Wir sind auf der Spur nach geraubten Büchern

Der Tagesspiegel berichtet am 26. Februar 2022 über zwei unserer Forschungsprojekte in den Bibliotheken des Instituts für Judaistik und des Botanischen Gartens der Freien Universität Berlin. Mit Unterstützung des Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste wird in den beiden Bibliotheken systematisch nach NS-Raubgut gesucht. Nach ersten Erkenntnissen unserer Kolleg*innen befindet sich in diesen Bibliotheken nicht nur NS-Raubgut, sondern auch ein besonders hoher Anteil an NS-Beutegut.

Hier geht es zum Artikel:

https://www.tagesspiegel.de/themen/freie-universitaet-berlin/provenienzforschung-in-bibliotheken-auf-der-spur-der-geraubten-buecher/28096974.html

Restitution an die Jüdische Gemeinde zu Berlin

Historischer Bibliotheksstempel der Jüdischen Gemeinde zu Berlin mit Zugangsnummer
© Freie Universität Berlin

Am 17. Februar 2022 konnte die Arbeitsstelle für Provenienzforschung der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin (FU Berlin) ein Buch aus der Gemeindebibliothek der Jüdischen Gemeinde Berlin restituieren. Nach mehr als 80 Jahren befindet sich der Band damit wieder im Besitz der Jüdischen Gemeinde zu Berlin (JGzB).

Im Zuge der Novemberpogrome in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die Jüdische Gemeindebibliothek Berlin und ihre neun Zweigstellen geschlossen. Bis dato umfasste der Bibliotheksgesamtbestand der JGzB ca. 100.000 Medien. Die Bibliotheksbestände wurden von den Nationalsozialisten 1939 beschlagnahmt und in das Reichssicherheitshauptamt verbracht. Teile des Bibliothekskorpus wurden u. a. über die Berliner Pfandleihanstalt oder Reichstauschstelle im Reichsministerium des Innern veräußert.

Buch: Brann, M. (Hrsg): Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums, 11. Jahrgang (1903)

Die FU Berlin erwarb das Buch antiquarisch in Oxford (England) im Mai 1964. Damit fiel die Akquisition in den Zeitraum des Aufbaus der Fachbibliothek des Instituts für Judaistik an der FU Berlin, das 1963 gegründet wurde.

Rechercheergebnis: NS-Raubgut

Weitere Informationen finden Sie unter:

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/269059

Dr. Siegbert Meyersohn: Restitution eines Buchs – 80 Jahre nach seiner Ermordung

Dr. Siegbert Meyersohn, ca. 1938
Quelle: privat

Dr. Siegbert Meyersohn wurde am 01. Februar 1886 in Bromberg (heute Bydgoszcz/Polen) als Sohn von Moritz (1858 – 1926) und Herietta (geb. Horwitz 1856 – 1927) Meyersohn geboren. Die Eltern betrieben ein gut gehendes Bekleidungsgeschäft in Bromberg. Siegbert hatte drei Geschwister Erna, Margarethe und Herbert.

Nach seinem Abitur 1905, vermutlich am (König-) Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Bromberg (Royal Friedrich High School at Bromberg), begann Siegbert Medizin in Freiburg zu studieren. Seine Dissertation schrieb er 1910 über „Typische Frakturen bei Skiläufern“ an der Universität Freiburg.

1914, zu Beginn des 1. Weltkriegs, wurde er als Arzt zum Militär eingezogen und gehörte zum Bayrischen Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 6 (Fürth), dem er laut Militärakten, bereits seit 1907 als Reservist angehörte. Siegbert war an der Westfront stationiert. Seine Entlassung aus dem Militärdienst erfolgte am 05.12.1918. In den Militärakten von 1914 ist als Wohnort Schivelbein angegeben sowie seine Frau Käthe, ein Kind und seine Eltern Moritz und Henrietta.

Die von uns gefundene Provenienz weist ihn als praktischen Arzt in Schivelbein aus. Dies deckt sich mit den Erzählungen und Aufzeichnungen der Familienangehörigen, die nach England immigriere konnte.

Siegbert heiratete am 17.10.1913 Käthe (auch Käte o. Kaethe) Salomon aus Schivelbein. Am 11.08.1914 wurde die erste Tochter des Paares, Lisa Therese, in Schivelbein geboren. Am 03.03.1921 folgte Tochter Eva.

