Organisation und Arbeitsweise der Europäischen Union


Gliederung


A. Die EU als Staaten- und Verfassungsverbund

Auch nach Jahrzehnten eines kontinuierlichen und schrittweisen Auf- und Ausbaus einer „immer engeren Union“ (Art. 1 UAbs. 2 EUV) ist die Europäische Union kein Staat. Sie bleibt vielmehr eine durch souveräne Staaten in den Formen des Rechts geschaffene Organisation. Ihre Kompetenzen, ihr organisatorischer Aufbau, ihre Autonomie und die Durchsetzungskraft ihres Rechtsregimes gehen (mittlerweile) freilich weit über die Ausgestaltungen anderer internationaler Organisation wie der WTO oder den Vereinten Nationen hinaus. Sie ist längst ein „exzeptionelles Geschöpf in der Zwischenwelt von Staatsrecht und Völkerrecht“1, das macht die Beschäftigung ebenso herausfordernd wie reizvoll. Um dieser Zwischenstellung Ausdruck zu verleihen, lässt sich von einer „supranationalen“ Organisation (statt: internationale Organisation) sprechen.2 Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nutzt den Begriff des „Staatenverbundes“, um die Spezifika der EU hervorzuheben: Die EU ist eben kein föderaler Bundesstaat, sondern beruht auf völkerrechtlichen Verträgen der Mitgliedstaaten, die „Herren der Verträge“3 bleiben. Die Verbundmetapher bringt zugleich zum Ausdruck, dass die verschiedenen Ebenen eng miteinander verwoben sind. Dies lässt sich an Einzelbereichen veranschaulichen:4 Die Union hat inzwischen eine eigene Verfasstheit als politische Gemeinschaft erreicht, der sich die mitgliedstaatlichen Verfassungen öffnen (vgl. Art. 23 Abs. 1 GG), während das Unionsrecht seinerseits Rücksichtnahme auf die nationalen Verfassungen verspricht (Verfassungsverbund)5. Mitgliedstaatliche Gerichte und europäische Gerichte entfalten einen Dialog über die Auslegung, Anwendung und Durchsetzung des Unionsrechts (Rechtsprechungsverbund), Behörden aus verschiedenen Mitgliedstaaten und der EU wirken bei Verwaltungsentscheidungen zusammen (Verwaltungsverbund). Allgemein gilt es in der EU als Verbund, zum Wohl aller und in gegenseitigem Vertrauen miteinander zusammenzuarbeiten (Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit [Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUV]).

All dies bleiben freilich rechtliche Kategorien. Zugleich ist das Bemühen der EU wahrzunehmen, sich von einer bloßen Zweckgemeinschaft zur Förderung wirtschaftlicher Zusammenarbeit hin zu einem im Bewusstsein der Bürger:innen identitätsstiftenden, ja „staatsgleichen“ Gemeinschaft fortzuentwickeln. Exemplarisch dafür steht eine entsprechende Symbolik in Form der EU-Flagge und der EU-Hymne. Zudem hat die EU durch den Vertrag von Lissabon in Art. 2 S. 1 EUV erstmals eigene, identitätsstiftende Werte niedergelegt:

Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.

Auf diese Werte verpflichtet sich die EU nicht nur selbst („Werteunion“). Die Werte „sind allen Mitgliedstaaten […] gemeinsam“ (Art. 2 S. 2 EUV), insofern sind auch all ihre Mitgliedstaaten – und solche die es werden wollen (Art. 49 Abs. 1 S. 1 EUV) – auf die Achtung und Förderung dieser Werte verpflichtet. Gemeinsame Werte bilden die unabdingbare Grundlage für Zusammenarbeit und gegenseitiges Vertrauen.6

Hinweis: Das Unionsrecht kennt – anders als das deutsche Recht – neben Absätzen auch Unterabsätze. Achten Sie in Klausuren insoweit auf eine saubere Zitation, etwa „Art. 5 Abs. 3 UAbs. 2 S. 1 EUV“.

B. Organe zur Herstellung eigener Handlungsfähigkeit

Weiterführende Literaturhinweise

Gentzsch, Die EU-Organe und ihr Reformbedarf für eine erweiterte Union, JA 2024, 836 ff.

Ruffert/Grischek/Schramm, Europarecht im Examen: Grundfragen und Organisationsstruktur, JuS 2019, 974 ff.

Voßkuhle/Wischmeyer, Grundwissen – Öffentliches Recht: Die Organe der Europäischen Union, JuS 2018, 1184 ff.


