Die Verteilung der Vermögen in Deutschland unterlag in den Jahren von 2002 bis 2012 eher geringen Veränderungen. Wie aus dem kürzlich veröffentlichen Wochenbericht1 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auf Basis der neuesten Erhebung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) hervorgeht, lag das durchschnittliche individuelle Vermögen2 im Jahr 2012 bei etwa 83.000 EUR, der Median bei knapp 17.000 EUR. Die starke Differenz zwischen Durchschnitt und Median ist ein Merkmal sehr ungleicher Verteilungen. Bei sieben Prozent aller Erwachsenen übersteigen die Verbindlichkeiten das Bruttovermögen und gut ein Fünftel verfügt über kein persönliches Vermögen (ohne Hausrat, ohne Anwartschaften an Alterssicherungssysteme). Im Vergleich zu den Erhebungen 2002 und 2007 ergeben sich damit kaum signifikante Veränderungen (vgl. Tabelle 1), lediglich der Anteil der Personen, die ein negatives Nettovermögen (d.h. deren Schulden das Bruttovermögen übersteigt) halten, ist zwischen 2002 und 2007 signifikant gestiegen und bis 2012 auf diesem Niveau geblieben.
Tabelle 1: Individuelle Vermögensverteilung, Gesamtdeutschland
Individuelle Nettovermögen von Personen ab 17 Jahren in Privathaushalten; statistisch signifikante Veränderungen gegenüber dem jeweiligen Erhebungsjahr zuvor sind grau markiert.
Quelle: eigene Berechnungen, SOEPv29, mit 0,1 Prozent Top-Coding.
Der Gini-Koeffizient, ein Standardmaß zur Messung von Ungleichheit, nimmt einen höheren Wert an, wenn die gemessene Ungleichheit steigt. Bei maximaler Ungleichheit, wenn also eine Person sämtliches Vermögen besitzt und alle anderen keines haben, nimmt dieser Indikator theoretisch den Wert 1 an. Da das Nettovermögen auch negative Werte annehmen kann, sind aber auch Werte größer als 1 möglich. Für Deutschland im Jahr 2012 ergibt sich ein Koeffizient von 0,78 (Tabelle 1). Damit nimmt Deutschland in der Eurozone einen Spitzenplatz ein: Für Frankreich liegt der Gini-Koeffizient beispielsweise bei 0,68, für Italien bei 0,61 (Mooslechner 2013). Unter den europäischen Ländern gehört Deutschland damit zu den Staaten, mit der höchsten Ungleichheit beim Vermögensbesitz. Doch bei der Messung der Vermögensverteilung ergeben sich einige Schwierigkeiten.
Mittelstandsbias und Top-Vermögen
Dass nicht alle gerne über Geld reden, spiegelt sich in hohem Maße in der Verweigerer-Quote wider, d.h. der Anteil der Befragten, welche entweder zu einem Teil oder zu allen Fragen bezüglich ihres Vermögens keine Auskunft geben wollen (oder können). Da arme oder sehr reiche Personen häufiger die Antwort verweigern, sind die Schätzungen in Richtung des Mittelstandes verzerrt. Man nennt dieses Phänomen daher auch Mittelstandsbias. Die negativen Effekte der Verweigerer auf die Analysen lassen sich mit Hilfe statistischer Methoden beschränken (Frick et al. 2010).
Hinzu kommt aber, dass die Verteilung der Vermögen sehr stark rechtsschief ist und bereits bei der Stichprobenziehung die Repräsentativität auch für den Top-Vermögensbereich sichergestellt werden muss. Befragungen im Allgemeinen haben aber Probleme, „Superreiche“ in die Stichprobe zu holen und Panelstudien wie das SOEP müssen diese zusätzlich langfristig in der Stichprobe halten. Faktisch ist es so, dass die Schätzungen für die reichsten Personen (die „Top-1-Prozent“) nach unten verzerrt sind.
Dies entwertet aber nicht die Ergebnisse von Befragungen zur Vermögenssituation. Dies bedeutet erst einmal nur, dass die Ergebnisse für 2012, wie in Abbildung 1 zusammengefasst, aller Voraussicht nach die Ungleichheit der Vermögensverteilung unterschätzen und dass man beim Vergleich mehrerer Jahre robuste Schätzer ausweisen sollte (siehe Perzentilsgrenzen in Abbildung 2 und die Erläuterungen im nächsten Abschnitt).
