

Wenn Sie selbst betroffen sind:

  • Überlegen Sie, mit wem Sie darüber sprechen möchten, und kontaktieren Sie diese Person oder Institution. Dieser Kontakt kann auch dann (sehr) sinnvoll sein, wenn Sie sich nicht so ganz sicher sind, was Sie von der Situation halten sollen.
  • In jedem Fall können Sie z.B. die Dozierenden, das Dekanat oder die dezentrale Frauenbeauftragte kontaktieren. Weitere Anlaufstellen an der FU finden Sie hier. Externe Beratungsoptionen finden Sie zudem ganz am Schluss des Beitrags.
  • Die Art der Kontaktaufnahme ist ebenfalls Ihnen überlassen: online, telefonisch oder ggf. per Videokonferenz; dabei kann online- und telefonische Beratung auf Wunsch auch anonym geschehen.
  • Vertraulichkeit und Schweigepflicht sind für Berater:innen selbstverständlich!

Wenn Sie Zeug:in solcher Regelverstöße geworden sind:

  • Schauen Sie hin und werden Sie aktiv!
  • Machen Sie deutlich, dass Sie das inadäquate Verhalten nicht tolerieren.
  • Bieten Sie der betroffenen Person Ihre Unterstützung an.
  • Überlegen Sie (falls sinnvoll), wie Sie sich mit ihr solidarisieren können (unter Berücksichtigung der Wünsche der betroffenen Person).
  • In manchen Fällen – wenn die betroffene Person z.B. gar nicht weiß, dass ihre Persönlichkeitsrechte verletzt werden – kann es auch notwendig sein, den Vorfall zu melden.

Bevor Sie eine private Chat-Gruppe zu Studienzwecken bilden (mit welchem Dienst auch immer):
Prüfen Sie, ob es nicht genauso ein User-Wiki oder ein User-Blog der FU tut, also eine der sog. „inoffiziellen“ Plattformen der FU, die auch von Studierenden genutzt werden können. Dann nämlich kann die FU als Institution bei Bedarf (Regelverletzungen) auch juristisch aktiv werden!


Hilfe und Beratung gibt es hier (eine Auswahl):

  • Bundesweites Hilfetelefon für Frauen, die Gewalt erlebt haben: 0 8000 116 016
  • Externe Chatberatung: https://www.hilfetelefon.de/  (u.a. Beratung in 17 Sprachen und Gebärdensprache)
    (Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben)
  • Die Beratungsstelle Stop-Stalking berät (a) Betroffene von Stalking, (b) Menschen, die stalken, sowie (c) Dritte, die beruflich oder als Angehörige mit Stalking zu tun haben: https://www.stop-stalking-berlin.de/de/home/

Quellen

Marczuk, Anna, Multrus, Frank, & Lörz, Markus (2021). Die Studiensituation in der Corona-Pandemie. Auswirkungen der Digitalisierung auf die Lern- und Kontaktsituation von Studierenden. (DZHW Brief 01|2021). Hannover: DZHW. https://doi.org/10.34878/2021.01.dzhw_brief

Pehlke, Viktoria (2020). Jedes zweite Mädchen wird im Internet belästigt. Katapult. [https://katapult-magazin.de/de/artikel/jedes-zweite-maedchen-wird-im-internet-belaestigt]

Plan international (2020). Free to be online? [https://www.plan.de/freedom-online.html]

Equal Pay Day 2021 gestern: Ab heute verdient frau wieder …

Im vergangenen Jahr haben Frauen insgesamt in Deutschland bis zum 17. März gleichsam unentgeltlich gearbeitet, dieses Jahr ist es immerhin schon der 10. März, d.h. Frauen verdienen in Deutschland aktuell 18% weniger als Männer. Ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen gibt es auch an den deutschen Universitäten, und zwar auf der Ebene der Professor:innen (hierzu auch ein Blogbeitrag im März 2020).

Weitere konkrete aktuelle Daten und Fakten, zusammengestellt von Business and Professional Women – Germany e.V., finden Sie auch hier.

Gender Planning an der FU?

Was verbindet Schneeräumdienst und Gender Planning? Und was hat das nun mit Gleichstellung an der FU zu tun?

