Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Ärgerliche Langeweile

Seit kurzem haben auch an der FU wieder die Vorlesungen und Seminare begonnen. Wir bemühen uns natürlich stets, die Lehrveranstaltungen spannend und unterhaltsam zu gestalten. Trotzdem kommt es gelegentlich vor, dass jemand heimlich auf die Uhr schaut und den Kurs ein wenig vervelend findet. Wenn unsere Lehre nicht gut ankommt, finden wir das selbst wiederum auch vervelend.

Verveelt zich. (Harlequeen, CC-BY-2.0)

Dozent und Student teilen in dieser Situation zwar dasselbe Wort – ze vinden het vervelend -, aber keineswegs dasselbe Gefühl. Für den Lehrenden ist die Situation ärgerlich, für den Studenten dagegen langweilig. Im Niederländischen können diese beiden Bedeutungen unterschiedlich Facetten desselben Begriffs sein. Normalerweise ergibt sich aus dem Kontext, in welche Richtung die Empfindung geht:

Dit feestje is echt vervelend!

Es ist zwar vorstellbar, dass jemand eine Party ärgerlich findet, z.B. weil sie zu laut ist und stört. Aber häufiger dürfte es vorkommen, dass der Sprecher sich langweilt, weil keine Stimmung aufkommen will.

De trein is vandaag alweer te laat. Dat vind ik echt vervelend!

Sicher ist es langweilig, wenn man auf einen verspäteten Zug warten muss. Trotzdem überwiegt in diesem Fall wohl der Ärger über die unzuverlässige Bahn.

Verveelt zich ook. (Puput, CC-BY-SA-3.0)

Die Etymologie von vervelend ist erstaunlich simpel. Sie geht zurück auf veel, und das erklärt auch die breite Verwendbarkeit des Wortes. Es kann bei allen Dingen und Lagen benutzt werden, bei denen einem etwas zu viel wird: Es ist vervielend. Neben Langeweile und Ärger kann das zum Beispiel auch zutreffen, wenn einen etwas stört oder nervt, sei es eine herumschwirrende Fliege oder een vervelende vent (ein nerviger Typ).

Einen ähnlich vielseitigen Begriff kennen die skandinavischen Sprachen. Auch das norwegische kjedelig oder das dänische ked und kedelig haben dieselben beiden Bedeutungsrichtungen wie vervelend:

Så kjedelig at toget er forsinket! (Wie nervig, dass der Zug verspätet ist!)

For en kjedelig film! (Was für ein langweiliger Film!)

Die Wortherkunft soll auf die ursprüngliche Form keef zurückgehen – wie recht oft bei den skandinavischen Sprachen eine Entlehnung aus dem Niederdeutschen. Dass es hier ein ähnliches Bedeutungsfeld gibt wie im Niederländischen, ist also nicht völlig überraschend. Vielleicht muss man nicht unbedingt so weit gehen, über „lexikalische Ingwäonismen“ zu spekulieren, denn das Englische kennt zum Beispiel keinen gesammelten Begriff für langweilig und ärgerlich. (Ob es im Friesischen so ein Wort gibt, weiß vielleicht jemand unter unseren Lesern.)

Verveelt zich nog meer. (Hikmetse, CC-BY-SA-3,0)

Gegen eine übertriebene ingwäonische Interpretation spricht auch, dass im Französischen solche Bedeutungen gebündelt werden können. Zwar benutzt man ennuyant praktisch ausschließlich für langweilig. Das zugehörige Verb ennuyer oder das Substantiv ennui sind aber viel breiter, von Sorge und Kummer über Ärger bis hin zu Langeweile.

Sobald die Begriffe reflexiv werden, bleibt allerdings nur noch eine Bedeutung übrig. Egal ob zich vervelen, å kjede seg oder s’ennuyer – wenn man sich selbst zu viel wird, kann es nur um Langeweile gehen.

Das soll nun aber genug sein an Überlegungen über einen einzelnen Begriff. Es wird sonst wirklich vervielend.

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Der Beitrag wurde am Sonntag, den 25. Oktober 2015 um 08:30 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Etymologie, Sprachvergleich, Wortschatz abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

4 Reaktionen zu “Ärgerliche Langeweile”

  1. Alexandra (buurtaal)

    Für „langweilig“ wird man im Niederländischen eher „saai“ benutzen als „vervelend“.

    een saai college
    een saai feestje

    „Dit feestje is echt vervelend!“ würde ich (niederländische Muttersprachlerin) nur sagen, wenn ich die Party irgendwie *doof* finde. (Vor allem, wenn ich auch noch ein Ausrufezeichen benutze. Wenn sie nur langweilig wäre, würde ich das nie machen.)

  2. Philipp Krämer

    Danke für den Kommentar, Alexandra! In der Tat gibt es natürlich saai als Begriff mit einer deutlich klarer eingegrenzten Bedeutung vor „langweilig“. Ich hab das in dem Text mal weggelassen, weil es so sehr auf der Hand liegt. Dass die Party aber „irgendwie doof“ sein kann, während sie gleichzeitig auch nicht besonders aufregend ist, das kann ja am Ende doch nur vervelend, weil es diese breite und weniger konkrete Bedeutung hat. Mir ging es vor allem darum, zu zeigen, dass es bei vervelend so eine Art Kontinuum des Genervt-Seins gibt, das von Langeweile bis zum Ärger reichen kann. So ein Kontinuum in einem Wort zusammenzubringen, das können wir im Deutschen nicht.

  3. Alexandra (buurtaal)

    Es stimmt, dass „vervelend“ ziemlich „dehnbar“ ist. Das macht das Wort in der Tat ziemlich flexibel.

  4. Philipp Krämer

    Eine frische Perspektive auf das Wort gibt es im neuesten Cartoon vom Taalprof.