Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Wählen oder stimmen? Keine Peilung!

verkiezingDen niederländischen Parlamentswahlen am 15. 3. 2017 widmen wir eine kleine Serie.

Nach wichtigen Wahlen ist oft die Rede von der Partei der Nichtwähler. Damit wird der Anteil der Wahlberechtigten bezeichnet, die nicht abgestimmt haben. Man zieht von 100 Prozent den Wert der Wahlbeteiligung (nl. opkomst) ab und erhält den „Stimmenwert“ der Nichtwählerpartei. In letzter Zeit sind deren Prozentwerte oft größer als die der stärksten Partei. Das gilt in Deutschland wie in den Niederlanden, seit dort vor fast 50 Jahren die Wahlpflicht abgeschafft wurde (in Belgien und Luxemburg gibt es sie noch). Die Motive und Einstellungen dieser Menschen sind natürlich weit gestreut, so dass es Unsinn ist, sie als eine einheitliche Partei zu bezeichnen.

Außer in den Niederlanden. Dort tritt dieses Jahr tatsächlich erstmals die Partij voor de Niet-stemmers zur Parlamentswahl an. Ganz zum Ärger der Konkurrenz, dem Club van Niet-kiezers, der auch auf dem Wahlzettel stehen will. Inzwischen wurde entschieden, dass die Namensähnlichkeit nicht so groß ist, dass Verwechslungsgefahr besteht, und dass die Parteien beide mit ihrem gewählten Namen antreten dürfen. Auch in ihrer Politik haben sie unterschiedliche Absichten: Die Nietstemmers versprechen, auf ihr Mandat zu verzichten, falls sie gewählt werden. Die Nietkiezers wollen dagegen durchaus am parlamentarischen Betrieb teilnehmen, um auf eine zukünftige Berücksichtigung des Nichtwähleranteils im Wahlrecht hinzuwirken. Dass eine der beiden Parteien tatsächlich ins Parlament kommt, ist nicht völlig ausgeschlossen. Das niederländische Wahlsystem kennt keinen kiesdrempel wie die 5-Prozent-Hürde in Deutschland, so dass auch Parteien mit relativ kleinem Stimmanteil schon Sitze erreichen können.

Bei der Verhandlung über den Konflikt zwischen Nietkiezers und Nietstemmers fragte der Vorsitzende des Kiesraad: „Wat ga ik nu doen in maart: kiezen of stemmen?“

Eine interessante Frage. Ist wählen und (ab)stimmen dasselbe? Zunächst einmal verhalten sich die zwei Verben im Satz unterschiedlich. Man kann op iemand stemmen (für jemanden stimmen, jemanden wählen) oder voor iemand kiezen (sich für jemanden entscheiden). Man könnte zwischen beiden auch in der Bedeutung einen Unterschied gezielt herstellen. Nichtwähler gehen gar nicht erst zum Wahllokal, nehmen also an der Wahl nicht teil. Nichtstimmer dagegen können Wahlberechtigte sein, die sich entweder enthalten (d.h. einen leeren Stimmzettel abgeben) oder sonstigen Schabernack mit dem Stimmzettel treiben, um absichtlich ungültig zu stimmen. Diesen Unterschied aber macht der alltägliche Sprachgebrauch nicht, und auch nicht die zwei Vereinigungen. Sie wollen beide diejenigen repräsentieren, die gar nicht zur Wahl hingehen. Denn ungültige Stimmen und Enthaltungen werden üblicherweise immerhin gezählt und in der Statistik sichtbar, auch wenn sie bei der Sitzverteilung im Parlament keine Rolle spielen.

Wahlbeteiligung beim Referendum 2016. Landesweit: 32,2%. (Furfur, CC-BY-SA 4.0)

Unsichtbar bleiben sowohl Nichtwähler als auch Nichtstimmer dagegen in den Umfragen vor der Wahl. Die heißen auf Niederländisch peilingen – etymologisch steckt dahinter dasselbe wie dt. peilen, also eine Orientierung auf der Basis von Messpunkten zu geben. Das Wort gibt einer weiteren neuen Partei den Namen: GeenPeil. Das könnte man etymologisch korrekt, aber inhaltlich etwas unfreundlich mit keine Peilung übersetzen. Es bezieht sich aber auf eine Aktion bei den letzten Europawahlen 2014. Die Niederlande wählten donnerstags, während die meisten EU-Staaten erst am darauffolgenden Wochenende abstimmten. Deshalb durften die Resultate aus den Niederlanden nicht sofort bekanntgegeben werden, um die Wahl in den anderen Ländern nicht zu beeinflussen. Aktivisten dokumentierten deshalb die öffentliche Verkündung der Stimmen in allen niederländischen Wahllokalen und erstellten so trotzdem ein schnelles Meinungsbild nach der Wahl. Die Aktivisten waren verbunden mit dem ziemlich hyperaktiven Webmagazin GeenStijl, das die Kampagne begleitete. Aus demselben Kreis ging auch die Initiative für das niederländische Referendum über das Abkommen zwischen der EU und der Ukraine im April 2016 hervor. Die Namensgebung GeenPeil ist natürlich wegen des Reims mit GeenStijl gewählt. Die Schreibweisen <ei> und <ij> sind in der niederländischen Orthographie einer der wenigen Fälle, in denen dieselbe Lautfolge mit unterschiedlichen Graphemen ausgedrückt wird. Ansonsten zeichnet sich die niederländische Rechtschreibung etwa gegenüber dem Englischen oder Französischen sehr dadurch aus, dass die Zuordnung von Aussprache und Schreibung relativ konsequent und arm an Ausnahmen ist.

Ziel von GeenPeil ist es jedenfalls, tatsächlich keine Peilung zu haben. Die Partei stellt sich nämlich ganz ohne Programm zur Wahl und will später die Parteimitglieder per App bei jeder Parlamentsabstimmung vorher befragen, wie die Abgeordneten stimmen sollen. Der Ansatz ähnelt denen der Piratenparteien in verschiedenen Ländern oder des Movimento Cinque Stelle in Italien – alles Beispiele, die eher skeptisch stimmen. Aber vielleicht werden die Bürgerinnen und Bürger in den Niederlanden im März ja nicht skeptisch stimmen, sondern optimistisch wählen.

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Der Beitrag wurde am Dienstag, den 24. Januar 2017 um 10:14 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Allgemein abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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