Die EU ist eine Demokratie (Art. 10 Abs. 1 EUV). Sie verpflichtet sich – wie alle Mitgliedstaaten (Art. 2 EUV) – zu einer Herrschaft durch das Volk über das Volk. Dies lässt offen, ob die EU überhaupt einen eigenes Unionsvolk hat oder aber die europäische Demokratie letztlich eine spezifische Symbiose des Mit- und Zusammenwirkens der mitgliedstaatlichen Völker ist.7 Jedenfalls die Unionsbürgerschaft (Art. 20 Abs. 1 AEUV), die jede:r Staatsangehörige eines Mitgliedstaates automatisch als zusätzliche Staatsbürgerschaft neben seiner nationalen Staatsangehörigkeit innehat, bietet einen Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung eines europäischen Volkes. Nun kann schwerlich jede Entscheidung unmittelbar von über 400 Millionen Unionsbürger:innen getroffen werden. Deshalb wird auch in der EU die Willensbildung weitgehend durch Organe verwirklicht, die das Volk repräsentieren.8 Von diesen Organen der EU, die in Art. 13 Abs. 1 S. 2 EUV aufgeführt sind, werden die wichtigsten vier (Europäischer Rat, Rat der EU, Europäisches Parlament, Kommission) im Folgenden vorgestellt. Grundkenntnisse sind für das Verständnis des Unionsrechts unabdingbar, in der ersten juristischen Prüfung können sie insbesondere in der mündlichen Prüfung relevant werden.

I. Kurzvorstellung: Europäischer Rat – Rat der EU – Europäisches Parlament – Kommission 

1. Europäischer Rat

Schon zu den Gründungszeiten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) (ab 1951) und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) (ab 1957), den Vorläufern der heutigen EU, trafen sich immer wieder auch die Staats- oder Regierungschefs der Mitgliedstaaten, um über die Ausrichtung der jeweiligen Organisation zu beraten. Über Jahrzehnte etablierte sich eine politische Praxis, dass die Staats- oder Regierungschefs die wesentlichen Richtungsentscheidung trafen. Aber erst im Vertrag von Maastricht von 1992 wurde die Leitungsfunktion eines „Europäischen Rats“ sodann anerkannt. 2009, mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, wurde der „Europäische Rat“ ein vollwertiges Organ der EU. Neben den 27 Staats- oder Regierungschefs gehören ihm nunmehr ein Präsident des Europäischen Rates mit jeweils 2,5-jähriger Amtszeit (zur Zeit: António Costa [Portugal]), der kein Amt in einem der Mitgliedstaaten innehat (Art. 15 Abs. 6 S. 3 EUV), sowie der Präsident der Europäischen Kommission (zur Zeit: Ursula von der Leyen [Deutschland]) an (Art. 15 Abs. 2 S. 1 EUV). 

Der Europäische Rat setzt nach Art. 15 Abs. 1 EUV die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten der EU fest, indem er politisch, aber nicht unmittelbar rechtsverbindliche9 Schlussfolgerungen erlässt. Grundsätzlich wird dazu so lange verhandelt, bis ein Konsens erreicht wird (Art. 15 Abs. 4 EUV). Nur in spezifischen Fällen, etwa bei Beschlüssen über eine Änderung der Verträge (Art. 48 Abs. 6 UAbs. 2 EUV) oder der Ernennung eines Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (Art. 18 Abs. 1 EUV), kommt es zu echten „Abstimmungen“ im Europäischen Rat, dann haben der Präsident des Europäischen Rates und der Präsident der Europäischen Kommission kein Stimmrecht (Art. 235 Abs. 1 AEUV). In das „Tagesgeschäft“, insbesondere die Gesetzgebung (Art. 15 Abs. 1 S. 2 EUV), ist er hingegen grundsätzlich nicht involviert.

2. Rat der Europäischen Union

a) Zusammensetzung

Die Terminologie ist unglücklich: Nicht mit dem Europäischen Rat zu verwechseln ist der Rat der Europäischen Union. Dieser setzt sich aus den für die zu treffende Entscheidung zuständigen Regierungsvertreterinnen und -vertretern zusammen – jeweils eine:r pro Mitgliedstaat (Art. 16 Abs. 2 EUV).10 Insgesamt tagt der Rat in 10 verschiedenen Ratsformationen. So gibt es einen Rat „Auswärtige Angelegenheiten“, einen Rat für Wirtschaft und Finanzen, einen Rat für Justiz und Inneres, einen Rat für Landwirtschaft usw. Für Abstimmung und Kohärenz sorgt insoweit der Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ (Art. 16 Abs. 6 UAbs. 2 S. 1 EUV). Der Vorsitz rotiert halbjährlich zwischen den Mitgliedstaaten.11

