Stadtkultur Moskau

Die Exkursion

5. Tag – Kulturzentren Moskaus

Geschichte und Gegenwart der Kulturzentren Moskaus – beide Extreme bot uns der fünfte Exkursionstag. Wir begannen mit einem der Kulturpaläste der Avantgarde, dem ZIL-Kulturpalast, in der Nähe der Metro-Station „Avtozavodskaja“. Auf dem Weg passierten wir das ehemalige „Dynamo“-Werk, in dem unter anderem Metrozüge, Trolleybusse und Bauelemente hergestellt wurden. Das Werk wurde 2009 geschlossen, der Betrieb kam allerdings bereits Jahre zuvor zum Stillstand. Die Räumlichkeiten wurden entweder abgerissen, oder an Autowerkstätten weitervermietet. Heute ist das frühere „Dynamo“-Werk gleichermaßen restauriert wie kommerzialisiert. Neben einem Möbelhaus befinden sich zahlreiche kleine Lokale auf dem Gelände.

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Das ehemalige Werk „Dynamo“

Nach kurzer Ernüchterung über die russische Herangehensweise an die Restauration kulturgeschichtlich bedeutsamer Bauwerke, gingen wir weiter der Vostočnaja ulica entlang. Ab und zu glitt unser Blick von der viel befahrenen Straße auf unterschiedliche Gebäudemalereien mit Sowjetischer Symbolik, die fast wie Wegweiser unseren Weg flankierten. Unmittelbar vor dem Kulturpalast stehen die Überreste des Simonov-Klosters. Einst eines der größten und reichsten Klöster im moskauer Umland, wurde es am 21. Januar 1930 für den Bau des ZIL-Kulturpalastes gesprengt. Einige Bauteile sind als Kulturerbe erhalten geblieben.

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ZIL Kulturpalast (Architekten: Vesnin-Brüder): Eingang in die Theaterhalle

Der ZIL-Kulturpalast wurde 1931-37 von den Vesnin-Brüder erbaut und gilt als eines der wichtigsten Baudenkmäler des Kontruktivismus in Moskau. Er ist einer von zahlreichen ab 1920 erbauten Kulturpalästen oder Arbeiterclubs dieser Art und diente mit seinem kulturellen Angebot den Mitarbeitern des ZIL-Werks.
Sofort überrascht der erstaunlich gute Zustand des ZIL-Kulturpalastes. Sowohl die Fassade, als auch die Fenstergestaltung lassen keinerlei Mangel erkennen. Der Platz vor dem Haupteingang wirkt auf Grund seiner Beschallungsmöglichkeiten wie ein Veranstaltungsort für Hochzeitsfeiern und sommerliche Tanzabende. Durch einen Seiteneingang sorgt das Kaffee Maestro für die entsprechende Verpflegung. Die Möglichkeit für die in eigenen Führungen angebotene Dachbesteigung muss man dagegen erst suchen. Das Gebäude weist hierzu im rechten Flügel eine eigens gestaltete Doppelbedachung auf. Die Sicht wird allerdings von einer hohen Tanne verdeckt, die Fragen an der sinnvollen Verknüpfung von Bauwerken und Grünbepflanzung aufkommen lässt.

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ZIL-Kulturhaus, Eingangsbereich

Die Eingangshalle des Gebäudes ist, wie der Eingang selbst, eine Kombination aus Säulen und Glasfassade. Der große Raum ist, wie jedes Stockwerk des Kulturpalastes, von Tageslicht durchflutet. Über hundert Garderobenhaken vermitteln eine Vorstellung von der Größe der hier abgehaltenen Veranstaltungen. In einer Ecke der Halle, fast schon verloren im Raum, spielen ein Vater und sein Sohn Tischtennis. Das Echo des geschlagenen Balles verteilt sich in der Halle und untermalt die entspannte sommerliche Atmosphäre.

