Konzept

Der Dual Use-Begriff

Als eine zentrale Problematik ambivalenter Wissenschaften bezeichnet Dual Use die doppelte oder mehrfache Verwendbarkeit von universitärer Forschung für sowohl zivile als auch militärische bzw. gesellschaftlich schädliche Zwecke. Dies verweist darauf, dass das zentrale Ziel von Forschung, gesellschaftliche Verhältnisse menschenwürdiger zu machen und zu friedlichen Transformationsprozessen anzuregen, in das Gegenteil verkehrt werden kann, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse politisch oder militärisch instrumentalisiert werden. Forschungen können demnach nicht nur die wissenschaftlich intendierten Folgen und nützlichen Wirkungen, sondern auch nicht-intendierte Nebenfolgen und gesellschaftliche Schäden durch ihre missbräuchliche Nutzung hervorbringen – ohne, dass dies immer kontrolliert und unterbunden werden kann.

Die historische Bedeutung von Dual Use am Campus Dahlem

Der Campus Dahlem selbst liefert außerordentlich bedeutsame wissenschaftsgeschichtliche Beispiele für die Dual Use-Problematik. So arbeiteten hier bis 1933 zahlreiche Nobelpreisträger*innen in den Naturwissenschaften, deren Forschungsergebnisse gleichermaßen Nutzen und Schaden hervorgerufen haben. Ein Beispiel ist die intensive Forschung an der Stickstoffchemie, personifiziert durch Fritz Haber im inzwischen gleichnamigen Institut der Max-Planck-Gesellschaft, die der Welt sowohl Kunstdünger für die Landwirtschaft als auch chemische Waffen bescherte, die im Ersten Weltkrieg erstmalig systematisch zum Einsatz kamen. Ein anderes Beispiel ist die erste experimentelle Kernspaltung, durchgeführt von Otto Hahn und Fritz Strassmann im heutigen „Hahn-Meitner-Bau“. Dieses Experiment hat den Weg zu Nuklearwaffen und den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki im Zweiten Weltkrieg bereitet, aber auch die friedliche Nutzung der Kernenergie vorangetrieben, die allerdings wiederum aus heutiger Sicht selbst aufgrund von Sicherheitsrisiken und ökologischen Gefahren als ein Problemfall gilt.

Gegenwärtige Dual Use-Herausforderungen an der FU Berlin

Neben seinen historisch bedeutungsvollen Forschungen bringt der Campus Dahlem auch gegenwärtig mit den Instituten der FU und MPG als ein breit aufgestellter und innovativer Wissenschaftsstandort unterschiedliche Dual Use-Herausforderungen hervor: unter anderem in der Biologie im Kontext von Gentechnologien oder in der Informationstechnik im Bereich Künstlicher Intelligenz. Und die Bandbreite an natur- und technikwissenschaftlichen Forschungsgebieten, die sich mit der Dual Use-Thematik konfrontiert sehen, ist noch bedeutend länger: Big Data, Drohnen, Satellitentechnologien, Neurowissenschaften oder Experimente mit Viren – bei all diesen Beispielen können Fluch und Segen von Wissenschaften dicht beieinander liegen. Darüber hinaus sind auch geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplinen nicht losgelöst von Ambivalenzen. „Friedenskonzepte“ sind oftmals selbst gewaltverstrickt. So müssen politikwissenschaftliche Studien dort kritisch hinterfragt werden, wo entlang simpler Dichotomien, kolonialer Kontinuitäten und geopolitischer Wissensordnungen (u.a. „friedliche Demokratien“ vs. „failed states“) eine politische Indienstnahme zur Legitimation von Kriegen droht, oder Forschung gar direkt im Auftrag sicherheitspolitischer Institutionen die Akzeptanz militärischer Einsätze untersucht.

Der missbräuchliche und ethisch fragwürdige Einsatz von Forschung kann somit in vielfältiger Weise sowohl Erkenntnisse und Know-how, entwickelte Produkte und Materialien als auch erfundene Technologien betreffen. Dadurch wird deutlich, dass die Beschäftigung mit Dual Use untrennbar verbunden ist mit der Thematisierung der Ambivalenzen von Forschungen und der daraus resultierenden Verantwortung von Wissenschaften quer über verschiedene Disziplinen hinweg. Mit anderen Worten: Die Kombination aus historischen Standorten und heutigen Forschungsaktivtäten bietet eine einzigartige Möglichkeit und gleichermaßen Verpflichtung, sich mit dem Thema Dual Use am Campus Dahlem interdisziplinär auseinander zu setzen.