b) Funktionen

Der Rat der EU ist das maßgebliche Verbindungsglied der nationalen Regierungen mit der EU und trägt somit dazu bei, dass das Unionsrecht auch in den innerstaatlichen Verwaltungen Umsetzung findet.12 Er wirkt am Gesetzgebungsverfahren insofern mit, als grundsätzlich alle Gesetzgebungsakte der EU seiner Zustimmung bedürfen (Gesetzgebungsfunktion). Soweit nichts Abweichendes, insbesondere ein Einstimmigkeitserfordernis, geregelt ist, ist gemäß Art. 16 Abs. 3 EUV eine qualifizierte Mehrheit erforderlich: Es bedarf der Zustimmung von 55 % der Mitglieder des Rates (mithin 15 von 27 Mitgliedern), die 65 % der Gesamtbevölkerung repräsentieren. Der Rat der EU ist ferner maßgeblich für die personelle Zusammensetzungen weiterer Stellen der EU zuständig (Kreationsfunktion), etwa der Mitglieder des Rechnungshofs (Art. 286 Abs. 2 S. 2 AEUV). 

3. Europäisches Parlament 

a) Funktionen 

Die EU ist weltweit die einzige überstaatliche Organisation, die – seit 1979 – über ein unmittelbar durch die Bürger:innen gewähltes Parlament verfügt. Das Europäische Parlament hat sich inzwischen zum zentralen Akteur des Gesetzgebungsverfahrens entwickelt (Gesetzgebungsfunktion). Zwar hat das Parlament weiterhin kein eigenes Initiativrecht, im allgemeinen Gesetzgebungsverfahren bedarf aber jeder Rechtsakt seiner Zustimmung. Hinzu kommt die Zuständigkeit des Parlaments für die Wahl zahlreicher Ämter (Kreationsfunktion), etwa die Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission (Art. 17 Abs. 7 UAbs. 1 S. 2 EUV). Schließlich hat auch das Europäische Parlament – wie auch aus dem nationalen Kontext bekannt – eine Kontrollfunktion: So können die Abgeordneten z.B. einen Untersuchungsausschuss einsetzen (Art. 226 AEUV), Fragen an die Kommission richten (sog. Interpellationsrecht, Art. 230 UAbs. 2 AEUV) oder der Kommission als Kollegialorgan ihr Misstrauen aussprechen (Art. 17 Abs. 8 EUV und Art. 234 AEUV).

b) Wahl

Die Wahl zum Europäischen Parlament, die den Grundsätzen der Allgemeinheit, Freiheit und Geheimniswahrung verpflichtet ist (Art. 14 Abs. 3 EUV, Art. 39 Abs. 2 GRCh) erfolgt unmittelbar durch die Unionsbürger:innen. Der „Direktwahlakt“ der EU macht einige allgemeine Vorgaben, weitgehend erfolgt die Wahl freilich weiterhin unter nationalstaatlicher Ägide. So unterscheiden sich etwa der genaue Tag der Wahl, die Höhe einer Sperrklausel oder das Mindestalter für das aktive Wahlrecht. In Deutschland sind insoweit die Bestimmungen des Europawahlgesetzes maßgebend. 

Die Verteilung der derzeit insgesamt 720 Sitze (mind. 6, max. 96 Sitze je Mitgliedstaat) richtet sich nach der Bevölkerungszahl, wobei die Verteilung nicht streng verhältnismäßig erfolgt, sondern kleinere Staaten bevorteilt (sog. degressive Proportionalität, Art. 14 Abs. 2 S. 3 EUV). Bei der Wahl zum Europäischen Parlament besteht daher keine Erfolgswertgleichheit, entsprechend ist auch in Art. 14 Abs. 3 EUV der Grundsatz der Gleichheit der Wahl nicht aufgeführt. Dies lässt sich aus der besonderen Struktur der EU rechtfertigen,13 da nur so eine angemessene Repräsentation auch kleinerer Mitgliedstaaten ermöglicht und dem Grundsatz der Staatengleichheit Rechnung getragen wird.14

c) Arbeitsweise

Im Europäischen Parlament finden sich die Abgeordneten aus den mehr als 200 nationalen Parteien zu Fraktionen zusammen.15 Die Fraktionen verfügen über zentrale Rechte im Parlamentsbetrieb, der durch ein Präsidium (vgl. Art. 14 Abs. 4 EUV) und einen Parlamentspräsidenten (derzeit: Roberta Metsola [Malta]) geordnet wird.