Im ersten Stockwerk befindet sich ein von zwei Säulenreihen gekreuzter Tanzsaal mit Spiegelwand. Direkt darüber ist die hauseigene Bibliothek mit Brettspielen, Klavier, Computerarbeitsplätzen und eigener Terrasse.

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ZIL-Kulturhaus, Bibliothek

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Ballettkurs bei der Probe

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schon auf der Treppe zum dritten Stockwerk erklingt Klaviermusik gepaart mit einer harten Frauenstimme. Bei offener Tür probt eine Gruppe junger Mädchen mit ihrer Ballettlehrerin, die mit lauten Anweisungen ihre Schülerinnen zurechtweist. Als die Mädchen mit neugierigen Blicken immer weniger der Stimme ihrer Lehrerin lauschen, wird uns die Tür zum Ballettraum zugeschlagen. Wenige Meter weiter im Gang probt ein Klavierschüler mit seiner Lehrerin. Auch hier sind harsche Worte bei kleinsten Fehlern zu hören. Der ebenfalls im Haus befindliche Theatersaal blieb uns leider verschlossen.

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Kulturhaus im. Rusakova (Architekt: Konstantin Mel’nikov)

Vor verschlossenen Türen standen wir auch am Kulturhaus im. Rusakova in der Nähe der Metro-Station „Sokol’nki“. Das Gebäude wurde 1927-28 erbaut und war als Zentrum für die Kommunalverwaltung gedacht. Es gilt als herausragendes Denkmal der russischen Avantgarde und befindet sich momentan in der Renovierung. So wurde uns der Zutritt zur Baustelle des künftigen Theaterraums verwehrt, einige Besonderheiten des Baus ließen sich aber auch von außen erkennen.
Der Architekt Konstantin Melnikov wollte die Form des Gebäudes ihrer Funktion anpassen und entlehnte diese dem Abbild eines einzigen angespannten Muskels. Das Besondere an dem Gebäude ist die Möglichkeit, mehrere Publikumsräume für eine Bühne zu schaffen. Die drei Auswüchse direkt unter dem Dach des Gebäudes sind drei zusätzliche Zuschauertribünen, die sich sowohl als eigene Säle, als auch als Tribünen für die große Bühne im unteren Teil des Gebäudes einrichten lassen.

Nach einer hitzeschwangeren Mittagspause im von Schostakowitschklängen beschallten Gorki-Park empfing uns die Leiterin des Research Departments des Kulturzentrums Garaž, Sasha Obukhova.

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Garaž, wertvolle Privatsammlung

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Garaž, Lesesaal

Die Garaž wurde 2008 von Dasha Zukova auf einem kleinen Areal im Gor’kij Park gegründet und ist seitdem eine Mischung aus Archiv, Bibliothek, Ausstellungsraum und Creative Space. Die Garaž organisiert und vermittelt Ausstellungen, übersetzt wichtige kulturelle Texte ins Russische und vernetzt junge Künstler, Studierende und Kulturinteressierte.

Sasha Obukhova führte uns durch die Bibliothek des Zentrums und eröffnete uns einen Einblick in ihren Arbeitsalltag. Neben gezielten Einkäufen bezieht die Garaž ihren Bücherbestand hauptsächlich durch Spenden und Übernahmen von Privatsammlungen. So befinden sich neben zahlreichen Büchern zur bildenden Kunst und Architektur auch einige Schätze hinter den verschlossenen Türen des Bibliothekssafes. Unter staunendem Raunen wurden die aus den 1920er-30er Jahren stammenden Bücher in der Exkursionsgruppe herumgereicht. Höhepunkt der gespendeten Privatsammlung bildete ein Exemplar zum Generalplan Stalins, dessen Fund den Exkursionstag nicht treffender mit dem übergeordneten Seminarkontext hätte verknüpfen könnte.

 

Von Felix Lehmann und Elizaveta Zilberberg

 

 

Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 3. Juni 2015 um 19:47 Uhr von Elizaveta Zilberberg veröffentlicht und wurde unter Allgemein abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können einen Kommentar schreiben, oder einen Trackback auf Ihrer Seite einrichten.

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