Fangen wir beim Schneeräumdienst an. Er ist eines der ersten Beispiele im Buch von Caroline Criado Perez über den Gender Data Gap, anhand dessen sie verdeutlicht, dass viele Regelungen des öffentlichen Lebens de facto für die Hälfte der Menschen diskriminierend sind. Das lässt sich auch sehr leicht an Berliner Verhältnissen illustrieren: Viele waren im Februar 2021 eher froh, angesichts des gefallenen Schnees im Home-Office zu sein und sich nicht an die Uni begeben zu müssen. Wer es dennoch tat, stellte fest, dass (a) die Straßen für die Autos säuberlich geräumt waren, und zwar als erstes, dass (b) die Gehwege in sehr unterschiedlichem Zustand waren und dass (c) Radwege teilweise gar nicht geräumt wurden, mit der Folge, dass Radfahrende in doppelter Hinsicht gefährdet waren, da sie einerseits „ihre Wege“ nicht sicher benutzen konnten und andererseits von Autofahrenden z.T. gefährlich überholt wurden. Die gesamte Situation war sicherlich keine Absicht, aber auch kein Zufall, denn die BSR verfolgt hier eine Priorisierungsstrategie, die in Deutschland sicherlich nicht einzigartig ist.1

Da nun Männer aber mehr Wege mit dem Auto zurücklegen als Frauen, während Frauen ihre Wege in höherem Maße zu Fuß oder per Rad zurücklegen, z.B. weil sie häufiger die Kinder im Kiez zur Schule oder in die Kita bringen bzw. mit zu Pflegenden spazieren gehen, werden Frauen durch eben diese Prioritätensetzung diskriminiert. Zufußgehende haben darüber hinaus bei Eis und Schnee faktisch ein erhöhtes Unfallrisiko.
Das unterschiedliche Wegenutzungsverhalten von Männern und Frauen wurde bislang möglicherweise auch deswegen nicht berücksichtigt, weil dazu kaum Zahlen vorliegen, trotz regelmäßiger Erhebungen zu diesem Thema (Studie Mobilität in Deutschland); ob das Bundesverkehrsministerium wohl bald „aufwacht“, um hier Abhilfe zu schaffen? Vermutlich sollten wir es als Wähler:innen in diesem Jahr vorsichtshalber mal wecken 🙂.

Die Idee, die Bedürfnisse der Nutzer:innen bei Planungen zu berücksichtigen, führt mich nun zum Gender Planning in der Umgebungsgestaltung an der FU.
Nicht immer hat es Eltern-Kind-Zimmer an der FU gegeben. Diese „Nachbesserung“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass Nutzer:innen sich einen Raum in gewisser Hinsicht aneignen und die Gestaltung zumindest nach ihren Bedürfnissen erfolgt. Dies war allerdings keineswegs selbstverständlich, sondern wurde vielfach von den Frauenbeauftragten initiiert und teilweise sogar mit Frauenfördergeldern finanziert, obschon dem entgegengehalten werden könnte, dass das ja nicht nur Frauen betrifft und eigentlich Frauenklischees bestätigt und bedient. – Stimmt. Und gleichzeitig ist es auch ein Fakt, dass Frauen wesentlich (!) mehr Care-Arbeit übernehmen. Deswegen wissen sie auch (mehrheitlich) besser, was diesbezüglich gebraucht wird, und sollten gefragt werden, wenn es an der FU um Um- und Neugestaltung von Gebäuden und Umgebung geht. Es sollte bei der Nutzungsanalyse und bei der letztendlichen Gestaltung explizit darauf geachtet werden, was Frauen brauchen (die Bedürfnisse der Männer – das zeigt sich immer wieder – werden sowieso berücksichtigt und sind eh Bestandteil der 0815-Lösungen).

