Digitale Grundschule

Software statt Schreibheft

Petra Anders, Professorin für Grundschulpädagogik für das Fach Deutsch, bereitet ihre Studierenden auf das Unterrichten im digitalen Klassenzimmer vor

05.01.2017 https://www.fu-berlin.de/campusleben/lernen-und-lehren/2017/170105-medien-grundschule/index.html

Möhre statt Mausklick: Mit dem Erfinder-Set „MaKey MaKey“ können Alltagsgegenstände in Tasten umgewandelt werden. Nicht nur für Kinder wird das digitale Geschichtenerzählen so zum großen Spaß.
Möhre statt Mausklick: Mit dem Erfinder-Set „MaKey MaKey“ können Alltagsgegenstände in Tasten umgewandelt werden. Nicht nur für Kinder wird das digitale Geschichtenerzählen so zum großen Spaß.Bildquelle: Annika Middeldorf
Mithilfe der Programmiersoftware „Scratch“ können Prinzessin und Drache kinderleicht zum Leben erweckt werden.
Mithilfe der Programmiersoftware „Scratch“ können Prinzessin und Drache kinderleicht zum Leben erweckt werden.Bildquelle: Annika Middeldorf
Professorin Petra Anders (Mitte) mit zwei ihrer Seminarteilnehmerinnen beim Programmieren.
Professorin Petra Anders (Mitte) mit zwei ihrer Seminarteilnehmerinnen beim Programmieren.Bildquelle: Annika Middeldorf
Zeigt, wie's geht: Julia Kleeberger von „Junge Tüftler“ erklärt den Nachwuchslehrerinnen- und -lehrern, wie sie eine Märchenmaschine programmieren.
Zeigt, wie’s geht: Julia Kleeberger von „Junge Tüftler“ erklärt den Nachwuchslehrerinnen- und -lehrern, wie sie eine Märchenmaschine programmieren.Bildquelle: Annika Middeldorf

Wo sonst ein Dutzend Tablets liegen, stapeln sich in dieser Seminarwoche Scheren, bunte Filzstifte, und Bastelpappe. Sogar Möhren gehören zu den Bastelutensilien. „Es sieht aus wie im Sachunterricht, aber lassen Sie sich nicht täuschen: Heute programmieren wir ein Märchen“, klärt Petra Anders, Professorin für Grundschulpädagogik für das Fach Deutsch, ihre Studierenden auf. Mit einem Selbstbau-Kasten und einer kostenfreien Software lernen die zukünftigen Deutschlehrerinnen und -lehrer neue Erzählformen kennen und erfahren, wie sie sie im Unterricht einsetzen können. Denn zu den Aufgaben der Grundschullehrerinnen und -lehrer in spe gehört auch, ihre Schülerinnen und Schüler auf eine digitale Welt vorzubereiten. Dabei brauchen viele Lehramtsstudierende selbst Nachhilfe in Sachen Digitalität.

„Ich war zu Anfang des Seminars skeptisch gegenüber Medien im Klassenraum“, sagt beispielsweise Grundschullehramtsstudentin Sabrina. Die 27-Jährige arbeitet neben dem Studium in der Kinderbetreuung und hatte Tablet und Co bei ihren Schützlingen dabei stets als „Alleinmacher“ erlebt: Der isolierten Zockerei am Computer statt dem gemeinsamen Brettspiel am Küchentisch konnte sie nicht viel abgewinnen. „Jetzt weiß ich, dass man auch am Tablet oder Computer vieles gemeinsam machen kann. Es gibt zum Beispiel herrliche Bilderbuch-Apps“, sagt Sabrina heute. Derlei Apps machen eine Geschichte nicht nur durch Schrift, sondern auch durch Töne, kurze Videos oder Ratespielen erlebbar. Bilderbuch-Apps sind aber nur ein Beispiel dafür, wie multimediale Inhalte auch im Grundschulunterricht eingesetzt werden können.

