Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Zurückgeschafft

Es gibt Neues von „wir schaffen das“. Nicht in Deutschland allerdings. Angela Merkel schafft es nicht mehr. Das ist natürlich keine Prognose zur Bundestagswahl. Sie schafft es nicht mehr, ihren emblematischen Slogan „Wir schaffen das“ über die Lippen zu bringen.

In letzter Zeit konzentriert sie sich mehr auf das, was in der Schweiz Ausschaffung genannt wird. In Deutschland spricht man von Abschiebung. Beides keine besonders eleganten Begriffe. Wie ungestüm der Vorgang abläuft, lässt sich daran schon ablesen. Das Niederländische wirkt mit uitzetting oder uitwijzing kaum subtiler. Bezugspunkt bei diesen Worten ist das eigene Land; die restliche Welt ist draußen und dort sollen die Unerwünschten hin. Die Priorität ist klar: Es geht hinaus oder weg – eigentlich egal, wohin. Hauptsache nicht hier bei uns. Wie wörtlich diese Ansicht zu verstehen ist, zeigen die Konsequenzen der Abschiebungen nach Afghanistan in jüngster Zeit.

Weil man die harte Realität nicht zu deutlich machen möchte, greift man auf Deutsch in letzter Zeit häufiger zum Wort Rückführung. Führen muss man jemanden, der den Weg nicht kennt. Die meisten Flüchtlinge kennen den Weg nur zu gut, sie haben ihn schließlich in Richtung Europa selbst suchen und sehr intensiv erleben müssen. Natürlich folgen die meisten Flüchtlinge keineswegs freiwillig den Behörden in ihr Herkunftsland. Wenn dem so wäre, müssten sie nicht zurückgeführt werden, sondern sie würden einfach zurückkehren, wofür es auch eigene Programme gibt.

Terugvoeren gibt es im Niederländischen zwar, aber im Zusammenhang mit Flüchtlingen benutzt man es überlicherweise nicht. (Stattdessen z.B. eher für etwas auf seine Ursachen zurückführen). Aus den Niederlanden will mal Flüchtlinge lieber terugsturen. Das ist bequemer, denn dann müsste noch nicht einmal jemand mitkommen. Ansonsten greift das Niederländische gern zum Latein. Wer sich nicht freiwillig repatriëren lässt, dem droht die expulsie.

Abschiebung, biblisch: die „Vertreibung aus dem Paradies“ in der Kathedrale von Mechelen. (A. Meskens, CC-BY-SA-3.0)

Ähnlich wie in Deutschland gibt es in Belgien ein vrijwilligeterugkeerprogramma – ein Bürokratiekompositum wie es das Deutsche kaum besser zustande gebracht hätte. In den Niederlanden hat man sich eine knackige englische Abkürzung einfallen lassen: REAN. Das steht für Return- and Emigration Assistance from the Netherlands. Eine niederländische Bezeichnung braucht man dafür anscheinend nicht. Man geht vielleicht davon aus, dass die Zielgruppe gar kein Niederländisch kann.

Im Unterschied zur Abschiebung ist bei solchen Begriffen das räumliche Bezugssystem ein anderes. Es verweist genauer auf einen Punkt, nämlich zurück zum Herkunftsort. Freiwillig, Hilfe, führen: Das alles klingt großzügig und großherzig. Als wollte man den Abgewiesenen sagen: „Ihr schafft das!“ Aber auch: „Selbst wenn ihr noch so integrationswillig seid, bei uns könnt ihr nicht bleiben.“

Integrieren will man in Flandern und den Niederlanden lieber den Spruch Wir schaffen das oder das Verb schaffen allgemein. Als Chiffre für Merkels (ehemalige) Flüchtlingspolitik kennt man es längst. Wie lange es überlebt hängt von den Entwicklungen ab. Das Thema ist nicht mehr so akut und die deutsche Politik ist längst nicht mehr so großzügig wie sie 2015 aussah. Vielleicht überlebt schaffen im Niederländischen trotzdem. Inzwischen hat es sich nämlich breiter gemacht. Es tauchen schon Verwendungen auf, die mit Flüchtlingspolitik nichts zu tun haben.

Ein Flame, der eine ARD-Quizsendung gewinnt, hat es „geschafft“. Zumindest gibt es einen Bezug zu Deutschland, ähnlich wie bei der Haltung Merkels zum Brexit. Wenn es um geteiltes Sorgerecht für Kinder geht („Co-ouderschap: Wir schaffen das!“), bleibt von Deutschland nichts mehr übrig. Dasselbe gilt für Bildungspolitik in den Niederlanden („Het probleem: leraren schaffen das“) oder Gesundheitspolitik. Da ist im NRC selbst ein ganzer Satz mit Perfekt und Negation nicht mehr unmöglich: „Minister Schippers (Volksgezondheid) hat es nicht geschafft.“ Ist das noch ein niederländischer Satz oder schon ein deutscher? Die Grenzen sind offen. Bei der Aufnahme von Redewendungen scheint jede Kreativität und Mühe recht zu sein. Beim Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern dagegen zählt vor allem das Prinzip raus, egal wie.

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Der Beitrag wurde am Freitag, den 21. April 2017 um 10:30 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Sprachvergleich, Wortschatz abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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