Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Vokalchaos in Antwerpen

Korrespondentenbericht aus Finnland*, Teil I.

Es ist schon zwei Monate her, da ist die französisch-belgische Exonymfalle ist wieder zugeschnappt. Opfer dieses Mal: Die größte finnische Tageszeitung Helsingin Sanomat (Helsinkier Nachrichten). Diese berichtete über Soldatenpatrouillen in Brüssel und „Anvers in Nordbelgien“. Quelle war eine Meldung der französischen Nachrichtenagentur AFP. Es gab ein paar empörte Antworten in der Kommentarspalte, und man hat die Zeile halbwegs repariert:

Pohjois-Belgiassa sijaitsevassa Antwerpenissä on suuri juutalaisvähemmistö.

In Antwerpen, das in Nord-Belgien liegt, gibt es eine große jüdische Minderheit.

Die seltsame Art, statt Flandern „Nord-Belgien“ zu schreiben, ist nichts Finnisches, sondern Spezialstil von AFP. Finnische Spezialgrammatik ist dagegen die Form Antwerpenissä. Das Suffix –ssä steht für in Antwerpen. Im Deutschen können wir in eingeschränktem Umfang auch Eigennamen deklinieren, wenn man zum Beispiel Antwerpens Hafen sagt. Auf Niederländisch funktioniert das bei Personennamen noch einigermaßen, man lässt es aber bei Toponymen eher bleiben und sagt de haven van Antwerpen, oder man greift zu einem Adjektiv: de Antwerpse haven.

Finnische Vokalharmonie als Schema. (Grafik: Mysid, PD.)

Das finnische Suffix lässt sich zusätzlich von seinem Nomen beeinflussen, denn es muss sich danach richten, welche Vokale in dem Wort vorkommen, an das es angefügt wird. Das ist beim finnischen Wortschatz sehr rigoros: y, ö und ä mischen sich nicht mit a, o und u. Eine lexikalische Einheit kann immer nur Vokale einer dieser beiden Gruppen beinhalten und zieht dann die Endung –ssä oder –ssa nach sich. Nur e und i sind neutral, sie können mit beiden Vokalgruppen kombiniert werden.

Wieso dann aber nicht Antwerpenissa statt Antwerpenissä? Tatsächlich findet man die beiden Formen bei einer Google-Suche etwa gleich oft. Fremde Toponyme halten die finnische Harmonieregel oft nicht ein, im oben verlinkten Artikel zum Beispiel der Landesname Syyria in der Form Syyriasta (aus Syrien zurück). Provisorisch hat man sich nach dem letzten Vokal im Wort gerichtet, um sich aus dem Widerspruch zu befreien. Möglicherweise ist auch bei Antwerpen genau dies passiert. Obwohl es eigentlich den Vokalregeln entspricht, bekommt es die Endung –ssä. Das anfängliche a wird ignoriert, übrig bleiben nur neutrale Vokale – und bei Wörtern, die ausschließlich neutrale Vokale enthalten, benutzt man die ä-Endungen. Man hat Antwerpen zusätzlich ein i geschenkt, das als neutraler Vokal vielen finnischen Lehnwörtern beigefügt wird, um sie leichter deklinierbar zu machen.

Dazu gehört beispielsweise der pääministeri, also der Premierminister. Endete der Minister auf –r, würden viele Suffixe damit kollidieren. Mit dem –i kann man sie besser verfugen. Morphologisch funktioniert dieses Wort übrigens genauso, wie wir es aus den germanischen Sprachen kennen: Pää bedeutet Kopf, aber eben auch Haupt oder haupt-. Wir könnten ebenso vom hoofdminister oder Hauptminister sprechen. Aber dass wir Deutsch- oder Niederländischsprecher die finnischen Kasus- und Vokalregeln auf Anhieb verstehen würden, das können wir uns aus dem Kopf schlagen (nl. uit ons hoofd zetten).


* Während eines Aufenthalts in Finnland in den kommenden beiden Wochen widme ich einige Beiträge meinen Beobachtungen zur finnischen Sprache, zum Teil natürlich mit Bezug zum Niederländischen und Deutschen.

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Der Beitrag wurde am Dienstag, den 3. März 2015 um 08:08 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Sprachvergleich abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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