Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Viele Fritten in Gent

illustratie Es gab viele Fritten, großartiges Bier, eine unfassbar schöne Altstadt und einen für einen Berliner fast schon tropischen Winter. Mein Auslandssemester in Gent war ein Fröhliches. Selbstredend beschränkte sich meine Tagesgestaltung aber nicht nur darauf, irgendwo zwischen Schelde und Leie mit einem Eimer voller Fritten neben mir biertrinkend lauthals meine Begeisterung für die Stadt kundzutun, während ich die nächste Flasche Sonnencreme auf meiner Nase ausleere.

Ich hatte auch noch Dinge zu erledigen. Ich versuchte also immer wieder die Spuren des krankhaften Frittenkonsums zu verwischen und ging in die Uni. Dort hatte ich unter anderen die Kurse “Afrikaanse Taal- en Letterkunde” und “Inleiding tot de Vlaamse Gebarentaal” gewählt. Da diese Fächer an der FU selten beziehungsweise gar nicht angeboten werden, fand ich diese Kurse besonders exotisch.

Vlaamse Gebarentaal, also flämische Gebärdensprache, war die wohl seltsamste Wahl, die man als Austauschstudent ohne Vorkenntnisse in irgendeiner Gebärdensprache hätte treffen können. Afrikaans hingegen wurde auch von anderen – größtenteils ebenfalls deutschen – Austauschstudenten besucht. Zum Anfang schien Afrikaans die wohl bessere Wahl gewesen zu sein, denn ich musste erstens nicht so früh aufstehen und zweitens musste ich dafür nicht allzu sehr auf meine Mimik und Gestik achten. Selbstredend war genau das Gegenteil bei der Einführung in die flämische Gebärdensprache der Fall. Die Vorlesung, die wie die meisten anderen an der UGent 3 Stunden dauert,  begann um 8 Uhr und ich musste eine Menge auf meine Finger schauen. Die Vorlesung fand zwar auf Niederländisch statt, aber es gab auch Abschnitte, in denen man sich in Gebärdensprache üben sollte. Und wie bereits erwähnt: Diese Uhrzeit störte.

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Foto: C.F.Loschke

Ich versuchte mich zu disziplinieren und Abends weniger meine Euphorie wegen der Schönheit der Stadt oder der Erfolge der KAA Gent (der Buffalo’s) in der Champions League zu freuen. Ich brüllte also weniger, schlief Mittwochs früher ein und begann mich besser darauf vorzubereiten, donnerstags in der Vorlesung zu sitzen. Meistens wurde dort, bevor es zum Teil der „Gebärdensprachpraxis“ ging, sehr viel über die Geschichte der gehörlosen Menschen in Flandern und der Welt gesprochen. Der rote Faden dieser Geschichte ließe sich am besten mit Ignoranz, Bevormundung und Diskriminierung seitens der Hörenden beschreiben. Es war nicht so, dass ich mir das nicht im Vorhinein hätte vorstellen können. Doch es zu hören veranlasste mich dazu, diese Geschichte mit einer der Gebärden, die wohl selbst wir Hörenden alle kennen, kommentieren zu wollen.

Es gab mehrere Gastbeiträge, zum Beispiel über die Erstellung eines Korpus der VGT (Vlaamse Gebarentaal). Dabei wurde immer wieder erwähnt, dass die Sprache trotz der nur ca. 6000 Sprecher verschiedene „Dialekte“ umfasst. – So viel zu dem Gedanken, den man als ignoranter Ohrenmensch das ein oder andere Mal hat, dass man Zeichensprache doch total einfach universell gestalten könne. Denn ein anderer Beitrag handelte von der Kultur hinter der Sprache. Es gibt taube Menschen (dove Mensen) und Taube Menschen (Dove mensen). Viele sehen ihr schlechtes Hörvermögen nicht unbedingt als Behinderung sondern eher als persönliche Eigenschaft an und schreiben diese Eigenschaft nicht klein sondern groß. Es gibt auch Taube Menschen, wie etwa hörende Kinder tauber Eltern, die  die Taube Kultur auch als Teil von sich ansehen. Genauso kann es aber auch einfach nur taube taube geben. Was die Sprachpraxis anging, musste man sich immer wieder darauf konzentrieren, wie man seine Augenbrauen bewegt. Die Augenbrauen sind nämlich die Ausrufe- und Fragezeichen dieser Sprache. Ich war fasziniert. Diese Uhrzeit allerdings…

Irgendwann rückte die Prüfung näher und ich versuchte mir mehr Gebärden anzueignen. Beispielsweise das kleine d aus dem Handalphabet, das an die Stirn gehalten „Deutsche/r“ oder „Deutschland“ bedeutet und an eine Pickelhaube erinnern soll. Oder der auf der Stelle hin und her wackelnde Zeigefinger, der die Rute eines Hundes darstellt. Neben der „Aussprache“ und der Grammatik setzte ich mich immer intensiver mit dem Unterrichtssystem und der Inklusion tauber Menschen auseinander und wieder einmal fielen mir diese Gebärden ein, an die ich schon in Bezug auf die Vergangenheit dachte. Ich war darin versunken.

Wie schwierig Gebärdensprache sein kann, erfuhr auch der Schriftsteller Dimitri Verhulst.

Zum Glück zu einer etwas anderen Uhrzeit: Die Prüfung. Ich saß vor der Professorin und verwunderte sie ein wenig, weil ich die Gebärde für Berlin – übrigens eine Faust am Kopf – benutzte und sie sie nicht kannte. Dann war sie noch verwunderter, weil ich als Berliner damit nicht wirklich etwas zu tun hätte und es noch weniger anwenden kann.  Sie fand es amüsant, denke ich. Den Kurs habe ich bestanden und einen Gebärdensprachkurs möchte ich auf jeden Fall auch demnächst in Berlin besuchen.

Aber Afrikaans war auch fein!

Von Carl Friedrich Loschke

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Der Beitrag wurde am Dienstag, den 17. Mai 2016 um 10:01 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Sprachvergleich abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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