„ … und ‚weckt‘ einen Schüler, der gefühlt kurz eingeschlafen war, … “

Ein Beitrag von Maria A.

Das folgende Geschehen ereignete sich im Leistungskurs Politikwissenschaft einer 12. Klasse. Die Lehrkraft, Herr E., und der Kurs kennen sich in dieser Konstellation seit der 11. Klasse. Herr E. ist ein bei Schülerinnen und Schülern (SuS) beliebter Lehrer, das wird schnell deutlich. Das Leistungsniveau des Kurses ist hoch, es sind nur 13 SuS im Kurs und die Kursgröße erlaubt längere, angeregte Diskussionen zwischendurch.
Das überordnete Thema ist die Europäische Union und nach einer kurzen Wiederholung des Endes der letzten Stunde soll zum Thema Identität übergeleitet werden. Der Kurs erarbeitet fast selbstständig den Lerninhalt, die Lehrkraft bietet sich als wichtige Moderation und Leitung des Lernvorgangs an bzw. lenkt die Diskussion in fruchtbare Richtungen. Es gibt drei ruhigere SuS, die sich nicht regelmäßig beteiligen. Eine davon fordert die Lehrkraft zwischendurch wohlwollend auf, ihre Gedanken zum Thema zu äußern, was sie auch ohne zu zögern macht. Ein weiterer Schüler, ich nenne ihn Milo (Name geändert), der regulär in diesem Fach etwas aktiver ist, beteiligt sich gar nicht in dieser Stunde.
Nach einer Wortmeldung eines Schülers ca. 20 Minuten vor Unterrichtsende paraphrasiert Herr E. diese Antwort des Schülers und schaut beiläufig zu Milo herüber und sagt: „Stimmt’s, Milo?“ Der nickt und Herr E. eröffnet ein neues Teilthema und stellt eine Frage an die Klasse. Milos Hand ist sofort oben und er wird auch direkt drangenommen. Von da an beteiligt er sich rege am Unterricht bis zum Schluss.

Meine Einsichten

Diese Situation ist ein Paradebeispiel für die individuelle Aktivierung von SuS. Statt der Klasse gegenüber festzustellen, dass einige sich nicht beteiligen, löst die Lehrkraft den Mangel an Partizipation am Klassengeschehen hier individuell. Wie sich später im Gespräch mit der Lehrkraft herausstellt auch intuitiv. Ohne scheinbar großen Aufwand, aktiviert er eine Schülerin, indem er sie auffordert ihre Gedanken zu teilen, lässt eine andere schweigen, weil sie nicht gerne spricht und „weckt“ einen Schüler, der gefühlt kurz eingeschlafen war, aus seiner Abwesenheit. Insgesamt allerdings so beiläufig, dass es nicht auffällt. Auch ihm nicht, wie sich im Gespräch danach herausstellte. Somit stellt er sicher, dass alle den Lerninhalten folgen und vorbereitet sind für alle folgenden Inhalte, die hierauf aufbauen.

Meine Folgerungen

Aus dieser Situation folgere ich, dass hier ein starkes und vertrauensvolles Arbeitsbündnis zwischen SuS und Lehrkraft vorliegt, das keiner großen Worte oder Gespräche bei kleineren Ausfällen benötigt.
Im Schulalltag können sich SuS als eine*r von vielen fühlen. Damit einher geht manchmal sicherlich auch die Frage, ob es wirklich einen Unterschied macht, ob man jetzt etwas zum Unterricht beiträgt oder nicht. Dieses von einer Lehrkraft aufzufangen, ist gar nicht so leicht, denn das Geltungsbedürfnis der SuS wird hier der Leistungsforderung der Lehrkraft gegenübergestellt. Missverständnisse können so leicht entstehen, wenn z.B. eine Lehrkraft eine fehlende Beteiligung entweder ihrem Lerninhalt oder ihrer Methode zuschreibt oder gar persönlich nimmt. Wenn die Situation allerdings gelöst wird, wie oben beschrieben, und das setzt ein starkes Arbeitsbündnis voraus, bleibt die Mücke eine Mücke und wird nicht zum Elefanten.

Meine Anschlussfragen

  • Wie weiß ich als Lehrkraft, wann jemand nur einen „Anstubser“ braucht oder wirklich etwas Ernsteres hinter einem veränderten Verhalten steckt?
  • Wie schaffe ich es, auch andere zu aktivieren, die sonst nicht so aktiv und diskussionsfreudig sind?
  • Wie stärke ich das Arbeitsbündnis möglichst zu Beginn und schaffe so das nötige Vertrauen zwischen mir und den SuS, damit eine simple Lösung funktioniert?

 

Ein Gedanke zu „„ … und ‚weckt‘ einen Schüler, der gefühlt kurz eingeschlafen war, … ““

  1. Dieser Beitrag gefällt mir sehr gut, da aufgezeigt wird, dass unabhängig von dem individuell durchschnittlichen Leistungsniveaus eines SuS, dieses von vielen Faktoren abhängig ist und dementsprechend auch die Performance variieren kann. Das sollte man sich vermutlich stets im Hinterkopf behalten und sich auch nicht angegriffen fühlen, wenn die Leistung an einem Tag weniger stark erbracht werden konnte.
    Ich denke die Unterscheidung in „benötigten Anstubser“ und „etwas Ernsterem“ kann individuell ganz gut getroffen werden, wenn man die SuS bereits durch vorherrigen, gemeinsamen Unterricht besser einschätzen kann. Ansonsten würde ich es vorerst immer erst mit Anstubsern versuchen und wenn das keine Wirkung zeigt eventuell ein Gespräch mit den Eltern oder der SuS selbst suchen.
    Ich denke wenn man die Diskussion spielerisch gestaltet, können auch sonst weniger aktivere SuS aktiviert werden. Das Arbeitsbündnis durch Vertrauen stärken geht glaub ich nicht mit einer simplen Lösung, sondern entsteht automatisch nebenbei, durch eine empathische sicher auftretende Lehrkraft.

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