19. Dezember 2015 von Mirja
Damit wenigstens einer der Beiträge zu dieser Sitzung studentisch ist, hier meine mehr oder minder spontane Nachbereitung. Da wir relativ wenige waren, handelt es sich hier vor allem um einen zusammenfassenden Beitrag und ich lasse mich gerne ergänzen und/oder korrigieren.
Annabelle Lever unternimmt in ihrem Aufsatz Feminism, Democracy and the Right to Privacy den Versuch, ausgehend von der feministischen Kritik an der Trennung von Öffentlichem und Privatem, Privatheit auf Grundlage demokratischer Prinzipien zu denken. Sie zeigt auf, inwiefern derart konzipierte Privatheit die politische Partizipation aller fördert, anstatt die im Feminismus kritisierte Einschränkung der Frau auf den privaten Raum voranzutreiben. Hierfür führt sie Begründungen an aus den demokratischen Denktraditionen des Liberalismus und des Republikanismus. Während dem Liberalismus mit seinem Fokus auf der Freiheit des Einzelnen die persönlichen Begründung zugeordnet wird, geht mit dem Republikanismus und seinem Fokus auf Allgemeinwohl und Gemeinwesen bei Lever die politischen Begründung einher.
Da ihre Absicht nicht in einer genaueren Definition von Privatheit an sich liegt, beschränkt sich Lever auf eine Untersuchung dreier Merkmale, die sie als das identifiziert, was allen Definitions-Debatten als Kern von Privatheit gemein sei: Confidentiality (Vertraulichkeit), Intimacy und Solitude.
Aus politischer wie aus privater Sicht besitzt der Schutz von Privatheit sowohl einen intrinsischen als auch einen instrumentalen Wert:
Politisch betrachtet gilt für den intrinsischen Wert von Privatheit: “the protection for privacy itself is worthwhile”, indem der gleichwertige Schutz der Privatheit aller Menschen die Gleichheit aller reflektiert und damit ein demokratisches Grundprinzip.
Instrumental kann Privatheit verstanden werden als “useful device for promoting political participation”. Diese Behauptung wird von Lever entlang der oben erwähnten Hauptmerkmale von Privatheit aufgeschlüsselt und mit Beispielen bestückt:
Vertraulichkeit, etwa bei Wahlen, trage dazu bei, dass Menschen ohne Zwang oder Angst vor sozialen Konsequenzen ihre Stimme abgeben können. Oder auch, dass sie politisch oppositionellen Gruppen angehören können ohne Angst vor Verfolgung.
Der Schutz von solitude gewährleiste, dass der Staat abweichende Meinungen nicht durch die Verletzung der Wohnung oder durch Freiheitsentzug bestrafen könne und der Schutz von Intimität gebe Menschen die Möglichkeit, das Private vom Öffentlichen so zu trennen, wie sie es für richtig halten und nicht etwa ihre sexuelle Identität in den öffentlichen Raum tragen zu müssen (Verbindung zu Sennett).
Was die Vertraulichkeit betrifft, gibt es allerdings bezüglich der Frage der Repräsentation Einschränkungen. Im Text wird John Stuart Mill angeführt, der der Ansicht ist, prinzipiell sei es dem Gemeinwohl zuträglicher, zu wissen, wer was gewählt habe, da nur so gewährleistet werden könne, dass alle im Interesse des Gemeinwohls und nicht persönlicher Präferenzen handeln. Hiervon ausgehend entspann sich im Seminar eine Diskussion darüber, inwiefern eine Wahl unter regulären Bürgern von einer Wahl unter Repräsentanten zu unterscheiden sei. Denn um hier sicher sein zu können, dass ein Repräsentant wirklich im Interesse der Repräsentierten wählt, ist eine Offenlegung der Stimmen wesentlich. An dieser Stelle haben wir uns an Arendt zurückerinnert, für die Repräsentation genau aus diesem Grund problematisch ist, da hier eine Einzelperson mit eigenen Interessen gewählt werde, die zudem immer weniger Kontakt zu ihren Wählern hat und somit erst recht nicht in der Lage ist, diese zu vertreten. Und das Prinzip der Vertretung an sich halte den Bürger davon ab, selbst aktiv den politischen Prozess mitzugestalten.
Auch aus persönlicher Sicht hat Privatheit sowohl einen intrinsischen als auch instrumentalen Wert:
Hier ist der instrumentelle Wert schneller erklärt. “Protection for privacy can promote personal freedom and equality” – Privatheit befördere die freie Entfaltung des Menschen, zu der er die Möglichkeit haben muss, in Ruhe gelassen zu werden.
Intrinsisch betrachtet ist es für eine Demokratie wichtig, ihre Mitglieder als “persons of solitude, intimacy and confidentiality” zu betrachten. Denn nur, wenn der Staat nicht die ganze Zeit in das Leben der Menschen eingreifen darf, bekommen diese überhaupt die Chance, sich selbst als freie und gleiche Wesen zu verstehen. Und dadurch, dass es nicht eine Grenze gibt, ab der für alle Menschen der private Raum beginnt, üben Menschen Demokratie, indem sie die Grenzen anderer anerkennen, selbst wenn diese nicht mit ihren eigenen übereinstimmen: Nur weil es für mich persönlich kein Problem ist, bei einer Anmeldung zu einem sozialen Netzwerk meinen Beziehungsstatus und/oder Sexualpräferenz anzugeben, heißt das nicht, dass das alle Menschen genauso empfinden. Und wenn ich einer Regel zustimme oder eine Regel befolge, die so eine Praxis untersagt, um die Privatsphäre dieser Menschen zu schützen, ist das eine gute Übung von Demokratie.
Zum Ende der Seminarsitzung kamen wir noch auf einige ungelöste Fragen zu sprechen, die sich ergeben, wenn man Privatheit als demokratisches Instrument denkt. Diese Fragen haben vor allem mit den Konsequenzen einer Trennung von öffentlichem und privatem Raum und einer Festlegung der Interessen auf den einen oder anderen Raum zu tun. Vielleicht können wir diese Fragen im neuen Jahr nochmal aufgreifen und vereindeutigen, denn hier brechen meine Erinnerungen und Notizen ab.