Gender Planning in COVID-Zeiten, in denen wir überwiegend im Home-Office sind? Wer sich in letzter Zeit mal ins Büro an der FU begeben hat, fand vermutlich überwiegend leere Gänge vor; Serviceleistungen und Laborabläufe finden unter Berücksichtigung von Hygienekonzepten statt, die v.a. die Abstandsregeln sicherstellen sollen, oft, indem Mitarbeitende alleine arbeiten – durchaus nachvollziehbar. Nicht allen ist allerdings wohl dabei (und raten Sie mal, ob es eher Frauen oder Männer sind …). Und damit sind wir auch hier wieder bei der Gleichstellung angelangt. Denn auch dieser Realität sollten wir uns bei der Beurteilung von Hygienekonzepten stellen und berücksichtigen, dass das Bedürfnis, sich sicher zu fühlen, nicht nur heißen darf, eine Covid-Erkrankung zu verhindern.

Literatur

Criado Perez, Caroline (2020). Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert. München: btb.


1 https://www.bsr.de/winter-21924.php: „Oberste Priorität beim BSR-Winterdienst haben Stadtautobahnen, Hauptverkehrsstraßen und Straßen mit öffentlichem Personennahverkehr. Erst wenn diese Straßen abgearbeitet sind, kommen Nebenstraßen an die Reihe. Auch Fußgängerüberwege werden vorrangig bearbeitet.“


Weiterführende Literatur

Kern, Leslie (2021). Feminist city: Wie Frauen die Stadt erleben. Münster: Unrast.

Marie-Schlei-Preis 2020

Marie-Schlei-Preis und Preis für beste Lehre wurde in gemeinsamer Veranstaltung verliehen

Der 26. November 2020 war ein besonderer Tag: Um 15 Uhr wählten sich fast 70 Mitglieder des Fachbereichs Erziehungswissenschaft und Psychologie in eine WebEx-Konferenz ein. Die Beteiligten kamen aus allen Statusgruppen und aus allen Wissensbereichen des Fachbereichs, z.T. festlich gekleidet, das Lieblingsgetränk zur Hand und einige demonstrierten ganz dezent Schokoladen und Blumensträuße.

Anlass für diese etwas ungewöhnliche Veranstaltung waren gleich zwei Preisverleihungen: So verliehen Studierende des Fachbereichs den Preis für beste Lehre 2020 in mehreren Kategorien und der Fachbereich zeichnete vier junge Wissenschaftlerinnen für ihre exzellenten Abschlussarbeiten mit dem Marie-Schlei-Preis 2020 aus.

Preis für beste Lehre 2020

Da der Fachbereichstag dieses Jahr ausfallen musste und leider auch zur Absolvent:innenfeier pandemiebedingt nicht eingeladen werden konnte, entstand die Idee, die beiden Preise gemeinsam zu feiern. Beim Preis für beste Lehre waren die Überraschungen für die Betroffenen perfekt. Hier wiederholte sich die Schilderung der z.T. sichtlich berührten Preisträger:innen, dass kurz vor der Veranstaltung ein „Mann mit Maske und Blumenstrauß“ vor der Tür gestanden hatte und den verblüfften Empfänger:innen eben diesen Blumenstrauß überreicht hatte.

Der Zufall wollte zudem, dass der Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie zum 21. Mal den Marie-Schlei-Preis an eben dem Tag verlieh, an seine Namensgeberin Marie Schlei ihren 101. Geburtstag gefeiert hätte.

Marie-Schlei-Preis 2020

Die Preisträgerinnen des Marie-Schlei-Preises hatten sich auch schon über ihre Blumen gefreut, waren aber etwas vorbereiteter, weil sie z.T. ihre nun ausgezeichneten Arbeiten vorstellten und daher vorher informiert worden waren. So lernten die Anwesenden nebenbei noch etwas darüber, was Schüler:innen hilft, wenn sie vom Gymnasium an eine Sekundarschule wechseln, und wann Messfehler in Berechnungen berücksichtigt werden sollten, um ggf. valide kausale Schlüsse zu ziehen, und wann dies verzichtbar ist. Neugierig geworden? Dann schauen Sie sich gern die ausgezeichneten Arbeiten an!

Gender-Vielfalt

Emily Ratajkowski erwartet ein Baby; sie teilte mit, dass sie und ihr Partner auf die Frage nach dem Geschlecht ihres Kindes antworten „that we won’t know the gender until our child is 18 and that they’ll let us know then“ [1]. Diese Nachricht hat es diese Woche in viele Zeitungen geschafft und meinen Morgen jedenfalls erheitert; macht sie doch deutlich, dass es einerseits vielleicht Wichtigeres an einem Menschen gibt und dass es andererseits – nehmen wir die Frage ernst – gar nicht so einfach ist, sie über eine Person sinnvoll zu beantworten, selbst wenn wir die Person gut kennen.

