Der Stand von Open Access und Open Science Policies. Eine Diskussion am Beispiel Berliner Hochschulen

Von Maike Neufend

In Berlin haben aktuell 10 von 14 öffentlich-rechtlichen bzw. konfessionellen Hochschulen eine eigene Open Access Policy verabschiedet bzw. veröffentlicht. Die Freie Universität Berlin (FU, 5.5.2021) und die Humboldt-Universität zu Berlin (HU, 26.10.2021) haben ihre Open-Access-Policies bereits einmal aktualisiert. Eine Übersicht aller Policies findet sich auf der Website des OABB.

Als erste Universität in Berlin hat die Humboldt-Universität zu Berlin am 9. Mai 2006 eine Open Access Policy verabschiedet. Rund zwei Jahre später veröffentlichte die Freie Universität Berlin ihre Open Access Policy, am 23. Juli 2008. Zuletzt haben auch die Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB, 2021) und die Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH, 6.1.2022) eine eigene Open Access Policy verabschiedet.

Aktuelle Open Access Policies – Beispiele

Obwohl Studien bspw. aus dem Projekt Open Access Policy Alignment Strategies for European Union Research belegen, dass verpflichtende Policies wirksamer als empfehlende sind (vgl. Swan et al. 2015, S. 20), werden Wissenschaftler*innen in Deutschland und Europa kaum ausdrücklich dazu verpflichtet, ihre Forschungsergebnisse Open Access zur Verfügung zu stellen (Gold oder Grün). Anstatt dessen wird eine Open-Access-Publikation gefordert oder empfohlen (vgl. Swan et al. 2015, 18). Die Uniersität Konstanz hatte erstmalig in ihrer Satzung zur Ausübung des wissenschaftlichen Zweitveröffentlichungsrechts vom 10. Dezember 2015 Wissenschaftler*innen dazu verpflichtet, ihr Recht auf Zweitveröffentlichung wahrzunehmen. Gegen diese Satzung klagen 17 Hochschullehrende der Universität Konstanz mit der Begründung, diese verstoße gegen das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG).

Ob es rechtlich bindende Veröffentlichungspflichten auch in Deutschland geben kann, hängt maßgeblich von den verfassungsrechtlichen Anforderungen ab. Dies erklärt auch die Zurückhaltung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Die zwei größten deutschen Förderinstitutionen für Wissenschaft fordern und fördern Open Access umfangreich, aber auch sie verpflichten nicht zur Open-Access-Veröffentlichung. In der Open Access Strategie des BMBF aus dem Jahr 2016 wird „Open Access als Standard in seiner Projektförderung auf[genommen]“, aber verpflichtet werden Wissenschaftler*innen beim Erhalt von Forschungsförderung dazu nicht (S. 8). Anders formulieren es europäische Forschungsförderprogramme wie Horizon2020, die ausdrücklich zur Open-Access-Publikation verpflichten.

Die Open Access Policies der Hochschulen sind wiederum nicht an Forschungsförderung gebunden und richten sich an alle Hochschulangehörigen. Allerdings verpflichten sich die Hochschulen selbst dazu, Eigenpublikationen, „sofern dem keine rechtlichen Rahmenbedingungen entgegenstehen, unter einer offenen Lizenz (vorzugsweise CC BY)“ zu veröffentlichen (HU Policy, 26.10.2021, Punkt 5). Ähnlich formulieren es auch die aktualisierte Policy der FU Berlin, und die Policies der KHSB und der ASH.

Im Vergleich zu den Policies der ersten Generation sind einige Inhalte hinzugekommen. In der Policy der HU von 2006 werden das Einreichen von Publikationen in OA-Journalen oder auf OA-Plattformen empfohlen und auf die Veröffentlichung von Pre- und Postprint-Versionen auf Publikationsservern verwiesen. Die aktuelle HU Policy „empfiehlt für Forschungsergebnisse die Erstveröffentlichung unter freier Lizenz (bevorzugt CC BY)“ und fordert „ihre Mitglieder auf, ihr Zweitveröffentlichungsrecht aktiv wahrzunehmen und alle Publikationen parallel oder nach jeweils geltenden Embargofristen ausschließlich über Repositorien zu veröffentlichen“ (Punkt 2). Des Weiteren wird den Mitgliedern der HU Berlin empfohlen, positiv auf das Reputationssystem von Open-Access-Publikationen einzuwirken, indem diese als Gutachter*innen oder Herausgeber*innen von OA-Publikationen tätig sind bzw. werden sollen (Punkt 4). Für die eigene Forschungstätigkeit sollen Hochschulangehörige den offenen persistenten Identifikator ORCID iD verwenden (Punkt 8). Darüber hinaus werden Hochschulangehörige in Form von Verlagsverträgen ermutigt, ihre Urheberrechte auch wahrzunehmen, indem sie nur einfache Nutzungsrechte an die Verlage übertragen (Punkt 3).