Die Familie lebte ein harmonisches Familienleben. Die Sommer verbrachten vor allem die Frauen und Kinder der Familie am Meer. Doch das sorgenfreie, meist beschauliche Leben hatte mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 ein Ende. Anfänglich schützte Siegbert vielleicht noch seine Teilnahme am 1. Weltkrieg und seine Position als geschätzter Arzt, doch spätestens 1938, nach den Novemberpogromen in Deutschland, war diese vermeintliche Sicherheit vorbei. Siegbert wurde festgenommen und war einige Tage oder Wochen im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert. Laut Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945, des Bundesarchivs, wurde Siegbert im Dezember 1938 im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert. Laut der, im Russisches Staatlichen Militärarchiv Moskau lagernden Originalakten, hatte Siegbert die Häftlingsnummer 13240, er war in der Häftlingskategorie „Jude“ im Häftlingsblock 18 interniert. Die zuständige Institution im Konzentrationslager Sachsenhausen war die Politische Abteilung, seine Entlassung erfolgte am 12.12.1938.

Käthe, Siegbert, Lisa Therese und Eva Meyersohn 10.06.1939 – Quelle: privat

Anfang September 1939, als das Leben für Juden in kleinen Städten immer schwieriger wurde, verließen Siegbert, Käthe und Eva Schivelbein, um nach Berlin zu gehen. Zuvor war die Familie etlichen Repressalien ausgesetzt. Bruder Herbert und seine Frau Regina berichten in einer eidesstattlichen Erklärung (Wieder-gutmachungsverfahren Lisa Meyersohn gegen das Deutsche Reich) unter anderem von der gewaltsamen Beschlagnahme des Autos (amerikanische Marke Nash) und der ärztlichen Instrumente (u.a. ein Mikroskop und ein Röntgenapparat) durch die SS.

Schwester Erna mit Familie und Schwester Margarethe und Familie lebten bereits in Berlin bzw. zogen nach Berlin und so konnte man sich in den schweren Zeiten gegenseitig unterstützen. Bruder Herbert mit Familie hatte Deutschland bereits verlassen. Ebenso sein Neffe Jan Gessler. Seine Tochter Lisa Therese war bereits 1936 nach Berlin gezogen und arbeitete im Jüdischen Krankenhaus zuerst als Lehrschwester und dann als Krankenschwester.

Siegbert war, so die Aussage seiner Familie in England, schon lange ein Zionist und betrieb seine Ausreise nach Palästina. Das Gros des beweglichen Besitzes der Familie (Möbeln, Hausrat, Büchern, Gemälden, Wäsche etc.) war bereits vor der Reise nach Berlin von Schivelbein nach Hamburg versandt worden und wartete hier auf den Weitertransport nach Palästina. Die Angebote in andere Länder zu gehen schlug er aus. Seine Ausreise nach Palästina scheiterte jedoch an den Einwanderungsbeschränkungen der Mandatsmacht. Siegbert erhielt keine Einreisepapiere für sich und seine Familie.

Am 14. Dezember 1942 wurden Siegbert, Käthe und Eva Meyersohn mit dem 25. „Osttransport“ (813 Personen) von Berlin nach Auschwitz deportiert und ermordet. Sämtliches Vermögen der Deportierten wurde vom Deutschen Reich eingezogen und ging damit auf das Reich über. Ihre letzte Berliner Adresse wird in den Papieren des Standesamtes Berlin-Ost und in der Transportliste des 25. „Osttransports“ mit Maikowskistr. 107, Berlin-Charlottenburg angeben.

Im Register des Standesamtes Berlin ist am 08. November 1948 der Zeitpunkt des Todes mit „Anfang 1943 Riga/Lettland im Konzentrationslager verstorben“ angegeben. Die Abweichung von Auschwitz und Riga taucht in verschiedenen Quellen auf. Siegbert war zum Zeitpunkt seiner Deportation und Ermordung 56 Jahre, seine Frau Käthe 53 Jahre und Tochter Eva 21 Jahre alt.

Einzige Überlebende der Familie war die Tochter Lisa Therese Meyersohn (11.08.1914 Schivelbein – 2001 Brasilien). Sie konnte sich in den Kriegsjahren in Berlin verstecken. Ihre Überlebensumstände liegen im Dunkeln, auch ihre Familie in England hat zu dieser Zeit keine Informationen.

