Hypothesen und Lernfragen zu den „Ostlingen“ in Herr der Ringe

Weitere Erfahrungen im problembasierten Lernen (PBL)

Wie ich im letzten Beitrag schrieb, habe ich die sieben Sprünge des problembasierten Lernens (PBL) in drei Sitzungen aufgeteilt.

Präsentation erstellt mit Pitch

Nachdem die Studierenden in der letzten Sitzung zunächst Begriffe hinterfragt und diskutiert haben und erste Hypothesen aufgestellt haben und Wissenslücken ausgemacht haben, hatten sie zur Sitzung am vergangenen Montag die Aufgabe, sich neues Wissen anzueigenen, sich Antworten auf ihre eigenen Lernfragen zu erarbeiten und ihre Rechercheschritte und die verwendeten Quellen zu dokumentieren. Die Ergebnisse dieser Recherchen tauschten die Studierenden dann wiederum in ihren Gruppen aus:

Präsentation erstellt mit Pitch

Bevor es aber zu dieser ausgiebigen Gruppenarbeit kam, sollten die Studierenden im Plenum den jeweils anderen beiden Gruppen ihre hauptsächlichen Hypothesen, Lernfragen und erste Quellen präsentieren.

Präsentation erstellt mit Pitch

Folgende Hypothesen wurden u.a. formuliert (in unbestimmter Reihenfolge):

  • Schwarz und Weiß oder dunkel und Licht dienen als Markierung von Böse und Gut.
  • Die filmische Darstellung und die literarische Vorlage korrespondieren nicht.
  • Der Eindruck, dass die Darstellung „arabisch“ wirke, ist gefärbt von Sehgewohnheiten und ggf. von Sozialisierung. 
  • Ein Film wie Herr der Ringe hat keinen dokumentarischen Anspruch, also geht es nicht um eine „authentische“ Darstellung.
  • Die Aufmachung der Ostlinge ist überhaupt nicht „arabisch“.
  • Selbst im Fantasy-Bereich refklektieren die Darstellungen von Figuren kulturelle Codes. 
  • Es gibt einen Kanon von Symbolen und Darstellungen, die als „orientalisch“ wahrgenommen werden.
  • In Filmen wird Kulturelles verkürzt zu einem gemeinhin erkennbaren Symbol; es geht darum, dass der Zuschauer eine bestimmte Assoziation hat und für solche Assoziationen haben sich bestimmte Symbole (Schleier, fliegende Teppiche, Kajal, ein bestimmter Akzent, …) als besonders erfolgreich herausgestellt. 
  • Typische oder symbolhaft verkürzende Darstellungsweisen von Kultur in Filmen sind immer negativ. 
  • Darstellungsweisen im Film müssen nicht kulturell „authentisch“ sein, um vom Zuschauer als zu einer bestimmten Kultur gehörend angesehen zu werden; denn auch das Bild des Zuschauers ist u. U. „verkürzt“ oder durch Vorurteile geprägt oder dadurch, dass die Kultur selbst noch nie erlebt wurde, sondern nur aus den Medien bekannt ist.
  • Die Verteilung der Rollen von Gut und Böse wird deutlich in Ost und West unterteilt, was eventuell durch die Nachkriegszeit/Kalter Krieg bzw. die Zeit der Entstehung von HdR beeinflusst wird.
  • Die „Ostlinge“ werden von den Filmemachern mit stereotypischen „arabischen“ Merkmalen versehen, obwohl es sich um einen Fantasy-Film handelt.
  • Die visuelle Darstellung der Armee unterstützt die Assoziation mit dem Bösen/ Barbarischen.
  • Darstellung der Ostlinge als die Bösen passt in das Weltbild der meisten Leute unserer Gesellschaft -> Identifikation des Westens mit dem Guten, des Orients mit dem Bösen.
  • Durch Vorurteile geprägtes Weltbild wird in Medien präsentiert, gefördert, gestützt (Nachrichtenerstattung, Filme, Social Media).

Als Lernfragen oder Wissenslücken wurde u.a. Folgendes genannt:

