Die Literatur zur kommenden Sitzung – den 27. November – ist das erste Kapitel des 1988 erschienenen Buches „UNEASY ACCESS – Privacy for woman in a free society“ von Anita L. Allen.
Das Buch, dass eine „broad range of the privacy and privacy-related problems confronting American women“ (Preface) liefern soll, beschäftigt sich im ersten Kapitel mit einem Überblick und einer Einordnung unterschiedlicher Verwendungen, Definitionen und Konnotationen des spätestens seit den 70er Jahren inflationär verwendeten Begriffs der „privacy“ und dessen spezieller Bedeutung aus feministischer Sicht.
Als Basis bildet Allen hier die These, dass die große Anzahl an unterschiedlichen Definitionen des Begriffs „privacy“ unter anderem eines Zusammenspiels dreier Dimensionen („factors“) geschuldet ist. Angefangen mit der unterschiedlichen Verwendung des Begriffs und seiner Konnotation, über verschiedene Gründe eine solche Definition überhaupt vorzunehmen („definitional pragmatism“ & „definitional prescription“), bis zu Unterschieden in der Herangehensweise der Definition selbst.
Diese Erklärung finde ich sehr nützlich und plausibel, weil sich so das Definitions-Wirrwarr in eine Struktur pressen lässt.
Sie arbeitet sich an unterschiedlichen Definitionen (Westin, Gavison, Keith,…) ab und versucht so bestimmte Sichtweisen zusammenfassend darzulegen und gegenüberzustellen.
Hier nimmt Allen m.M.n. eine zweite, gröbere Einteilung vor, die meinem Verständnis nach parallel zu den drei Dimensionen verstanden werden muss. Eine Einteilung in „inclusive definitions“ („broadly“) und „exclusive definitions“ („narrowly“), die in der Gegenüberstellung der Definitionen von W. A. Parent („[privacy is] a condition of not undocumented personal information about oneself known by others“) und von Ruth Gavison („[privacy is] limited access in the sense of solitude, secrecy and anonymity“) am deutlichsten sichtbar wird.
Die sehr weite fachsprachliche Antwort, auf den „warm, emotional term“ Privatheit, von Parent unterscheidet sich nicht nur in dem Grad der Universalität von Gavison’s Definition, sondern vor allem in der Perspektive.
Parent betrachtet die Privatheit aus der Perspektive des Individuums und stellt die Frage „Was ist Privat?“ aus der Ich-Perspektive, während Gavison aus der Perspektive des Umfelds auf die Individuen und ihre privaten Bereiche schaut, zu denen das Umfeld keinen „access“ (vgl. Allen’s „inaccessibility“) hat, und fragt „Was ist nicht Öffentlich?“.
Die Perspektive der „inclusive definitions“, die hier exemplarisch Gavison repräsentiert ist also nach meinem Verständnis das Negativ von Parent’s Perspektive der „exclusive definitions“.
Eine Frage, die bei dieser Logik aufkommt ist, wie man sie z.B. auf das Fallbeispiel bzgl. der Verletzung der Privatheit durch Zigarettenrauch (vom Nachbartisch im Restaurant) anwenden könnte. Wobei ich gerade in diesem Fallbeispiel eine Abgrenzung des Eingriffs in die Privatheit vom Eingriff in die Privatsphäre notwendig fände.
Bei aller Beschäftigung mit der Definition des Begriffes ist mir Folgendes durch den Kopf gegangen:
Ist Privatheit nicht das, was man eigentlich nicht beschreiben kann, weil es einem stetigen „Erscheinungs-Wandel“ unterzogen ist, im Kern aber unantastbar bleibt?
Denn je massiver der Zugang („access“) und die Angriffe auf die Privatheit sind, desto ausgeprägter, wandlungsfähiger (in der Erscheinung) und fester (im Kern) wird dadurch das Innere der Privatheit. Dieses Phänomen existiert meiner Ansicht nach unabhängig von Geschlecht, Mentalität und Sozialisation (sozialer Status).