Auf der Homepage des Jüdischen Krankenhauses im Wedding (1914 eröffnet, ehemals Schulstraße heute Heinz-Galinski-Straße) ist folgendes zur Geschichte des Krankenhauses vermerkt: „Das Krankenhaus war Sammellager und Zwischenstation für die Transporte der Juden in die Konzentrationslager. Es wurde Ghetto, aber auch Zufluchtsstätte für Untergetauchte. Zur Befreiung im Jahr 1945 sollen sich zwischen 800 und 1.000 Menschen innerhalb seiner Mauern versteckt gehalten haben.“ Möglicherweise gehörte Lisa Therese zu den Menschen die sich dort verstecken konnten.

Sie wanderte 1948 nach Brasilien aus und verstarb dort 2001. Nach Aussage der Familie in England, war sie nie verheiratet und hatte keine Kinder. Ihre letzte Berliner Adresse ist in den Immigrationspapieren von 1948 mit Iranische Str. 4 (aber auch 2), Berlin N 65 angegeben – hier befand sich ein Durchgangslager für jüdische Displaced Persons (DP).

Siegbert wird von seinem Neffen Jan Gessler wie folgt beschrieben: „(…), he was a mensch. That is to say, a human being and not just somebody who lives with two legs and walks on the earth.” In einer Aufzeichnung über die Familiengeschichte für seine Kinder nennt er Siegbert u.a. auch: einen Familienmann, enthusiastischen Gärtner, miserablen Autofahrer aber sehr guten Gesprächspartner.

Folgendes ist zu Siegberts Geschwistern bekannt:

Erna, Siegbert, Margarethe (Lotte), G. (unbekannt) und Herbert Meyersohn 1903
Quelle: privat

Die Schwester Erna Meyersohn (01.03.1885 Bromberg/Bydgoszcz – ermordet 03.03.1943 Auschwitz) war mit Bruno Gessler/Geßler (07.02.1880 Liptani/Liebenthal, Tschechoslowakei – 06.10.1940 Berlin) verheiratet. Das Ehepaar hatte zwei Söhne, Hans, der sich später in Jan umbenannte (1922 Zittau – 1994 England) und Otto (1925 Zittau – ermordet 03.03.1943 Auschwitz).

Bruno Gessler ließ sich nach dem ersten Weltkrieg in Zittau nieder. Hier leitete er das Deutsche Schuhwarenhaus in der Inneren Weberstraße. Stolpersteine hat die Geschichte der Familie Gessler recherchiert. 1938 ging die Familie nach Berlin. Hans gelang 1939 die Ausreise nach England, seine Familie konnte er nicht nachholen. Vater Bruno verstarb 1940 im Jüdischen Krankenhaus in Berlin. Mutter Erna und Bruder Otto wurden mit dem 33. „Osttransport“ am 3. März 1943 von Berlin nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Die letzte gemeinsame Berliner Adresse des Ehepaars war die Tile-Hardenbergstr. 20.

Die Schwester Margarethe (Lotte) Meyersohn (26.12.1887 Bromberg/Bydgoszcz – 09.04.1976 Cincinnati) lebte in Königsberg und war mit Erich Oscher (17.02.1888 Königsberg – 13.09.1956 Cincinnati) verheiratet, der sich in den USA Eric nannte. Das Paar hatte einen Sohn namens Horst Peter (15.09.1920 Bromberg – 03.05.1973 Golf Manor, Hamilton, Ohio).

Ende der 30er Jahre zog die Familie nach Berlin. Margarethe und ihre Familie emigrierte mit einem Visum über Honduras in die USA, so die Erinnerungen von Jan Gessler. Laut Suchanfrage von Lisa Meyersohn nach ihrer Tante Lotte (Margarethe) von 1946 konnte die Familie über Panama in die USA flüchten. Am 22.09.1940 erreichten sie New York und ließen sich in Cincinnati, Ohio nieder.

Ihr Sohn Horst Peter änderte seinen Vornamen in „Horace Pete“ und war mit Hella Louise, geborene Pauson (02.10.1920 Bamberg – 19.01.2001 Tampa/Florida, USA) verheiratet. Das Paar hatte 2 Kinder: Steven (Stevie) (21.09.1947) und Vivien Ann (Vivi) (21.01.1952). Horst und Hella ließen sich am 26. September 1967 scheiden.