4. Kommission

a) Kommission als Kollegialorgan

Wenn wir von der (Europäischen) Kommission sprechen, so ist in der Regel das Kollegialorgan aus dem Präsidenten der Kommission und 26 Kommissionsmitgliedern – eines pro Mitgliedstaat16 – gemeint. Diese Kommission amtiert, analog zur Legislaturperiode des Europäischen Parlaments, jeweils für 5 Jahre (Art. 17 Abs. 3 UAbs. 1 EUV).

aa) Funktionen

Die Kommission ist – ähnlich einer Regierung – zuständig, die EU und das Unionsrecht fortzuentwickeln. Als von den Mitgliedstaaten unabhängiges Organ formuliert sie dazu Programme, Weißbücher, Empfehlungen und Stellungnahmen. Vor allem aber ist die Kommission am Gesetzgebungsverfahren insoweit maßgeblich beteiligt, als sie (grundsätzlich allein) das Initiativrecht hat (Art. 17 Abs. 2 S. 1 EUV, Art. 294 Abs. 2 AEUV). Anders als in Deutschland, wo auch aus der Mitte des Bundestags und durch den Bundesrat Gesetze initiiert werden können (Art. 76 Abs. 1 GG), kann auf europäischer Ebene nur die Kommission Gesetze „auf den Weg“ bringen. 

Die Kommission ist aber nicht nur „Motor der Integration“, sondern zugleich „Hüterin des Unionsrechts“. Sie führt den beschlossenen Haushaltsplan aus und hat allgemein für die Anwendung des Unionsrechts und der von der EU beschlossenen Maßnahmen Sorge zu tragen. Dazu koordiniert sie die gesamte Verwaltungstätigkeit in der EU, wozu sie – bei entsprechender sekundärrechtlicher Ermächtigung – insbesondere auch Durchführungsrechtsakte erlassen kann (Art. 291 Abs. 2 AEUV). 

bb) Wahl

Einen Vorschlag, wer Präsident der Kommission werden soll, macht gemäß Art. 17 Abs. 7 UAbs. 1 S. 1 EUV zunächst der Europäische Rat. Er „berücksichtigt“ insofern das Ergebnis der Europawahlen. Umstritten ist, ob er dabei einen von den europäischen Parteien bei der Wahl aufgestellten Spitzenkandidaten vorschlagen muss. Der offene Wortlaut („berücksichtigen“) spricht eher dagegen. So einigten sie sich 2019 auf Ursula von der Leyen anstelle des Spitzenkandidaten der EVP Manfred Weber. Im Anschluss an den Vorschlag muss der Kommissionspräsident vom Europäischen Parlament mit der Mehrheit der Stimmen gewählt werden.

Wurde ein Präsident gewählt, werden vom Rat der EU (in der Besetzung für „Allgemeine Angelegenheiten“) – auf Grundlage von Vorschlägen der Mitgliedstaaten und im Einvernehmen mit dem gewählten Präsidenten (Art. 17 Abs. 7 UAbs. 2 EUV) – Kandidatinnen und Kandidaten für die Mitgliedschaft in der Kommission bestimmt. Diese müssen sich im Parlament einer öffentlichen Anhörung stellen. Hier können die Abgeordneten insbesondere ermitteln, ob ein:e Kandidat:in die notwendige allgemeine Befähigung, Einsatz für Europa und die Gewähr für ihre/seine Unabhängigkeit (Art. 17 Abs. 3 UAbs. 2 EUV) mitbringt. Danach findet eine einheitliche Wahl des gesamten Kollegiums durch das Europäische Parlament statt (Art. 17 Abs. 7 UAbs. 3 S. 1 EUV).

cc) Arbeitsweise

Wie auch der Rat und das Parlament kann und muss die Kommission ihre Binnenorganisation in den Grenzen der Verträge selbst näher ausgestalten (Selbstorganisationsrecht),17 wozu sie eine Geschäftsordnung erlässt (Art. 249 Abs. 1 S. 1 AEUV). Grundsätzlich ist festzuhalten, dass der Präsident der Kommission die Leitlinien der Kommissionarbeit festlegt (Art. 17 Abs. 6 UAbs. 1 lit. a EUV), in deren Rahmen jedes Mitglied der Kommission für die Arbeit seines Ressorts verantwortlich ist. Bei Streitfragen entscheidet die Kommission als Kollegium mit einfacher Mehrheit (Art. 250 AEUV). Hier finden sich durchaus Aspekte der Binnenorganisation der Bundesregierung (Art. 65 GG) wieder.

