Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Europasprache Niederländisch

“Jetzt wird in Europa Deutsch gesprochen!” Vor einigen Jahren prägte der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Kauder diesen ebenso unsympathischen wie unzutreffenden Satz im Zusammenhang mit der Sparpolitik vor allem in Südeuropa.

Auch nach dem Brexit dürfte in der EU das Englische wichtig bleiben, aber die heimliche Hauptsprache der Europapolitik ist ganz offenkundig Niederländisch. Ende des Monats ist Europawahl (HINGEHEN!) und momentan präsentieren sich im Wahlkampf die Spitzenkandidat*innen der europäischen Parteien. Wo man hinschaut, ständig stehen auf der Bühne Personen, die Niederländisch als Muttersprache haben.

Frans Timmermans (l.), Bas Eickhout (2.v.r.), Guy Verhofstadt (r.) (politico.eu)

Für die Sozialdemokratische Partei will Frans Timmermans Kommissionspräsident werden (er ist momentan Vizepräsident der Kommission).

Für die Grünen tritt als Co-Spitzenkandidat Bas Eickhout an; er ist Europaabgeordneter von GroenLinks. (Ebenfalls um die Spitzenkandidatur der Grünen bewarb sich Petra De Sutter aus Flandern, die allerdings nicht gewählt wurde.)

Im siebenköpfigen Spitzenteam der Liberalen ist einer der bekanntesten Köpfe Guy Verhofstadt, ehemals belgischer Premierminister und jetzt Vorsitzender der Fraktion im Europaparlament.

Zusammen genommen decken die drei Politiker einen großen Teil des niederländischen Sprachraums in Europa ab: Verhofstadt ist in Dendermonde geboren und in Gent aufgewachsen. Eickhouts Geburtsort ist Groesbeek direkt an der deutschen Grenze, zur Schule ging er in Tilburg, dann studierte er in Nijmegen. Timmermans ist in Maastricht geboren, wuchs aber in Brüssel auf (und in Rom, das zugegebenermaßen knapp außerhalb des Sprachgebiets liegt).

Was fehlt, ist der Norden und Nordwesten des Sprachraums, von Groningen über Friesland bis Holland. Hört man den Politikern zu, entdeckt man vor allem viel zachte g und wenig Gooise R. Vielleicht ein Vorzeichen für künftige politische Zusammenarbeit? Wer sich sprachlich so einig ist, sollte doch auch politisch miteinander zurechtkommen.

Allerdings muss man sich gerade jetzt im Wahlkampf ziemlich anstrengen, die drei Kandidaten überhaupt Niederländisch sprechen zu hören. Wie viele Niederländer verhält sich Bas Eickhout: Er spricht einfach überall Englisch, außer zuhause. Guy Verhofstadt tut das auch oft, und auf Englisch kann er sich am besten in Rage reden. Aber wenn es passt und er vorbereitet ist, hört man von ihm auch einmal ein bisschen Deutsch oder Französisch (Belgitude oblige). Trotz Schulzeit in Gent hat er im Niederländischen noch das Zungenspitzen-R behalten (vielleicht eine Generationenfrage), das er auch mitnimmt ins Deutsche, aber nicht ins Französische.

Noch mehrsprachiger ist allerdings Frans Timmermans. Ihm kann man zwanglos zuhören auf Englisch, Französisch, Deutsch und Italienisch – und auch auf Russisch (z.B. in einem älteren Video, in dem er seine Mehrsprachigkeit gnadenlos als Werbemittel einsetzt).

Das ist sicherlich beeindruckend, aber ob es bei der Wahlentscheidung weiterhilft? Ein wenig kommt es schließlich auch darauf an, was jemand zu sagen hat und nicht unbedingt, in welcher Sprache. Und prominente, innovative Vorschläge zu Sprachpolitik und Mehrsprachigkeit in der EU hat man von keiner der europäischen Parteien in letzter Zeit vernommen, weder auf Niederländisch noch auf Deutsch oder Englisch.

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Der Beitrag wurde am Montag, den 13. Mai 2019 um 14:57 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Allgemein, Niederlande abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

2 Reaktionen zu “Europasprache Niederländisch”

  1. Michael Kempen

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    es war sehr interessant, diesen Beitrag zu lesen. Mich ärgert sehr hier die Schreibweise „Spitzenkandidat*innen“. Hören Sie bitte damit auf! Schließlich ist es keine offizielle Rechtschreibung und Sie erreichen damit auch nicht, diese Regel zu erzwingen! Die deutsche Sprache ist halt so entstanden, dass die Frauen eine -in bekommen haben! Meiner Mutter und meiner Schwester stört es nicht. Nach mir wäre das Beste, Kandidato für den Mann, Kandidata für die Frau, Kandidati für beides und „Kandidate“ als neutral zu schreiben, wie es im Italienischen so ist, aber das ist dann auch ein Wunschtraum!

    Mit freundlichen Grüßen
    Michael Kempen

  2. Philipp Krämer

    Danke für Ihren Kommentar. Bei einem persönlichen Text treffe ich selbstverständlich Entscheidungen über die Schreibweise selbst. Als Autor steht es mir frei, die Sichtbarmachung von unterschiedlichen Identitäten in der Sprachform für wichtig zu halten und dafür diejenige Schreibweise auszuwählen, die mir geeignet erscheint. Wenn es gelingt, dass dadurch unsere Leser*innen zum Nachdenken über die Wirkung von Sprache angeregt werden, freut mich das besonders.
    Was uns darüber hinaus auch freut, sind Beiträge, die sich mit den Inhalten unserer Blogbeiträge auseinandersetzen.