Die Bevölkerungspyramide und die entsprechende Verteilungspyramide der Vermögen zeigen, dass die reichsten zehn Prozent 57,5 Prozent des Vermögens halten; davon entfallen alleine auf das reichste Prozent 18,7 Prozent. Die ärmsten 50 Prozent der deutschen Bevölkerung mit einem Vermögen unterhalb des Medians von knapp 17.000 Euro (siehe Tabelle 1) halten nur 0,1 % des gesamten Privatvermögens.
Abbildung 1: Vermögensverteilung in Deutschland, 2012
Sowohl der Anteil des obersten Prozents (und damit auch der Top-10-Prozent) als auch der Gini-Koeffizient (Tabelle 1) dürften in Wahrheit noch höher sein, als mit der aktuellen Befragung gemessen wurde. Eine Darstellung der Anteile am Gesamtvermögen nach Dezilen ähnlich zu Abbildung 1 war noch ein zentrales Element im letzten Bericht zur Vermögensverteilung (DIW Wochenbericht Nr.4/20093) und wurde daraufhin vielerorts zitiert oder übernommen (siehe zum Beispiel den Artikel bei Wikipedia zu Vermögensverteilung in Deutschland4). Da aber gerade die Vermögensmasse des reichsten Top-Prozents auf die prozentuale Verteilung der Vermögen wie in Abbildung 1 großen Einfluss hat, wurde zur vergleichenden Darstellung für die Jahre 2002, 2007 und 2012 im aktuellen Wochenbericht eine alternative Form der Darstellung gewählt.
Robuste Schätzer und externe Validierung
Perzentilsgrenzen sind robust gegenüber der erfassten Vermögensmasse des reichsten Prozents (Abbildung 2) und zeigen welche Eurobeträge nötig sind, um in der Verteilung der individuellen Vermögen einer bestimmten Gruppe anzugehören. Um beispielsweise 2012 zu den reichsten zehn Prozent (p90) zu gehören, bedarf es eines Nettovermögens von mindestens 217.000 Euro. Für das reichste Prozent (p99) waren es 817 000 Euro. Auch für diese (längsschnittlich) robustere Form der Darstellung zeigen sich kaum Veränderungen im Beobachtungszeitraum.
Abbildung 2: Individuelles Nettovermögen nach ausgewählten Perzentilen, Gesamtdeutschland
Quelle: eigene Berechnungen, SOEPv29, Personen ab 17 Jahren in Privathaushalten, mit 0,1% Top-Coding
Hinweise zur Beurteilung der Schätzungen könnte man durch eine externe Validierung anhand der Makrodaten der Deutschen Bundesbank (2014) und des Statistischen Bundesamtes erhalten. Die Makrodaten zeigen, dass das Gesamtreinvermögen der privaten Haushalte im Zeitraum von Ende 2001 bis Ende 2011 um knapp 45 Prozent gestiegen ist (31.12.2001: 6.408,9 Mrd. EUR; 31.12.2011: 9.781,5 Mrd. EUR). Auch die Daten des SOEP zeigen einen Anstieg, aber die Berechnungsgrundlagen sind für einen direkten Vergleich letztlich zu unterschiedlich: Befragungen haben traditionell Probleme das Geldvermögen vollständig zu erfassen, die Abdeckungsquoten5 sind bei weniger als 50 Prozent. Das SOEP verwendet das Inländerkonzept (die Vermögen aller in Deutschland wohnhaften Personen), die Bundesbank das Inlandskonzept (die Vermögen, welche sich auf deutschem Boden befinden). Die Vermögen privater Organisationen werden im SOEP nicht erfasst. Gebrauchsvermögen sind nicht im Vermögensmodul des SOEP enthalten. Die Bundesbank bewertet Immobilien mit dem Wiederbeschaffungswert, das SOEP erfasst den Zeitwert.