Die erste Open Access Policy der FU Berlin aus dem Jahr 2008 ist recht kurz gehalten, weist aber doch einige Besonderheiten auf. Auffällig ist, dass den Hochschulangehörigen für die Herausgabe von Open-Access-Zeitschriften eine eigene Publikationsplattform durch das Center für Digitale Systeme (CeDiS) zur Verfügung gestellt wurde. Heute betreut CeDiS über 30 Zeitschriften über das Open Journal System (OJS). Auch für Verlagsverträge empfiehlt die Policy den Autor*innen sich „möglichst ein nicht ausschließliches Verwertungsrecht zur elektronischen Publikation bzw. Archivierung ihrer Forschungsergebnisse zwecks entgeltfreier Nutzung fest und dauerhaft vorzubehalten“. Diese Klausel wird in der aktualisierten Policy (10.6.2021) noch deutlicher formuliert, indem bei Verlagsverträgen empfohlen wird, „lediglich das einfache Nutzungsrecht einzuräumen. Sollte das nicht möglich sein, wird empfohlen, sich das Recht auf parallele Online-Veröffentlichung im Refubium ausdrücklich vorzubehalten“. Neben dem Open Journal System (OJS), stellt die FU jetzt auch das Open Monograph Press (OMP) für Universitätsangehörige zur Verfügung. Wie die Open Access Policy der HU spricht diejenige der FU eine Empfehlung für Nutzung der ORCID iD aus und ermutigt ihre Mitglieder, „sich bei anerkannten Open-Access-Publikationsorganen in Herausgabe-, Redaktions- und Begutachtungsfunktionen zu engagieren“. In der Open Access Policy der FU wird zudem darauf hingewiesen, dass die Universitätsbibliothek „Hochschulangehörige bei allen Fragen des wissenschaftlichen Publizierens“ durch Beratung und Finanzierung unterstützt (Punkt 7).

Es sind mittlerweile Infrastrukturen wie Repositorien und Finanzierungs- sowie Beratungsangebote an vielen Hochschulen etabliert, so dass sich die Inhalte und der Tenor der aktuellen Open Access Policies, im Vergleich zur ersten Generation, verändert haben. Sie geben häufig eine Richtung vor, die auch den Diskussionsstand in der Open Access Community widerspiegelt. Dies zeigt sich beispielsweise in dem Zusatz, den die ASH in ihrer Policy anführt: „Das Engagement für nicht-kommerzielle Angebote wird besonders befürwortet.“ Im Allgemeinen ist die Aufforderung an Wissenschaftler*innen, das Ökosystem Open Access selbst durch ein gezieltes Engagement in Begutachtungs- und Herausgebertätigkeit zu unterstützen, begrüßenswert. Es zeigt jedoch auch, dass der Kulturwandel weniger durch verpflichtende Leitlinien seitens der Hochschulleitungen ausgebaut wird. Der Erfolg der Open-Access-Transformation baut weiterhin auf das Handeln einzelner Wissenschaftler*innen auf. Eine Möglichkeit für Hochschulleitungen das Open-Access-Publizieren der Hochschulangehörigen verantwortungsvoller zu unterstützen, ist die Anerkennung von Open-Access-Publikationen bei der Beurteilung wissenschaftlicher Leistungen. Obwohl dieser Aspekt bereits 2018 in 6 Open Access Policies deutscher Hochschulen benannt wurde (vgl. Riesenweber und Hübner, 2018), nimmt keine der hier besprochenen aktuellen Open Access Policies dazu Stellung.