Der Bruder Herbert Meyersohn (25.05.1890 Bromberg/Bydgoszcz – 22.06.1966 London) machte 1908 Abitur und wurde Zahnarzt. 1934 heiratete er Regina Hirsch, geborene Less (06.02.1892 Schwetz a.W. – 20.07.1973 London). Regina Hirsch hatte zwei Söhne aus ihrer ersten Ehe mit Ismar Hirsch (01.04.1879 – 14.12.1936) Peter (16.01.1925 Berlin) und Hans, später John Hirsch (03.10.20 Berlin – 09.10.2010 England). Regina und John gelang es 1938 nach London zu immigrieren. 1939 folgten ihnen Herbert und Peter.

Sir Peter Hirsch heiratete 1959 Steve Keller, die 2 Kinder mit in die Ehe brachte Janet und Paul. John Hirsch heiratete 1948 Ann Pendlebury. Das Paar hat vier Kinder – Peter, Penny, Stella and Ann.

Als Adresse in Berlin wird im Jüdischen Adressbuch (1931/32) Dr. Herbert Meyersohn prakt. Zahnarzt: NW 23 Flensburger Str. 22 Moabit angegeben. Mit selbiger Adresse wird auch die Mutter, Henriette Meyersohn, genannt. Die letzte Berliner Adresse laut Unbedenklichkeitsbescheinigung vom 18. Januar 1939 lautet, Berlin NW 87, Levetzowstr. 11a.

Am 24. Januar 2022 – fast 80 Jahre nach der Ermordung von Siegbert Meyersohn – erreichte, das in der Universitätsbibliothek der Freien Universität gefundene Buch, Sue Gessler, die Tochter von Jan Gessler, dem Sohn von Erna Gessler der Schwester von Siegbert. Sie hat uns dankenswerterweise viele der angeführten Informationen zu Verfügung gestellt.

Bei der Recherche für die Klärung des tatsächlichen Namens für Lotte, die eigentlich Margarethe hieß, danke ich der Ahnenforscherin Julia Henke, die die Geburtsurkunde in den polnischen Archiven fand.


Weitere Informationen finden Sie unter: Looted Cultural Assets (LCA).

Wehrmacht plünderte Schulbibliothek in Frankreich

Bibliothek des Botanischen Gartens und Deutsches Technikmuseum restituieren zwei Bücher an katholisches Gymnasium

Nachdem im Zweiten Weltkrieg deutsche Truppen im Schulgebäude einer Mädchenschule in Pontlevoy einquartiert worden waren und das Haus schließlich unter nicht ganz geklärten Umständen ausbrannte, fehlte von der Schulbibliothek jahrzehntelang jede Spur. Doch dann tauchten zwei Bücher in verschiedenen Berliner Bibliotheken wieder auf.

Am 7. Dezember 2021 fand in dem kleinen französischen Ort Pontlevoy in der Nähe von Tours nun die feierliche Restitution statt. Vor versammelten Schülerinnen und Schülern konnten die beiden Bücher überreicht werden, die vor Ort als Erinnerungsstücke ausgestellt werden.

(Bildquelle: Peter Prölß)

Das erste Buch hatten Peter Prölß und Elisabeth Weber vom Deutschen Technikmuseum in deren Museumsbibliothek entdeckt. Sie gingen der auf einem Stempel im Buch genannten Schule nach: École Primaire Supérieure de Jeunes Filles de Pontlevoy. Die Schule gab es nicht mehr. Doch mit Hilfe der französischen Kommission für die Entschädigung der Opfer von Enteignungen (CIVS), konnte ermittelt werden, dass die heute am Ort ansässige Schule, das Collège le Prieuré & Lycée Catholique de Pontlevoy, restitutionsberechtigt ist.

Wenige Wochen vor der bereits organisierten Restitution tauchte in der Bibliothek des Botanischen Gartens und Botanischen Museums das zweite Buch aus derselben Mädchenschule auf. Es enthält nicht nur den Stempel der Schule, sondern noch weitere Spuren der Schülerinnen aus Pontlevoy: Zwischen den Seiten liegen einige gepresste und getrocknete Pflanzen, die vielleicht auf Schulausflügen gepflückt wurden.  

