Diskutieren in Studierendenrunde

Manche Ideen für die Online-Lehre im Kreativsemester erweisen sich dann doch nicht als so zündend wie gedacht – so zum Beispiel das schriftliche Diskutieren von Übersetzungsvarianten in der sprachpraktischen Übung Übersetzen aus dem Arabischen und ins Arabische im Masterstudiengang Arabistik.

Ursprünglich plante ich, die Argumentations- und Reflexionskompetenz hinsichtlich Übersetzungen, die für gewöhnlich in  in-class discussions stattfinden würde, ausschließlich in schriftlicher Form erproben zu lassen, nämlich im Diskussionsforum im Blackboard. Hinzu sollten monatliche Live-Sessions von ca. 60 Minuten kommen, in denen die Forenkommentare aufgegriffen und noch einmal mündlich reflektiert werden sollten.

Schriftliches Diskutieren in einem Forum funktioniert nicht in allen Lehrveranstaltungskontexten

Allerdings fällt es gar nicht so leicht, schriftlich über die eigene Übersetzung sowie die Vorschläge von Mitstudierenden zu diskutieren, sodass im Prinzip nur einmal jede/r Teilnehmende auf meine Initialfragen zu den Übersetzungsvorschlägen antwortete – und dann verstummten die Diskussionen. Das mag daran liegen, dass wir Übersetzungen – sowohl die eigenen als auch die von anderen – für gewöhnlich nicht ‚reviewen‘, und schon gar nicht in schriftlicher Form. Sich mündlich zu einem Übersetzungsvorschlag zu äußern, fällt vergleichsweise leicht; es zu verschriftlichen erfordert andere Kompetenzen. Möglicherweise hat man das Gefühl, logischer argumentieren zu müssen, einen reißfesten roten Faden im geschriebenen Übersetzungskommentar weben zu müssen. Zumindest hat die zurückhaltende Beteiligung im Diskussionsforum in dieser Lehrveranstaltung gezeigt, dass sich die sonst mündlich und synchron in face-to-face-Veranstaltungen doch rege Beteiligung nicht einfach in den schriftlichen und asynchronen Raum eines Diskussionsforums in Blackboard übertragen lässt.

Schriftlich Kollaborieren – eine Herausforderung

Auch das Kollaborieren an einer Übersetzung mit Hilfe eines Wikis in Blackboard ist eher ungewohnt. Was vielleicht in der Arbeitsgruppe im face-to-face-Unterricht noch gut funktioniert, stößt in schriftlicher Form schlicht an seine Grenzen:

Übersetzungsvarianten vorschlagen, kommentieren, redigieren, Vokabeln nachschlagen und deren Bedeutungen besprechen, das ‚richtige‘ Wort auswählen, andere Wörter ausschließen, Wortstellungen umformen, … das alles zu verschriftlichen ist ein hoch gestecktes Lernziel, das ohne nötige Vorbereitung eigentlich nicht zu erreichen ist.

Aus diesem Grund entschied ich mich, die mündliche Diskussion in anderer Form zu ermöglichen.

Live-Diskussionsrunden ja, aber zunächst ohne mich!

Ich wollte aber den ursprünglichen Gedanken, dass die Studierenden untereinander diskutieren und gemeinsam an einer Übersetzung arbeiten, beibehalten; und so hatte ich die Idee, dass sich die Studierenden zunächst eine Woche vor unserer gemeinsamen Live-Sessions in einer rein studentischen Sitzung – also ohne mich!* – zusammenfinden, um gemeinsam ihre Übersetzungen zu besprechen und sich auf eine Variante zu einigen, die wir dann in der gemeinsamen Sitzung diskutieren würden.

So hatte ich in Cisco WebEx einen Raum und eine Sitzung angelegt, in der jede Person mit Host-Rechten in Cisco WebEx Host dieser Sitzung sein konnte – und Studierende der Freien Universität haben diese Möglichkeit ja! Die Daten stellte ich entsprechend in Blackboard ein und hoffte schlichtweg, dass sich die Studierenden auch tatsächlich zu dem genannten Termin einfinden würden und zusammen arbeiten würden.

