Man kann es riechen! Man kann es schmecken! Man kann es sehen! Und gerade deshalb ist die koreanische Küche so explosiv schmackhaft wie eine Bombe! Die Revolution beginnt ganz simpel: Ein Becher wird aufgetischt – mal mit Wasser, mal mit Tee, mal kühl, mal warm. Nach nur kurzer Dauer formieren sich erste Beilagenschälchen in Gruppenverbänden weißer Keramik. Die Grünen (gedünsteter Spinat mit Sesamkernen) neben den Roten (eingelegter Chinakohl), die Gelben (Ei) neben den Weißen (weicher Tofu mit Sojasoßenmischung). Dann wieder Rote (scharf eingelegter Krebs) neben Goldgelben (gebratener Fisch), Grüne (eingelegte Sesamblätter) neben den Braunen (eingelegte Bohnen) usw. usf. Flink springen die Stäbchen von einem Farbverband zum andern – und wieder hin und wieder her. Gedanklich stellt sich ein Regenbogen an Leichtigkeit am Horizont des Gaumens ein.
Dann ist von der Ferne ein Kampfgeschrei zu vernehmen. Mit heruntergetretenen Hacken und im Schweiße ihres Angesichts steuert die Bedienung den brodelnden Dampfer aus dem Hafen auf die frische See hinaus. Kaum setzt das Fahrwerk der bauchigen Transporter auf, vernebelt es einem die Sicht – der Duft die Sinne. Die herdplattenheiße Steinschale hält die Liebe der Köchin noch für einen Augenblick lebendig vor Augen. Ein umstürzlerisches Getöse macht sich in den Massen breit. Dann gibt es kein Halten mehr. Die Gruppenverbände ändern ihre Positionen, arrangieren sich neu, werden ersetzt, wenn sie vollends ausgeschöpft sind. Der Augenblick ist gekommen, die Fanfaren blasen hell und durchdringend den ersten Löffel des liquiden Heiß‘. Das ist der Umsturz! Kritiker mögen Kulinarismus unterstellen, Skeptiker Essentialismus, aber dies ist unvergleichbar mit sinistischem Brand, gelben Fackeln oder nipponesischem Motorenöl.
Dies ist the spice in my life! Wie ein Saunagang mit anschließendem Eisbad in einem! Dem Körper als ganzes wird ekstatischer Auftrieb verliehen, wie die Vorstellung von einem Kranich, der an einem milden Frühlingstag vom schilfbedeckten Dach erst mit ein paar Flügelschlägen anmutendend in die Höhe steigt und dann in eine seichte Wasserstelle gleitet! Und dann das weiße, fluffige Gold. Vollmundiger als jedes Steak, leichter als jede Kartoffel und duftende Verführung, die die Zunge und den Gaumen umschmeichelt – so liebevoll, wie der Bauer seinem Gaul auf den Rücken klopft. Der gesamte Geschmacksraum ist in ein Festival des Frohsinns getaucht – das Orchester spielt „Freude schöner Götterfunken“. Alles ist auf den Kopf gestellt und die geleerten messerscharfen Muscheln rollen in das Behältnis am Rand der Bühne. Das geschmackliche Flimmern erscheint langsam wie eine Fata Morgana, die ich von der frischen Oase aus am Horizont der Wüste erblicke. Sie erzählt von fernen Großartigkeiten, die sich wie Wellen entzückendster Wonne über mich ergießen. Fast wie im Takt zu einem Walzer oszillieren die Stäbchen über die Fläche, die sich farbenprächtig vor mir ausbreitet. Immer wieder vor, dann wieder zurück und noch mal vor. Wie die Auferstehung eines zerschlagenen bunten Porzellans, setzen sich die Eindrücke Stück für Stück wie das Muster auf einem Webteppich zusammen. Das vollkommen komplette Sinnbild erfährt man erst Minuten nach seinem eigentlichen Höhepunkt. Die Ergreifung dieses Augenblicks ist so überwältigend, dass ein direktes Erleben einen zum Überkochen bringen würde.
Die Forderungen sind erfüllt! Unendlichkeit, Ausgewogenheit und Harmonie. Wie die Glut des Lagerfeuers, die bis in die Morgenstunden wohlig wärmt, langsam erlischt, wirken die beruhigenden Umschmeichelungen von Zimt und Pflaume. Wassermassen scheinen sich in die Täler zu ergießen, wenn das fidele Knacken der Birnen gaumale Echos verschallen lässt. Auch die letzten Feuerschlucker schließen sich der Nachtruhe an und das Fest wird leiser und leiser, bis alle in einen trunkenen Schlaf verfallen, der so tief und doch so leicht und süß scheint, wie die Bienen behende auf den Blüten tanzen. Die Schmerzen der täglichen Welt lindernd, beginnt damit ein frischer neuer Tag. Die Vögel zwitschern und das klare Licht der Sonne scheint durch den hellen Stoff. Eine gänzliche Zufriedenheit macht sich breit. Ich öffne die Augen und skandiere gedanklich: Das Essen ist zu Ende, es lebe das Essen! Dann schwärme ich und genieße noch einmal den Moment.
Zuerst erschienen in der Mai-Ausgabe der „HANGARAM“ (2003).