Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Been & Appelboom

Der Titel für diesen Beitrag ist eine Art trompe-l’œil. Das etwas willkürlich gewählte Wörterpaar sieht wie Niederländisch aus, ist aber gleichzeitig auch Berlinisch. Bei Bein und Apfelbaum ist man sich an Maas, Spree und Schelde ganz einig: Es muss Been und Appelboom heißen.

Der Trick funktioniert natürlich nur mit dem ”&” in der Mitte, denn mit einem en oder und wäre der Effekt dahin. Trotzdem ist es kein großes Geheimnis und auch kein spektakuläres Wunder, dass Berlinisch und Niederländisch sich an manchen Stellen auffällig ähneln.

Einige Ähnlichkeiten sieht man an einem kleinen Gedicht. (In Berlin hat man nicht nur eine Leidenschaft für die normierte Traufhöhe, sondern man reimt auch gern):

Kurt Tucholsky ließ sich zum Glück auch nach seiner Einschulung den Berliner Dialekt nicht völlig austreiben. (R. v. Soldenhoff / I. Giel, PD)

Icke, dette, kiekemal,

Oogen, Fleesch und Beene,

wenn du mir nich’ lieben tust,

lieb ick mir alleene.*

In der ersten Hälfte kann man einiges recyclen, um daraus eine niederländische Übersetzung zu machen:

Ik, dit, kijk eens,

ogen, vlees en benen…

Es fällt auf, dass die meisten berlinisch-niederländischen Wortpaare einen sehr ‚gewöhnlichen‘ Teil des Wortschatzes betreffen. Also Begriffe, die sehr häufig vorkommen und die sehr alltägliche Konzepte benennen: Ik / ick, ook / ooch, kopen / koofen, dat / det (dit), geen / keen uvm.

Niederländisch und Berlinisch gehorchen in diesen Fällen gemeinsamen Lautregeln: Kein Diphthong dort, wo es im hochdeutschen Standard üblich ist (auch, kein…), [k] statt [ç] in ich, auslautendes –t bei wat statt was

Woher kommt diese Ähnlichkeit? Nicht unbedingt nur durch die Niederländer, denen wir das holländische Viertel in Potsdam verdanken, oder den Flamen im Fläming und in Lichterfelde. Sicher haben sie das eine oder andere Lehnwort mitgebracht, einen ganzen Dialekt konnten sie der Stadt doch nicht einimpfen.

Aber ursprünglich gehörte Berlin ebenso wie ein großer Teil Brandenburgs einmal zum niederdeutschen Dialektgebiet. Erst nach und nach wurde die Stadt von Süden her dialektal assimiliert, vor allem durch Zuzug aus dem Raum der mitteldeutschen Dialekte. So heißt es in einer Neuauflage zum althergebrachten Mundartwörterbuch Der richtige Berliner:

Wohl folgt die Sprache des Berliners den niederdeutschen Regeln und der Berliner Wortschatz gruppiert sich um einen sehr starken plattdeutschen Kern, doch ist es nicht das Platt allein, wovon die Sprache des Berliners lebt.

Berlinisch ist nicht nur heute wieder ein Dialekt mit Migrationshintergrund – er war es schon lange. Die Wörter, die sich aus der plattdeutschen Zeit am besten gehalten haben, sind genau diejenigen, die man oft benutzt und die sich deshalb gut einprägen können. Hinzu kommt, dass man an solchen einfachen, aber frequenten Wörtern das Berliner-Sein gut nach außen markieren kann.

Seit einiger Zeit befürchtet man in Berlin, dass die schwäbische Kolonisierung aus dem Süden den alten Stadtdialekt kaputtmachen könnte (”Schrippen statt Wecken”). Die Übereinstimmungen mit dem Niederländischen wären dann bald dahin. Doch es gibt Hoffnung. Die zukünftigen Generationen werden Begriffe wie wallah oder lan in Berlin wahrscheinlich ebenso kennen wie in Amsterdam oder Antwerpen.


*Die letzten beiden Verse gibt es in verschiedenen Versionen, zum Beispiel auch:

Nee, mein Kind, so heeßt det nich.
”Augen, Fleisch und Beine!”

oder auch:

Die Berliner allzumal
sprechen jar zu scheene.

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Der Beitrag wurde am Montag, den 2. November 2015 um 08:45 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Sprachvergleich, Wortschatz abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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