„Wir fangen ahaaan …“

Ein Beitrag von Elena K.

Eines Morgens während meines Schulpraktikums (in einer Grundschule) erhielt ich von meiner Mentorin, Frau R., die Nachricht, dass sie krank sei und nicht zur Arbeit kommen werde. Sie fragte mich, ob ich bereit wäre, in den ersten beiden Unterrichtsstunden ihren Deutschunterricht zu übernehmen, der in Teilung, also je nur mit der halben Klasse, stattfinden werde. Ich war zunächst ein wenig überrumpelt, freute mich jedoch so über das Vertrauen, dass sie offenbar in mich hatte und die Chance, endlich einmal selbst allein in „meiner“ Klasse stehen zu können, dass ich sofort ja sagte.

Sie bat mich, mit den Schüler*innen im Lies-mal weiterzuarbeiten. Dabei handelt es sich um ein kleines Heftchen, indem kleine Bilder und Aufgaben stehen, die das Leseverstehen fördern sollen. Zum Beispiel ist eine Giraffe abgebildet, neben der der Text steht: „Der Giraffe ist kalt. Sorge dafür, dass sie nicht mehr friert und ziehe ihr grüne Schuhe an.“ Die Schüler*innen müssen dann grüne Schuhe an die Füße der Giraffe malen usw. Ich radelte also zur Schule und machte mir auf dem Weg Gedanken, wie die Schüler*innen auf mich reagieren würden. Würden sie mich respektieren? Würde ich es schaffen, dass die Klasse nicht in Chaos ausbricht? Ich hatte bei dieser Erfahrung zumindest den Vorteil, nur die halbe Klasse vor mir zu haben und einen klaren Arbeitsauftrag erhalten zu haben. Die Kinder kennen das Lies-mal und bearbeiten es normalerweise recht gerne und selbständig, sodass ich hoffte, mich auf die eventuell auftretenden disziplinären Schwierigkeiten konzentrieren zu können.
In der Klasse angekommen, tat ich was ich immer tat, da ich meistens als erste „Erwachsene“ den Raum betrat. Ich erinnerte die Kinder an ihre Dienste, Tafelwisch-, Datums-, und Fensteröffnungsdienst, damit das schonmal eledigt sein würde und keine Unterrichtsminuten kosten würde. Dann kam auch schon die Lehrkraft, die mit mir den Teilungsunterricht haben würde, die also die eine Klassenhälfte unterrichten würde, während ich den anderen Teil übernahm. Wir begrüßten die Klasse und die Klasse begrüßte uns. Schließlich klärte sie Frau C. darüber auf, dass Frau R. heute krank sei und ich an ihrer Stelle den Deutschunterricht übernehmen würde. Als sie schließlich mit ihrer Schülerhälfte den Raum verlassen hatte, ging es los. Alle Schüler*innen waren erstaunlich still und aufmerksam. Ich beschloss, meiner kranken Mentorin etwas unter die Arme zu greifen und zusätzlich zum Lies-mal zunächst die aufgegebenen Hausaufgaben zu vergleichen. Es funktionierte erstaunlich gut. Und es war ein tolles Gefühl, das zu erleben. Wir schafften, was ich mir vorgenommen hatte und schließlich klingelte es auch schon zur kleinen Pause.
Frau C. und ich tauschten die Gruppen. Und ich wurde überrascht. Hatte ich es eben noch mit lieben, handzahmen Schüler*innen der zweiten Klasse zu tun, entpuppte sich die andere Hälfte der Klasse als kleine Monster. Sie rannten durch die Klasse, riefen wild durcheinander und dann kam auch noch eine der Schülerinnen weinend auf mich zu, ihre Mitschülerin hätte sie auf der Treppe einfach überholt. Etwas fassungs- und ratlos, ob ich auf ein Überholmanöver auf der Treppe wirklich eingehen muss, beschloss ich, nachzufragen, warum das denn ein Problem gewesen sei. Sie wusste es glücklicherweise selbst nicht und ich beschloss, dass Problem zwar zu notieren und später meine Mentorin danach zu fragen, aber zunächst nicht weiter darauf einzugehen. Nun kam der Rest der Klasse dran. Nachdem auf ein freundlich in die Runde gerufenes: „Wir fangen ahaaan, setzt ihr euch bitte alle hin!“, niemand so recht reagierte, beschloss ich, nun etwas strenger zu werden. Andernfalls, so meine Befürchtung, würde die Stunde im Chaos enden und der Respekt vor mir wäre für den Rest des Praktikums dahin. Ich nahm beide Finger in den Mund und pfiff einmal laut und energisch. Und zack, es war schlagartig mucksmäuschenstill. Schnell wiederholte ich meine Aufforderung und Gott sei Dank, die Kinder folgten meiner Anweisung. Ich beschloss spontan, ein paar Regeln aufzustellen, wie ich mir die Stunde vorstellte und schob vorsichtshalber noch die Drohung hinterher, dass wir statt im Lies-mal im Schreibschriftheft arbeiten würden, sollte wieder Chaos ausbrechen. Es klappte. Wir hatten eine halbwegs geordnete Stunde und schafften es, sowohl die Hausaufgaben zu kontrollieren als auch im Lies-mal weiterzuarbeiten.

