Bei einer Podiumsdiskussion rückte Gerard Meijer, Vize-Sprecher der DEAL Gruppe, das Open-Access-Publizieren im Rahmen von DEAL in die Nähe von Diamond Open Access. Dabei unterscheiden sich die beiden Ansätze fundamental und sollten nicht miteinander verwechselt werden. Ein Diskussionsbeitrag aus dem Open-Access-Büro Berlin.
Ein Beitrag von Georg Fischer, Maike Neufend und Maxi Kindling
Zitiervorschlag: Fischer, Georg, Maike Neufend, und Maxi Kindling. 2024. „DEAL ≠ Diamond. Ein Diskussionsbeitrag zur Souveränität des wissenschaftlichen Publikationswesens“. Open Access Blog Berlin (blog). 27. November 2024. https://doi.org/10.59350/ab01a-dj116.
Wenn Wissen zur Ware wird: Hintergründe und Auswirkungen der DEAL-Verträge
Die sogenannte DEAL-Gruppe ist für die gleichnamigen Verträge zwischen der deutschen Wissenschaft und den drei transnationalen Großverlagen Wiley, Springer Nature sowie seit Anfang 2024 auch Elsevier verantwortlich. Zusammengenommen machen alleine diese drei Verlage etwa die Hälfte des wissenschaftlichen Publikationsmarktes in Deutschlands aus. Die DEAL-Verträge waren einst als „Transformationsverträge“ bekannt, da mit ihnen das Ziel verfolgt wurde, das Publikationswesen zu transformieren: also von geschlossenen Publikationen auf Open Access umzustellen. In jüngerer Zeit werden die DEAL-Verträge als „Publish-and-Read“-Verträge bezeichnet: Einerseits sollen Forschende auf der Grundlage von DEAL in den genannten Großverlagen im Open Access veröffentlichen können, andererseits wird durch DEAL den teilnehmenden Einrichtungen der Lesezugang zu den Verlagsarchiven geöffnet. Von rund 1.000 berechtigten deutschen Einrichtungen nimmt derzeit die überwiegende Mehrheit von rund 900 am DEAL mit Elsevier teil. Bei Springer und bei Wiley sind es aktuell jeweils rund 500 Einrichtungen.
Mit DEAL tendiert das unternehmerische Risiko für Verlage gegen Null
Die Verträge im Rahmen von DEAL haben zur Folge, dass die Großverlage ihr Geschäftsmodell im Publikationssektor wesentlich umstellen. Das traditionelle Geschäftsmodell sah es vor, dass Verlage Texte nach der Publikation auf einem Markt monetär verwerten (etwa mit dem Verkauf von Abonnements an Bibliotheken oder gar dem Verkauf von Einzelzugängen an Endnutzer*innen). Mit den „Publish-and-Read“-Verträgen von DEAL bekommen die Verlage dagegen von den Bibliotheken nun im Vorhinein Gebühren, um Texte im Open Access zu publizieren. Dabei werden erstaunliche Summen von mehreren tausend Euro pro Artikel aufgerufen. In den Elsevier-Zeitschriften Cell Press und The Lancet beispielsweise beträgt die „Article Processing Charge“ (APC) pro Aufsatz rund 6.500 EUR, in den restlichen Zeitschriften des Verlags derzeit rund 2.500 EUR. Daneben bezahlen die Bibliotheken für den Lesezugang zu den Archiven der Verlage.
Für die Forschenden wird der Prozess von Bezahlung, Abwicklung und Publikation bei DEAL freilich komfortabler. Sie müssen nichts vorstrecken, die Bibliotheken kümmern sich um den gesamten, Zeit fressenden Abrechnungsvorgang. Die Verlage gewinnen selbstverständlich auch: Sie haben keinerlei unternehmerisches Risiko bei der Veröffentlichung der wissenschaftlichen Texte mehr. Monetär betrachtet ist es schlichtweg egal, ob ein Open-Access-Artikel bekannt, zahlreich aufgerufen wird, sich gut verkauft oder in der breiten Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erfährt. Der verlegerische Anreiz, einen qualitativ hochwertigen Aufsatz oder ein interessantes Buch zu verlegen, auf dem Markt zu bewerben und zu verkaufen, tendiert für die DEAL-Verlage damit gegen Null.