Von Open Access zu Open Science

Im vergangenen Jahr wurden deutschlandweit die ersten Open Science Policies auf Einrichtungsebene veröffentlicht. Dazu gehören die Open Science Policy der Ernst-Abbe-Hochschule Jena (16.2.2021), die Open-Science-Richtlinie der Hochschule Anhalt (17.3.2021), die Open Science Policies der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (13.10.2021) und der Universität Konstanz (24.11.2021). In den Policies wird mitunter gefordert, „alle Bestandteile des wissenschaftlichen Prozesses offen zugänglich und nachnutzbar zu machen“ und dies „in allen Phasen des Forschungsprozesses“ (vgl. Präambel, Universität Konstanz). Hier wird deutlicher, wie nicht nur das Engagement einzelner Wissenschaftler*innen die Transformation vorantreibt, sondern dieses Engagement als wissenschaftliches Leistungsmerkmal anerkannt wird bzw. werden soll. Die Universität Konstanz markiert diese Leistungsanerkennung in ihrer Open Science Policy als bestehenden Sachverhalt (Präambel). Die Friedrich-Alexander-Universität formuliert etwas detaillierter, dass die Einrichtung selbst für „[d]ie Einbettung von Open-Science-Praktiken in Rekrutierungs-, Forschungs- und Evaluierungskriterien“ verantwortlich ist (Seite 3, Punkt 3).

In Berlin wird dieser Blickwechsel ebenso gefordert: Das Berliner Hochschulgesetz, gültig ab dem 25. September 2021, legt unter § 41 Abschnitt 5 fest: „Die Hochschulen fördern die Anerkennung von Praktiken offener Wissenschaft (Open Science) bei der Bewertung von Forschungsleistungen im Rahmen ihrer internen Forschungsevaluation und bei Einstellungsverfahren“. Wie diese Forderung zukünftig in die Praktiken, Policies und Strategien von Berliner Einrichtungen Einzug hält, ist Gegenstand des weiteren Aushandlungsprozess, unter anderem im Rahmen der Hochschulverträge. Das Open-Access-Büro Berin hat im Auftrag von und in Abstimmung mit der AG Open-Access-Strategie für Berlin unter Leitung des ehemaligen Staatssekretärs für Wissenschaft und Forschung Steffen Krach und des Direktors der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin Andreas Brandtner eine Empfehlung für eine Landesinitiative für mehr offene Wissenschaft in Berlin vorgelegt, die in diesem Blog in einer kurzen Fassung veröffentlicht wurde. In der Empfehlung für eine Landesinitiative Open Research Berlin streben die Berliner wissenschaftlichen und kulturellen Landeseinrichtungen gemeinsam an, die Förderung von Offenheit und Transparenz in Bezug auf den gesamten Forschungsprozesses im Sinne einer offenen Wissenschaft (Open Science bzw. Open Research) umzusetzen.

Die Universität Konstanz und die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg haben mit ihren Open Science Policies primär den Bezug auf Handlungsfelder im Bereich der Hochschulen erweitert: Neben dem offenen Zugang zu Bildungsinhalten und Lehrmaterialien (Open Educational Ressources), der nachvollziehbaren Dokumentation von Methoden (Open Methodology), der Publikation von Forschungsdaten (Open Data) und Software (Open Source), der Publikation von Verwaltungsdaten sowie der offenen Wissenschaftskommunikation in und mit der Gesellschaft, wird Open Access als die uneingeschränkt zugängliche Publikation von Forschungsergebnissens zu einem Handlungsfeld von Vielen.