Meine Einsichten

Für mich war es vor allem überraschend zu sehen, wie unterschiedlich zwei Gruppen aus ein und derselben Klasse sein können. Hatte ich mir auch in der zweiten Gruppe erst einmal Gehör verschafft und mein Anliegen, ein Arbeitsbündnis für die nächste Schulstunde schaffen zu wollen vorgetragen, so funktionierte auch hier die weitere Stunde ganz wunderbar.
Es schien also sinnvoll, die Klasse zum Zuhören zu bringen. Ich hätte mich nach der Stunde jedenfalls nicht wohl gefühlt, wäre ich nicht Herr über das Chaos geworden. Aus dieser Perspektive war meine Methode von Erfolg gekrönt.

Meine Folgerungen und Anschlussfragen

Auch wenn ich mit meiner Methode letztendlich Erfolg hatte, stellte sich mir die Frage: Wie verschaffe ich mir zukünftig Gehör? Schaffe ich es auf die sanfte Art und Weise? Oder verliere ich dann den Respekt der Schüler*innen? Und was heißt Respekt überhaupt? Wie weit darf und muss man gehen, um in einer chaotischen Gruppenkonstellation gehört zu werden? Hat Respekt auch etwas mit Angst zu tun? Ich möchte doch aber keine ängstlichen Schüler*innen! Einmal Gehör verschafft, immer Gehör verschafft? Also werden die Kinder, sollte ich wieder zu ihnen kommen, gleich ein gewisses Benehmen an den Tag legen? Oder fängt man jedes Mal von vorne an? Was hätte eine außenstehende Person zu meinem „Verhalten“ gesagt?
Ich habe später mit meiner Mentorin darüber gesprochen und sie hat nur gelacht: „Die Kinder müssten halt noch erzogen werden und lieber einmal klare Regeln aufgestellt, als für immer ungehört zu bleiben.“ Ich hoffe, sie hat recht…

4 Gedanken zu „„Wir fangen ahaaan …““

  1. Ich finde es sehr gut wie schnell hier die neue Situation adaptiert wurde. Manchmal ist es ratsam zu Beginn des Unterrichts etwas strenger zu sein um dann später etwas entspannter unterrichten zu können.

  2. Ich muss sagen, dass dies ein Punkt ist bei dem ich mir teilweise auch unsicher bin, da jede Klasse (jeder Schüler und jede Gruppenzusammensetztung) variiert. Natürlich ist es wichtig auf Dauer ein Arbeitsbündnis zu schaffen, aber für die Kennenlernphase oder eine Vertretung ist das ruhige und Selbstsichere Auftreten umso Bedeutender.
    Auch denke ich, dass man sich anfangs auf seine Intuition verlassen soll, bis man mehr Erfahrung hat und einem solche Verhaltensweisen und Situationen bekannt sind.

  3. Besonders bemerkenswert ist, wie unterschiedlich die Gruppe reagierte und wie du erfolgreich darin warst, sich Gehör zu verschaffen und klare Regeln aufzustellen. Es ist beeindruckend zu sehen, wie du mit den Herausforderungen umgingst und letztendlich eine halbwegs geordnete Unterrichtsstunde erreicht hattest.

  4. Mit der Zeit entwickelt sich auch bei Schüler*innen der Respekt. Wenn man nur unsympathisch, hart und distanziert zu den Schüler*innen ist, spiegelt es auch ihr Verhalten gegenüber einem wieder. Stattdessen sollte man offen, sie verstehen und interessiert sein. Dafür, dass du die Schüler*innen nicht einmal wirklich kanntest, hast du es sehr gut hinbekommen, dass kein Chaos entstanden ist. Manchmal hilft es etwas strenger zu sein, um für Ruhe zu sorgen. Mit der Zeit lernt man seine Klasse kennen und weiß auch welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um für ein ruhiges und konzentriertes Klima zu sorgen.

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