Wie die beiden Bücher in die Berliner Museumsbibliotheken gelangen konnten, ließ sich auch noch klären. Die in Pontlevoy stationierten Soldaten gehörten zum Wehrkreis III (Berlin), über den die beschlagnahmten Bücher weiterverteilt wurden. Möglicherweise tauchen in Berliner Bibliotheken noch weitere Bände aus dieser zerstörten französischen Schulbibliothek auf.

Das Buch aus der Bibliothek des Botanischen Gartens ist hier in der LCA-Datenbank zu sehen.

Das Buch des Deutschen Technikmuseums ist hier als Objekt des Monats dokumentiert. Denn das Technikmuseum ist leider noch kein Kooperationspartner bei LCA.

Von der Restitution berichtete unter anderem die französische Zeitung La Nouvelle République.

Neues Mitglied bei LCA: Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg (UB JCS)

Wir begrüßen unser jüngstes Mitglied, die Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg (UB JCS) in unserer LCA Kooperation und freuen uns auf die Zusammenarbeit!

Die UB JCS hat im November 2020 ein Projekt zur Provenienzforschung begonnen, das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste für zunächst zwei Jahre gefördert wird und beim Archivzentrum der UB angesiedelt ist. Im Laufe des Projekts sollen rund 80.000 Bände der UB auf ihre Herkunft überprüft werden.

Weitere Informationen über die Universitätsbibliothek JCS und zum Projekt finden Sie hier.

https://www.ub.uni-frankfurt.de/provenienz/projekt-raubgut.html

Restitution aus dem Archiv des Arbeiterjugend-Verlags Berlin an die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES)

Arbeiterjugend-Verlag Berlin

Der Arbeiterjugend-Verlag Berlin (AJV) wurde 1920 gegründet und war Herausgeber von Publikationen der Sozialistische Arbeiter-Jugend (SAJ) im Umkreis der SPD. Vor dem Verbot und der Zerschlagung der SAJ 1933 im Nationalsozialismus, leitete August Albrecht (1890–1982) den Arbeiterjugend-Verlag Berlin. Nach 1945 gingen die Rechte des AJV auf den Verlag J.H.W. Dietz Nachf. über. Der J.H.W. Dietz Nachf. Verlag wurde ebenfalls verboten, 1934 aus dem Handelsregister gelöscht und dessen Vermögen vom NS-Staat eingezogen.

Emil Reinhardt Müllerein Verfolgter in der NS-Diktatur

Als ab 1933 umfangreiche Beschlagnahmeaktionen zur Sicherstellung sogenannten „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ starteten, wurden auch Autoren des Arbeiterjugend-Verlag Berlin aufgrund ihrer sozialistischen Gesinnung verfolgt und verboten. Auf den so genannten „Schwarzen Listen“ unbeliebsamer Autoren des Bibliothekars Wolfgang Herrmann stand auch Emil Reinhard Müller (1879 – 1950, Pseudonym Sonnenmüller). Emil R. Müller widmete sich und seine Literaturwerke der Arbeiterjugend. Er engagierte sich in Magdeburg für die Ideale der sozialistisch kulturellen Jugendbildung und war im Widerstand gegen die NS-Diktatur aktiv.

Buch: Müller: Emil, Reinhardt:
Narrenglück – Ein Spiel für die Jugend in zwei Teilen (1923)

Das Buch stammte mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Depot des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) in der Eisenacher Str. 11-13 in Berlin Schöneberg und kam über die Alfred Weiland Sammlung in die Bestände der Universitätsbibliothek.

Rechercheergebnis: NS-Raubgut

Weitere Informationen finden Sie unter:

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/249224

Restitution an Nachfahren der Holocaust-Opfer Margarete und Charlotte Tichauer

Am 26.07.2021 konnte die Arbeitsstelle Provenienzforschung der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin ein Buch an die Erben von Margarete „Grete“ Fuchs (geb. Tichauer) und Charlotte „Lotte“ Tichauer in Israel restituieren.

Margarete Tichauer wurde am 6. April 1893 in Breslau geboren. Lotte kam 24. April 1909 zur Welt. Sie waren in ihrer Jugendzeit vermutlich Mitglieder im jüdisch-liberalen Jugendverein zu Breslau und im jüdischen Wanderbund „Kameraden“, Ortsgruppe Ratibor O/S.

