Der Buchtitel „Vita activa“ verweist bereits auf einen Grundgedanken Hannah Arendts: Der Mensch ist nur dann Mensch, wenn er handelt. Handeln zählt für Hannah Arendt neben der Arbeit und dem Herstellen zu den drei menschlichen Grundtätigkeiten und der Buchtitel lässt erahnen, dass sie diese menschliche Grundtätigkeit, die sich ausschließlich im öffentlichen Bereich abspiele, als am wichtigsten einordnet. Hieran kann man bereits eine geringere Wertschätzung Arendts gegenüber Privatheit erkennen, stellt man ihr der öffentlichen Seite gegenüber.
Ganz allgemein unterscheidet Arendt erstmal „öffentlich“ und „privat“ wie folgt: „Die einfache Unterscheidung zwischen privat und öffentlich entspricht dem Bereich des Haushaltes auf der einen, dem Raum des Politischen auf der anderen Seite“ (S. 31).
Geht man tiefer ins Detail, so beinhaltet für Arendt das Wort „Öffentlich“ zwei Phänomene. Zum Einen erzeugt es Wirklichkeit, in dem alles, „was vor der Allgemeinheit erscheint, für jedermann sichtbar und hörbar ist“ (S. 49), und zum Anderen ist es die Welt selbst (diese Welt ist nicht mit der Erde oder die Natur als Ganzes identisch, sondern ist „vielmehr sowohl ein Gebilde von Menschenhand wie der Inbegriff aller nur zwischen Menschen spielender Angelegenheiten, die handgreiflich in der hergestellten Welt zum Vorschein kommen“(S. 52)). Wer also nur ein Privatleben führe, würde in erster Linie, in einem Zustand leben, in dem man bestimmter, wesentlich menschlicher Dinge beraubt ist, u.a. der Wirklichkeit, die durch das Gesehen und Gehört werden entsteht. „Solitude“ als Lebensmotto steht sie also äußerst kritisch gegenüber. Diese Auffassung, dass man auch die politische/öffentliche Seite braucht, vertreten auch heutzutage die meisten Theoretiker wie zum Beispiel Bernd Ladwig.
Privatheit ist für Hannah Arendt natürlich keineswegs irrelevant, da zum Beispiel nur die Liebe in einem privaten Raum wirklich gedeihen kann, aber indirekt lässt sich (auch anhand ihrer dauernden idealisierenden Vergleiche zu der griechischen Polis erkennen, in der die politische Seite einen sehr hohen Stellenwert hatte) erkennen, dass sie eher die öffentliche Seite der privaten vorziehen würde als umgekehrt. Hieran ist auch zu erkennen, wie stark Aristoteles Hannah Arendt beeinflusste. Aristoteles vertrat die Auffassung, dass der Mensch ein politisches Tier (ein „zoon politikon“) sei, das sich nur im öffentlichem Raum angemessen verwirklichen könne (s. hierzu vor allem Aristoteles staatspolitische Schrift „Politik“ (Buch 1)).
Dieser überwiegend einseitige Ausspruch für den öffentlichen Bereich ist meiner Meinung nach zu eng gefasst. Ein Leben außerhalb der Öffentlichkeit, also vorwiegend außerhalb des politischen Bereiches, kann in manchen Lebensabschnitten wichtig sein, sei es ein familiärer Trauerfall oder die Gründung einer Familie und die daraus sich ergebende körperliche wie seelische Versorgung dieser. Zudem stehe ich ihrer Auffassung, dass Freundschaften in den öffentlichen Raum gehören, sehr kontrovers gegenüber. Manche Freundschaften können erst im privaten Raum wirklich gedeihen. Stellen wir uns zum Beispiel vor, wir wären in der Führungsriege eines medienpräsenten Unternehmens aufgestiegen und würden öffentlich eine Freundschaft zu einem Mitarbeiter eines konkurrierenden Unternehmens führen. Diese Freundschaft könnte aber meine beruflichen Ziele gefährden, wenn mein Vorgesetzter zum Beispiel befürchtet, dass ich sensible Informationen mit ihm austauschen würde. Hier wäre also, ganz im Sinne der Rational-Choice-Theorie, eine Freundschaft im Verborgenen, also im privaten Raum, am sinnvollsten. Und so kann auch ein (vorübergehender) Rückzug aus dem öffentlichen Bereich anhand der Rational-Choice-Theorie legitimiert werden, also der Gedanke: „Das Licht der Öffentlichkeit: eine optische Täuschung“ (Wolfgang Mocker).
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