b) Kommission als Hauptverwaltungsorgan

Darüber hinausgehend wird auch das Hauptverwaltungsorgan der EU als Kommission bezeichnet. Hier arbeiten derzeit etwa 32 000 Beschäftigte, damit verfügt die Kommission etwa über 10 % des Personalbestands der deutschen Bundesverwaltung. Die Kommission unterteilt sich in Generaldirektionen, die insbesondere für einzelne Politikfelder zuständig sind (z.B. Generaldirektion für Mobilität und Verkehr, für Migration und Inneres, für Wettbewerb etc.). In der Regel ist jeweils ein Mitglied der Kommission für die Generaldirektion zuständig (Ressortprinzip). Die Kommission kümmert sich als Behörde der EU-Eigenverwaltung um die Durchführung, d.h. den Vollzug des Unionsrechts. Dazu erlässt sie derzeit jährlich rund 20 000 (konkret-individuelle) Beschlüsse.18

Zur Vertiefung: Weiterer Bestandteil der EU-Eigenverwaltung sind die – grundsätzlich durch einen Sekundärrechtsakt errichteten – Agenturen. Die derzeit 37 Regulierungsagenturen sind Körperschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit, die ihren Sitz an unterschiedlichen Orten in der gesamten EU haben (daher auch: „dezentrale Agenturen). Wie die „Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA)“ mit Sitz in Amsterdam beispielhaft verdeutlicht, dienen sie der zentralisierten Bewältigung bestimmter Verwaltungsaufgaben, etwa der Arzneimittelzulassung. Die Exekutivagenturen (derzeit 6) werden demgegenüber nur für eine bestimmte Zeit von der Kommission durch einen Durchführungsbeschluss eingesetzt, um „unter ihrer Kontrolle und Verantwortung“ (Art. 1 Verordnung [EG] Nr. 58/2003) bestimmte Unionsprogramme zu verwalten. Sie haben ihren Sitz in Brüssel.

II. Prinzip des institutionellen Gleichgewichts

Art. 13 Abs. 2 S. 1 EUV betont, dass jedes Organ nach den in den Verträgen vorgesehenen Befugnissen und Regelungen zu handeln und sich dabei gegenüber anderen Organen loyal verhalten zu hat. Darüber hinaus reicht ein ungeschriebenes Prinzip des institutionellen Gleichgewichts,19 das vom EuGH als justiziabel erachtet wird: 

„Die Verträge haben ein institutionelles Gleichgewicht geschaffen, indem sie ein System der Zuständigkeitsverteilung zwischen den verschiedenen Organen der Gemeinschaft errichtet haben, das jedem Organ seinen eigenen Auftrag innerhalb des institutionellen Gefüges der Gemeinschaft und bei der Erfüllung der dieser übertragenen Aufgaben zuweist. Die Wahrung dieses Gleichgewichts gebietet es, dass jedes Organ seine Befugnisse unter Beachtung der Befugnisse der anderen Organe ausübt. Sie verlangt auch, dass eventuelle Verstöße gegen diesen Grundsatz geahndet werden können.“20

Hier kommt zum einen die Gleichrangigkeit der Organe zum Ausdruck.21 Zum anderen sind Aspekte aufgegriffen, die im nationalen Kontext dem Gewaltenteilungsgrundsatz zugeordnet werden. Auch die EU kennt grundsätzlich eine Trennung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative. Die konkrete Zuordnung der genannten Organe fällt allerdings insofern schwer, als die spezifische Organisationsstruktur der EU überkommene Elemente von Nationalstaaten (Parlament) mit Institutionen zusammenführt, die ihrem völkerrechtlichen Ursprung zuzuschreiben sind (Europäischer Rat).22 Zudem kommen insbesondere dem Rat der EU sowohl legislative als auch exekutive Funktionen zu.

III. Demokratische Legitimation

1. Supranationalität und Intergouvernementalität 

Die EU-Organe sind auf unterschiedliche Art und Weise legitimiert: Auf der einen Seite steht das Europäische Parlament, das unmittelbar durch alle Unionsbürger:innen gewählt wird. Es wird daher als supranationales Organ eingeordnet, dessen Legitimation sich unmittelbar aus der Wahl der Unionsbürger:innen speist. 