Am 26. Januar 1943 wurde Charlotte nach Auschwitz deportiert. Margarete Fuchs musste am 4. März 1943 mit einem Transport von Breslau nach Auschwitz folgen. Grete und Lotte wurden in der Shoah ermordet.

Das Buch wurde von der Universitätsbibliothek 1951 antiquarisch erworben. Der Weg, den der Band bis dato genommen hatte, konnte nicht rekonstruiert werden.

Mithilfe der in Yad Vashem identifizierten Gedenkblätter war es uns gelungen, eine Nichte von Margarete Fuchs in Israel zu identifizieren, die als Erbempfängerin auftritt.

Buch: Richtlinien zu einem Programm für das liberale Judentum nebst den Referaten und Ansprachen auf den Rabbinerversammlungen zu Berlin und Frankfurt am Main und auf der Delegiertenversammlung der Vereinigung für das liberale Judentum zu Polen. (1912)

Rechercheergebnis: NS-Raubgut

Weitere Informationen finden Sie unter: https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/238063

Tichauer, Lotte Charlotte

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de982090

Fuchs, Margarete Grete

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de982090

Joods Monument

https://www.joodsmonument.nl/en/page/199327/charlotte-dribbel-tichauer

Gemeinsame Restitution der LCA Kooperation von 9 Büchern der „Jüdische Schülerbibliothek Pilsen“ gelungen

Jüdische Schülerbibliothek Pilsen

Am 29.07.2021 konnten die Universitätsbibliothek der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und die Arbeitsstelle Provenienzforschung der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin neun Bände aus dem ehemaligen Bestand der Jüdische Schülerbibliothek Pilsen an die Föderation der Jüdischen Gemeinden in der Tschechischen Republik restituieren.

Bereits Ende der 1870er Jahre etablierte der Rabbiner und Pädagoge Dr. Adolf Kurrein in Linz die erste jüdische Schülerbibliothek auf dem Gebiet der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Seitdem propagierte er die Einrichtung solcher Bibliotheken – nicht nur als Ergänzung zum israelitischen Religionsunterricht, sondern auch zur „Belehrung über jüdisches Leben, jüdische Geschichte und Literatur, jüdische Vergangenheit und Gegenwart“. Wir können davon ausgehen, dass auch zionistische Motive als treibende Kraft hinter der Idee standen.

Auch in Pilsen wurde eine jüdische Schülerbibliothek ins Leben gerufen. Als gemeinnützige Einrichtung war man auf Spenden angewiesen. Als Förderer konnte bisher die Pilsner Loge „Union“ (gegr. 1892) des Ordens B’nai B’rith nachgewiesen werden.

Nach der Auflösung jüdischer Institutionen im „Protektorat Böhmen und Mähren“ folgte im Juli 1939 die Aufforderung zur Meldung aller jüdischen Vereine, Stiftungen und vereinsähnlichen Organisationen. Diese waren seit dem 5. März1940 der Prager Kultusgemeinde gegenüber weisungsgebunden und mussten sämtliches Vermögen an diese übertragen. Die Prager Kultusgemeinde verwaltete im Auftrag der „Zentralstelle für Jüdische Auswanderung“ alle jüdische Zwangsorganisationen bis zu deren (teils „freiwilliger“ Selbst-) Auflösung. Dies betraf ebenso die Jüdische Schülerbibliothek Pilsen. Ein Großteil der geraubten Bücher im Protektorat wurde nach Theresienstadt und/oder nach Prag geschafft.

Einige der identifizierten Bücher enthalten ausradierte Zugangsnummern, die teils noch lesbar sind. Diese Nummern finden sich samt Titel wieder auf den Übernahmeprotokollen des Prager „Jüdischen Zentralmuseums“, an das sie im August und im November 1944 seitens der Treuhandstelle vermittelt worden waren. Im Museum überdauerten sie das Kriegsende. Im Fall der Heidelberger Bücher war es Rabbiner Emil Davidovic, der Bücher aus dem Museum in den 1960er Jahren in die Bundesrepublik gebracht hatte, im Fall der FU Berlin sind die genauen Umstände des Zugangs unklar.

