Sexualisierte Diskriminierung an Hochschulen

Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt macht vor Hochschulen nicht halt, und Maßnahmen dagegen zu ergreifen, gehört zu deren Leitungsaufgaben. Die bukof-Kommission „Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen“ arbeitet seit 2003 zu diesem Thema. Die Anfänge waren schwierig, aber der Weg hat sich gelohnt und ist in den letzten Jahren geradliniger geworden.

Die Kommission „Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen“ der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen gibt es seit fast 20 Jahren; gegründet lange bevor das Thema offiziell auf der Agenda der Hochschulen stand. Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt an Orten wie diesen war einfach undenkbar, unsagbar und überhaupt: Es waren kaum aussagekräftige Zahlen aus Beratungspraxis oder Publikationen vorhanden, die das Ausmaß belegen konnten. Es gab lediglich den Appell vieler Kolleginnen, dass die Dunkelziffer sehr viel höher läge als die Fallzahlen in der Beratung zeigten. Es waren aber weder institutionelle Strukturen noch personelle Ressourcen an den Hochschulen vorhanden, die sich der Thematik professionell annehmen konnten. Natürlich ist der Mikrokosmos an Hochschulen nur ein Ausschnitt, und selbstverständlich kommt sexualisierte Diskriminierung und Gewalt hier genauso vor wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Der Unterschied bestand darin, dass man hier noch weniger darüber sprach und noch mehr die Augen zudrückte.

Hochschulen selbst sehen sich meist – wenn nicht diskriminierungsfrei – so doch diskriminierungsarm

Warum ist dieses Thema ein besonders relevantes an Hochschulen? Hierfür sind mehrere Punkte anzuführen, die sich gegenseitig bedingen und dafür verantwortlich sind, dass hier über so lange Zeit die Augen davor verschlossen wurden. Hochschulen selbst sehen sich meist – wenn nicht diskriminierungsfrei – so doch diskriminierungsarm und spielen das Ausmaß von Diskriminierung herunter. Dennoch herrschen hier besondere Bedingungen vor, die sie für Machtmissbrauch – nicht nur im Bereich sexualisierter Diskriminierung und Gewalt – anfällig machen. Einer davon wurde bereits erwähnt: der Irrglaube, dass an Wissensinstitutionen intelligente Menschen lernen und arbeiten, und intelligente Menschen „tun so etwas nicht“. Jedoch, die – je nach Fächerkanon konservativen oder weniger konservativen – Strukturen machen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt wahrscheinlicher. Sich dem zu entziehen ist gerade für Studierende und Beschäftigte in Abhängigkeitsverhältnissen ein besonderes und oftmals unterschätztes Problem. Nicht nur, dass Scheine gemacht und Prüfungen abgelegt werden müssen, in vielen Fällen hängt die gesamte wissenschaftliche Qualifikation und eigene Reputation daran.

Klassisch sind des Weiteren die an Hochschulen befristeten Beschäftigungsverhältnisse sowie die traditionelle Entgrenzung zwischen Privat- und Berufsleben oder die Studienkultur. Auch technisch-administrative Beschäftigte sind von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt betroffen, allerdings nicht in dem bekannten Ausmaß wie wissenschaftliche Beschäftigte oder Studierende aufgrund weniger fragiler Arbeitsbedingungen. Zusätzlich schützt Täter*innen vermehrt der Umstand, dass die Hochschulen immer stärker im Wettbewerb zueinanderstehen um weniger Stellen und hinsichtlich ihrer Reputation. Zudem sind sie aufgrund kontinuierlicher Unterfinanzierung immer mehr auf Drittmittel angewiesen.

Abhängigkeitsverhältnisse und die Angst der Hochschulen vor Rufverlust

Das heißt, und gerade dieses möchte niemand hören, dass es auch noch eine andere Art von Abhängigkeit an Hochschulen gibt, nämlich die der Hochschulleitung von der Reputation ihrer Koryphäen. Gibt es einen Vorfall im Bereich eines Leistungsträgers haben die Leitungen nicht selten Angst davor, adäquat zu sanktionieren, weil die vermeintliche Möglichkeit besteht, Ruf und Drittmittel zu verlieren und im Wettbewerb nicht mehr mithalten zu können. Und da wir gesamtgesellschaftlich weiterhin in einer Schweigekultur leben, bekommen Betroffene von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt weniger Aufmerksamkeit, und ihre Aussagen werden systematisch angezweifelt. Wie groß ist demnach die Chance, dass Betroffene an Hochschulen Vorfälle von sexualisierter Belästigung, Diskriminierung oder gar Gewalt melden?