Trotz aller Unterschiede ist anzumerken, dass die Abdeckungsquoten der Schulden und fast aller anderen vergleichbaren Vermögenskomponenten im Beobachtungszeitraum konstant geblieben sind. Demnach hat die Qualität der Erfassung durch das SOEP nicht abgenommen – es gibt aber zwei Ausnahmen: Für das nicht selbstgenutzte Immobilieneigentum sowie das Betriebsvermögen verringerten sich die Abdeckungsquoten seit 2002. Gerade dabei handelt es sich aber um zwei Komponenten, die besonders häufig im Portfolio des reichsten Teils der Bevölkerung zu finden sind.
Fazit
Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Erfassung der Vermögen durch das SOEP in den letzten zehn Jahren an Qualität eingebüßt hätte. Die Abdeckungsquoten aus den Vergleichen mit den Makrodaten der Deutschen Bundesbank sind – soweit vergleichbar – seit 2002 in den Kernbereichen konstant. Analysen auf Basis von Befragungen können die Trends der Vermögensverteilung für den Großteil der Bevölkerung verlässlich abbilden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Vermögensungleichheit seit 2002 auf einem im europäischen Vergleich konstant hohen Niveau verharrt.
Die vermögendsten Personen halten einen beträchtlichen Teil der Vermögensmasse. Allerdings kann man für diese Personen mittels Befragungen aufgrund niedriger Fallzahlen kaum vernünftige Schätzungen tätigen und es gibt im Moment keine verlässliche alternative Datenquelle für Deutschland. Das Wissen um die Verteilung der Vermögen im Top-Bereich wäre auch für die Berechnung der Verteilungswirkung von Steuern und Abgaben auf das Vermögen von zentraler Bedeutung. Dies ist eine Daten- und Wissenslücke, welche möglichst bald geschlossen werden sollte.
Fußnoten:
1. Markus Grabka und Christian Westermeier: „Anhaltend hohe Vermögensungleichheit in Deutschland.“ DIW Wochenbericht Nr.9.2014, S.151-164. Vgl. zur Definition von Vermögen insb. Kasten 1, S.152.
2. Im Unterschied zur 2012 von der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Studie „Private Haushalte und ihre Finanzen (PHF)“ (Deutsche Bundesbank 2013) erhebt das SOEP Vermögen grundsätzlich für alle erwachsenen Personen individuell und nicht auf Haushaltsebene, was zusätzliche Möglichkeiten der Datenanalyse, bspw. Verteilungsanalysen innerhalb der Haushalte eröffnet.
3. Frick, J. und Grabka, M.: Gestiegene Vermögensungleichheit in Deutschland. In: DIW Wochenbericht 4-2009, https://www.diw.de/documents/publikationen/73/93785/09-4-1.pdf.
4. Vermögensverteilung in Deutschland, Wikipedia, permantenter Link: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Verm%C3%B6gensverteilung_in_Deutschland&oldid=128929547.
5. Die Abdeckungsquote ist der Quotient aus der Hochrechnung der Gesamtvermögen in Deutschland aus der SOEP-Befragung und den Makrodaten des Statistischen Bundesamtes.
Literaturverweise:
Deutsche Bundesbank (2014): Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen 1991 – 2012, https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Statistiken/sektorale_und_gesamtwirtschaftliche_vermoegensbilanzen.pdf?__blob=publicationFile.
Mooslechner, P. (2013): Der „Household Finance and Consumption Survey“ des Eurosystems: Konzeption und Ergebnisse der ersten Erhebungswelle 2010. Papier präsentiert im Generalrat der OeNB, 25.4.2013.
Deutsche Bundesbank (2013): Ergebnisse der Studie „Private Haushalte und ihre Finanzen“, verfügbar unter https://www.bundesbank.de/Navigation/DE/Bundesbank/Forschungszentrum/Haushaltsstudie/Ergebnisse/ergebnisse.html.
Grabka, M. und Westermeier, C. (2014): „Anhaltend hohe Vermögensungleichheit in Deutschland.“ DIW Wochenbericht Nr. 9, S. 151-164.
Frick, J., Grabka, M. und Marcus, J. (2010): Editing und multiple Imputation der Vermögensinformation 2002 und 2007 im SOEP. DIW Berlin Data Documentation 51.
Tags: SOEP, Ungleichheit, Vermögen, Verteilung