Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Zerwüsten und herblühen

Langsam aber sicher geht der Frühling auf den Sommer zu, und rund um Berlin wird bald wieder vor Waldbränden statt vor Bodenfrost gewarnt. Die Blumen, die nicht erfroren sind, blühen jetzt wieder auf: Ze herbloeien.

In den Präfixmeisterschaften der germanischen Sprachen steht es jetzt unentschieden 1:1 zwischen Deutsch und Niederländisch. (Ja, ernsthaft: eine Fußballmetapher in der Morphologie.) Das Deutsche hat zwar sein weit verbreitetes er-, das im Niederländischen nicht so richtig funktionieren will. Dafür hat aber das Niederländische sein her-, das uns im Deutschen fehlt.

Natürlich können wir auf Deutsch trotzdem Verben bilden, die eine Wiederholung oder einen Neuanfang ausdrücken. Dazu haben wir uns aus dem Latein das re- geschnappt und bilden hauptsächlich Wörter im gelehrten Register, deren Rest oft auch lateinischer oder griechischer Herkunft ist: reformieren, reanimieren und dergleichen. Auf Niederländisch reanimeert man natürlich genauso, kann aber auch hervormen. Belgien hervormt sich beispielsweise seit Jahrzehnten an den Rand des Wahnsinns.

(H)erblühende Geranie. (Andrew Dunn, CC-BY-SA-2.0)

„Moment mal!“ sagt da der Schiedsrichter bei der Punktvergabe. (Schon okay, im Fußball werden keine Punkte vergeben. Aber der morphologisch geschulte Schiedsrichter hat trotzdem Recht.) Hat das Niederländische denn wirklich zwei Präfixe, wo das Deutsche nur eines hat? In der Gegenwart sieht es so aus. Aber auch das her– ist etymologisch nichts anderes als ein getarntes re-, das bei der Wanderung durch die nordfranzösischen und südniederländischen Dialekte seine Laute durcheinandergebracht hat und ein h zusätzlich geschenkt bekam.

Damit steht es doch wieder 1:0 und das Deutsche baut seinen Vorsprung sogleich aus zum 2:0. Besonders viel zu herstellen oder zu herbouwen gibt es, wenn vorher etwas zerstört wurde. Auch das zer- mag im Niederländischen nicht so recht erblühen. Die vernichtende Kraft des zer bleibt auf Niederländisch verborgen, etwa bei zerbersten vs. barsten oder zerbrechen vs. breken. Gelegentlich kann man das ver- wieder zur Hilfe nehmen, das auch diese Konnotation von Beschädigung und Zerstörung tragen kann, etwa bei zerschmettern als verpletteren. Oft ist das natürlich auch auf Deutsch der Fall: etwas zerwüsten können wir nicht, es verwüsten dagegen schon. Das ver- muss sozusagen als Stürmer und Verteidiger zugleich auf den Platz.

Wie komme ich aus dieser Sportmetaphorik jetzt wieder raus? Das bereitet mir noch ziemliches Kopfzerbrechen, bzw. het kost mij hoofdbrekens – und siehe da: ein Niederländischer Genitiv, wo das Deutsche keinen hat. Kaum liegt das Niederländische bei der Präfigierung ein wenig zurück, holt es bei der Deklination ganz unerwartet auf. So schnell wird es sich doch im Wettbewerb der Morphologien nicht ergeben (nl. overgeven).

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Der Beitrag wurde am Dienstag, den 26. Mai 2015 um 16:59 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Etymologie, Sprachvergleich, Wortbildung abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

3 Reaktionen zu “Zerwüsten und herblühen”

  1. Erik de Smedt

    Ist das -s in „het kost mij hoofdbrekens“ wirklich ein Genitiv-s? Es scheint mir vielmehr ein Plural-s, und der Kasus Akkusativ als Antwort auf die Frage: „Was kostet es Dir?“ Man sagt ja auch: „Het kost me kopzorgen“ oder „Het kost me heel wat (= veel) hoofdbrekens.“

  2. Philipp Krämer

    Gute Frage… Intuitiv würde ich das ehrlich gesagt für unwahrscheinlich halten. Man findet bzw. fand in solchen Konstruktionen oft einen partitiven Genitiv („viel von etwas“). Ich würde zum Beispiel auch in alten Bibelübersetzungen wie hier in der Liesveltbijbel eher einen Genitiv sehen: „in Rhama is gehoort geweest gheschrey, vele claghens, weenens ende huylens„. Die deutsche Entsprechung ist exakt parallel und dort auf keinen Fall ein Genitiv („Weinens“ kann kein Plural von „Weinen“ sein). Und durch Konversion nominalisierte Verben wie „het zingen“ oder „het (hoofd)breken“ dürften eigentlich ohnehin keinen Plural zulassen.
    Aber vielleicht sagt das muttersprachliche Sprachgefühl ja etwas anderes, oder es gibt plausible Argumente für einen Plural. Eine interessante Frage!

  3. Erik de Smedt

    Uit een leerzaam stukje taaladvies van Onze Taal blijkt dat we beiden gelijk hebben, de ene keer uit diachronisch standpunt, de andere keer synchroon bekeken:
    https://onzetaal.nl/taaladvies/advies/hoofdbreken-hoofdbrekens
    (cf. ‚de genitief-s is in de twintigste eeuw geherinterpreteerd als meervouds-s‘).