In den ersten Jahren der Kommissionsarbeit ging es daher vor allem darum, das Thema durch Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungen sichtbar zu machen, Beratungsstrukturen zu etablieren und einen stetigen Austausch auf den unterschiedlichen Ebenen, aber auch im kollegialen Umfeld anzuregen und zu pflegen.  Langsam – aber bekanntlich ist das bei allen Themen rund um Frauenrechte und Gleichstellung so – wuchs die Akzeptanz, dass sexualisierte Diskriminierung und Gewalt nicht ignoriert werden kann. Mit Stärkung der Position der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an den Hochschulen wuchs auch die Kommission. Unser Anliegen damals wie heute: die Benachteiligungen von Frauen in Studium und Beruf aufgrund von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt abzubauen, nachhaltig darauf aufmerksam zu machen, immer wieder den Finger in die Wunde zu legen und uns dafür einzusetzen, dass Hochschulen präventive Maßnahmen vorhalten und ohne Unterschiede von Person und Status sanktionieren. Dabei beraten wir sowohl kollegial als auch Hochschulleitungen oder andere Institutionen rund um die nationale Wissenschaftslandschaft und sind mittlerweile sehr gut vernetzt auch außerhalb derer.

Mit dem EU-Projekt Gendercrime setzte ein Umdenken an Hochschulen ein

Man sollte denken, die große Wende im Bewusstsein kam mit #aufschrei oder noch intensiver durch #metoo, aber der erste Wendepunkt setzte bereits mit dem EU-Projekt Gendercrime (Gender-based Violence, Stalking and Fear of Crime, 2009-2011) ein. Heute kaum noch vorstellbar, war es nicht einfach, Hochschulen zu finden, die an der quantitativen Umfrage teilnehmen wollten. Anonym befragt wurden ausschließlich Studentinnen in den Teilbereichen Erfahrungen mit sexueller Belästigung, Stalking und sexueller Gewalt. Letztlich nahmen 16 Hochschulen teil. Sie wollten belastbare Zahlen sehen und sie bekamen belastbare Zahlen, die die Relevanz des Themas unterstrichen: Junge Studentinnen waren nicht nur gleich viel, sondern häufiger betroffen in allen Bereichen als Frauen höheren Alters oder anderem Status. Zu 54,7 % waren sie mindestens einmal von sexueller Belästigung betroffen, zu 22,8 % von Stalking und zu 3,3 % von sexueller Gewalt, wohlgemerkt, während der Zeit ihres Studiums. Nach der Veröffentlichung des Datenmaterials begann ein Umdenken an den meisten Hochschulen, zumindest bei denen, die an dem EU-Projekt teilgenommen hatten. Da die gewonnenen Daten an den Hochschulen nahezu identisch waren, unabhängig vom Hochschultyp, regionalen Standort und Fächerspektrum, konnte nicht mehr darüber hinweggesehen werden, dass das Thema doch den Stellenwert hatte wie von den Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten seit Jahren behauptet.

Unsere Kommissionsarbeit wuchs mit diesen Erkenntnissen. Aus der Zeit nach „Gendercrime“ stammen unser Grundsatzpapier, unsere umfassende Online-Handreichung für Kolleg*innen und wir haben erreicht, dass im Total E-Quality-Selbstbewertungsinstrument sexualisierte Diskriminierung und Gewalt als Aktionsfeld aufgenommen wurde, das die Hochschulen ausfüllen müssen, wollen sie das Prädikat erhalten. An den Hochschulen nahm man zur Kenntnis, dass das Problem real existiert, was aber nicht bedeutete, dass nun die Leitungen umgehend auf den fahrenden Zug sprangen und finanzielle und personelle Ressourcen für Prävention und Intervention zur Verfügung stellten. Aber sie waren an den point of no return gelangt. Das Thema konnte nicht mehr negiert werden. Es bedurfte der weiteren unermüdlichen Arbeit von uns und unseren Kolleg*innen an den Hochschulen und wurde zudem sprunghaft angeschoben von der weltweiten #metoo-Bewegung. Seitdem gehört das Thema zum Aufgabenkanon der Hochschulen und die Entwicklung ist sehr positiv und motivierend. Den vorläufig größten Erfolg markierte die Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) 2018 „Gegen sexualisierte Diskriminierung und sexuelle Belästigung an Hochschulen“. Sicher hätte die Erklärung noch verbindlicher sein können, aber es war das unwiderrufliche Zeichen, dass sexualisierte Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen die Tabuzone verlassen hat.