Exemplar aus dem Bestand der Universitätsbibliothek der FU Berlin:

Agnon, Shemu’el Yosef: Der Verstoßene, Berlin 1923

Exemplare aus dem Bestand der Bibliothek der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg:

Kellner, Leon: Jüdische Weihestunden, Czernowitz 1914

Kohn, Pinchas Jacob: Rabbinischer Humor aus alter und neuer Zeit, Berlin 1915 [Link zum Digitalisat]

Lehmann, Marcus: Akiba, Frankfurt a. M. 1920

Löhr, Max: Volksleben im Lande der Bibel, Leipzig 1907

Löwy, Markus: Amschelberger Jugenderinnerungen, Prag 1909 [Link zum Digitalisat]

Rothschild, Theodor: Bausteine zur Unterhaltung und Belehrung aus jüdischer Geschichte und jüdischem Leben, Frankfurt a. M. 1913

Seligmann, Caesar: Hagada. Liturgie für die häusliche Feier der Sederabende, Frankfurt a. M. 1913

Wolbe, Eugen: Ludwig August Frankl. Der Dichter und Menschenfreund, Frankfurt a. M. 1910

Ausgewählte Literatur und Quellen

Heim, Susanne und Maria Wilke: Deutsches Reich und Protektorat Böhmen und Mähren, Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland Band 6, Berlin/Boston 2019.

Luft, Robert: Das Bibliothekswesen in Böhmen und Mähren während der Nationalsozialistischen Herrschaft 1939-1945, Bohemia 30 (1989), S. 295-342 [skizzenhaft zu den jüdischen Bibliotheken auf S. 337f.]

Wolf Gruner: Die Judenverfolgung im Protektorat Böhmen und Mähren, Göttingen 2016.

Spenden an die Schülerbibliothek:

http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/9598891

http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/9598482

http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/9598167

Zur „Ausschaltung der Juden aus dem öffentlichen, wirtschaftlichen- und gesellschaftlichen Leben“ im Protektorat:

https://www.herder-institut.de/no_cache/digitale-angebote/dokumente-und-materialien/themenmodule/quelle/2048/details.html

Allgemeines zur Gründung jüdischer Schülerbibliotheken in Österr.-Ungarn:

https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=jvs&datum=19091027 (S.4)

https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=jvs&datum=19080601 (S.1f.)

Tätigkeitsbericht der Prager Treuhandstelle:

https://collections.jewishmuseum.cz/index.php/Detail/Object/Show/object_id/142202

Rückgabe von Beutegut an die Stadtbibliothek Tartu in Estland

Bildquelle: Deutsche Botschaft in Tallinn, Estland
Kristjan Teedema

In der Stadtbibliothek Tartu in Estland fand am 28. Juni 2021 die feierliche Rückgabe von Beutegut aus der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin statt, das während der deutschen Besatzung im März 1943 widerrechtlich von Estland nach Berlin verbracht wurde. Die offizielle Übergabe wurde von Anne Kathrin Kirsch, Kulturattaché der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Estland an die Bibliotheksdirektorin Krét Kaljusto-Munck und Tiina Tarik überreicht. Die Rückführung wurde in Kooperation zwischen der Arbeitsstelle Provenienzforschung mit dem Auswärtigen Amt Berlin durchgeführt.

Anhand eines erhaltenen Inventarbuches der Stadtbibliothek von Tartu konnte ein Werk von Friedrich Engels: Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen aus der „Alfred Weiland Sammlung“ der UB nachgewiesen werden. Der Text gehört zum unvollendeten Werk  „Dialektik der Natur“, das Friedrich Engels 1876 zur Philosophie der Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts verfasst hat. Nach Engels Tod 1895 wurde der Text erstmals 1896 von Eduard Bernstein in der „Neuen Zeit“ veröffentlicht.

