Inequalitics

Promotionskolleg "Steuer- und Sozialpolitik bei wachsender Ungleichheit"

Du bist doch nur neidisch!

Einkommensvergleich und subjektive Lebenszufriedenheit

Es gibt wohl keinen charakteristischeren Ausspruch über die normative Debatte zum richtigen Ausmaß von Ungleichheit einer Gesellschaft. Ökonomische Ungleichheit prägt alle Volkswirtschaften. Egal ob auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene, überall lassen sich Einkommensunterschiede zwischen Einzelpersonen oder Haushalten feststellen. Und so birgt der Gegensatz zwischen Armen und Reichen den Stoff für verschiedenste Diskussionen: einerseits über den Wert eigener Anstrengungen und Fähigkeiten, und andererseits über das angemessene Ausmaß an Umverteilung, etwa durch Steuern und Abgaben. Spätestens mit den Arbeiten von Thomas Piketty (zusammengetragen in seinem Werk „Das Kapital im 21. Jahrhundert“) wird auch in der öffentlichen Debatte wahrgenommen, dass die Volkswirtschaftslehre hierzu einen entscheiden Beitrag leisten kann. So steht zwar weiterhin die Frage nach den Ursachen von Ungleichheiten (eine unvollständige Auswahl: das Wirtschaftssystem, Unterschiede in der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft, Diskriminierung oder Chancengerechtigkeit,…) und den daraus resultierenden Politikempfehlungen im Fokus. Doch die Frage nach einem akzeptablen Niveau von materieller Ungleichheit kann nur hinreichend beantwortet werden, wenn auch die individuellen Auswirkungen von materieller Ungleichheit wissenschaftlich erfasst und beschrieben werden. Der Rückgriff auf das theoretische Nutzenkonzept hilft uns Ökonomen hierbei, unterschiedliche Situationen hinsichtlich ihrer Vorteilhaftigkeit für Einzelpersonen zu bewerten. Maßstab ist hierbei der Nutzen einer Person. Bezogen auf materielle Ungleichheit gilt es also zu klären, welche Auswirkung unterschiedlich hohe Ungleichheitsniveaus auf das Nutzenniveau von Menschen haben. Mit der empirischen Lebenszufriedenheitsforschung steht jedoch inzwischen ein Instrumentarium zur praktischen Messung des individuellen Wohlbefindens zur Verfügung. Obgleich mit Einschränkungen, ermöglicht dieser relativ neue Forschungsbereich, Rückschlüsse über die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Umstände, wie beispielweise unterschiedliche Niveaus von Einkommensungleichheit (ein kritischer Literaturüberblick findet sich bei Clark, Frijters und Shields, 2008).

Vergleiche (auch) als Ursache von Unzufriedenheit?

Vergleiche (auch) als Ursache von Unzufriedenheit?

Die subjektive Lebenszufriedenheit wird in erster Linie in großen, oft jährlich wiederholten, Haushaltsumfragen erhoben. Dabei beantworten die TeilnehmerInnen eine oder mehrere Fragen zu ihrer Lebenszufriedenheit (etwa auf einer Skala von 0-10). Da auch das Einkommen und viele andere wichtige persönliche Eigenschaften abgefragt werden (Gesundheit, Familienstand oder Arbeitsmarktstatus), erlauben die daraus resultierenden Daten Rückschlüsse auf die unterschiedlichen Bestimmungsgrößen der Lebenszufriedenheit. Um nun ein besseres Verständnis über die Auswirkungen der Ungleichheit zu bekommen, werden diese Daten in der empirischen Zufriedenheitsforschung verwendet, um auf individueller Ebene zu untersuchen, wie wichtig die Höhe und die Veränderung des Einkommens „Anderer“ für die eigene Zufriedenheit ist.

Das Vergleichseinkommen wird in der Forschungsliteratur sehr unterschiedlich erfasst. Da oft unklar ist, mit wem sich die Leute tatsächlich vergleichen, müssen dazu im Regelfall Annahmen getroffen werden. In einigen Arbeiten wird vereinfachend davon ausgegangen, dass die Durchschnittslöhne in der Region das geeignete Maß für das Vergleichseinkommen sind (z.B. Luttmer 2005). Oder es werden sogenannte Mincer-Lohngleichungen geschätzt und so bestimmt, welchen Lohn eine Person mit den entsprechenden arbeitsmarktrelevanten Eigenschaften (Bildungsstand, Berufserfahrung, etc.) erwarten kann (z.B. Senik, 2008). Die dritte Möglichkeit ein empirisches Vergleichseinkommen zu approximieren ist es, das durchschnittliche Einkommen von Personen mit ähnlichen Charakteristika zu verwenden. So wird hierbei einem 50-jährigen Mann mit mittlerem Bildungsstand in Westdeutschland das durchschnittliche Einkommen aller 45-55 Jährigen, westdeutschen Männer mit mittlerem Bildungsstand als Vergleichseinkommen zugeordnet (z.B. Ferrer-i-Carbonell, 2005).

