Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Zweimal zwitschern

Das Internet ist eine Wörtermaschine. Ständig liefert es uns neue Wörter und füttert damit unermüdlich unseren Wortschatz, der das Angebot an Neuschöpfungen und Entlehnungen teils dankbar verdaut, teils auch relativ schnell wieder ausspuckt. Vieles von dem neuen Wortfutter besteht aus Verben. All die neuen Aktivitäten und Funktionen wollen schließlich beschrieben werden: posten, liken, messagen – schon längst etabliert, auf Deutsch wie auf Niederländisch.

Zu den neuen Verben im Deutschen gehören twittern und tweeten. Unser Kollege Anatol Stefanowisch aus der Anglistik beobachtet, dass diese beiden Verben sich in der Bedeutung unterscheiden: Twittern ist die allgemeine Nutzung von Twitter, also die langfristige Aktivität oder Gewohnheit. Tweeten bezeichnet die einzelne Tätigkeit, einen Beitrag auf Twitter zu veröffentlichen. Ob sich das anhand von Korpusdaten nachweisen lässt, müsste man genauer untersuchen – das überlassen wir den Kollegen.

Tweet! (Yiwenyiwen, CC-BY-SA 4.0)

Uns interessiert natürlich, ob es im Niederländischen genauso ist. Der Van Dale ist topaktuell und kennt beide Verben. Das Wort tweeten wurde 2009 hinzugefügt, ganz regelmäßig mit dem Präteritum tweette und dem Partizip getweet, so wie alle anderen entlehnten Verben, die sich brav an die Regel von Chopin halten. Ein wunderbares Beispiel für den Kontrast zum Deutschen, wp beide Formen eine zusätzliche Silbe brauchen: Er tweetete und Sie hat getweetet. Als Erklärung für das Wort gibt der Van Dale lapidar an: twitteren. Das „e“ gibt’s auf Niederländisch gratis dazu.

Dieses (angebliche?) Synonym ist schon zwei Jahre früher in das Wörterbuch aufgenommen worden und bietet eine etwas umfangreichere Erklärung: „kor­te blog­be­rich­ten ver­sprei­den via de microblogsite Twit­ter“. Die große Frage bleibt: Hat denn die Redaktion vom Van Dale tatsächlich Recht mit der Behauptung, die beiden Verben hätten eine exakt identische Bedeutung?
Völlig ausgeschlossen ist das nicht. Gerade bei neuen Konzepten kann es vorkommen, dass zunächst verschiedene Bezeichnungen für dasselbe Denotat aufkommen, von denen sich mit der Zeit die beliebtere durchsetzt. Die beste Quelle um herauszufinden, wie sich tweeten und twitteren zueinander verhalten ist natürlich: Twitter.

Gezielt gesucht nach nur niederländischsprachigen Beiträgen findet man im Zeitraum vom 1. bis zum 10. November folgende Verteilung

twitteren         37 Belege

tweeten           80 Belege

Es scheint also, dass tweeten beliebter ist als twitteren, sofern man das aus dieser kleinen Anzahl von Belegen in einem kurzen Zeitraum ableiten kann. In den Belegen für twitteren ist tatsächlich fast ausschließlich die Rede von der allgemeinen Tätigkeit an sich, also der Nutzung von Twitter als Gewohnheit.

Es gibt nur einen Beleg, bei dem nach der deutschen Bedeutungsunterscheidung tweeten zu erwarten wäre:

Hier geht es exakt darum, das Abschicken eines einzelnen Tweets in einer kleinen, zählbaren Anzahl zu beschreiben. Man hätte nach der deutschen Unterscheidung hier wohl eher erwartet: „Seine Kolumne 7x zu tweeten ist kein Narzissmus, sondern Leserservice.“

Bei den 80 Belegen mit tweeten ist die Sache weniger eindeutig. 32 Belege entsprechen der Form iets tweeten, also mit einem Objekt. In aller Regel geht es dabei logischerweise um einen konkreten Inhalt (ein Bild, eine Neuigkeit, eine Meinung tweeten), so dass es ganz klar um einzelnen Tweet geht und nicht um das Twittern im Allgemeinen.

14 Belege sind nicht ohne weiteres einer der beiden Bedeutungen zuzuordnen. 34 Belege wiederum stützen die Syonym-Hypothese, also dass tweeten und twitteren beide die gewohnheitsmäßige Handlung der Twitternutzung bezeichnen.

Wenn das Verb „zwitschern“ zweideutig wird… „Prunkstilleben mit kopulierenden Spatzen“ von Cornelis de Heem aus dem 17. Jh. (PD, gemeinfrei)

Beim ersten Beispiel ist das Twittern als Gewohnheit gemeint, daher der Verweis auf „rund um die Uhr“. Das zweite Beispiel stammt ganz klar aus Belgien, wie sehr viele der tweeten-Belege. Bei den twitteren-Belegen fiel das nicht so sehr ins Auge. Gibt es möglicherweise in Belgien eine Vorliebe für tweeten, die in den Niederlanden unbekannt ist? Dazu bräuchte es mehr Daten und eine systematischere Auswertung. Natürlich ist diese kleine Sammlung anekdotisch: Zu kurzer Zeitraum, zu wenige Belege, und vor allem habe ich nur nach Infinitiven gesucht. Man müsste natürlich flektierte Formen hinzunehmen – zum Beispiel sind bei ik twitter und ik tweet zufällig beide Verben identisch mit den Substantiven Twitter und ein Tweet. Das könnte vielleicht Auswirkungen darauf haben, dass diese Formen in den Ohren der Sprachgemeinschaft seltsam klingen und umgangen werden.

Zumindest tendenziell scheint sich twitteren im Niederländischen wie im Deutschen auf die allgemeine Tätigkeit einzugrenzen, bei tweeten sieht die Sache auf den ersten Blick nicht so eindeutig aus. Es gäbe hier also viel zu vertiefen und zu überprüfen, aber eins ist sicher: Wenn überhaupt, werden wir darüber weder tweeten noch twitter(e)n, sondern selbstverständlich bloggen.

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Der Beitrag wurde am Freitag, den 18. November 2016 um 18:00 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Sprachvergleich, Sprachwandel, Wortbildung, Wortschatz abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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