The State of American Democracy

Research-based Analysis and Commentary by the Department of Politics at the John-F.-Kennedy Institute

„Alles ist möglich. Berlin ist frei.“

25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer stecken die transatlantischen Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten in der Krise. Als Verbündete war man aus dem Kalten Krieg herausgegangen, aktuell scheinen gegensätzliche Interessen stärker zu sein als gemeinsame Werte. Christian Lammert und Boris Vormann

Der Mauerfall schien wie der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Die USA und Deutschland teilten Interessen und Werte, die nach dem Ende des Systemgegensatzes Ost-West alternativlos wirkten. Gemeinsam trat man den Siegeszug der Demokratie und des liberal-kapitalistischen Systems im globalen Maßstab an. Die Rolle Deutschlands wandelte sich vom Verbündeten im Kampf gegen die Sowjetunion zum Partner in der neuen globalen Wirtschaftsordnung.

Dabei ging es keineswegs nur um Werte, sondern immer auch um Interessen. Die USA suchten Allianzen, um ihrer Position als letzte verbleibende Supermacht gerecht zu werden. Die außenpolitische Elite im Weißen Haus und im Kongress teilte mit ihren europäischen Partnern die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges und des Beginns des Kalten Krieges. Das stärkte das transatlantische Band auch auf einer persönlichen Ebene.

Das geeinte Deutschland suchte den Windschatten der Supermacht USA, um den Spagat zwischen ökonomischen Interessen und historischer Verantwortung hinzubekommen. Von diesem Schulterschluss glaubte man profitieren zu können, indem man Ja zur Globalisierung sagte, ohne die unmittelbare militärische und sicherheitspolitische Verantwortung tragen zu müssen.

Dass Freihandel zu Frieden führen würde, hatte bereits Immanuel Kant in seinem politischen Entwurf ‚Zum Ewigen Frieden‘ gemutmaßt. Folgerichtig galt auch Francis Fukuyama und anderen Anhängern der Theorie des demokratischen Friedens die globale Ausweitung des Marktes nach dem Ende des Ost-West Konflikts als alternativlos. Mit der erhofften Friedensdividende – den frei werdenden Rüstungsmitteln – sollten Gesellschaften demokratischer und gerechter werden. Das Ende der Geschichte wurde ausgerufen.

Doch die Geschichte ging weiter. Aus der transatlantischen Hoffnung erwuchs eine transatlantische Krise. Deutschland äußerte Bedenken an der Art und Weise wie die USA ihren globalen Führungsanspruch geltend machten. Stand man nach den Anschlägen vom 11. September 2001 noch bedingungslos Seite an Seite mit den USA, zeigten sich spätestens im Irakkriege Risse im transatlantischen Bündnis. Das übersteigerte Sicherheitsverständnis der USA im Krieg gegen den Terror verstärkte die Entfremdung vom deutschen Partner – wo man Lauschangriffe als Vertrauensbruch unter Freunden verstand.

Wie konnte das passieren? Wie kam es zur Krise zwischen den Verbündeten des Kalten Krieges und den Partnern in der neuen globalen Ordnung? War der Mauerfall vielleicht gar nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?

Vielleicht ging es nie um Freundschaft. Die transatlantische Hoffnung von 1989 war Ausdruck einer politischen Konjunktur: Werte und Interessen schienen unter den Bedingungen des Kalten Krieges kongruent. Dies hat sich verändert. Die Krise des transatlantischen Bündnisses ist kein Anzeichen eines scheiternden globalen Liberalismus – im Gegenteil: sie ist Folge seines Siegeszugs. Deutschland und die USA stehen nunmehr im Wettbewerb um knappe Ressourcen, Marktanteile und Sicherheit. Statt zum Ende der Geschichte führte die Globalisierung zu neuen Interessenskonflikten, die nicht folgenlos für vormals etablierte Wertegemeinschaften geblieben sind.

Zwei Entwicklungen sind maßgeblich dafür verantwortlich. Zum einen setzte US-Präsident Clinton auf eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik, um die Vereinigten Staaten im globalen Markt neu zu positionieren. Die Rückbesinnung auf das ökonomische Eigeninteresse und die damit einhergehende Beschränkung der Außenpolitik auf Demokratieexport, humanitäre Interventionen und die Sicherung von Märkten und Ressourcen stellte den Automatismus einer gemeinsamen transatlantischen Werte- und Interessengemeinschaft in Frage.

Verstärkend brach mit dem Fall des Eisernen Vorhangs außerdem der außenpolitische Konsens innerhalb der politischen Führung in den USA auf. Im Laufe der 1990er Jahre kam es zum Generationswechsel in zentralen Positionen des außenpolitischen Entscheidungsprozesses. Die neuen Eliten hatten keinen persönlichen Bezug mehr zum transatlantischen Moment der Nachkriegszeit – Außenpolitik wurde Teil parteipolitischer und ideologischer Auseinandersetzungen.

Das Spannungsverhältnis zwischen gemeinsamen Werten und unterschiedlichen Interessen manifestiert sich momentan auch in den Debatten zum transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP). Gemeinsame ökonomische Interessen müssen sich nicht unmittelbar widerspiegeln in gemeinsamen Werten. Wie an den Verhandlungen deutlich wird, kann das Abkommen sogar zu einer weiteren Entfremdung führen. Auf technokratischer und politischer Ebene lässt sich zwar ein Konsens in Fragen gemeinsamer ökonomischer Interessen finden. Wertedifferenzen führen hingegen in der breiteren öffentlichen Debatte zu Differenzen und Konflikten.

Vielleicht hat man in Deutschland nach dem Fall der Mauer die Wertegemeinschaft als Basis gemeinsamer Interessen einfach überschätzt. Staaten sind keine Freunde. Sie sind bestenfalls an einem gemeinsamen Zweck orientierte Partner. Das wirft auch ein neues Licht darauf, was Bill Clinton vielleicht meinte, als er sich am 12. Juli 1994 vor dem Brandenburger Tor an die Einwohner Berlins richtete. In seinen Schlussworten betonte er in englischer und deutscher Sprache: „Nothing will stop us. All things are possible. ‚Nichts wird uns aufhalten. Alles ist möglich. Berlin ist frei.‘ Berlin is free.”

Der Beitrag wurde am Dienstag, den 11. November 2014 um 11:13 Uhr von Boris Vormann veröffentlicht und wurde unter Allgemein abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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