In ökonometrischen Schätzungen kann darauf aufbauend untersucht werden, welcher Zusammenhang zwischen dem Vergleichseinkommen und der subjektiven Lebenszufriedenheit besteht. So lässt sich die Frage beantworten, wie eine Änderung des Vergleichseinkommens mit der eigenen Lebenszufriedenheit zusammenhängt. Andere relevante Einflussfaktoren für die Lebenszufriedenheit, wie etwa Gesundheitszustand, Familienstand, Anzahl an Freunden und anderen sozialen Kontakten, werden technisch konstant gehalten und ihre Auswirkung auf die Lebenszufriedenheit auf diesem Weg kontrolliert. Auch die Separierung der Auswirkung des eigenen Einkommens auf die Zufriedenheit ist zentral, um die reine Auswirkung des Vergleichseinkommens zu erfassen. Je nach geschätztem Vorzeichen des Vergleichseinkommenskoeffizienten lässt sich dies unterschiedlich interpretieren. Ist er negativ, so bedeutet dies, dass mit steigendem Vergleichseinkommen die subjektive Lebenszufriedenheit zurückgeht. Erweist er sich dagegen als positiv, so steigt die eigene Zufriedenheit mit steigendem Einkommen Anderer.

Dieser Methode folgend wurden bereits in zahlreichen Ländern Studien durchgeführt und die Auswirkungen des Vergleichseinkommens untersucht. Besonders in den Volkswirtschaften mit einem recht hohen Einkommensniveau zeigt sich häufiger, dass die Lebenszufriedenheit negativ mit dem Vergleichseinkommen korreliert ist. Zum Beispiel zeigen Studien für die USA, Großbritannien und Deutschland, dass die eigene Lebenszufriedenheit zurückgeht, wenn das Vergleichseinkommen steigt, während das eigene Einkommen dabei konstant bleibt (Ergebnisübersicht einiger wichtiger Studien bei Brown et al, 2015). Dies wird in erster Linie auf einen relativen Statusverlust zurückgeführt. Während also die eigenen Konsummöglichkeiten stagnieren, können andere durch ihr höheres Einkommen mehr Güter konsumieren. Da Konsumgüter häufig zum Statuserwerb innerhalb der eigenen sozialen Gruppe verwendet werden, erhöht sich der soziale Status der Anderen im Vergleich zur eigenen Position. Dies wirkt sich wiederum negativ auf die Lebenszufriedenheit aus. Der Begriff Konsumgüter muss hier breit verstanden werden: Je nach eigenem sozialem Kontext, können etwa der Erwerb des neusten Handymodells oder Autos, aber auch immaterielle Güter wie aufwendigere Urlaubsreisen, beeindruckende Hobbies, oder der Besuch von teueren Kulturveranstaltung zur Statusgenerierung verwendet werden (eine ausführliche Beschreibung der Rolle von Status findet sich bei Frank, 2005).

Es wurden aber auch positive Korrelationen zwischen der subjektiven Lebenszufriedenheit und dem Vergleichseinkommen in empirischen Studien beobachtet. So etwa für die osteuropäischen Transformationsländer oder Russland in den 1990er Jahren (Senik, 2004). Die mittels Schockstrategie eingeführten Marktwirtschaften sorgten für einen massiven Anstieg der Unsicherheiten auf den Arbeitsmärkten und in der Einkommensverteilung. Die vorherrschende Unsicherheit über die eigene Zukunft erhöhte den Informationsgehalt des Einkommens der anderen. Ein wahrgenommener Anstieg des Vergleichseinkommens konnte so als ein positives Signal für das zukünftige eigene Fortkommen gewertet werden. Je besser es den Anderen materiell ging, desto eher wurde auch für die eigene Zukunft ein Lohnanstieg erwartet – die Lebenszufriedenheit konnte auf diesem Wege also auch positiv beeinflusst werden.

Die Messung des subjektiven Wohlbefindens und die empirische Zufriedenheitsforschung bieten die Chance, ein besseres Verständnis über die individuellen Auswirkungen von Einkommensungleichheit zu bekommen. Der derzeitige Forschungsstand zeigt sehr deutlich, dass unser eigenes Wohlergehen keinesfalls nur durch den eigenen Konsum bestimmt wird, sondern auch durch das Konsumniveau der anderen. Übertragen auf die ökonomische Theorie, kann dies als zusätzliche Evidenz für die Existenz von interdependenten Nutzenfunktionen gewertet werden. So ist es etwa möglich, dass bei Wirtschaftswachstum die Einkommen bestimmter Gruppen innerhalb der Gesellschaft stärker wachsen als die anderer (sprich: wachsende Einkommensungleichheit). Da alle Einkommen wachsen bedeutet dies ein höheres Bruttoinlandsprodukt. Gleichzeitig ist es aber möglich, dass es zu einer Reduktion des Zufriedenheitsniveaus der mit wachsendem Vergleichseinkommen konfrontierten Personen kommt. Insbesondere im Hinblick auf die Diskussion über alternative gesellschaftliche Zielgrößen bietet die Betrachtung des Vergleichseinkommens und der subjektiven Lebenszufriedenheit so noch viel Forschungspotenzial.

Tags: , ,

Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 9. September 2015 um 14:07 Uhr von Tobias Wolf veröffentlicht und wurde unter Allgemein, Lebenszufriedenheit abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf Ihrer Seite einrichten.

Eine Reaktion zu “Du bist doch nur neidisch!”

  1. Max

    Gibt es empirische Studien, die neben dem Vergleichseinkommen auch ein globales Maß für die Einkommensungleichheit (Gini, GE, etc.) beinhalten?

Schreibe einen Kommentar

Captcha
Refresh
Hilfe
Hinweis / Hint
Das Captcha kann Kleinbuchstaben, Ziffern und die Sonderzeichzeichen »?!#%&« enthalten.
The captcha could contain lower case, numeric characters and special characters as »!#%&«.