Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

gijzelaar

Die drei Niederländer, die in Nigeria entführt waren, sind wieder zuhause. Ob Lösegeld gezahlt wurde, ist nicht ganz klar, aber wichtig ist vor allem, dass die Entführung glimpflich abgelaufen ist und die Geiseln wieder in den Niederlanden sind. Die Schlagzeile auf NOS.nl lautete gestern Gijzelaars met de dood bedreigd.

Gijzelaar ist ein seltsames Wort. Es kann nämlich zwei gegensätzliche Bedeutungen haben: sowohl ‚Geisel‘ als auch ‚Geiselnehmer‘. Meist wird es in der ersten Bedeutung verwendet, also für ‚jemanden der als Geisel genommen wird‘. So auch in der genannten Schlagzeile.

Diese passive Bedeutung ist auch die älteste: ursprünglich hatte das Niederländische dafür das Wort gisel, die direkte Entsprechung zum deutschen Wort Geisel. Der Taaladviesdienst vermutet, dass dieses Wort wohl nicht mehr als Personenname erkannt wurde und daher (schon im Mittelniederländischen) um das Suffix -aar ergänzt wurde, das typischerweise zur Bezeichnung von Personen dient.

Wörter auf -er bzw. -aar sind aber meist von einem Verb abgeleitet und dienen dann dazu denjenigen zu bezeichnen, der die Handlung verrichtet. Ein handelaar ist ein Händler, jemand der handelt (und nicht jemand der gehandelt wird). In unserem Fall führt das dazu, dass das Wort gijzelaar leicht als deverbale Ableitung (vom Verb gijzelen ‚als Geisel nehmen‘) reinterpretiert werden kann. Dann liegt aber die aktive Interpretation (‚derjenige der Geiseln nimmt‘) nahe. Die Konfusion, die dadurch entstehen kann, führt nicht selten zu Vermeidungsstrategien. Für die passive Bedeutung wird dann de gegijzelde verwendet und für die aktive de gijzelhouder oder de gijzelnemer. Dies ist auch, was der Taaladviesdienst empfiehlt.

Übrigens steht gijzelaar nicht völlig isoliert dar. Als weiteres Beispiel nennen die Nachschlagewerke meist den martelaar (‚Märtyrer‘). Auch dieses Wort ist ursprünglich keine deverbale Ableitung, wurde aber im Laufe der Zeit als solche reinterpretiert, also als Ableitung von martelen (‚foltern‘). Und dann haben wir wieder dieselbe Situation: sprachstrukturell müsste das Wort eigentlich das Gegenteil von dem bedeuten, was es tatsächlich bedeutet, also ‚derjenige der foltert‘ statt ‚derjenige der gefoltert wird‘.

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Der Beitrag wurde am Dienstag, den 13. Mai 2014 um 11:00 Uhr von Matthias Hüning veröffentlicht und wurde unter Grammatik, Sprachwandel, Wortbildung abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

2 Reaktionen zu “gijzelaar”

  1. JanZ

    Gibt es im Deutschen das Verb „geiseln“? Ich kenne nur „als Geisel nehmen“.

  2. Matthias Hüning

    Hhmm… da haben Sie mich aber jetzt in tiefe Selbstzweifel gestürzt…
    Das war wohl ein Niederlandismus. Ich habe das gerade im Text geändert.

    Hinweis für andere Leser/innen:
    ich hatte im obigen Beitrag ursprünglich geschrieben, dass ein gijzelaar ‚jemand der gegeiselt wird‘ ist. Das Verb geiseln scheint es aber im Deutschen gar nicht zu geben (im Gegensatz zum Niederländischen gijzelen). Tja.

    Interessant ist übrigens, dass sich daraus dann auch gleich ein möglicher Erklärungsansatz für den Unterschied zwischen dem Deutschen und dem Niederländischen ergibt, denn die oben beschriebene Veränderung der Form und die daraus entstehende Bedeutungskonfusion des niederländischen Wortes gijzelaar wird ja erst dadurch möglich, dass dieses Wort als Ableitung vom Verb gijzelen interpretiert wird.