Datentracking, technische Abhängigkeiten, Zementierung globaler Hierarchien
Demgegenüber steigt für diese Verlage nur der Anreiz, so viele Texte wie möglich im Open Access zu publizieren, egal ob sie wissenschaftlichen Qualitätskriterien genügen oder nicht. Statt wissenschaftlicher Qualität wird also endloses Wachstum incentiviert. Die lange Vertragslaufzeit über fünf Jahre (2024–2028) ermöglicht es den wenigen Großverlagen zudem, ihre marktbeherrschende Stellung zu festigen, Surveillance-Methoden mittels Datentracking aufzubauen und neue Geschäftsmodelle zu etablieren, die mit Publizieren im engen Sinne nichts zu tun haben.
Öffentliche Einrichtungen, die im besten Interesse der Gemeinschaft handeln sollten, unterstützen damit also nicht den Wettbewerb, sondern zementieren das Oligopol dieser Verlage. Zudem können die öffentlichen Einrichtungen nicht flexibel auf sich verändernde Bedingungen reagieren. Denn umfangreiche finanzielle Ressourcen sind für mehrere Jahre gebunden, unabhängig davon, ob Dienstleistungen noch gebraucht werden. Und dabei geht es um weit mehr als das deutsche Wissenschaftssystem. Solche Vereinbarungen wie DEAL – zwischen Ländern des Globalen Nordens und transnationalen Verlagsunternehmen – legen fest, wer an der Veröffentlichung ihrer Forschung im Open Access teilnehmen kann und wer nicht. Dies führt aber zwangsläufig zur Schaffung von Hierarchien und zur Reproduktion der „hegemonialen Weißheit in der Wissensproduktion“.
DEAL ≠ Diamond Open Access
Gerard Meijer ist Physikochemiker und Direktor am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft. Dazu kommt sein Amt als Vize-Sprecher der DEAL-Gruppe. Im März 2024 erörterte Meijer bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „The Future of our Publication System“ mit seinem Kollegen Roderich Moessner, Festkörperphysiker und ebenfalls Direktor eines Max-Planck-Instituts, die DEAL-Verträge. Ein Bericht zu eben dieser Diskussion, bei der insgesamt vier Teilnehmer*innen auf dem Podium saßen, erschien im Oktober im Physik Journal, der Mitgliederzeitschrift der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG). Der Bericht trägt den Titel „Kein Weg zurück. Zur Transformation im wissenschaftlichen Publikationswesen“ und ist nicht öffentlich zugänglich.
Was die deutsche Forschungsgemeinschaft und andere unter Diamond Open Access verstehen
Laut Bericht kommen die Teilnehmer*innen der Podiumsdiskussion nach einer generellen Bewertung des DEAL-Weges durch Meijer auf die derzeitigen Anstrengungen rund um Diamond Open Access zu sprechen. Da Diamond Open Access im Bericht nur genannt, aber nicht weiter definiert oder eingeordnet wird, sei dies hier nachgeholt: In einer aktuellen Ausschreibung versteht die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unter Diamond Open Access Modelle des Open-Access-Publizierens, die keine Gebühren für Autor*innen erheben und sich nicht kommerziellen, sondern gemeinnützigen Zielen im Bereich von Forschung und Wissenschaft widmen. Publikationsgebühren wie APCs im Rahmen von DEAL entfallen, das Publizieren können selbstverständlich Verlage übernehmen, dies ist aber kein Muss.
