Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Herausforderungen der Hollandistik

„Heute ist ja die ganze Hollandistik unterwegs!“ So schallte es mir und einigen Kollegen letzte Woche auf dem Flur im Universitätsgebäude entgegen. Wir waren in der Gruppe auf dem Rückweg vom Mittagessen und trafen zufällig einen Kollegen aus der Romanistik. In der Niederlandistik ist es uns nicht fremd, dass Außenstehende die Begriffe Niederländisch und Holländisch vermischen – ein alter Hut eigentlich. Bei dem Kollegen auf dem Flur, einem renommierten Linguisten, können wir uns aber absolut sicher sein, dass er den Unterschied zwischen Niederländisch und Holländisch sehr wohl kennt.

Daran sieht man, dass das Verhältnis zwischen den beiden Bezeichnungen etwas komplizierter ist. Die Bemerkung über die Hollandistik war schließlich nicht fehlendem Fachwissen geschuldet, sondern einfach nur der Situation. Ein flotter Spruch, nicht mehr. Übrigens ein flotter Spruch, der funktioniert hat, denn er ist uns allen in Erinnerung geblieben.

Für den ungezwungenen Sprachgebrauch entspricht die Terminologie nun einmal nicht immer hundertprozentig den linguistischen Fachkategorien. Für uns als Sprachwissenschaftler ist das immer wieder eine Gratwanderung. Die Germanistik kennt einen ähnlichen Fall, wenn im allgemeinen Sprachgebrauch Hochdeutsch und Standarddeutsch miteinander verschmelzen. Sollte man sprachwissenschaftliche Laien (oder gar ausgewiesene Experten) freundlich korrigieren und über die Nuancen aufklären? Sollte man darüber hinwegsehen, um nicht besserwisserisch zu wirken? Und vor allem: Wie geht man im eigenen Sprachgebrauch mit dieser Grauzone um?

Lieblingsbild der Hollandistik: Die „Stena Hollandica“ in Hoek van Holland. (Foto: Rijkswaterstraat, Joop van Houdt, PD)

Mir selbst fällt es beispielsweise schwer, im Dialekt von Niederländisch zu sprechen. Schon der lange Vokal [i:] klingt an dieser Stelle fremd. Analog zu Wörtern wie widder oder werrer (wieder bzw. wider) wäre vielleicht Nidderländisch oder sogar Nirrerländisch als sehr basilektale Form denkbar. Keines davon kommt mir über die Lippen, auch weil die gesamte Wurzel nieder- im Saarländischen nicht so produktiv ist. Es gibt jede Menge dialektnähere Möglichkeiten mit unten oder tief, die Begriffe mit nieder- stets etwas zu standardnah wirken lassen.

Das alles hängt natürlich damit zusammen, dass der Gebrauch des Dialekts häufig an informelle Situationen gebunden ist, in denen man auch einmal eine fachliche Ungenauigkeit in Kauf nimmt. Niederländisch fühlt sich dann fast an wie ein Lehnwort aus dem Hoch… Verzeihung, aus dem Standarddeutschen. Für mein Gegenüber könnte das gestelzt und abgehoben wirken: Oho, der feine Linguist Herr Dr. Krämer forscht also zum Niederländischen. Meinen Freunden und meiner Familie möchte ich vielleicht nur erzählen, dass der Sprachwissenschaftler Philipp zum Holländischen arbeitet. In diesen Fällen knistert es gewaltig zwischen meiner Registerkompetenz als Sprecher und meiner Fachkompetenz als Linguist.

Tags:

Der Beitrag wurde am Freitag, den 10. April 2015 um 10:30 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Allgemein, Aussprache, Niederlande, Sprachvergleich abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

2 Reaktionen zu “Herausforderungen der Hollandistik”

  1. JanZ

    Ich muss gestehen, dass ich im Deutschen auch oft vom Holländischen und von Holland rede, nicht nur wegen der Sprachebene, sondern auch, weil es viel kürzer ist. Immerhin haben „die Niederlande“ fünf Silben, während Holland nur zwei hat. Im Niederländischen hat man das Problem deutlich weniger, da es ja einfach nur „Nederland“ heißt.

  2. Philipp Krämer

    Stimmt, die Kürze spielt dabei natürlich eine wichtige Rolle. Wobei dieser Faktor durchaus zusammenhängt mit der Stilebene: Im formellen Sprachgebrauch nehmen wir die „Kosten“ des aufwändigeren Begriffs wohl eher in Kauf, zugunsten der sachlichen Treffsicherheit. Das ist bei „England“ vs. „Großbritannien“ vs. „Vereinigtes Königreich“ ähnlich. Aber oft bleibt trotzdem v.a. die Stil-Unterscheidung übrig, ohne Unterschied in der Silbenzahl, z.B. „englisch“ vs. „britisch“. Oder die typisch informelle Variante ist sogar silbenreicher: „Amerika“ vs. „USA“. Das Spannende ist, dass wir all das in Sekundenbruchteilen abwägen und uns für die eine oder die andere Variante entscheiden 🙂