Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Kleine gelbe Hessen

Es ist inzwischen ein paar Jahre her, seit das Deutsche den Namen einer Protestbewegung exportiert hat: Pegida. Seit Ende des letzten Jahres macht ein neuer Begriff die Runde: die gilets jaunes aus Frankreich. Mit Pegida haben sie die Kopflosigkeit gemein, politisch sind sie dagegen (noch?) deutlich weniger fassbar: Von konkreten Forderungen zur sozioökonomischen Lage bis hin zu antidemokratischer Gewalt ist alles vorhanden.

Die Heterogenität mag mit dazu beitragen, dass die Bewegung selbst in den Nachbarländern bisher recht wenig Nachahmung findet – bei Pegida mit seiner klar rechtsnationalen Ideologie ging die Ausbreitung jenseits der Landesgrenzen deutlich schneller. Wo bisher Pegida war, da versucht man in Deutschland, Belgien oder den Niederlanden mit mittelmäßigem Erfolg, die gelben Westen als Markenzeichen zu übernehmen und in die völkisch-nationalistischen Demonstrationen zu integrieren.

Gelbweste im natürlichen Lebensraum. (N. Gyachung, CC-BY-SA 4.0)

Trotzdem wird über die gilets jaunes natürlich viel gesprochen und geschrieben. Allerdings vergleichsweise selten als gilets jaunes in der Originalform. Auf Deutsch ist viel öfter von Gelbwesten die Rede, auf Niederländisch von gele hesjes.

Es zeigt sich wieder, wie das Deutsche ein Adjektiv und ein Nomen gerne zu einem Kompositum zusammenzieht, während man beide im Niederländischen oft getrennt hält. Damit erreicht man auf Deutsch praktische Bedeutungsunterschiede: Das Nomen behält seine ursprüngliche Bedeutung und wird durch das Adjektiv näher beschrieben, wenn beide separat bleiben. Werden sie verbunden, dann entsteht oft eine übertragene Bezeichnung, z.B. mit einem metaphorischen oder metonymischen Hintergrund. Eine gelbe Weste ist einfach nur ein Kleidungsstück mit einer bestimmten Farbe. Eine Gelbweste ist ein Mitglied der Protestbewegung, erkennbar an genau diesem Accessoire. Ebenso weiß man beispielsweise, dass ein Schwarzkittel ein Wildschwein ist, ein schwarzer Kittel dagegen einfach ein dunkles Kleidungsstück.

Im Niederländischen sind solche Unterscheidungen seltener an der Form zu erkennen. In der Regel reicht der Kontext trotzdem aus, um zu entscheiden, ob ein geel hesje eine beliebige Warnweste ist oder ob es um ein spezifisches Symbol für politische Unzufriedenheit geht. Im Deutschen hat sich Gelbwesten auch noch nicht komplett durchgesetzt; die getrennte Form ist immer noch häufig zu finden. Aber auch hier lässt sich gut markieren, dass es nicht einfach um irgendein ärmelloses gelbes Stück Stoff geht, nämlich mit der Großschreibung als Gelbe Westen.

Interessant ist, dass die niederländischen hesjes praktisch immer im Diminutiv vorkommen. Das liegt nicht daran, dass man die Protestbewegung verniedlichen möchte oder sie nicht ernst nimmt. Das Kleidungsstück an sich wird einfach selten als hes bezeichnet. Ob der Diminutiv darauf zurückgeht, dass eine solche Weste immer ärmellos ist, also quasi reduziert gegenüber vergleichbaren Kleidungsstücken? Unter einem Gelbwestchen würde ich mir jedenfalls eher einen Kanarienvogel vorstellen als jemanden, der am Kreisverkehr die Durchfahrt blockiert.

Auch wenn die Gelbwesten ein französisches Phänomen sind: Das niederländische Wort selbst ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein deutsches Lehnwort. Es lässt sich zwar nicht mit Sicherheit belegen, spekuliert wird aber offenbar, dass es letztendlich auf Hessen zurückgehen könnte.

Versuch der Übernahme: Niederländische Gelbwesten in Schwarz-Weiß. (G. van Nispen, CC-BY-SA 2.0)

Aber warum wird nicht der französische Begriff übernommen, wieso die Lehnübersetzungen? Immerhin hat sich Pegida doch in vielen Nachbarsprachen rasend schnell verbreitet. Vielleicht weil gilets jaunes sich mit dem [ʒ] nicht so leicht ins Deutsche oder Niederländische einpasst: Den Laut gibt es zwar in vielen Lehnwörtern und das Wort gilet alleine kennen Deutsch und Niederländisch auch, als Teil eines schicken dreiteiligen Anzugs. Aber zumindest im Deutschen wird der Laut oft genug durch andere Laute oder Kombinationen ersetzt. Zahlreiche Dschornalistinnen und Schurnalisten kennen das. Und zweimal [ʒ] hintereinander ist vielleicht einfach zu viel. Weniger Schwierigkeiten hat man mit dem [ʒ] nur im Land der Aschebeschä: in Hessen. Also dort, wo die Westen herkommen. Sicher kein Zufall.

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Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 20. Februar 2019 um 10:46 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Sprachvergleich, Wortbildung, Wortschatz abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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