Generell basiert Diamond Open Access auf Publikationsinfrastrukturen, die sich bestimmten Prinzipien verpflichten. Für Johan Rooryck, geschäftsführender Direktor der cOAlition S, gehört dazu auch die Überzeugung, dass wissenschaftliches Publizieren als integraler Bestandteil von Wissenschaft in der Hand der wissenschaftlichen Gemeinschaft liegen und von ihr selbst organisiert werden sollte. Entscheidend sei hierbei die Überzeugung, dass keine inhaltsbezogenen Elemente als Waren verkauft oder gehandelt werden sollten. Dabei muss nicht jeder Aspekt des Publizierens von wissenschaftlichen Einrichtungen durchgeführt werden. Dienstleistungen lassen sich dazu kaufen, aber unter Bedingungen von Transparenz und Wettbewerb.
Ein weiterer Vorteil nach Roryck ist, dass Diamond-Publikationsinfrastrukturen global und dezentral funktionieren. Sie stehen allerdings immer im engen Austausch mit den Fachcommunities, was Vielfalt und Bibliodiversität sichert. Die dabei anfallenden Kosten für den Betrieb von Diamond Open Access werden von den legalen Eigentümern getragen, also öffentlichen Einrichtungen, Fachgesellschaften oder anderen gemeinnützigen Organisationen. Diamond Open Access bezeichnet also nicht bloß ein Geschäftsmodell, sondern wissenschaftsgeleitete Publikationsinfrastrukturen in gemeinnütziger Trägerschaft. Ein Blick über den Tellerrand auf die globale Wissensproduktion zeigt bereits, dass eine inklusive und diverse Form der wissenschaftlichen Kommunikation durch Diamond Open Access nicht nur theoretisch möglich, sondern bereits im Gange ist. Um die Vorteile durch Diamond Open Access strategisch zu nutzen, bedarf es aber einer Neuausrichtung und Reform weiterer Bereiche der Wissenschaft; es ist also kein Selbstläufer.
Welche strategischen Vorteile bringt DEAL überhaupt?
In dem Bericht zur Podiumsdiskussion wird Meijer mit folgender Aussage direkt zitiert: „DEAL kann man fast als Diamond Open Access bezeichnen.“ In diesem Kontext äußert sich Meijer zudem ablehnend gegenüber Diamond Open Access. Als Begründung werden in dem Bericht die hohen Aufwände herangezogen, die die Deutsche Gesellschaft für Physik als Fachgesellschaft aufbringen müsste, aber nicht leisten könne, wie Podiumskollege Moessner ergänzt. Das DEAL-Modell, so wieder Meijer, sei dagegen bequem für die Forschenden, da diese im „Journal ihrer Wahl“ publizieren könnten und „sich sonst um nichts weiter kümmern“ müssten. Eine institutionell finanzierte, wissenschaftsgeleitete Herausgabe eines Journals hingegen, wie sie durch den Diamond-Ansatz möglich würde, „könne nicht das nächste Ziel sein“, wird Meijer daraufhin indirekt zitiert. Interessant ist zudem der Kontext. Laut dem Bericht erklärte Meijer bei der gleichen Podiumsdiskussion, dass „genug Geld im System sei“. Seine Ablehnung gegenüber Diamond Open Access begründete er hingegen mit dem hohen finanziellen Aufwand, der dafür zu leisten wäre.
Auf Nachfrage per Email bestätigt Meijer seine Perspektive auf DEAL und Diamond Open Access grundsätzlich. Er deutet aber auch an, dass er die Darstellung in der DPG-Mitgliederzeitschrift für verkürzt halte. Zudem verweist Meijer darauf, dass seine Position im Einklang mit dem 2022 erschienenen Positionspapier „Empfehlungen zur Transformation des wissenschaftlichen Publizierens zu Open Access“ des Wissenschaftsrats steht. Meijer ist Mitglied des Wissenschaftsrats und stand der Arbeitsgruppe vor, die den Bericht vorbereitete.