Zur Vertiefung: Das Europäische Parlament wird von allen Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union gewählt. Da die Sitze aber den Mitgliedstaaten zugewiesen werden, handelt es sich nicht um eine gesamteuropäisch einheitliche Wahl. Das BVerfG geht daher davon aus, dass das Europäische Parlament nicht ein „europäisches Volk“ repräsentiert, sondern in der Sache eine Vertretung der Völker der Mitgliedstaaten, also des deutschen Volkes, des französischen Volkes etc., bleibt.23

Auf der anderen Seite stehen der Europäische Rat und der Rat der EU, deren Mitglieder zugleich Mitglieder bzw. Vertreter:innen der nationalen Regierung sind und auf diesem Weg durch das jeweilige mitgliedstaatliche Volk (mittelbar) gewählt und ihm gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Die EU verfügt mithin über eine duale Legitimationsstruktur (vgl. auch Art. 10 Abs. 2 EUV) mit supranationalen und intergouvernementalen Elementen. Regelmäßig wirken beide Legitimationsstränge zusammen, etwa bei der Bestimmung des Präsidenten der Europäischen Kommission oder beim Beschluss von Gesetzgebungsakten, für deren Verabschiedung regelmäßig die Zustimmung sowohl des Europäischen Parlaments als auch des Rates der EU notwendig ist. Historisch ist dies der gegenwärtige Stand eines permanenten Austarierungsprozesses zwischen einer Stärkung der EU als unabhängige, supranationale Organisation einerseits und einer Rückbindung an die Mitgliedstaaten andererseits.

2. Offenheit des europäischen Legitimationskonzepts 

Die EU ist – auch auf der Basis der Vorstellung in anderen Mitgliedstaaten – grundsätzlich offener für alternative Legitimationskonzepte als die überkommene deutsche Lehre, die weiterhin stark dem formalen „Legitimationskettenmodell“ verhaftet ist. Auch Partizipation und Transparenz wird ein demokratischer Gehalt beigemessen, vgl. auch Art. 11 Abs. 1 und 2 EUV. Aus deutscher Sicht würden wir diese Hinwendung zu den Bürger:innen eher als Faktoren zur Steigerung der „Legitimität“ (nicht: Legitimation) einordnen.

Konkrete partizipatorische Elemente sind insbesondere die Einrichtung eines Europäischen Bürgerbeauftragten (Art. 228 AEUV), die Möglichkeit einer europäischen Bürgerinitiative (Art. 11 Abs. 4 EUV, Art. 24 Abs. 1 AEUV), die Einführung eines Petitionsrechts (Art. 24 EUV, Art. 227 AEUV, Art. 44 GRCh) etc. Die Zielrichtung einer transparenten Tätigkeit kommt etwa in Art. 298 Abs. 1 AEUV zum Ausdruck, wonach sich die EU auf eine „offene“ Verwaltung stützt. Konkret sorgen sekundärrechtliche Regelungen für die maßgebliche Transparenz.

C. Durchführung des Unionsrechts 

Weiterführender Literaturhinweis

Lorenzen, Grundlagen des Europarechts (Teil IV): Europäische Verwaltung, JURA 2021, 1426 ff.


Das deutsche Recht wirkt zumindest nur teilweise „aus sich selbst heraus“. Es bedarf vielfach Behörden, um es für den Einzelfall zu konkretisieren und seine Einhaltung zu überwachen. Unter dem Grundgesetz ist die Zuständigkeit für diesen „Vollzug“ u.a. in Art. 83 ff. GG und in entsprechenden Organisationsgesetzen näher geregelt. Vergleichbar dazu stellt sich die Frage, wer für die Durchführung des Unionsrechts zuständig ist.

I. Grundsatz des mitgliedstaatlichen (indirekten) Vollzugs 

Die EU verfügt zwar mit der Kommission und diversen Agenturen über eine eigene Verwaltungsstruktur (EU-Eigenverwaltung). Dieser wäre es in ihrer derzeitigen Ausgestaltung aber schon angesichts ihrer Größe und ihrer räumlichen Konzentration kaum möglich, allein die Durchführung des Unionsrechts in der gesamten EU zu bewältigen. Stattdessen wird das Unionsrecht – vergleichbar zu der Konstellation, dass das Bundesrecht grundsätzlich durch Landesbehörden vollzogen wird (Art. 83 GG) – grundsätzlich durch die mitgliedstaatlichen Behörden vollzogen (indirekter Vollzug). So ist gewährleistet, dass das Unionsrecht „vor Ort“ umgesetzt wird. Zudem werden Sprachbarrieren vermieden oder jedenfalls reduziert und sichergestellt, dass unionale und nationale Verwaltungsentscheidungen sich nicht in Widerspruch setzen. Zur normativen Anknüpfung dieses Grundsatzes des mitgliedstaatlichen Vollzugs wird im deutschen Schrifttum vielfach Art. 291 Abs. 1 AEUV herangezogen. Für die Praxis (und die Klausur) erklärt sich daraus jedenfalls, dass auch deutsche Behörden stets das unmittelbar anwendbare Unionsrecht zu berücksichtigen und durchzusetzen haben.