Tags: gender, privacy, zum Konzept
Am 26. November 2015 um 17:26 Uhr
Wenn ich ehrlich bin, finde ich deinen zusammenfassenden Schluss, dass Privacy nichts Festes, aber dann doch im Kern wieder Festes ist, ein bisschen schwammig und unklar.
Ich verstehe was du meinst, wenn du sagst, dass Privacy nur schwer zu beschreiben ist, weil sich das Verständnis von Person zu Person unterscheidet. Denn letztendlich hat ja jeder sein eigenes Gefühl davon, wann seine Privacy verletzt wird. Aber es gibt in meinen Augen trotzdem klare Grundstrukturen von Privacy. Es geht um Informationen, Eingriff in deine Persönlichkeitsentwicklung, Betreten deines Grund und Bodens und noch vieles mehr. Auch wenn dieser Begriff sehr umfassend ist, so ist er für mich trotzdem greifbar.
Ich bin mir auch nicht sicher, wie ein Begriff zu gleich wandlungsfähiger und fester werden kann. Du hast das ja auf den Kern und die Erscheinung bezogen, aber so richtig klar ist es mir nicht. Meiner Meinung nach ist der Begriff auf jeden Fall wandlungsfähig, aber dann eher in Abhängigkeit von der Persönlichkeit, der Zeit und dem Ort. denn ich denke schon, dass die Sozialisation etwas mit dem Verständnis von Privacy zu tun hat.
Aber ich bin gespannt genau diese offenen Fragen im Seminar am Freitag zu klären.
Am 27. November 2015 um 08:23 Uhr
Meiner Auffassung nach ist der Grund, warum sich das Verständnis von Privacy ändert, häufig der Kern von Privacy selbst, der sich gewandelt hat. War damals nämlich noch der Kern von Privacy überwiegend das häusliche Leben, so hat sich dieser in unserer heutigen digitalen Welt zum Punkt „bewusste Veröffentlichung von Informationen“ hin verändert. Denn ich selbst betrachte z.B. etwas, was ich bei Facebook veröffentlicht habe, auch wenn ich es indirekt mit der gesamten Welt teile, noch als privat. Postet aber jemand ein Geheimnis von mir, so fühle ich mich in meiner Privacy eingeschränkt. Meine These also: Häufig wandelt sich ein Begriff wie Privacy erst, wenn sich der Kern wandelt, von dem dann aus der Begriff neu konstruiert wird.
Am 27. November 2015 um 10:48 Uhr
– Klare Auseinandersetzung Allens mit verschiedenen Privatheitskonzepten kommt im Blog nicht zur Sprache. Allen greift einzelne Definitionsansätze auf und verwirft sie aber auch wieder, sodass für sie Privatheit am Ende kein schwammiges Konzept ist, sondern als „inaccessibility“ definiert wird
– zu Daniel: Wir sind nicht der Ansicht, dass sich der Kern von Privacy bzw. das Verständnis davon verändert, sondern die konkreten Umstände, in denen das Konzept zur Anwendung kommt, bzw. die Bedrohungen von Privacy je nach technologischem/ sozialem Wandel (Bsp. Entwicklung von Fototechnologie / Hausdurchsuchungen in Frankreich, die jetzt nach dem Notstandsgesetz ohne richterlichen Beschluss möglich sind)
Am 27. November 2015 um 10:55 Uhr
Der letzte Absatz inklusive Frage ist nur im Zusammenhang mit dem Gedanken einer Inneren und einer Äußeren Privatheit zu verstehen, der auf unterschiedlichen Herangehensweisen an den Kern der Privatheit basiert.
Der letzte Absatz versucht eine Erklärung auf die Diskrepanz zwischen der Entwicklung des Verständnisses von Privatheit und einer parallel weit verbreiteten „Fester-Kern-These“ (Parent)
Am 27. November 2015 um 11:00 Uhr
Gruppe 3
Wir stimmen erster Aussage zu. Dennoch ist uns nicht ganz klar, wie eine genaue Differenzierung zwischen Erscheinung und Kern aussieht.
Was ist der Kern von Privatheit? Was ist die äußere Erscheinung? Könntet ihr villeicht ein paar Beispiele geben? Das ist alles so theoretisch. Wie definiert Parent genau diesen festen Kern?