Per Mail betont Meijer weiter, dass er nicht grundsätzlich gegen Diamond Open Access sei. Er halte Diamond Open Access sogar für das ideale Szenario, sofern sich ein Sponsor oder eine Organisation für die Übernahme der Publikationskosten finden lassen. Allerdings bezweifle er, dass dies – vor allem langfristig und im großen Maßstab – eine realistische Alternative zum kommerziellen Publikationsmodell darstelle. Es gäbe zwar eine Menge Diamond-Zeitschriften; diese würden aber seiner Erfahrung nach nicht lange genug bestehen („often don’t survive that long“), nicht besonders viel publizieren und seien vollkommen abhängig von der Gunst der Finanzierenden und dem Engagement der Betreibenden. Mit DEAL sei dagegen bereits etwa die Hälfte des Publikationsmarkts abgedeckt und für die Autor*innen sei das Abkommen aus Komfortgründen nahezu ideal – solange die Kosten getragen seien.
Erlangt die Wissenschaft noch Souveränität über ihr eigenes Publikationswesen?
Die Krux, die in der Aussage von Meijer und des Wissenschaftsrats liegt, ist eine ganz grundsätzliche und lässt sich strategisch begründen. Sich als öffentlich gefördertes Wissenschaftssystem unabhängiger vom kommerziellen Verlagswesen zu machen, das Heft des Publizierens stärker in die eigene Hand zu nehmen, Wissen tatsächlich zum Allgemeingut zu machen (wie es der Open-Access-Gedanke ursprünglich vorsah) – all das wäre eine grundlegende Richtungsentscheidung!
Natürlich eröffnet das viele Geld, das die drei Großverlage für die nahezu risikolose Übernahme vergleichsweise weniger und geringer Aufgaben erhalten, bequeme Optionen für wissenschaftliche Autor*innen. Allerdings verstärkt sich dadurch auch der verhängnisvolle Pfad der Abhängigkeit von privatwirtschaftlichen Akteuren, auf dem sich das wissenschaftliche Publikationswesen bewegt und durch den sich die Wissenschaft unter anderem die Surveillance mittels Datentracking eingebrockt hat.
Meijer bestätigt selbst, dass in Deutschland genügend Geld fürs Publizieren vorhanden ist. Es handelt sich also um eine gute Ausgangslage, um zu gestalten. Dieses Geld könnte – zumindest in Teilen – dazu dienen, Diamond-Open-Access-Strukturen aufzubauen, zu betreiben und zu verwalten. Dass Wissenschaftler*innen bei kommerziellen Verlagen veröffentlichen, lässt sich ja nicht durch ein Naturgesetz begründen. Die Präferenz, vielleicht sogar die Überhöhung der Reputation, wird nur durch innerwissenschaftliche Konventionen und die Vermarktung von Reputation durch kommerzielle Verlage aufrechterhalten. Und beide Bereiche können geändert werden, vorausgesetzt, es besteht der entsprechende politische Wille und es werden die passenden Anreize geschaffen. Innerhalb von Diamond-Open-Access-Strukturen ließe sich das Geld effizienter, gezielter und nachhaltiger für das wissenschaftliche Publikationswesen verwenden, das diesen Namen auch verdient – ohne Surveillance, ohne Mittelverschwendung, dafür aber in Eigenregie und Eigenverantwortung.
Abhängigkeiten fortschreiben oder aufbrechen? Das Beispiel der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG)
Man könnte nun einwenden, Diamond Open Access sei als Graswurzel-Alternative nur für einen kleinen Bereich der Wissenschaft dienlich oder dass die Physik als wissenschaftliche Disziplin eine Spezialauffassung oder eine besondere Neigung zum kommerziellen Verlagswesen habe. Doch selbst die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) erkennt die Vorteile eines selbstgetragenen Publikationswesens an und streicht diese in einem eigenen, 2021 erschienenen Positionspapier zur Zukunft des wissenschaftlichen Publikationswesens heraus. Darin fordert die DPG die stärkere Verantwortung der Wissenschaft über ihr eigenes Publikationswesen ein. Gleich im ersten Absatz des Positionspapiers steht dort prominent:
Um die Freiheit der Wissenschaft zu realisieren und zu maximieren, soll das anzustrebende Publikationswesen „von Wissenschaftlern für Wissenschaftler“ geformt werden: Entscheidungskompetenz und Verantwortung sollen wieder stärker von den Forschenden übernommen werden.
