Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Buchstaben mit Löchern

Wer Niederländisch oder Deutsch schreibt, muss immer wieder an die Löcher denken: Im Deutschen brauchen wir sie über den Vokalen für die Umlaute, im Niederländischen gelegentlich als Trema. Trema ist vom altgriechischen Wort für Loch abgeleitet. Eine plausible Bezeichnung, wenn man bedenkt, wie die alten Griechen schrieben. Natürlich gab es Papyrus und später Pergament, aber viele Schriftzeugnisse wurden auch in Stein geprägt oder in Tontäfelchen geritzt. Man kann sich bildlich vorstellen, wie Punkte als Löcher in das Material hineingebohrt wurden. Auch beim Würfel (ndl. dobbelsteen oder teerling) sprachen die alten Griechen von tremata für die Punkte, die bis heute meist im Material vertieft sind.

Punktesammeln ist im Niederländischen und Deutschen aber nicht so leicht und zufällig wie beim Würfelspiel. Auf Deutsch kennen wir vor allem die Vokale ä, ö und ü. In anderen Kombinationen sind die zwei Punkte so selten wie auf dem Marienkäfer (ndl. lieveheersbeestje, oder regional in zahllosen anderen Bezeichnungen). Auf den deutschen Vokalen sind die Punkte hauptsächlich dafür zuständig, die Vokalqualität zu unterscheiden: Zwischen /u/ und /y/, zwischen /o/ und /ø/ usw.

Das niederländische Trema sieht typographisch genauso aus, hat aber eine ganz andere Funktion und entsprechend auch eine andere Geschichte. Es dient dazu, Vokale voneinander zu trennen, die sonst als lange Vokale oder Diphthonge verbunden würden. Ähnlich bildlich wie bei den Löchern trifft dies der schöne Begriff botsende klinkers. Man kann sich wunderbar ausmalen, wie die Vokale aufeinandertreffen und voneinander abprallen. Dies kann prinzipiell mit allen Vokalen passieren. Aus deutscher Perspektive ist das gelegentlich verwirrend, wenn es Vokale betrifft, die wir als Umlaut kennen, etwa bei coördineren. Deutschsprecher, die kein Niederländisch können, lesen hier wahrscheinlich intuitiv ein /o/ und ein /ø/ hintereinander.

Typographische Seltenheit: „Ägÿpten“ statt „Ägypten“ in einem Fenster der Heilig-Geist-Kapelle Blieskastel/Saar (Foto: PK)

Aber selbst bei guter Kenntnis des Niederländischen hat das Trema seine Tücken, zum Beispiel wenn drei Vokale in Folge geschrieben werden. Dann gilt die Faustregel: Das Trema steht auf dem Vokal, mit dem die neue Silbe beginnt. Ist dies ein doppelt geschriebener Vokal, steht das Trema auf dem ersten der beiden.

Daher beispielsweise der Unterschied zwischen ideeën (Silbengrenze idee-en) und reëel (Silbengrenze re-eel). Nur auf dem y ist das Trema praktisch nie anzutreffen. Einerseits weil es ohnehin hauptsächlich in Lehnwörtern vorkommt und dabei selten mit anderen Vokalen botst, andererseits weil es dem Digraph ij sehr ähnelt. Im Afrikaans hat man sich anstelle des ij deshalb gleich ganz für das y entschieden – typographisch ist es schade um das anmutige ÿ.

Auch in anderen Sprachen haben zwei Punkte längst orthographische Erfolgsgeschichte geschrieben. Schwedisch, Finnisch oder Türkisch kennen sie für Vokale, die jenen im Deutschen ähnlich sind. Im Französischen dient das Trema wie im Niederländischen zur Vermeidung von Diphthongen. Was übrigens meiner Erfahrung nach nicht funktioniert, ist der Versuch, einen Umlaut als Vokal mit Trema auszugeben. Schon oft scheiterte ich in Frankreich mit dem Trick, das ä in meinem Familiennamen als „a mit Trema“ zu buchstabieren. Auf dem Papier stand am Ende meist Kraëmer. Im Französischen gehören die Punkte eben nicht irgendwohin, sondern auf ein e oder i. Nur im Luxemburgischen ist man pragmatisch und nutzt einerseits die Umlaute wie im Deutschen, schreibt andererseits aber auch ë für einen Schwa mit leichter Rundung zum /ø/, wie etwa in Lëtzebuerg.

Wenn es noch eine letzte Regel sein darf: Egal auf welchem Vokal die Punkte stehen, und wie auch immer man sie sprechen möchte, sie machen aus jedem Bandnamen unverkennbar eine Heavy-Metal-Gruppe. Sie sehen schließlich eisenhart und irgendwie germanisch aus. Bekannt sind die sogenannten metal dots oder der metalumlaut etwa bei Motörhead oder Mötley Crüe. Aus linguistischer Perspektive ist diese Regel von allen die spannendste, denn sie ist weder etymologisch noch phonographisch begründet, sondern im Grunde – ja was eigentlich? Am ehesten semantisch oder gar semiotisch? Zwei kleine Löcher, aber eine große Forschungslücke.

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Der Beitrag wurde am Sonntag, den 23. November 2014 um 10:00 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Rechtschreibung, Sprachvergleich abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

Eine Reaktion zu “Buchstaben mit Löchern”

  1. Philipp Krämer

    Varianten von Marienkäfer im Deutschen gibt es im Atlas zur deutschen Alltagssprache. Interessant ist besonders die Variante im Elsass als Herrgottskäfer, die dem lieveheersbeestje von allen am nächsten kommt. Dazu außerdem interessante Erklärungen, warum die Bezeichnung des Insekts in fast allen Varianten einen religiösen Bezug hat.