Stadtkultur Moskau

Die Exkursion

Tag 1. Die Architekturausstellung „Archmoskva“ und Historisches Zentrum von Moskau

Blick auf das ZHdK von der Krymskij-Brücke

 

An unserem ersten Tag in Moskau haben wir uns zunächst auf die laufende internationale Messe für zeitgenössische Architekturentwicklung „Archmoskva“ begeben (https://www.archmoscow.ru). Die Ausstellung fand im im Central’nyj dom chudožnika (das Zentrale Haus des Künstlers) auf der Krymskaja naberežnaja zum 20. Mal statt. Die für diesen Tag eingeplante Verabredung mit Herrn Sergej O. Kuznecov, dem leitenden Architekten Moskaus, war leider kurzfristig abgesagt worden. Stattdessen durften wir mit seiner Stellvertreterin über die großen städtebaulichen Pläne Moskaus sprechen, die auf der Ausstellung präsentiert waren.

Das wohl ambitionierteste Projekt gehörte dem Büro „Projekt Meganom“, das im internationalen Wettbewerb über die Entwicklung des Territoriums um den Moskwa-Fluss bis zum Jahr 2035 gegen 5 andere Architekturbüros gewonnen hat. Auf der Ausstellung selbst konnte man bereits skizzenhafte Darstellungen von den zukünftigen Transformationen der verschiedenen Uferterritorien sehen, aber noch keinen richtigen Entwicklungsplan. So wurde an sämtlichen Abschnitten Rekonstruktion von veralteten Wohngebäuden in Form von Hochhäusern vorgesehen, oder auch umweltfreundliche Umgestaltung von industriellen und administrativen Territorien, über dessen Verwirklichung wir etwas mehr erfahren wollten. Wir haben uns unter anderem gefragt, ob die massiven mehrstöckigen Wohnblöcke, die im Plan als „soziales Wohnen“ gekennzeichnet worden waren, doch nicht viel mit den notorischen Plattenbauten gemeinsam hätten, und ob die Erweiterung der Wohngebiete nach dem Hochhaus-Prinzip das Verkehrsproblem von Moskau nicht unnötig verschlimmern würde.

Vor dem Stand des "Projekt Meganom"

Vor dem Stand des „Projekt Meganom“

Leider hat unsere Gesprächspartnerin diese Fragen aufgrund von „mangelnder Kompetenz“ abgewiesen oder nur mit unzureichend abstrakten Abhandlungen beantworten können. Generell haben wir den Eindruck bekommen, dass die auf der Ausstellung präsentierten Architekturprojekte unabhängig vom historischen Hintergrund konzipiert worden waren bzw. keinen Bezug auf die Fehler der Vergangenheit zu nehmen beabsichtigten.

Am Nachmittag ging es los mit dem straffen Sightseeingprogramm. Erster Anlaufpunkt ist da in Moskau natürlich der Rote Platz, mit Blick auf Kreml und Basiliuskathedrale – der leider von mehreren Hochzeitsgesellschaften und einer riesigen Bühne versperrt wurde. Wir stellten uns trotzdem dazu, lächelten nett und lauschten den informativen Referaten der anderen Studierenden. In das Lenin-Mausoleum traute sich niemand, auch wenn sichere Quellen verlauten ließen, in dem Glassarkophag läge längt eine Plastikpuppe.

Stattdessen gestalteten sich die nächsten zwei Stunden für einen Ausflug in die ehemalige Hauptstadt des Kommunismus ausgesprochen konsumistisch, da wir gleich zwei Kaufhäuser besuchten. Im ehemaligen Zentralkaufhaus GUM gab es eine kleine Erfrischung für alle, die uns stärkte für die Explosion an Farben und Geräuschen im zweiten: Dem Kinderkaufhaus Detskij Mir. Das hatte zumindest eine tolle Aussicht vom Dach aus, auch wenn man sich dazu „Gangnam Style“ in Dauerschleife und an Belästigung grenzende Begegnungen mit überlebensgroßen Plüschtieren gefallen lassen musste.

Für die Mühen des Aufstiegs belohnt eine großártige Aussicht - unter anderem auf eine sechsspurige Stadtautobahn.

Für die Mühen des Aufstiegs belohnt eine großártige Aussicht – unter anderem auf eine sechsspurige Stadtautobahn.

Mittlerweile war es schon nach sechs Uhr abends und die Gruppe zeigte langsam erste Anzeichen von Erschöpfung, doch zwei wichtige Punkte standen noch auf dem Programm: das ehemalige Hotel Moskau und die Lenin – Bibliothek. Wer das postsowjetische Russland verstehen möchte, der muss sich die Baugeschichte des Hotel Moskva anschauen. Ursprünglich als stalinistischer Prunkbau im neoklassizistischen Stil der 1930er Jahren errichtet, wurde das Hotel 2004 – unter mehr als dubiosen Umständen – gesprengt. Als ob das nicht genug gewesen wäre, wurde das Hotel ein Jahr später unter spezifisch luschkowschen Rekonstruktionsbedingungen wieder aufgerichtet. Dass dieser Bau fast ein Jahrzehnt dauerte und die internationalen Partner, die unter den hohen schattenwirtschaftlichen Maßstäben der Moskauer Stadtgestaltung unter Luschkow mitspielen konnten, d.h. der Deutschen Bank und den zwielichtigsten der an Oligarchen nicht gerade armen postsowjetischen Sphäre, sich am Bau mitbereichterten, mutet auf den ersten Blick befremdlich an, ist aber in Russland, wo nichts wahr und alles möglich ist (Pomerantsev), leider kein bedauerlicher Einzelfall. Über diese Korruptionslehrfabel hinaus sollte man aber einen Aspekt nicht vernachlässigen. Die Geschichte des Hotel Moskva ist nämlich auch eine ästhetische Verlustgeschichte in drei Kapiteln: einer schlecht gemachten Fassadenkonstruktion mit irritierender Farbgebung folgt die Vergewaltigung einer stalinistischen Empfangshalle, die abgerundet wird durch einen ästhetischen Spannungsbogen, in welchem die stillen Örtchen die attraktivsten und ästhetisch anspruchsvollsten Orte des Hotels repräsentieren. Traurig, aber wahr!

Vor dem Haupteingang der Lenin-Bibliothek, erbaut 1928-41 (Architekten: V. Shchuko und V. Gelfreich)

Vor dem Haupteingang der Lenin-Bibliothek, erbaut 1928-41 (Architekten: V. Shchuko und V. Gelfreich)

Danach waren wir noch bei der Bibliothek. Die ist übrigens auch kaputt – so kaputt, dass ein Stahlkorsett die Marmorfliesen an den Säulen am Abplatzen hindert.

Moskau ist spannend, morgen geht’s weiter!

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Der Beitrag wurde am Samstag, den 30. Mai 2015 um 21:43 Uhr von Natalia Grinina veröffentlicht und wurde unter Allgemein abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf Ihrer Seite einrichten.

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