Soweit keine unionsrechtlichen Vorgaben bestehen (sog. Soweit-Formel),24 entscheidet jeder Mitgliedstaat, welche Behörde zuständig ist und welches Verfahrensrecht Anwendung findet (Grundsatz der nationalen Verfahrensautonomie).25 Entsprechend richtet sich beispielsweise der Ablauf des Verwaltungsverfahrens vor einer Bundesbehörde für eine Entscheidung, deren materiellen Voraussetzungen in einer EU-Verordnung niedergelegt sind, in Deutschland regelmäßig nach dem VwVfG. Damit dies nicht den Vollzug des Unionsrechts gefährdet, werden aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) zwei (ungeschriebene) Grundsätze hergeleitet:26 Nach dem Effektivitätsgrundsatz dürfen mitgliedstaatliche Vorschriften einem effektiven Vollzug des Unionsrechts nicht entgegenstehen. Nach dem Äquivalenzgrundsatz dürfen grenzüberschreitende Sachverhalte nicht schlechter behandelt werden als nationale Sachverhalte – was in der Praxis freilich auch nur noch sehr selten geschieht.

II. Unionseigener (direkter) Vollzug und Verbundverwaltung

Die EU kann in ihren Rechtsakten vorsehen, dass Unionsrecht ausnahmsweise durch die EU-Eigenverwaltung vollzogen wird („direkter Vollzug“ oder „unionseigener Vollzug“). Als Vorteil einer solchen Zentralisierung gilt insbesondere die Effizienz eines einheitlichen „europäischen“ Verfahrens, mit dem unmittelbar eine in allen Mitgliedstaaten der EU geltende Entscheidung getroffen werden kann. Entsprechend erfolgt etwa die Zulassung bestimmter Arzneimittel unmittelbar durch die Europäische Arzneimittelagentur und nicht durch mitgliedstaatliche Behörden. Ein bereichsübergreifendes Verwaltungsverfahrensrecht existiert hier bislang nicht, einige Grundsätze, etwa ein Anhörungsrecht und eine Begründungspflicht, normiert aber das Recht auf eine gute Verwaltung (Art. 41 GRCh).

Nachteil eines direkten Vollzugs ist häufig, dass zwischen der zuständigen EU-Verwaltungsstelle und einem Antragsteller ggf. größere räumliche, sprachliche und kulturelle Hürden bestehen. Der indirekte Vollzug birgt in einer EU mit 27 Mitgliedstaaten demgegenüber die Gefahr, dass die Verwaltungspraxis erheblich voneinander abweicht. In der Praxis ergeben sich daher in zunehmendem Maße Mischmodelle, bei denen etwa mitgliedstaatliche Behörden eine Vorprüfung unternehmen und eine Stelle der EU sodann die verfahrensabschließende Entscheidung trifft. Genauere Kenntnisse zu dieser Verbundverwaltung sind für die erste juristische Prüfung nicht erforderlich.27