Es mangelt nicht mehr am Willen der Hochschulleitungen, regulierend durchzugreifen

Seitdem ist das Thema fest etabliert. Es mangelt auch nicht mehr am Willen der meisten Hochschulleitungen, regulierend durchzugreifen – es mangelt an der Gesetzgebung. Gute Konzepte und der Sanktionierungswillen scheitern nicht selten an den Hochschulgesetzen, dem Beamtenrecht oder letztlich dem Strafgesetzbuch. Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt ist in Deutschland immer noch eine ziemlich strafarme Angelegenheit. Das ist für alle, die sich dem Thema engagiert widmen, unbefriedigend. Selbstverständlich gehört es auch unbedingt in das Curriculum des Jurastudiums.

Mittlerweile sind wir eine recht große Kommission und in der Zusammensetzung vielfältiger. Wir bemerken die Etablierung des Themas auch daran, dass sich nicht mehr nur die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten damit befassen, sondern dass immer mehr Hochschulen eigene Beratungsstellen hierfür einrichten. Dem Grundthema treu geblieben, sind wir als Kommission nicht nur vielfältiger zusammengesetzt, auch unsere inhaltliche Arbeit ist es geworden. Neben unserem klassischen Fokus widmen wir uns vermehrt auch anderen Zielgruppen wie Minderjährigen als besonders schützenswerte Gruppe und Trans*/Inter*-Personen, die einem erhöhtem Risiko ausgesetzt sind, und dem Thema Mehrfachdiskriminierung. Der Anspruch der Kommission ist groß und wir alle machen diese Arbeit neben unserer regulären Tätigkeit an den Hochschulen. So viele Projekte und Themen warten darauf, diskutiert und bearbeitet zu werden, so viel Austauschbedarf zu konkreten anonymisierten Vorfällen untereinander ist da, weitere Themen und Formen von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt im Zuge der Digitalisierung drängen in den Vordergrund, und wir müssen und wollen ihnen verstärkt begegnen. Gerade sexualisierte Diskriminierung und Gewalt in allen Formaten von Social Media ist ein Thema, dessen ganzes Ausmaß wir noch nicht überblicken. Aber es ist nicht nur das. Es reicht nicht, sich auf Basisarbeit und Schadensbegrenzung zu beschränken. Wie es in der bukof-Handreichung „Standpunkte für eine geschlechtergerechte Hochschulpolitik“ von 2021 heißt, ist die häufigste Ursache für sexualisierte Diskriminierung und Gewalt „patriarchale Macht und ein hierarchisierendes Geschlechterrollenverständnis, das zur Verachtung oder Geringschätzung insbesondere von Weiblichkeit (Misogynie) führt, aber auch alle anderen Geschlechter betrifft“.

Die Kommissionsarbeit ist und bleibt eine Bereicherung

Wir müssen mehr in den Diskurs gehen zur Überwindung patriarchaler Strukturen und toxischer Männlichkeit. Dass es sich eben nicht um bedauerliche Fälle Einzelner handelt, sondern dass es strukturellen Sexismus gibt, der diese Übergriffe und Gewalt begünstigt. Um also sexualisierte Diskriminierung und Gewalt als Ganzes zu verstehen, braucht es vermehrt auch Wissen um Sexismus, patriarchale Strukturen und toxische Männlichkeit und deren Verknüpfung. Da stehen wir im Hochschuldiskurs noch sehr am Anfang. Herauszulesen ist hoffentlich: Die Arbeit mit und in der Kommission ist und bleibt motivierend und eine Bereicherung.

Zum Abschluss möchte ich aus der strukturellen Ebene heraus- und in die persönliche Ebene hineingehen. Gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt einzutreten ist Zivilcourage. Neben den getroffenen institutionellen Maßnahmen, ist es auch in der Verantwortung jedes und jeder Einzelnen, unmissverständlich klar zu machen, dass sexualisierte Diskriminierung und Gewalt keine Kavaliersdelikte sind, kein Konflikt, kein Missverständnis, sondern eine Straftat. Solange die Mehrheit wegsieht, bleiben Sexismus und sexuelle Übergriffe als dessen Symptome ungeahndet. Wir reden gesamtgesellschaftlich noch lange nicht in dem Ausmaß darüber wie es überfällig und notwendig wäre. Es fehlt immer noch ein echter Diskurs – gerade einer unter Männern.

Dr. Solveig Simowitsch, Gleichstellungsbeauftragte und Referatsleiterin für Chancengleichheit und Familie, Universität zu Lübeck, seit 2011 Sprecherin der Kommission „Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen“ der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen


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