Der angemahnte Kontrollverlust der Wissenschaft reicht dabei über das Publizieren hinaus, wie auch die DPG feststellt. Weiter steht im DPG-Papier folgende Position zur Bewertung von Forschungsleistungen, die ebenfalls stark durch kommerzielle Verlage dominiert werden:
Rolle und Profitabilität der Wissenschaftsverlage werden in Teilen der wissenschaftlichen Gemeinschaft kritisch beurteilt. Insbesondere wird der erhebliche Einfluss auf forschungsinhaltliche und karriererelevante Entscheidungen von Editorinnen oder Editoren kritisiert, die weder aktiv in der Wissenschaft sind noch dieser Aufgabe verpflichtet sind. Es dient nicht der Wissenschaft, wenn […] fachfremde Personen entscheiden, welche Artikel begutachtet werden […]. Es ist allein Aufgabe der Gemeinschaft der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sich hierzu zusammen mit der Forschungsförderung zu positionieren […] Dies ist nicht Aufgabe der Verlage, welche bestimmte Zeitschriften erfolgreich als starke Marken etabliert haben.
Diamond Open Access als Korrektur des DEAL-Pfades
Richtiger, als Nähe zwischen Diamond Open Access und DEAL zu suggerieren, wäre es daher, Diamond Open Access als Korrektur von DEAL zu betrachten. Denn die Transformation des wissenschaftlichen Publikationssystems hin zu Open Access durch DEAL lässt sich als gescheitert betrachten. Eine aktuelle Studie mit Schätzungen der globalen Ausgaben für APCs, die zwischen 2019 und 2023 an sechs Verlage für Open Access gezahlt wurden, zeigt, dass Gold Open Access stagniert, während sich Hybrid Open Access zum erfolgreichen Geschäftsmodell für Verlage entwickelt hat. Auch bei den deutschen DEAL-Verträgen zeigt sich ein ähnliches Bild. Bernhard Mittermaier, Leiter der Zentralbibliothek am Forschungszentrum Jülich, betont, dass vom jeweiligen Bestand an Subskriptionszeitschriften zwischen 2019 und 2023 lediglich 3,5 % bei Wiley und 1 % bei Springer Nature auf Open Access umgestellt wurden. Laut Mittermaier ist also in absehbarer Zeit keine signifikante Umstellung auf Open Access zu erwarten.
Die Verringerung der Abhängigkeit von kommerziellen Akteuren war nie das Ziel vom Projekt DEAL. Wer sich für Diamond Open Access einsetzt, will diese Abhängigkeit aufbrechen und die immensen DEAL-Geldströme, die von den Bibliotheken hin zu den Verlagen fließen, wenigstens teilweise zum Wohle der Souveränität der Wissenschaft über ihr eigenes Kommunikationssystem umlenken.
Eins hat mich ja schon immer gewundert: offensichtlich wurde ja ursprünglich mal von der Annahme ausgegangen, man könne kommerzielle Anbieter mit Transformations-Verträgen dazu zwingen, vom Prinzip der Gewinnmaximierung abzulassen. Dazu kann ich nur sagen: Willkommen im Kapitalismus.