Der kreative Umgang mit neuen Lern- und Lehrmethoden findet in der Lehrerausbildung allerdings noch wenig Beachtung, sagt Petra Anders. Wie viele ihrer Kommilitonen im Masterstudium für Grundschulpädagogik hat auch Sabrina in diesem Semester den ersten Kontakt mit digitalen Mitteln für den Unterricht. Um das zu ändern haben die Bildungsminister und -senatoren in der Kultusministerkonferenz (KMK) Mitte Dezember ihre Strategie zur „Bildung in der digitalen Welt“ verabschiedet. Darin wird unter anderem festgelegt, welche Computer-Kompetenzen Schüler künftig erwerben sollen. Grundsätzlich soll in jedem Fach auch digital gearbeitet werden. Darauf müssen Lehramtsstudierende vorbereitet werden, sagt Petra Anders. Auch über Vorurteile müsse gesprochen werden.

„Der Gedanke, dass Digitalität eine Gegenwelt sei, ist noch immer weit verbreitet. Für Kinder ist das aber längst eine Lebenswirklichkeit“, sagt Petra Anders, die in ihrem Seminar „Digital lesen und gestalten“ ihre Studierenden auf das Klassenzimmer von morgen vorbereitet. „Ich möchte den Studentinnen und Studenten die didaktischen Handlungsmöglichkeiten digitaler Medien aufzeigen“, sagt die Professorin. „In der Grundschule lernen Kinder im Deutschunterricht beispielsweise, wie sie eine Geschichte erzählen. Ob sie das mit Stift und Papier als kleinen Aufsatz oder mit einem Programmiersoftware lernen, spielt letztlich keine Rolle.“ Der spielerische und kreative Umgang mit Technik bereite die Kinder zudem auf die Herausforderungen der digitalen Welt vor, meint Petra Anders.

„Mit Digitalität umgehen zu können, gehört zu den Fähig- und Fertigkeiten des 21. Jahrhunderts“, findet auch Julia Kleeberger. Die promovierte Medienwissenschaftlerin hat vor zwei Jahren das gemeinnützige Unternehmen Junge Tüftler mitgegründet. In Mitmach-Kursen lernen Kinder hier, wie sie LED-Lampen zum Leuchten bringen, wie sie eine Pflaume zum Instrument programmieren können oder wie sie mit Hilfe von Temperatur- und Lichtsensoren Objekte steuern können. Die Devise von Junge Tüftler: Nicht jedes Kind, das schreiben lernt, wird Schriftsteller. Und nicht jedes Kind, das programmieren lernt, wird Programmierer. Eine fundierte digitale Bildung aber ist notwendig, um sich in die digitale Gesellschaft einzubringen. „Jedes Kind sollte Zugang zur Technik bekommen und lernen, damit umzugehen. Das ist unser Ziel“, sagt Julia Kleeberger, die ihr Unternehmen in Anders’ Seminar vorstellt.

Kleeberger zählt sich mit Junge Tüftler zum sogenannten Maker-Movement, einer Bewegung für technische Handarbeit, in dem Wissen ganz selbstverständlich gemeinsam generiert und miteinander geteilt wird. „Die Zeit der Einsteins ist vorbei“, sagt Kleeberger und meint damit das Ende des Einzelkämpfers in der Wissensbeschaffung- und Verbreitung. Heute hingegen sei klug, wer auf Teamarbeit und Kollaboration setze, sich traue Fragen zu stellen – und Antworten miteinander zu teilen.

Dieser Ansatz funktioniert auch in Petra Anders’ Seminar gut. Die Studierenden tüfteln mit Julia Kleebergers Unterstützung an der Software „Scratch“ und dem Erfinder-Set „MaKey MaKey“, einer Art programmierbarer „Mini-Computer“. Mit dem Set können Alltagsgegenstände in Tasten umgewandelt werden. Anstelle eines Mausklicks wird so etwa die Möhre vom Basteltisch zum Erzählstab, mit dem die Studierenden durch eine selbstprogrammierte Märchen-Geschichte führen. Sabrinas Gruppe erzählt die Geschichte eines Drachen, der auf eine Prinzessin trifft. Eine Geschichte selbst zu programmieren, das hätte sich vor Semesterbeginn niemand am Gruppenarbeitstisch vorstellen können.