Das Werk wurde im Inventarbuch unter der Aktennummer 4.399 am 31. März 1943 ausgesondert. Diesem Inventarbuch lag die „Verordnung über schädliches Schrifttum vom 30. Januar 1943“. Die dort aufgeführten Bücher sollten dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) zur Verfügung gestellt werden. Das Buch ist von ERR über das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in die Sammlung Alfred Weiland gelangt. Alfred Weiland war von Juni 1945 bis Februar 1946 beim Bezirksamt Berlin-Schöneberg, Volksbildungsamt beschäftigt. Das Amt befasste sich u. a. mit der Sichtung und Sortierung der Bestände aus der ehemaligen Bibliothek des RSHA in der Eisenacher Straße 11-13. Im Juli 1945 lagerten in den Kellerräumen des ehemaligen Logengebäudes ca. 50-60.000 Bände. Alfred Weiland war an den Abwicklungsarbeiten der ehemaligen Bestände der Zentralbibliothek des RSHA beteiligt.

Die Bibliothek Tartu Linna Keskraajatukogu (Tartuer Zentrale Stadtbibliothek) wurde 1913 von der Gesellschaft der Tartuer Volksbibliothek in Litauen gegründet. Die Bibliothek verdankt ihren Bestand verschiedener Gesellschaften, Verleger und Buchhändler der Stadt. 1940 umfasste die Bibliothek ca. 30.000 Bände. Nach der sowjetischen Okkupation im Juni 1940 wurden mehrere Tausend Bände aus ideologischen Gründen ausgesondert. Zwischen 1941 und 1944 erfolgten seitens der deutschen Besatzungsmacht weitere Zwangs-Aussonderungen von Büchern, die als Beutegut nach Deutschland verbracht worden sind.

Weitere Informationen zur Übergabe finden Sie hier:

LCA Datenbank: https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/251270

Facebook Seite der Deutschen Botschaft in Tallinn: https://www.facebook.com/DeutscheBotschaftTallinn/posts/3373233019631511

Pressestimmen aus Estland: https://tartu.postimees.ee/7281125/saksamaa-tagastas-tartu-linnaraamatukogule-kahjulikuks-tunnistatud-trukise1 / 11

Schenkung an die Jüdische Gemeinde zu Berlin

Am 23.06.2021 konnte die Arbeitsstelle für Provenienzforschung der Freien Universität Berlin fünf Fragmente von mindestens zwei verschiedenen Toraschriftrollen als Schenkung an die Jüdische Gemeinde zu Berlin (JGzB) übergeben.

© Marcus Dost, FU Berlin

In den 1970er-Jahren wurden diese unvollständigen Teilstücke anonym vor den Türen des Instituts für Judaistik abgelegt. Über den Ursprung der Fragmente ist nichts bekannt. Nachdem diese als Anschauungsmaterial im Lehrbetrieb genutzt worden sind, erfolgte erst 2019 die Wiederentdeckung durch die Mitarbeiter*innen der Universitätsbibliothek.

Die Fragmente weisen mittlere bis starke Gebrauchsspuren auf und es fehlen die Rollstäbe. Auf einem Pergament war ein mutwilliger Ausschnitt zu erkennen. Mithilfe einer Toraschriftgelehrten (hebr. Soferet) gelang es, zwei unterschiedliche Schrifttypen (hebr. ktav Admor HaZaken und ktav Beit Yosef) zu identifizieren, die eine geografische Zuordnung ermöglichten. Die Herkunft ist deshalb im osteuropäischen Raum zu vermuten.

Deutlich zu erkennen, dass hier mutwillig im Fließtext (Kapitel 8, zweites Buch Moses) ein Ausschnitt vorgenommen wurde.
© Marcus Dost, FU Berlin

Da ein NS-verfolgungsbedingter Entzug oder eine andere Form der unrechtmäßigen Entwendung nicht ausgeschlossen werden konnte, war es der Wunsch der Freien Universität Berlin, die Tora-Fragmente an die JGzB als Schenkung zu übergeben. Die entweihten Teilstücke sollen in die Genisa (dt. Archiv) überführt und im Anschluss auf einem jüdischen Friedhof bestattet werden. Damit möchte die FU Berlin dem jüdischen Brauch nachkommen, der sich von dem 3. Vers im Traktat Schabbat 115a der Mischna ableitet: „Man darf alle heiligen Schriften aus einer Feuersbrunst retten, ob man aus ihnen liest oder nicht. Auch wenn sie in irgendeiner anderen Sprache geschrieben sind.“

Wir freuen uns außerordentlich, dass wir mit der JGzB einen Ort gefunden haben, womit diese Fragmente in die jüdische Religionsgemeinschaft zurückkehren können.

Weitere Informationen finden Sie unter: https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/262083