Diese Nachricht hat mich aber auch an ein Projekt von mir erinnert, das ich mit Corona irgendwie erstmal zur Seite gelegt habe. Zu Unrecht, wie ich inzwischen finde. Ich will es nur anders angehen. Angefangen hat es mit der Suche nach einem passenden Bild für dieses Blog zur Gleichstellung.

Aufruf zur Beteiligung an einer „Diversitäts-Galerie“ des Fachbereichs!

Gefunden hatte ich dieses Bild links, das mir persönlich einfach gefällt, das gleichzeitig allerdings eine recht geschlechtsstereotype Darstellung ist und das ich deswegen gerne ergänzen möchte, und zwar mit ähnlich konstruierten Bildern anderer „Paare“ von Angehörigen unseres Fachbereichs. Also z.B. Kollagen aus Bildern von zwei Personen, deren Oberkörper in einer ähnlichen Pose abgebildet wird, und die jeweils hälftig zu einem Bild zusammengesetzt werden. Das ist jedenfalls meine Ausgangsidee.

Es geht mir dabei eben nicht darum, dass ein Geschlecht erkennbar wäre, sondern darum, die Vielfalt an Menschen in unserem Fachbereich zu dokumentieren. Da ich aktuell aus evidenten Gründen nicht herumlaufen kann, um Leute zu fotografieren (so hatte ich das eigentlich vor), möchte ich jetzt vorschlagen, dass Sie sich selbst und/oder weitere Fachbereichsmitglieder ablichten und selber solche „Paare“ zusammenstellen; ich denke, das ist auch in Coronazeiten möglich und könnte sogar Spaß machen. Die Bilder können gern eine Art Remake des Ausgangsbildes sein, natürlich abgesehen von der Kleidung, aber vielleicht finden Sie eine andere Pose viel sinnvoller oder passender (oder genauso gut). Zentral ist, dass Sie (und natürlich die andere Person) sich in dem zugeschickten Bild persönlich wiederfinden.

Bitte schicken Sie Ihre Bilder an uns als dezentrale Frauenbeauftragte.
Geben Sie dabei bitte auch an, ob wir Ihr Bild hier im Blog und/oder auf unserer Webseite als „Diversitäts-Galerie“ veröffentlichen dürfen. Danke 🙂 .

[1]: https://www.vogue.com/article/emily-ratajkowski-pregnant-announcement-digital-cover

Veranstaltungsreihe 2020

Es gibt viel zu wenige Frauen in der Wissenschaft. Das ist schade und die Gründe dafür sind vielfältig. Wir wollen interessierte und talentierte Frauen ermutigen, sich gezielt und vertrauensvoll in diese Richtung zu bewegen. Deswegen gibt es an unserem Fachbereich die Veranstaltungsreihe „Eine wissenschaftliche Laufbahn planen“. Dieses Jahr können Studentinnen und Promovendinnen von gestandenen Professorinnen erfahren, welche Erfahrungen sie in diesem Beruf machen und was sie jungen Wissenschaftlerinnen auf den Weg geben wollen. Aber es gibt auch Austausch zu alternativen beruflichen Wegen als Wissenschaftlerin. Und last but not least bieten wir einen Workshop zur beruflichen Zielentwicklung an.

Wann? Am 29. Oktober 2020 ab 11 h …

Wo? Im Seminarzentrum, Raum L116. Ja, genau, wir wollen eine Präsenzveranstaltung wagen …

Update: Aufgrund der aktuellen Entwicklungen dürfen Präsenzveranstaltungen in der geplanten Form nicht stattfinden; wir weichen also aufs digitale Format per Videokonferenz aus.

Kosten? Die Veranstaltung ist für Promovendinnen und Studentinnen unseres Fachbereichs kostenfrei.

Mehr Infos gefällig? Gerne: Hier 🙂

Anmeldung für den Vormittag bei der Frauenbeauftragten!
(Der Nachmittag ist leider ausgebucht.)

