Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Re: her-

Wenn flämische und wallonische Politiker zusammenarbeiten, ohne dazu gezwungen zu sein, ist das schonmal eine Schlagzeile wert. Der Bürgermeister von Hoeilaart und sein Amtskollege aus La Hulpe (nl. Terhulpen) haben sich zusammengetan, um einen „Plan BE“ zu entwickeln. Ziel dabei: Belgien einfacher machen, die komplizierten Strukturen effizienter und übersichtlicher gestalten.

Die Absicht der beiden Bürgermeister ist es bei allem Reformeifer aber erklärtermaßen nicht, wieder zurückzukehren zu „La Belgique de papa“. Die Väter der beiden Herrschaften müssten vermutlich recht betagt sein. Die meisten heutigen Väter haben das alte Belgien, auf das der Spruch verweist, selbst auch nicht mehr gekannt. Gemeint ist mit dem Ausdruck die Zeit, in der Belgien ein Einheitsstaat war, in dem die französischsprachigen Eliten den Ton angaben und für Föderalismus und Gleichberechtigung des Niederländischen kein Platz war. Konsequenterweise gibt es für „La Belgique de papa“ auch keine niederländische Entsprechung.

Sehr niederländisch ist dagegen ein anderes Wort, das in den Überlegungen auftaucht. Müssen möglicherweise einige Kompetenzen geherfederaliseerd werden? Müssen also mehr Politikbereiche wieder vom Gesamtstaat erledigt werden anstatt von den Gemeinschaften und Regionen? Bisher wurde in Belgien meist eher gecommunautariseerd. (Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass sich für das jahrhundertelange Interesse Flanderns nach mehr Eigenständigkeit ausgerechnet ein französisches Lehnwort durchgesetzt hat.) Immer wieder wurden Kompetenzen an die einzelnen Staatsglieder overgeheveld (dt. überführt, übergeben, wörtlich hinüberheben).

Das Partizip geherfederaliseerd ist strukturell äußerst interessant, weil wir es im Deutschen anders bilden. Wir sagen reföderalisiert und entscheiden uns dabei nicht nur für die Vorsilbe re- (das etymologisch verwandte her kennen wir nicht). Wir verzichten im Partizip außerdem auf das Präfix ge-.

Zu Weihnachten wird viel geformt. Reformiert wird das ganze Jahr über. (ReAI, CC-BY-SA 3.0)

Woran liegt das? Zunächst ist daran die Endung schuld. Verben auf -ieren haben im Deutschen nicht das regelmäßige ge-Partizip. Sie sind gewissermaßen „Fremdkörper“ geblieben, weil sie meist mit Lehnwortmaterial gebildet werden. Auf Niederländisch dagegen bilden wir die Partizipien völlig regelmäßig: geanalyseerd – analysiert. Trotzdem ist aber das re- an dem Unterschied nicht ganz unschuldig. Wenn wir Verben mit re- bilden möchten, dann betrifft dies in der Regel ebenfalls Wörter, die zu einem gehobenen Wortschatz gehören, in dem also Lehnwörter das Mittel der Wahl sind. Verben mit einem re- am Anfang haben praktisch immer ein -ieren als Endung (z.B. reformieren, remigrieren, reverbalisieren…). Das -ieren sperrt dann in einem dritten Schritt vorn am Wort das ge- im Partizip. Man muss also mit drei aneinander geknüpften Regeln zwischen Wortanfang und -ende pendeln, bis die korrekte Form entstanden ist. Bleibt noch die Frage, ob das re- zuerst da ist und davon das -ieren ausgelöst wird, oder ob wir zuerst ein ieren-Verb bilden und ein re- davorsetzen.

Kompliziert? Für das Niederländische zu kompliziert. Dem Niederländischen ist es völlig egal, wie fremdwortartig das fertige Wort ist. Mit dem Präfix her- hat man sowieso schon eine etwas „germanischere“ Variante zur Verfügung. Aber auch bei Wörtern, die auf re- beginnen, bleibt das ge-Partizip problemlos erlaubt. Anscheinend muss man dafür bei der Endung des Verbs vorsichtig sein. Ein re-Verb hat auch im Niederländischen in aller Regel eine eren-Endung (z.B. reanalyseren, revitaliseren, reformeren). Verben mit her- am Anfang dürfen auch ein -eren haben (siehe herfederaliseren), müssen das aber nicht unbedingt (siehe hervormen, hervatten uvm.). In gewissenen Fällen kommt mit den beiden Vorsilben sogar ein Bedeutungsunterschied zustande. Die hervormde und die gereformeerde Glaubensgemeinschaft sind beispielsweise leicht miteinander zu verwechseln, aber keineswegs identisch. Das her- eröffnet dem Niederländischen zusätzliche Freiheiten, die wir im Deutschen nicht haben. Vielleicht sollten wir das Deutsche herformen, um diese Möglichkeit auch zu haben?

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Der Beitrag wurde am Dienstag, den 27. Dezember 2016 um 10:03 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Grammatik, Sprachvergleich, Wortbildung abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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