„Ein Schüler … war sehr unzufrieden …, weil er nach mehrmaligem Melden noch nicht drangekommen war.“

Ein Beitrag von Sandra K.

Die Klasse, in der ich den größten Teil meines Praktikums absolvierte, ist eine JüL-Klasse mit 13 gerade neu eingeschulten Erstklässlern und zwölf Zweitklässlern zuzüglich einer Verweilerin. Die Klasse wird von einer Lehrerin mit langjähriger Erfahrung und sonderpädagogischer Ausbildung geleitet. Die folgende Situation ereignete sich während einer Mathematikstunde im Teilungsunterricht, bei der nur die Erstklässler anwesend waren.
Die Lehrerin musste am Anfang der Stunde kurz aus dem Klassenzimmer heraus, somit bereitete ich schon einmal mit den Schülern gemäß den Anweisungen an der Tafel die Arbeitsplätze vor. Es war ein sehr heißer Tag und die Kinder waren einige Minuten zuvor zum Teil sehr überdreht und verschwitzt aus der Hofpause zurückgekommen. Als die Lehrerin wieder hereinkam, machte sie zunächst eine kurze Gleichgewichtsübung mit allen. Die Kinder machten mit, waren aber zum Teil noch etwas unruhig. Daraufhin wich sie vom eigentlich angeschriebenen Plan ab, indem sie ein Spiel ankündigte. Sie stellte sich so hin, dass alle sie gut sehen und Augenkontakt halten konnten und erklärte die Regeln des Spiels: Sie würde sehr kurz eine Zahl im Zahlenraum von eins bis zehn mit den Fingern zeigen, indem sie die Hände hochhielt und dann direkt wieder hinter den Rücken steckte, dabei aber nichts sagen. Die Erstklässler sollten sich dann melden und wer drangenommen wurde, sollte die gezeigte Zahl nennen.
Alle Schüler sprachen sehr begeistert auf das Spiel an und meldeten sich eifrig, wobei einigen Kindern die Zurückhaltung und das Melden ohne Aufstehen, Schnipsen oder Dazwischenrufen noch besonders schwerfiel. Ein Schüler, dem dies besonders schwerfiel und der auch des Öfteren andere Schüler laut und ungebeten korrigierte, war sehr unzufrieden (zappelte und machte Laute), weil er nach mehrmaligem Melden noch nicht drangekommen war.
Die Lehrkraft ist stets sehr konsequent und nimmt nur Kinder ran, die sich leise melden. Auch in diesem Fall ermahnte sie den Jungen einmalig, jetzt leise zu sein und nachdem dieser sich mehrmals leise gemeldet hatte, wurde er drangenommen. Zwischendurch lobte sie vor der ganzen Klasse, dass er sich so schön leise und geduldig meldete und erklärte auch nochmals auf ruhige Art der ganzen Klasse, dass sie immer nur Kinder rannehmen kann, die sich leise melden und dass leider nicht jedes Kind sofort drankommen kann und man lernen muss, zu warten und auch immer mal jemand anderes der Letzte sein würde. Sie gab ihnen ebenfalls zu verstehen, dass sie weiß, dass es schwer ist, sich zusammenzureißen.

Meine Einsichten und Folgerungen

Das verhaltensbezogene Loben ist bei dieser Lehrkraft häufig und sie achtet darauf, erwünschtes Verhalten so zu loben, dass jedes Kind regelmäßig für etwas vor allen anderen Schülern bestätigt wird; besonders wenn es kurz zuvor für etwas Anderes getadelt wurde. Meiner Einschätzung nach hat sie mit den Kindern in sehr kurzer Zeit ein sehr gutes und vertrauensvolles Arbeitsbündnis aufgebaut.
Sie behält immer die Übersicht über die Klasse und durch das ständige Monitoring kann sie Störungen oft verhindern oder im Keim ersticken. Der betreffende Junge wurde ermahnt, als sein Verhalten störend war, aber direkt für das sozial angemessene Verhalten gelobt. In der dargestellten Situation fiel mir zudem auf, dass durch das Spiel sofort die Aktivierung aller SuS gelang. Sie hatten großen Spaß daran und die Verknüpfung der nur sehr kurz gezeigten Zahl als Mengendarstellung über die Finger der Lehrerin mit dem erlernten Zahlenraum hatte meiner Meinung nach dazu einen hohen mathematischen Lerneffekt und fokussierte durch den auffordernden Charakter die Aufmerksamkeit der Schüler fast von selbst.
Die Lehrerin hat sich flexibel den anfangs noch ziemlich aufgedrehten Kindern angepasst und sie mit dem Spiel sofort in eine vollkommen auf sie gerichtete, konzentrierte Lernsituation ohne Zwang umgelenkt. Dadurch waren kaum Ermahnungen nötig, da die Kinder sich dem Spiel mit Begeisterung widmeten und es gut zu ihrer Energie passte, gleichzeitig aber den Fokus auf die Lehrerin lenkte. Das bestimmte Einfordern und Üben des geduldigen Meldens ohne Schnipsen, Aufstehen oder Reinrufen finde ich persönlich sehr sinnvoll, da die Lehrkraft dies stets sehr positiv durch viel Lob bestärkte und diese Regel konsequent und demzufolge fair und für die Schüler erwartbar einforderte.
Für mich ist dies ein schlüssiges Vorgehen und ich erlebe insbesondere die Schüler, die von ihrer Akte her mit Verhaltensauffälligkeiten – wie auch der genannte Junge – angekündigt sind, in solchen Situationen als kooperativ, da sie oft die Chance bekamen, etwas zu sagen, wenn sie sich an die Regeln hielten.
Ich lerne viel von dieser Lehrerin, erlebe ihren Unterricht als ein sehr gelungenes Beispiel von ausgewogenem Klassenmanagement, welches durch gutes Monitoring, pädagogische Fachkenntnis und ein breites Register flexibler Reaktionen der Lehrkraft in Verbindung mit guter und detaillierter Unterrichtsplanung einen meist sehr flüssigen Unterricht mit guter Atmosphäre begründet.

 Meine Anschlussfragen

  • Was gibt es noch für wiederkehrende Situationen, wo es im Klassenmanagement auf Konsequenz ankommt?
  • „Testen“ einen die Schüler wirklich, wie von vielen Lehrern behauptet? Muss man sich beweisen, um nicht „bei ihnen zu verlieren“?
  • Was gibt es für Möglichkeiten, den Unterricht auf die momentane Energie oder auch Stimmung in der Klasse anzupassen?
  • Wie geht man mit eskalierenden Situationen um?
  • Woher bekommt man ein gutes Repertoire an didaktisch sinnvollen Spielen und Unterrichtsbausteinen, die die Aufmerksamkeit der Kinder in schwierigen Momenten (zurück-)holen und aktivieren können?

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