Gender Diversität vs. Frauenförderung?

Widerspricht das Ziel der Gender Diversität nicht dem Anliegen der Frauenförderung? Lange Zeit haben wir dafür gekämpft, Frauen in Sprache und Bild sichtbar zu machen. Inzwischen stellt sich vor dem Hintergrund der Vielzahl von Geschlechtsidentitäten die Frage, ob es nicht eher darum gehen sollte, das Geschlecht nicht zu erwähnen, also quasi unsichtbar zu machen, um Gleichstellung umzusetzen. Nicht allen reicht der „Umweg“ über ein drittes Geschlecht. Wie können wir dann Frauen fördern? Ist das überhaupt noch ein zeitgemäßes Ziel?

Zunächst lässt sich festhalten, dass wir als Gesellschaft trotz entsprechender Bemühungen – seit Jahrzehnten! – der Gleichstellung der Frauen schon etwas näher gekommen sind, das Ziel aber nach wie vor noch lange nicht erreicht haben; Frauen werden weiterhin in vielen Bereich benachteiligt. Frauenförderung bleibt demzufolge weiterhin ein wichtiges Ziel – bis wir die Gleichstellung von Frauen erreicht haben. Dies ist ein weiterhin wichtiges Teilziel der Gleichstellung aller Geschlechter. Beibt die Frage nach der gendergerechten und -sensiblen Sprache.

Zunächst mal lässt sich zeigen, dass sich die gewählte Art des Sichtbarmachens von Geschlechtern sehr wohl darauf auswirkt, was Lesende und Hörende sich vorstellen (hierzu etwa Heise, 2000; Stahlberg & Sczesny, 2001):

  • Die Studenten/Studierende. Generische Maskulina  und neutrale Begriffe  werden mehrheitlich mit Männern assoziiert.
  • Studentinnen und Studenten. Beim Splitten werden Frauen und Männer etwa zu je 50% assoziiert. Menschen, die sich beiden Gruppen nicht zugehörig fühlen, werden ignoriert.
  • StudentInnen. Beim großen I werden Frauen zu mehr als 50% mitgedacht.
  • Student_innen/Student*innen. Hier wird an Frauen, Diverse und Männer gedacht.

Dann ist doch alles klar, könnten wir denken. Dem ist aber wohl nicht so. Weder die als Gendergap bezeichnete Schreibweise mit Unterstrich noch das sog. Gendersternchen sind unumstritten. Und obwohl der Rat für deutsche Rechtschreibung das Anliegen einer geschlechtergerechten Sprache ausdrücklich anerkennt, mochte er sich noch keiner Schreibweise anschließen, sondern will abwarten, welche Schreibweise sich letztendlich durchsetzt (PM 2018). Dies hat konkrete Konsequenzen für Texte, die etwa die Freie Universität veröffentlicht. In Studien- und Prüfungsordnungen der FU werden neutrale Begriffe wie Studierende verwendet, aber da, wo das schwierig ist, wird auf das Splitting zurückgegriffen (z.B. Absolventinnen und Absolventen), was einen Teil der Studierendenschaft nicht berücksichtigt und damit eine Diskriminierung durch Ignorieren darstellt (auch wenn das nicht die Absicht ist).

Aktuell wird die überarbeitete Studien- und Prüfungsordnung des neuen polyvalenten Bachelorstudiengangs in der Psychologie diskutiert (wegen des neuen Gesetzes zur Ausbildung in psychologischer Psychotherapie). Ob es hier gelingt, sich insgesamt auf geschlechterneutrale Formulierungen zu einigen und damit Vorbildfunktion zu übernehmen, wissen wir am 16. Juli 2020.

Literatur

Heise, Elke (2000). Sind Frauen mitgemeint? Eine empirische Untersuchung zum Verständnis des generischen Maskulinums und seiner Alternativen. Sprache und Kognition — Zeitschrift für Sprach- und Kognitionspsychologie und ihre Grenzgebiete, 19(1/2), 3 – 13.

Stahlberg, Dagmar & Sczesny, Sabine (2001). Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen. Psychologische Rundschau, 52(3), 131 – 140.