  • Was bedeutet der Begriff „Orient“ und welche begriffliche Wandlung hat er durchlaufen?
  • Was hat „Orient“ mit „Orientalismus“ zu zun?
  • Welche Darstellungsweisen werden gemeinhin als „arabisch“ wahrgenommen? Was sind die Merkmale dieser „arabisch“ wirkenden Personen? Gibt es eine „typisch“ arabische Darstellungsweise? 
  • Gibt es Darstellungen von „klassisch arabischer“ Kampftracht? Wenn ja, wie sieht diese aus und wie verhält sich diese zur Darstellung der Ostlinge? Lässt sich hier nachvollziehen, warum man die Darstellung als „arabisch“ ansehen könnte? Oder ist die Darstellung nicht viel eher schwammig „orientalisch“ anmutend aber gar nicht spezifisch „arabisch“?
  • Was ist Selbst- und Fremdwahrnehmung?
  • Was ist Othering?
  • Hat sich die Symbolhaftigkeit mancher „typisch orientalischer“ Darstellungsweisen über die Jahrzehnte geändert? Für heute noch das als „orientalisch“ wahrgenommen, was beispielsweise 1940 als „orientalisch“ empfunden wurde?
  • Wie verhalten sich „Film“ und „Authentizität“ zueinander?
  • Wie verhalten sich „Film“ und „kulturelle Codes“?
  • Welche Beispiele aus anderen Filmen finden sich, wo Personen „arabisch“ oder Orte/Dinge „orientalisch“ wirken?
  • Was ist ein Stereotyp?
  • Was ist ein Klischee?
  • Welche Rolle spielen die Medien bei der Vermittlung von Kultur aber auch von Stereotypen?

Diese Beispiele zeigen, dass die Gedanken der Studierenden in viele verschiedene Richtungen gehen, die alle mit dem Thema der Lernwerkstatt „Araber und Orient in Hollywood“ zu tun haben, sich aber auch in wissenschaftlich-kritischer Weise darüber hinwegbewegen und zu übergreifenden Themen wie Filme als Medium für die Kommunikation von Ideologien, Traditionen, Mythologien, politischer Agenda usw. gelangen.

Für die dritte und letzte Sitzung im Rahmen der Beschäftigung mit Fallskizze 1 haben die Studierenden sodann die Aufgabe, die Ergebnisse ihrer Gruppen- und Einzelarbeit abschließend zu präsentieren:

Präsentation erstellt mit Pitch

Ich bin gespannt, in welcher Form die Studierende ihre Ergebnisse präsentieren werden.

Anschließend wird es in der kommenden Sitzung die Möglichkeit geben, dass die Studierenden die Arbeit an Fallskizze 1 für sich evaluieren; außerdem werde ich eine anonyme Umfrage erstellen, in der die Studierenden mir gegenüber noch einmal Rückmeldung zum problembasierten Lernen geben können.

Gedanken zur zweiten PBL-Sitzung und zu den bisherigen Ergebnissen

Dadurch, dass sowohl ich meine als auch die Studierenden ihre Arbeit an Fallskizze 1 in Blackboard in Wikis dokumentieren, ist die Entwicklung des Lernens und die Wissensaneignung gut nachzuvollziehen. Ich denke, dass es auch für die Studierenden in EinS@FU ungewohnt ist, sich das Lernen derart bewusst zu machen und sogar schriftlich festzuhalten. Bestenfalls führt eine solche Dokumentation natürlich zum Reflektieren über die eigenen Lernprozesse.

Die Hypothesen und Lernfragen zeigen für mich aber auch, dass die Methode des problembasierten Lernens trotz aller Unsicherheiten sowohl auf meiner Seite als auch auf Seiten der Studierenden inspirierend und aktivierend wirkt. Die Studierenden sind durch die Beschäftigung mit Einzelbegriffen und selbst aufgestellten Thesen sowie durch die Recherche für eigene Lernfragen und Wissenslücken selbstständig zu denjenigen Punkten gekommen, die ich als Qualifikationsziele für die Lernwerkstatt formuliert hatte:

  • Die Studierenden erkennen ‚Film‘ (gemeint sind auch Serien, ggf. Musikvideos und Videogames) nicht nur als Quelle der Geschichts- und Kulturwissenschaften sondern allgemein als Form des kulturellen Diskurses;
  • sie kennen Analysekategorien und Begrifflichkeiten, um die Repräsentation von ‚Arabern‘, ‚Arabisch‘ und dem ‚Orient‘ in Filmen und Serien zu beschreiben und zu diskutieren und können geeignete Ressourcen ermitteln;
  • sie können reflektieren, was in Filmen und Serien repräsentiert wird und was abwesend bleibt;
  • sie können Filme und Serien als Medium für die Kommunikation von Ideologien, Traditionen, Mythologien, politischer Agenda, usw. analysieren;
  • sie haben ein Verständnis dafür, wie Filme und Serien auf Emotionen wirken, Interesse hervorrufen, belehren, Vorstellungen in Frage stellen usw.

Die Erkenntnis, das die Studierenden selbstständig zu diesen Qualifikationszielen gelangten, werde ich in der letzten Sitzung vor der Winterpause explizit formulieren, wenn ich die wichtigsten Punkte aus der ersten Fallskizze zusammenfasse und mit weiteren Beispielen aus Film und Fernsehen unterfüttere.

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