Ein Blick auf das Handlungsfeld Open Access innerhalb der Open Science Policy der Universität Konstanz zeigt, dass zwar wichtige Impulse aufgenommen werden, wie bspw. die Unterstützung offener Begutachtungsverfahren, doch werden diese Aussagen seitens der Einrichtung nicht mit verbindlichen Verantwortungsbereichen oder konkreten Unterstützungsangeboten untermauert. Die Friedrich-Alexander-Universität zählt hingegen das „Experimentieren mit Open-Peer-Review“ zu einer möglichen Open-Science-Praktik, die auch in Rekrutierungs-, Forschungs- und Evaluierungskriterien eingebettet wird (S. 3, Punkt 3). Ähnlich wie in den aktualisierten Open Access Policies der HU und FU wird auch dort die Verwendung von Identifikatoren wie ORCID iD empfohlen (S. 4).
Insgesamt bleibt der Verpflichtungsgrad zu Open Access in der Open Science Policy der Universität Konstanz hinter aktuellen Open Access Policies zurück. So wird die Erst- und Zweitveröffentlichung von Forschungsergebnissen (Goldener und Grüner Weg zu Open Access) nicht direkt adressiert, die Universität selbst verpflichtet sich nicht ausdrücklich zu Open Access in ihren Eigenpublikationen und ORCID iD findet keine Erwähnung. Auch die Open Science Policy der Hochschule Anhalt führt diese Open-Access-Praktiken nicht auf. Positiv hervozuheben ist jedoch, dass – ähnlich wie es die Alice Salomon Hochschule formuliert – auch dort Angehörige der Hochschule darin unterstützt werden, „verlagsunabhängige[r] Publikationsstrukturen“ zu nutzen (Abs. 4). Auffällig ist zudem, dass nur die Open Science Policy der FAU und die Open Access Policies der FU und der ASH selbst unter einer offenen Lizenz (Creative Commons) und mit einer doi (digital object identifier) veröffentlicht sind.

Den Erfolg von Policies bemessen?

Auch wenn Policies gemeinhin keine eigenen Quoten zur Bemessung von Open Access festlegen, formuliert die Open Science Policy der Friedrich-Alexander-Universität, dass die Einrichtung verantwortlich dafür ist, den Fortschritt von Open Science zu messen. Die Erhebung von Kennzahlen und die damit einhergehende institutseigene Dokumentation oder ein kooperierendes Monitoring müssen implementiert werden. In diesem Falle werden Hochschulangehörige darin unterstützt, ihre Forschungsergebnisse über das Forschungsinformationssystem FAU CRIS zu importieren, „mit einem entsprechenden Kennzeichen, ob es sich um eine Open-Access-Publikation handelt“ (FAU Policy).
Auch in Berlin werden Zahlen zum Bemessen des Fortschritts im Bereich Open Access erhoben. Die Open-Access-Strategie des Berliner Senats von 2015 formuliert unter anderem das Ziel, dass bis 2020 60% aller Zeitschriftenartikel aus wissenschaftlichen Einrichtungen in der Zuständigkeit des Landes Berlin im Sinne von Open Access zugänglich sein sollen. Die Zahlen des aktuellen Monitoring Berichts 2019 suggerieren, dass dieses Ziel höchstwahrscheinlich erreicht wird.

Doch wie kann die Quantifizierbarkeit von Fortschritt im Bereich Open Science über die reine Erhebung von Veröffentlichungen hinaus gehend bemessen werden? Diese Frage muss Bestandteil weiterer strategischer Überlegungen und einer offenen Diskussion, auch auf Länderebene sein. Das Open-Access-Büro beteiligt sich an dem Projekt „BUA Open Science Dashboards – Entwicklung von Indikatoren und Screening Tools für prototypische Umsetzung“ zusammen mit dem QUEST Center an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, um gemeinsam mit den Communities disziplinspezifische Indikatoren zu entwickeln, die neben Kriterien einen offenen Wissenschaftsparaxis auch die FAIR-Kriterien berücksichtigt.

Der Policy-Prozess als aktiver Kulturwandel

Häufig werden Aktualisierungen von Open Access und Open Science Policies sinnvoll durch Programme von Forschungsförderern wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) angestoßen (Putnings und Söllner 2022). Um die Möglichkeit eines dynamischen Policy-Prozesses zu etablieren, sollten diese einer Form der Aktualisierungspflicht unterliegen. Mit der Anpassung an gegenwärtige Herausforderungen und der Ausweitung der Handlungsfelder von Open Access zu Open Science können Policies als Prozess verstanden werden, in dem die Einrichtung einen gemeinsamen Standpunkt erarbeitet. Um einen Kulturwandel voranzutreiben, können Policies als verantwortungsvolle Positionierung der Einrichtung im Diskurs und als Motivation für die Forschenden dienen. Ob eine Policy auch Wirksamkeit zeigt, lässt sich jedoch nur durch den Erfolg von Open-Access- und Open-Science-Praktiken an den jeweiligen Einrichtungen bemessen.

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