  1. Di Fabio, AöR 148 (2023), 50 (57). ↩︎
  2. Vgl. nur Calliess, Staatsrecht III, 4. Aufl. 2022, § 2 Rn. 140. ↩︎
  3. BVerfGE 142, 123 Rn. 140. ↩︎
  4. Vgl. wie hier auch BVerfGE 142, 123 Rn. 140154, 17 Rn. 11156, 182 Rn. 38: „Die Europäische Union ist ein Staaten-, Verfassungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungsverbund […]“. ↩︎
  5. Näher zum Begriff des Verfassungsverbunds Calliess, Staatsrecht III, 4. Aufl. 2022, § 5 Rn. 13 ff. m.w.N. ↩︎
  6. EuGH, C-284/16, ECLI:EU:C:2018:158 Rn. 34 – Achmea. ↩︎
  7. Entsprechend formuliert das BVerfG, dass das Europäische Parlament eine „Vertretung der miteinander vertraglich verbundenen Völker bleibt“ (BVerfGE 129, 300 Rn. 81). ↩︎
  8. Vgl. Art. 10 Abs. 1 EUV: Die Arbeitsweise der Union beruht auf der repräsentativen Demokratie. ↩︎
  9. Ausnahmen bestehen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), vgl. etwa Art. 26 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV. ↩︎
  10. Der Vertreter bzw. die Vertreterin muss nicht zwingend Mitglied der nationalen Regierung sein. So können aus Deutschland auch Staatssekretär:innen oder bei Themen, die zuvörderst die Landesgesetzgebungskompetenz betreffen, Landesminister:innen entsandt werden (Art. 23 Abs. 6 GG). ↩︎
  11. Eine Ausnahme bildet der Rat für auswärtige Angelegenheiten, dessen Vorsitz dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik zukommt (Art. 18 Abs. 3 EUV), der zugleich Vizepräsident der Kommission ist (sog. kleiner Doppelhut). ↩︎
  12. Für eine „Rückkopplungsfunktion“ Bieber/Haag, in: Bieber u.a., Die Europäische Union, 15. Aufl. 2023, § 4 Rn. 51. ↩︎
  13. Auch Streinz, Europarecht, 12. Aufl. 2023, Rn. 315. ↩︎
  14. Demgegenüber stellt das BVerfG weiterhin darauf ab, dass es sich beim Europäischen Parlament im Kern nicht um eine Vertretung der Unionsbürger:innen, sondern um eine Vertretung der mitgliedstaatlichen Völker handele, vgl. BVerfGE 129, 300 Rn. 81. ↩︎
  15. In der gegenwärtigen Legislaturperiode (2024 – 2029) haben sich insgesamt acht Fraktionen gebildet. Die größte ist die Fraktion der „European People’s Party“, der aus Deutschland die für die CDU/CSU gewählten Abgeordneten angehören. ↩︎
  16. Art. 17 Abs. 5 UAbs. 1 EUV sieht vor, dass die Kommission seit 2014 aus insgesamt 18 Mitgliedern bestehen soll, die nach einem Rotationssystem aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten kommen. Der Europäische Rat hat aber von der Öffnungsklausel des Art. 17 Abs. 5 UAbs. 1 EUV Gebrauch gemacht, sodass weiterhin jeder Mitgliedstaat ein Kommissionsmitglied stellt (Beschluss 2013/272/EU des Europäischen Rates v. 22.5.2013 über die Anzahl der Mitglieder der Europäischen Kommission). ↩︎
  17. Bieber/Haag, in: Bieber u.a., Die Europäische Union, 15. Aufl. 2023, § 4 Rn. 74. ↩︎
  18. Zahl nach Nettesheim, in: Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 9. Aufl. 2021, § 5 Rn. 127. ↩︎
  19. Krit. angesichts der fehlenden normativen Grundlage Bieber/Haag, in: Bieber u.a., Die Europäische Union, 15. Aufl. 2023, § 4 Rn. 16. ↩︎
  20.  EuGH, C-70/88, ECLI:EU:C:1990:217 LS 1 – Parlament/Rat. ↩︎
  21. Nettesheim, in: Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 9. Aufl. 2021, § 5 Rn. 20. ↩︎
  22. Auch Nettesheim, in: Oppermann/Classen/ Nettesheim, Europarecht, 9. Aufl. 2021, § 5 Rn. 16. ↩︎
  23. BVerfGE 123, 267 (373 f.). ↩︎
  24. EuGH, 205/82, ECLI:EU:C:1983:233 Rn. 17 – Deutsche Milchkontor. Die unionsrechtlichen Vorgaben können dabei im Sekundärrecht explizit verankert werden. Sie können sich aber als ungeschriebene „allgemeine Rechtsgrundsätze“ ergeben wie dies etwa für ein Anhörungsrecht angenommen wird (vgl. EuGH, C-166/13, ECLI:EU:C:2014:2336 Rn. 45 f. – Mukarubega). ↩︎
  25. Vgl. EuGH, C-572/16, ECLI:EU:C:2018:100 Rn. 42 – INEOS KölnSchroeder, Grundkurs Europarecht, 8. Aufl. 2024, § 8 Rn. 12. ↩︎
  26. Ausf. dazu Galetta, Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz, in: Kahl/Ludwigs (Hg.), Handbuch des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2021, § 46. ↩︎
  27. Weiterführend Lorenzen, Grundlagen des Europarechts (Teil IV): Europäische Verwaltung, JURA 2021, 1426 (1435 ff.). ↩︎