Rückblende auf 2018: Frieden geht!

21.05.2018, Baden-Württemberg, Oberndorf am Neckar: Teilnehmer eines Staffellaufes gegen Rüstungsexporte starten unter dem Motto „Frieden geht!“ einen Demonstrationszug, der von Oberndorf am Neckar über Kassel bis nach Berlin führt. Der Lauf begann am Firmensitz des Waffenherstellers Heckler & Koch. Foto: Steffen Schmidt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Von Oberndorf über Kassel bis Berlin

Warum Laufen Frieden schafft

Ein Interview von

Friedensforscher Sven Chojnacki läuft für ein Verbot von Rüstungsexporten. Er erzählt, was der Sport mit Krieg und Frieden zu tun hat und warum die Idylle in Oberndorf, Kassel und Jena trügt.

Zur Person: Sven Chojnacki, Jahrgang 1966, ist Professor für Friedens- und Konfliktforschung an der Freien Universität Berlin. Der passionierte Läufer nimmt am Staffellauf gegen Rüstungsexporte der Initiative „Frieden geht!“ teil.


SPIEGEL ONLINE: Herr Chojnacki, was haben Laufen und Waffen miteinander zu tun?

Chojnacki: Deutschland ist weltweit nach wie vor einer der größten Exporteure von konventionellen als auch von Kleinwaffen. Mit dem Staffellauf „Frieden geht!“, der quer durch Deutschland führt, wollen wir der Problematik und einem Verbot von deutschen Rüstungsexporten Nachdruck verleihen. Laufen hat daher weniger mit Waffen, aber sehr viel mit Frieden zu tun.

SPIEGEL ONLINE: Also gut, wie hängen Laufen und Frieden zusammen?

Chojnacki: Auf individueller Ebene trägt das Laufen zunächst einmal zum inneren Frieden bei. Und da es sich in der Gruppe oft leichter trainiert, gibt es auch ein ausgesprochen positives Gemeinschaftsgefühl. Dadurch lässt sich eine besondere Kraft und Funktion des Laufsports für den äußeren Frieden vermuten – zumal der Wettkampfcharakter und die Einteilung in Gewinner und Verlierer deutlich schwächer als bei Mannschaftssportarten ausgeprägt ist.

SPIEGEL ONLINE: Deutschland ist weltweit in den Top 5 der Waffenverkäufer: Wie soll Sport das ändern?

Chojnacki: Als Staffellauf symbolisiert „Frieden geht!“, dass ich individuell Verantwortung für mein Team trage – sinnbildlich für meine Gesellschaft. Wir erreichen das Ziel letztlich aber nur gemeinsam. Läufer und Vereine engagieren sich häufig für friedenspolitische Zwecke, so zum Beispiel auch der Berliner ‚Mauerweglauf‘.

SPIEGEL ONLINE: Sind so hohe Ziele für einen Staffellauf nicht utopisch?

Chojnacki: Gegenfrage: Wo stünde die Welt ohne friedliche Utopien? Die Aussetzung von Exporten in Krisenregionen und ein Verbot der Ausfuhr von Kleinwaffen lässt sich dabei mit der Herausforderung vergleichen, einen Marathon zu laufen: Ohne Ausdauer, Motivation und Mobilisierung aller Kräfte nicht zu schaffen. Aber er ist eben doch machbar – gerade wenn sich Läufer auf der Strecke immer wieder gegenseitig Mut machen. Ein prinzipielles Verbot von Waffenexporten wäre dann eher ein Ultralauf: Für viele auf den ersten Blick eine Utopie, aber jeder Schritt über den Marathon hinaus ist eine Annäherung an das Ziel.

SPIEGEL ONLINE: Der Lauf führt quer durch Deutschland und startete am vergangenen Montag in Oberndorf: Warum dort?

Chojnacki: Die Route geht an deutschen Unternehmen vorbei, die Waffen bauen und damit auch dazu beitragen, dass Kriege eskalieren und andauern. Der Staffellauf führt von Oberndorf vor den Toren von Heckler und Koch in 13 Etappen bis ins politische Entscheidungszentrum Berlins. Staffelübergaben gibt es unter anderem in Kassel, wo die Eigentümer des Rüstungsunternehmens Krauss-Maffei-Wegmann leben, und Jena, weil Jena Optik nicht nur an der Produktion des Leopard-2-Panzers beteiligt ist. Die Süd-Nord-Route steht auch dafür, dass in den Konfliktgebieten im globalen Süden mit Waffen des Nordens getötet wird.

SPIEGEL ONLINE: Ist das so simpel: Im Norden herrscht Frieden und im Süden Krieg aufgrund von deutschen Waffenexporten?

Chojnacki: Frieden selbst ist höchst ambivalent. Auch wenn in Oberndorf, Kassel und Jena Frieden herrscht, werden dort Waffen hergestellt, die Kriege in Konfliktgebieten verschärfen. Sie stabilisieren auch autoritäre Herrschaftssysteme, die ihre Bürger mit den Waffen unterdrücken und teils schwere Menschenrechtsverletzungen begehen. Kleinwaffen werden zudem teils unkontrolliert weitergegeben, gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt und können Gesellschaften dauerhaft militarisieren.

SPIEGEL ONLINE: Weshalb fordern Sie einen kompletten Stopp von Rüstungsexporten?

Chojnacki: Das Hauptproblem ist doch: Sind Waffen erst einmal geliefert, lassen sich Orte und Gründe der Anwendung nicht mehr kontrollieren. Die Erfahrung lehrt, dass sie durchaus entgegen eigener Interessen und Normen eingesetzt werden. Wir sollten zudem nicht vergessen, dass Flucht als Folge von Militarisierung und Kriegen eben auch aufgrund von deutschen Waffen geschieht. Anders formuliert: Wer die Bekämpfung von Fluchtursachen ernst nimmt, sollte bereits hier vor Ort ansetzen und deutsche Waffen- und Unsicherheitsexporte verbieten.

SPIEGEL ONLINE: Warum findet dieser Lauf gerade jetzt statt?

Chojnacki: Weil die Zeit drängt! Zudem hat die große Koalition bis Ende 2017 mehr Rüstungsexporte genehmigt als die Vorgängerregierungen, während zugleich die deutschen Rüstungsfirmen ihre Waffenverkäufe im internationalen Vergleich deutlich gesteigert haben. Der Staffellauf soll auch und gerade gegenüber der aktuellen Regierung signalisieren, dass es eine bundesweit aktive Friedensbewegung gibt, die von ihr nicht nur eine restriktivere Rüstungsexportpolitik erwartet, sondern ein generelles friedenspolitisches Umdenken.

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