Andererseits: Ich bin als einfach Feld- Wald- und Wiesen-Fachreferentin, die nie selbst publiziert hat, ja nicht so tief in der Materie drin, aber ich stelle es mir gar nicht so einfach vor, wenn man ein neues Diamond-OA-Journal ohne einen der renommierten Verlagsnamen im Hintergrund begründen will, damit entsprechendes Ansehen zu erreichen. Das geht ja eigentlich fast nur dann, wenn man als Herausgeber bereits ein gewisses Renommee durch Publikationen in den etablierten, häufig noch nicht in Diamond-OA erscheinenden Journals erworben und das bisherige System damit unterstützt hat. Und ich persönlich habe das Gefühl, dass die Leute sich aktuell gerade wieder stärker an die altehrwürdigen Verlagsnamen klammern, seit OA-Verlage wie MDPI ein zunehmend schlechterer Ruf anhaftet (auch hier geht es ja letztlich um Gewinnmaximierung auf Kosten der Qualität). Das sorgt für eine gewisse Verunsicherung bei vielen Forschenden, so jedenfalls mein Eindruck aus persönlichen Gesprächen, wobei es gar nicht so sehr darum geht, ob ein Verlag wie MDPI objektiv betrachtet tatsächlich unseriöser als ein Verlag wie Elsevier ist (was er aus meiner Sicht nicht wirklich ist), sondern hauptsächlich um die Frage, ob eine Publikation dort einen Reputationsverlust nach sich zieht.
Insgesamt bin ich also sehr gespannt, wie sich die Diamond-OA-Landschaft weiter entwickelt und ob es irgendwann tatsächlich zu einer breiten Abkehr vom bisherigen kommerziell getriebenen Publikationswesen kommt. Wenn ja, wird es wohl eher ein langwieriger Prozess werden, und es wird dafür auch ein noch viel stärkeres Umdenken in Hinblick auf das System der Wissenschaftsbewertung gebraucht, welches ja in letzter Konsequenz immer noch ursächlich dafür verantwortlich ist, dass Verlage solche horrenden Preise überhaupt aufrufen können – so will es jedenfalls das Gesetzt von Angebot und Nachfrage. Das ist allerdings nur meine laienhafte Einschätzung, die möglicherweise den ein- oder anderen Denkfehler enthält. ;-)
Sehr wichtiger Beitrag. Er illustriert sehr schön das Problem, dass Diamond OA nicht einheitlich definiert wird und jede:r etwas anderes darunter zu verstehen scheint (vgl. den oben verlinkten Beitrag https://doi.org/10.5282/o-bib/5849). Heißt Diamond OA einfach OA ohne Gebühren für Autor:innen? (Dann fiele DEAL in der Tat darunter, zumindest für die berechtigten Autor:innen.) Oder heißt Diamond OA nicht-kommerzielles OA? Oder wissenschaftsgeleitetes OA? Aber was heißt „wissenschaftsgeleitet“? Auch bei Zeitschriften kommerzieller Verlage sind die Herausgeber:innen Wissenschaftler:innen. Ist das dann „wissenschaftsgeleitet“?
Befremdlich außerdem, dass ausgerechnet aus der Physik Vorbehalte gegenüber Diamond OA kommen, gibt es da doch mit SciPost oder Quantum (und nicht zu vergessen und allen voran arXiv!) hervorragende Beispiele.
Diamond Open Access Publizieren gibt es bereits länger als den Begriff selbst, was aber in den großen Diskussionen rund um Transformationsverträge häufig zu kurz kommt. Diamond Open Access ist weder ein neues Experiment mit entsprechend ungewisser Zukunft noch ein Nischenmodell ohne nennenswerte Bedeutung. Zahlreiche Journals — auch im deutschsprachigen Bereich — sind vor Jahrzehnten mit diesem Modell gestartet und laufen bis heute erfolgreich, im Globalen Süden stellt Diamond Open Access das vorherrschende Publikationsmodell im Open Access dar. Und „sich nicht kommerziellen, sondern gemeinnützigen Zielen im Bereich von Forschung und Wissenschaft widmen“ bedeutet keineswegs, dass hier mit viel öffentlichem Geld unterfunktional publiziert werden soll, sondern dass der Zweck der Handlungen nicht vorwiegend den kommerziellen Akteuren dient, sondern dem Gemeinwohl. Darin ist für kommerzielle Partner Platz, aber eben nicht in der leitenden Rolle, sondern als Dienstleister.