Meine Hoffnungen wurden nicht enttäuscht, wie sich in der gemeinsamen Live-Session diese Woche zeigte. Ich habe in der Arabistik selten so einen spannenden Austausch über Übersetzungsvarianten erlebt. Es war unglaublich bereichernd, die Gedanken der Studierenden zu Übersetzungsvarianten zu hören. Auch wenn die ursprüngliche Idee war, diese Reflexion zu verschriftlichen, so zeigte mir die Live-Session doch, dass Übersetzungskurse auch in Online-Form funktionieren können, wenn man einen entsprechenden asynchronen Rahmen schafft und ggf. auch Flexibilität hinsichtlich der Austauschmöglichkeiten von Studierenden.

Der neue Ablaufplan für diesen Kurs

Natürlich erforderte das Einschieben einer studentischen Diskussionsrunde ein Umbauen des Semesterplans, sodass dieser für die zweite und dritte Runde an Texten nun wie folgt aussieht:

  • bis 26.5.2020 – Texte zur Übersetzung im Wiki einstellen (oder an Dozentin übermitteln, die sie dann anonym einstellt) – II (Arabisch–Deutsch)
  • bis zum 1.6. – Texte zur Übersetzung im Wiki einstellen (oder an Dozentin übermitteln, die sie dann anonym einstellt) – II (Englisch/Deutsch–Arabisch)
  • 2.6.2020 – 2. Diskussion in Studierendenrunde (= 4. Live-Session)
  • bis 8.6.2020 – Einstellen der kollaborativ erarbeiteten Übersetzung im Wiki
  • 9.6.2020 – 5. Live-Session zur Besprechung der Übersetzungsvorschläge II; 2. Evaluation des Prozederes
  • bis 16.6.2020 – Texte zur Übersetzung im Wiki einstellen (oder an Dozentin übermitteln, die sie dann anonym einstellt) – III
  • bis 22.6.2020 – Einstellen der kollaborativ erarbeiteten Übersetzung im Wiki
  • 23.6.2020 – 3. Diskussion in Studierendenrunde (= 6. Live-Session)
  • bis 29.6.2020 – Einstellen der kollaborativ erarbeiteten Übersetzung im Wiki
  • 30.6.2020 – 7. Live-Session zur Besprechung der Übersetzungsvorschläge III; 2. Evaluation des Prozederes; Vorbereitung auf mündliche Prüfung
  • bis 14.7.2020 eigenständige Vorbereitung der Texte mit eigenständiger Diskussion im Forum und ggf. in studentischen Diskussionsrunden
  • 14.7.2020 mündliche Prüfung/Fachgespräch*: Übersetzen von 2 zufällig ausgewählten Texten (je einer pro Richtung), Gespräch über die Übersetzung, Gespräch über Methoden des Übersetzens allgemein

Insgesamt nehmen die Studierenden in dieser Lehrveranstaltung also an 7 synchronen Sessions teil; der Rest ist intensives, eigenständiges Arbeiten an den Übersetzungen.**


*Dem Gedanken, dass ‚weniger Dozent‘ dem Lern- und Erkenntniserfolg unter Umständen – wie solchen eines Online- und Kreativsemesters – ganz zuträglich ist, widme ich in den kommenden Tagen oder Wochen einen eigenen Beitrag.

**Warum mir dieses intensive und eigenständige Arbeiten – damit also die Erhöhung des Selbststudienanteils in dieser Lehrveranstaltung im Vergleich zur face-to-face-Variante desgleichen Kurses – sinnvoll erscheint unter den gegebenen Umständen und was das alles mit der Idee von ‚Gegenübersetzungen‘ zu tun hat, reflektiere ich in einem nächsten Beitrag.

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